Sommersemester Klausurenkurs zur Examensvorbereitung im Strafrecht. Klausur Nr. 2 / Der falsche Schnee. Lösung
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- Alexander Rosenberg
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1 Prof. Dr. Wolfgang Mitsch Universität Potsdam Sommersemester 2016 Klausurenkurs zur Examensvorbereitung im Strafrecht Klausur Nr. 2 / Der falsche Schnee Lösung A. Strafbarkeit des P I. Diebstahl, 242 Abs. 1 StGB Zum Aufbau des 242 StGB vgl. Eisele Strafrecht BT II, 2. Aufl. 2012, Rn Objektiver Tatbestand a) Sache Das Hausnummernschild ist eine Sache (vgl. 90 BGB). b) beweglich Vor der Tat war das Schild mit einem Gebäudeteil (und damit auch mit dem Erdboden) fest verbunden und deshalb im tatsächlichen (physikalischen) Sinn unbeweglich. Es genügt jedoch zur Tatbestandserfüllung, dass die Sache durch die Tat die Wegnahme beweglich gemacht wird (Eisele, BT II Rn. 21). c) fremd Eigentümer des Schildes ist G. Daher ist das Schild für P eine fremde Sache (Eisele BT II Rn. 22). 1
2 d) Wegnahme Zur Definition von Wegnahme vgl. Eisele BT II Rn. 25 (mit Prüfungsschema) aa) fremder Gewahrsam Da G Gewahrsam an seinem Haus und allen dazu gehörenden Gebäudeteilen (z. B. Zaun, Garage usw.) hat, hat er auch Gewahrsam an dem Hausnummernschild. bb) Bruch dieses Gewahrsams Durch das Abmontieren des Schildes hat P den Gewahrsam des G gebrochen. G war damit nicht einverstanden. cc) Begründung neuen Gewahrsams Indem P das Schild mitnahm, begründete er neuen (eigenen) Gewahrsam. 2. Subjektiver Tatbestand Zu den Elementen und zum Aufbau des subjektiven Tatbestandes Eisele BT II Rn. 59 a) Vorsatz P handelte vorsätzlich, 15 StGB. b) Zueignungsabsicht Da P von Beginn an vorhatte, das Schild nach vorübergehender Benutzung wieder an seinem ursprünglichen Platz anzubringen und die Sachherrschaft des G wiederherzustellen, handelte er ohne Enteignungsvorsatz ( Eisele BT II Rn. 70). 3. Ergebnis P hat sich nicht aus 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. 2
3 II. Unterschlagung, 246 Abs. 1 StGB Zum Aufbau des 246 Abs. 1 StGB Eisele BT II Rn Objektiver Tatbestand Der objektive Tatbestand der Unterschlagung unterscheidet sich vom objektiven Tatbestand des Diebstahls nur im Handlungsmerkmal : Zueignung statt Wegnahme. a) Sache s. o. beim Diebstahl b) beweglich s. o. beim Diebstahl c) fremd s. o. beim Diebstahl d) Zueignung Da P das Schild nach kurzzeitiger Benutzung wieder in den Machtbereich des G zurückgebracht hat, hat er den G nicht enteignet und sich das Schild nicht zugeeignet (Eisele BT II Rn. 253 ff.). 2. Ergebnis P hat sich nicht aus 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. 3
4 III. Betrug, 263 Abs. 1 StGB Zum Aufbau des 263 Abs. 1 StGB Eisele BT II Rn Objektiver Tatbestand a) Täuschung Durch das Anbringen des Schildes 30 an seinem Haus hat P vorgespiegelt, sein Grundstück habe von der Gemeinde die Hausnummer 30 zugeteilt bekommen. Diese Aussage ist unwahr (Tatsache ist falsch ), weil die Gemeinde dem Grundstück des P die Nummer 32 zugeteilt hat. b) Irrtum Das an dem Haus des P angebrachte Schild hat in M den Irrtum hervorgerufen, es handele sich bei diesem Haus um das Haus des Kunden, der mit U einen Winterdienstvertrag abgeschlossen hat. Diese Vorstellung ist falsch und deshalb ein Irrtum. c) Vermögensverfügung Indem M vor dem Grundstück