SWR2 Die Buchkritik. Philipp Staab: Macht und Herrschaft in der Servicewelt Hamburger Edition 390 Seiten 32,-- Euro

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1 SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Die Buchkritik Philipp Staab: Macht und Herrschaft in der Servicewelt Hamburger Edition 390 Seiten 32,-- Euro Rezension von Rolf Wiggershaus Sendedatum: Redaktion: SWR2 Literatur Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Forum Buch können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter oder als Podcast nachhören:

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3 Eindruck davon, wie im Bereich einfacher Dienstleistungsarbeit durch Rationalisierung und Arbeitsverdichtung Druck ausgeübt, Konkurrenzdenken forciert und Disziplin bewirkt wird. Was sich unter vertrauter und alltäglicher Oberfläche unauffällig abspielt, macht beispielsweise die nähere Untersuchung der Filiale eines Discounters deutlich. Interaktion mit Kunden ist im Arbeitsprogramm nicht vorgesehen. Der Arbeitsalltag besteht aus einem dauernden Wechsel von Heben, Räumen, Schieben, Einsortieren und Kassieren. Von den Festangestellten muss jeder alles können und machen. So kann kaum spezifische Kompetenz entwickelt werden, und jeder ist ersetzbar. Nicht Kooperation ist gefragt, sondern einfache, körperbetonte Tätigkeit. Das ermöglicht unter Bedingungen chronischen Personalmangels eine flexible Anpassung an das jeweilige Arbeitsaufkommen. Als Nebeneffekt ergibt sich eine Entstrukturierung der Tariflandschaft. Alle Mitarbeiter außer der Filialleitung können als Verkäufer eingruppiert werden. Ein Recht auf Mitsprache ergibt sich daraus nicht. Macht ist auf unberechenbare Weise an die Person des Leiters gebunden. Expandierende Discounter sind gleichzeitig Beispiele für Prozesse der Unterschichtung. Von einem höherklassigen Lebensmittelmarkt übernommene Mitarbeiter, für die noch die Tariflöhne und das Berufsideal des Einzelhandels galten, werden durch Neueinstellungen von Mitarbeitern, die nur noch als Verkäufer eingestuft sind, unterschichtet. Darunter gibt es dann noch einmal

4 eine Schicht von geringfügig Beschäftigten ohne Festanstellung. Durch diese Unterschichtungen wird das Machtgefüge noch einmal gefestigt, was Staab an allen von ihm untersuchten Dienstleistungsbereichen zeigen kann. Beispielsweise auch bei neuen Post- und Zeitungszustelldiensten. Sie entstanden, nachdem 1995 der Abbau des Monopols der Deutschen Bundespost begann. Charakteristisch für sie ist ein dauernder Personalmangel bei gleichzeitigem Zustrom von Neuankömmlingen. Dynamische junge Männer, die sich noch beweisen müssen, unterschichten dann die Alteingesessenen, die unter Umständen körperlich nicht mehr mithalten können. Körperliche Schwäche aber legitimiert soziale Exklusion. Es sind, so Staab, die Zusteller selber, die im Rahmen ihres körperbezogenen Arbeitsethos die Legitimationsgrundlage für Ausschluss in der bedingungslosen Bereitschaft zur Leistungsveräußerung sehen. Den Wert der eigenen Arbeit können die meisten früher oder später nur noch in deren Beitrag zum eigenen Durchkommen sehen. Wenn zum Beispiel Reinigungsfirmen unter dem Titel Bedarfsreinigung Billigangebote machen, bei denen nur das unbedingt Notwendige getan wird, wird der systematische Zwang zum Pfusch überdeutlich. So wird dem Reinigungspersonal jede Möglichkeit genommen, stolz auf gute Arbeit zu sein. Kunden, die Anerkennung spenden könnten, gibt es für möglichst unauffällig tätige Reinigungskräfte nicht. Stattdessen sehen sie sich angesichts mancher

5 Hinterlassenschaften, so Staab, als letztes Glied der Normalisierung des Abnormalen. Die den Band eröffnende ausgiebige Diskussion arbeitsund herrschaftssoziologischer Konzepte ist ein Stück spröder Fachlektüre. Umso erstaunlicher ist die Anschaulichkeit und Klarheit des empirischen Hauptteils. Die dichte Beschreibung von Beispielen aus der aktuellen Welt einfacher Dienstleistungen ist spannend und aufschlussreich wie eine Reise in ein unbekanntes Gebiet.