des P den Schnee wegräumte, erbrachte er eine Dienstleistung, die der Begünstigte nur gegen Entgelt auf der Grundlage eines Vertrages erhalten kann. Diese Leistung hat deshalb einen wirtschaftlichen Wert und ist ein Vermögensgut (Eisele BT II Rn. 593). Indem M dem P dieses Vermögensgut verschaffte, tätigte er eine Vermögensverfügung (Eisele BT II Rn. 554: Begriff der Vermögensverfügung). Ob durch die Handlung des M irgendein Vermögen vermindert worden ist, sollte man erst bei dem Merkmal Vermögensschaden erörtern. d) Vermögensschaden Zu Begriff des Vermögensschadens : Eisele BT II Rn aa) Vermögen des M M hat kein Vermögensgut verloren, sondern im Gegenteil durch seine Arbeit einen Wert geschaffen. Einen Vermögensverlust hätte M allenfalls dann erlitten, wenn er durch die aufgewendete Zeit und Arbeitskraft die Chance, während dieser Zeit durch Einsatz seiner Arbeitskraft anderweitig einen Gewinn zu erzielen (z. B. durch Schwarzarbeit bei einem Kunden, der ihm ein höheres Entgelt gezahlt hätte), verloren hätte. Das ist aber nicht der Fall, da M auf Grund des Arbeitsvertrages mit U verpflichtet war, diese Arbeitsleistung zu dieser Zeit zu erbringen. M wird auch keine Lohnkürzung seitens des U erfahren, da er tatsächlich gearbeitet hat, wenn auch vor dem falschen Grundstück. 4
5 bb) Vermögen des G Da M seine Leistung vor dem Grundstück des P erbrachte, entging dem G diese Leistung, auf die er auf Grund des Vertrages mit U einen Anspruch hatte. Diese Leistung kann auch nicht nachgeholt werden ( Schnee von gestern ). Die Leistung ist dem G somit endgültig vorenthalten worden. Dass G deshalb dem U nicht das volle Entgelt schuldet, hindert nicht die Entstehung des Schadens, sondern ist eine Folge des Schadens. Der eingetretene Schaden wird dadurch vielleicht wieder beseitigt, hat aber zuvor bestanden (Eisele BT II Rn. 574). Da der Schaden nicht bei M, sondern aus der Sicht des M bei einem Dritten entstanden ist, müssen die Grundsätze des Dreiecksbetrugs beachtet werden (Eisele BT II Rn. 567). Auf Grund des geschlossenen Vertrages nahm U Vermögensinteressen des G wahr. Der vertragliche Anspruch des G gegen U ist ein Vermögensgut des G. Als Vertragspartner verwaltet U dieses Vermögensgut und steht gewissermaßen im Lager des G. U hat die Möglichkeit durch Gut- oder Schlechterfüllung Einfluss auf die Vermögenssituation des G zu nehmen. Daher wird die Leistung des U vertreten durch M dem G so zugerechnet als habe G sie selbst erbracht (G schippt selbst eigenhändig Schnee vor dem Grundstück des P und erspart diesem somit eigene Aufwendungen, z. B. die Beauftragung eines Winterdienstunternehmens). cc) Vermögen des U Bei U ist nicht unmittelbar ein Vermögensschaden eingetreten. M hat seine Arbeitsleistung erbracht, wenngleich beim falschen Kunden. Ein Verlust droht dem U erst, wenn G Kürzung des vereinbarten Entgelts geltend macht. Aktuell ist das Vermögen des U nicht geschmälert, allenfalls gefährdet. Ausgleichen lässt sich dies durch Geltendmachung eines Anspruchs aus 812 BGB gegen P. 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz P handelte vorsätzlich, 15 StGB. b) Bereicherungsabsicht aa) (beabsichtigter) Vermögensvorteil Die Erbringung der Dienstleistung Schneeräumung ist ein Vermögensvorteil für P. bb) (beabsichtigte) Stoffgleichheit Kehrseite der Erbringung der Dienstleistung für den P ist die Vorenthaltung dieser Leistung zum Nachteil des G. Daher sind Vermögensschaden bei G und Vermögensvorteil bei P stoffgleich (dazu Eisele BT II Rn. 638). 5
6 cc) (beabsichtigte) Rechtswidrigkeit P hatte keinen Anspruch auf die erbrachte Leistung. dd) Absicht P hatte die Absicht, sich den rechtswidrig stoffgleichen Vermögensvorteil zu verschaffen. 3. Rechtswidrigkeit Die Tat war nicht gerechtfertigt. 4. Schuld P handelte schuldhaft. 5. Ergebnis P hat sich aus 263 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. 6
7 IV. Urkundenfälschung, 267 Abs.1 Alt. 1, Alt. 3 StGB Zum Aufbau des 267 StGB vgl. Eisele Strafrecht BT I, 3. Aufl. 2014, Rn Objektiver Tatbestand a) Urkunde Zum Urkundenbegriff Eisele BT I Rn. 786 ff; Wessels/Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil 1, 39. Aufl. 2015, Rn. 790; Krey/Hellmann/Heinrich, Strafrecht Besonderer Teil 1, 16. Aufl. 2015, Rn. 971 aa) menschliche Gedankenerklärung (1) Das Hausnummernschild allein enthält keine menschliche Gedankenerklärung, die über den Inhalt hinausgeht, den der Betrachter des Schildes selbst generieren könnte ( Das ist eine 30, Dieses Schild zeigt eine 30, Jemand hat dieses Schild hergestellt usw.). Das Schild sagt nicht z. B. X ist 30 Jahre alt oder Fußballspieler F hat 30 Tore geschossen oder das Buch kostet 30 Euro. (2) Die Verbindung von Hausnummernschild und Grundstück, auf dem das Gebäude mit dem Schild steht, enthält aber in extrem verkürzter Fassung eine menschliche Gedankenerklärung, deren Inhalt über die Existenz des Schildes ( Das ist ein Schild mit der Zahl 30 ) hinausgeht: Diesem Grundstück ist von einer dafür zuständigen Behörde die Hausnummer 30 zugeteilt worden. Es handelt sich um eine zusammengesetzte Urkunde (Eisele BT I Rn. 808). Denn die Gedankenerklärung ergibt sich erst auf Grund des Zusammenspiels von Haus und Hausnummernschild. bb) stoffliche Verkörperung Die stoffliche Verkörperung hat die Gedankenerklärung durch die physische Verbindung von Hausnummernschild und Gebäudeteil, an dem das Schild angebracht ist, erfahren. cc) Beweiseignung Das an dem Haus angebrachte Hausnummernschild ist geeignet zur Beweisführung über die Tatsache, dass diesem Grundstück von der Gemeinde Kleinmachnow die Hausnummer 30 zugeteilt worden ist. Gäbe es dieses Schild nicht, müsste z. B. ein Mensch, der über den Haunummernzuteilungsakt informiert ist, dazu befragt werden. Das angebrachte Hausnummernschild ersetzt diese Befragung. 7
8 dd) Beweisbestimmung Mit dem Hausnummernschild soll bewiesen werden können, dass die Gemeinde Kleinmachnow dem Grundstück die Hausnummer 30 zugeteilt hat. Das Hausnummernschild hat nicht nur Identifizierungs- und Abgrenzungsfunktion, sondern ist auch Beweismittel für das Recht des Grundstückseigentümers, genau die Hausnummer in seiner Adresse zu führen. ee) Erkennbarkeit des Ausstellers Da die Funktion der Hausnummernschilder und die Zuständigkeit der Gemeinde für die Hausnummernzuteilung eine rechtliche Grundlage hat, ist die Gemeinde als Aussteller der Urkunde erkennbar. Dass der Grundstückseigentümer das Schild selbst anbringt, ist unerheblich. Auf den physischen Akt der Anbringung des Schildes kommt es nicht an. Nach der Geistigkeitstheorie ist maßgeblich, wer als geistiger Urheber der Gedankenerklärung in Erscheinung tritt. Es ist offenkundig, dass Grundstückseigentümer sich ihre Hausnummern nicht selbst zuteilen dürfen. Da das mit dem Gebäudeteil fest verbundene Hausnummernschild alle Einzelmerkmale des Urkundenbegriffs erfüllt, ist es eine (zusammengesetzte) Urkunde. Zu dem ähnlich gelagerten Fall des Verkehrsschildes vgl. z. B. Böse, NStZ 2005, 370 (371). b) hergestellt (Handlungsalternative 1) Vor der Verbindung von Schild und Gebäude existiert keine Urkunde. Durch das Anbringen des Hausnummernschildes am Gebäude hat P die Urkundeneinheit zusammengesetzte Urkunde hergestellt. c) unecht Eine Urkunde ist unecht, wenn ihr wirklicher Aussteller jemand anderes ist als derjenige, der als Aussteller in Erscheinung tritt (Eisele BT I Rn. 817). Die angebrachten Hausnummernschilder teilen mit, dass die Gemeinde Kleinmachnow die zusammengesetzten Urkunden ausgestellt haben. Zwar sind die Grundstückseigentümer nicht nur berechtigt, sondern gem. 126 Abs. 3 BauGB sogar verpflichtet, das Schild anzubringen. Darauf kommt es aber nicht an. Denn das Anbringen des Schildes ist ein Vorgang, der der Entscheidung der Gemeinde, dass das Grundstück diese Hausnummer bekommen soll, nachfolgt. Die zum Ausdruck gebrachte Erklärung liegt also schon vor, bevor das Schild an dem Gebäude befestigt wird. Mit dem gesetzlichen Auftrag zur Herstellung der physikalischen Verbindung von Schild und Gebäudeteil ist nicht die Ermächtigung verbunden, selbst über die Hausnummer zu entscheiden. Der Grundstückseigentümer ist nur verlängerter Arm der Gemeinde. P hat sich also eine Ausstellerfunktion angemaßt, die ihm nicht zusteht. Der Gemeinde hat er eine Urkunde untergeschoben, die so von ihr nicht ausgestellt worden ist. Das Schild mit der Nummer 30 ist an dem Gebäude auf dem Grundstück des P eine unechte Urkunde. 8
9 d) Gebrauchmachen (Handlungsalternative 3) P hat von der unechten Urkunde Gebrauch gemacht, weil M das falsche Schild sah und dadurch getäuscht wurde (Eisele BT I Rn. 836). 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz P handelte vorsätzlich, 15 StGB. Wenn er angenommen hätte, dass das Hausnummernschild am Gebäude keine Urkunde ist, wäre das nur dann ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum isd 16 Abs. 1 S. 1 StGB, wenn er nicht einmal nach Art einer Parallelwertung in der Laiensphäre eine zutreffende Vorstellung von der Urkundenfunktion dieses Schildes gehabt hätte. b) Täuschungsabsicht P handelte zur Täuschung im Rechtsverkehr. Denn er wollte M zu einem rechtserheblichen Verhalten bewegen. 3. Rechtswidrigkeit Die Tat war nicht gerechtfertigt. 4. Schuld P handelte schuldhaft. 5. Ergebnis P hat sich gem. 267 Abs. 1 Alt. 1, Alt. 3 StGB strafbar gemacht. Trotz Erfüllung zweier Tatbestandsalternativen hat P nur eine Urkundenfälschung begangen (Eisele BT I Rn. 839). 9
10 V. Urkundenunterdrückung, 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB 1. Objektiver Tatbestand a) Urkunde Die Verbindung von Hausnummernschild und Gebäude ist eine zusammengesetzte Urkunde (s.o.). b) fremde Beweisführungsbefugnis ( gehört ) Das Wort gehört im Text des 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB hat nichts mit dem Eigentum zu tun (Eisele BT I Rn. 902). Es geht um das Recht, mit der Urkunde im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen. Bezüglich des am Gebäude des G angebrachten Hausnummernschildes mit der Zahl 30 hat nicht P, sondern die Allgemeinheit das Beweisführungsrecht. Ein Postzusteller oder Kurier kann sich z. B. darauf berufen, an die richtige Adresse zugestellt zu haben, wenn das Hausnummernschild am Gebäude mit der Adresse des Empfängers übereinstimmt. c) zerstört Durch das Abmontieren des Schildes beim Grundstück des G hat P die zusammengesetzte Urkunde zerstört. 2. Subjektiver Tatbestand a) Vorsatz P handelte vorsätzlich, 15 StGB. b) Nachteilszufügungsabsicht P handelte mit der Absicht, dem G einen Nachteil zuzufügen. 3. Rechtswidrigkeit Die Tat ist nicht gerechtfertigt. 4. Schuld P handelte schuldhaft. 10
11 5. Ergebnis P hat sich aus 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht. VI. Fahrlässige Körperverletzung, 229 StGB Zum Aufbau des Fahrlässigkeitsdelikts vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, 3. Aufl. 2015, 30 Rn. 8; Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 2015, 52 Rn. 12; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 45. Aufl. 2015, Rn Tatbestand a) Körperverletzungserfolg Das gebrochene Bein des H ist ein Körperverletzungserfolg. b) Verursachung Durch das Austauschen der Hausnummernschilder hat P die Verletzung des H verursacht. c) Fahrlässigkeit P handelte in Bezug auf die Körperverletzungsfolge fahrlässig (objektiv sorgfaltspflichtwidrig, vorhersehbar, vermeidbar; zu diesen Elementen des Begriffs fahrlässig vgl. Rengier, AT, 52 Rn ). d) Objektive Zurechnung Die Sorgfaltspflichtverletzung hat sich in dem Verletzungserfolg niedergeschlagen (Pflichtwidrigkeitszusammenhang, vgl. Rengier, AT, 52 Rn. 26 ff.). Die objektive Zurechnung ist nicht durch ein Dazwischentreten des G ausgeschlossen. Denn das Dazwischentreten des G ist nur fahrlässiges Unterlassen. Zurechnungsausschließend wäre vorsätzliches aktives Tun (Rengier, AT, 13 Rn. 87 ff.). 11
12 2. Rechtswidrigkeit Die Tat war nicht gerechtfertigt. 3. Schuld P handelte schuldhaft. 4. Ergebnis P hat sich aus 229 StGB strafbar gemacht. B. Strafbarkeit des G Fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen, 229, 13 StGB Zum Aufbau des unechten Unterlassungsdelikts vgl. Murmann, Grundkurs, 29 Rn. 4; Rengier, AT, 49 Rn. 5; Wessels/Beulke/Satzger, Rn (vorsätzlich), Rn (fahrlässig) 1. Tatbestand a) Körperverletzungserfolg Der Beinbruch des H ist ein Körperverletzungserfolg. b) Unterlassung aa) Untätigkeit G hat nicht den Schnee weggeräumt und das Glatteis unschädlich gemacht. bb) Möglichkeit G hatte die Möglichkeit, den Schnee wegzuräumen und die Glätte durch Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln zu entschärfen. 12
13 c) Kausalität Hätte G den Schnee weggeräumt und die Glätte entschärfte, wäre H nicht gestürzt und hätte sich nicht das Bein gebrochen. d) objektive Zurechnung Zurechnungsausschließende Umstände sind nicht ersichtlich. e) Garantenstellung Zu den Entstehungsvoraussetzungen einer Garantenstellung vgl. Murmann, Grundkurs, 29 Rn. 30; Wessels/Beulke/Satzger, Rn ff. aa) Verkehrssicherungspflicht kraft Satzung Die Strafrechtslehre stellt überwiegend nicht mehr auf gesetzliche Grundlagen ab (vgl. Murmann, Grundkurs, 29 Rn. 31; Rengier, AT, 50 Rn. 2). Die Verkehrssicherungspflicht wird allgemein als eine Garantenpflicht bezeichnet, ohne dass aber eine gesetzliche Grundlage, auf der die Verkehrssicherungspflicht beruht, gefordert wird (vgl. z. B. Murmann, Grundkurs, 29 Rn. 36, 59 Rengier, AT, 50 Rn. 45; Wessels/Beulke/Satzger, Rn. 1014). Als Inhaber einer Verkehrssicherungspflicht wird der Eigentümer eines Grundstücks genannt, allerdings nur in Bezug auf Gefahren, die von seinem Grundstück bzw. einem Gebäude auf dem Grundstück ausgehen Rengier, AT, 50 Rn. 7; Wessels/Beulke/Satzger, Rn : herabfallende Dachziegel). Da G nicht Eigentümer des Gehwegs vor seinem Grundstück ist und auch nicht die tatsächliche Herrschaft über diesen Gehwegabschnitt hat, kann er nicht Garant aus dem Gesichtspunkt der Gefahrenquellenbeherrschung sein. Eigentümerin und Gefahrenquelleninhaberin ist die Gemeinde Kleinmachnow. Es ist aber kein Grund ersichtlich, die eindeutige Regelung in dem brandenburgischen Straßengesetz und in der Straßenreinigungssatzung nicht als Rechtsgrundlage einer Pflicht anzuerkennen, deren Zweck unter anderem darin besteht, den Eintritt von auf Glatteisunfällen beruhenden Körperverletzungserfolgen zu verhindern. bb) Verkehrssicherungspflicht kraft Übernahme In der Literatur wird als Entstehungsgrund von Garantenstellungen einhellig die freiwillige Übernahme einer Beschützer- oder Überwacherposition anerkannt (z. B. Rengier, AT, 50 Rn. 28, 46). Hier hat zwar G nicht eigenhändig den gefallenen Schnee beseitigt. Er hat aber schon im Herbst mit U einen Winterdienstvertrag abgeschlossen und damit zum Ausdruck gebracht, dass er seine Verantwortung für die gefahrlose Begehbarkeit des Gehwegabschnitts vor seinem Grundstück bei Schnee und Glatteis anerkennt. Dies ist eine Übernahme der Position des Überwachergaranten. 13
14 Die Frage, ob G auch ohne diesen Akt unmittelbar auf Grund der kommunalen Satzung Garant geworden wäre, kann daher dahingestellt bleiben. Der Abschluss des Winterdienstvertrages mit U hat G nicht von seiner Garantenstellung befreit. Das wäre allenfalls unter den Voraussetzungen des 3 Abs. 8 der Straßenreinigungssatzung der Fall gewesen. f) Entsprechung Auf die Entsprechungsklausel des 13 Abs. 1 StGB kommt es bei reinen Erfolgsdelikten nicht an (Rengier, AT, 49 Rn. 30). g) Zumutbarkeit Dazu, ob die (Un)zumutbarkeit zum Tatbestand oder zur Schuld gehört, vgl. Rengier, AT, 49 Rn. 47. Die Kollision der Schneeräumaufgabe mit dem Vorlesungstermin in der Universität Potsdam entbindet G nicht von der Pflicht, die Gefahrenquelle vor seinem Grundstück zu entschärfen. Er hätte sich schon zu einem früheren Zeitpunkt davon vergewissern müssen, ob U seiner vertraglichen Schneeräumpflicht auch zuverlässig nachkommt. Daher war es ihm zuzumuten, den verspäteten Beginn der Vorlesung oder komplettes Ausfallen der Vorlesung in Kauf zu nehmen. 2. Rechtswidrigkeit Rechtfertigungsgründe liegen nicht vor (z. B. Pflichtenkollision). Die Pflicht zur Verhinderung von Körperverletzungen hat Vorrang vor der Pflicht, pünktlich die Vorlesung zu halten. 3. Schuld Die Unterlassung des G war schuldhaft. 4. Ergebnis G hat sich aus 229, 13 StGB strafbar gemacht. 14
15 Konkurrenzen bei P : Abmontieren des Schildes bei G ( 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und Anmontieren des Schildes bei P ( 267 Abs. 1, 263 Abs. 1, 229 StGB) verschiedene Taten, also Tatmehrheit, 53 StGB. Betrug, Urkundenfälschung und fahrlässige Körperverletzung stehen in Tateinheit, 52 StGB. 15
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