STRAßENVERKEHR: HARMONISIERUNG DER RECHTSVORSCHRIFTEN

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1 STRAßENVERKEHR: HARMONISIERUNG DER RECHTSVORSCHRIFTEN Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Straßenverkehrsmarktes ist ohne eine Harmonisierung der in den Mitgliedstaaten geltenden Rechtsvorschriften nicht möglich. Die von der Europäischen Union ergriffenen Maßnahmen betreffen den steuerlichen, technischen, administrativen und sozialen Bereich (1). RECHTSGRUNDLAGE Titel VI des Vertrags von Lissabon, insbesondere Artikel 91 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). ZIELE Eine gemeinsame Straßenverkehrspolitik, die gerechte Wettbewerbsbedingungen bewahren und die Dienstleistungsfreiheit gewährleisten soll, erfordert eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Das gilt nicht nur für die Besteuerung (MwSt., Kraftfahrzeugsteuern, Mineralölsteuern) und staatliche Beihilfen, sondern auch für technische Vorschriften (höchstzulässige Abmessungen und Gewichte), Sozialstandards und Umweltschutzmaßnahmen. ERGEBNISSE A. Steuerliche und technische Harmonisierung 1. Regelungen für Verbrauchsteuern Die Richtlinie 2003/96/EG vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen ersetzt die beiden Richtlinien 92/81/EWG und 92/82/EWG zur Harmonisierung der Verbrauchsteuern auf Mineralöle (siehe ). 2. Anlastung der Wegekosten Am 8. Juli 2008 legte die Kommission ein Paket von Initiativen zur Ökologisierung des Verkehrs vor ( Greening Transport Package ). Dabei handelt es sich um ein allgemeingültiges, transparentes und übertragbares Modell zur Berechnung aller externen Kosten einschließlich der Umwelt-, Lärm-, Stau- und Gesundheitskosten. Dieses Modell diente als Grundlage für die Berechnung der Infrastrukturnutzungsgebühren im Rahmen der Änderung der Eurovignetten- Richtlinie (siehe unten) und bereitet den Weg für eine Strategie zur schrittweisen Umsetzung dieses Modells für alle Verkehrsträger. Die Richtlinie 1999/62/EG vom 17. Juni 1999 bleibt die maßgebliche Vorschrift für die Gestaltung der Tarife, die den Verkehrsunternehmen für die Nutzung der Straßeninfrastruktur in Rechnung gestellt werden. Sie wurde durch die Richtlinien 2006/38/EG vom 17. Mai 2006 und 2011/76/EU vom 27. September 2011 Kurzdarstellungen über die Europäische Union

2 geändert. Nach der Änderung der Eurovignetten-Richtlinie von 1999, die sich auf das Verursacherprinzip und die Internalisierung externer Kosten stützt, sollen sich in den Entgelten die verschiedenen Kosten widerspiegeln, die durch die Nutzung der Infrastruktur durch Lastkraftwagen entstehen. Dafür sollen zusätzlich zu den bestehenden entfernungsabhängigen Straßennutzungsgebühren, mit denen die Kosten für den Bau, die Instandhaltung, den Betrieb und den Ausbau der Straßeninfrastruktur gedeckt werden sollen, variable Entgelte erhoben werden, die der Luftverschmutzung, der Lärmbelastung und den Risiken durch Verkehrsstaus Rechnung tragen. Das wichtigste Ergebnis des 2011 vom Europäischen Parlament und vom Rat geschlossenen Kompromisses bemisst sich nach der Transparenz der Einnahmen und Investitionen. Denn die Mitgliedstaaten dürfen die Infrastrukturentgelte in Abhängigkeit von der Verkehrsdichte in den Hauptverkehrszeiten, die auf fünf Stunden pro Tag beschränkt sind, um maximal 175 % variieren. Im Gegenzug können sie in der übrigen Zeit niedrigere Tarife erheben. Die variable Entgeltgestaltung muss transparent und für alle Verkehrsteilnehmer ohne Einschränkung gleich konzipiert und angewendet werden. Das Hauptproblem der Zweckbindung der Einnahmen aus Straßennutzungsgebühren wurde dadurch gelöst, dass die Mitgliedstaaten die Einnahmen aus den Infrastrukturentgelten und den Gebühren zur Deckung externer Kosten in besondere Projekten von großem europäischem Interesse (TEN- V: Anhang III des Beschlusses Nr. 661/2010/EU) reinvestieren und für einen nachhaltigeren Verkehr aufwenden müssen. Darüber hinaus kann in Bergregionen für Lastkraftwagen, die erhebliche Umweltschäden verursachen (EURO-Emissionsklassen 0, I, II und, ab 2015, III), ein Aufschlag zur Infrastrukturgebühr erhoben werden. In dem Fall müssen die Einnahmen in die Finanzierung von Vorhaben von besonderem europäischen Interesse fließen. Die Kommission erstattet dem Europäischen Parlament und dem Rat spätestens im Oktober 2015 Bericht über die Durchführung und die Wirkung der Richtlinie, insbesondere über die Wirksamkeit der Bestimmungen zur Anlastung der durch die verkehrsbedingte Umweltverschmutzung verursachten Kosten und über die Einbeziehung von Fahrzeugen mit einem Gesamtgewicht über 3,5 und unter 12 Tonnen. 3. Höchstzulässige Abmessungen und Gewichte Die Richtlinie 96/53/EG vom 25. Juli 1996 zur Festlegung der höchstzulässigen Abmessungen und Gewichte im innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Verkehr ist maßgeblich für die Abmessungsnormen für alle Lastwagen im grenzüberschreitenden Verkehr innerhalb der EU. Sie wurde durch die Richtlinien 97/27/EG vom 22. Juli 1997 und 2002/7/EG vom 18. Februar 2002 ergänzt und geändert, die hauptsächlich der Harmonisierung der Abmessungsnormen für Busse dienen, um die Freizügigkeit in der Union und insbesondere den reibungslosen Kabotageverkehr im Personenverkehr zu gewährleisten. Artikel 4 der Richtlinie 96/53/EG erlaubt allerdings innerstaatliche Ausnahmen, nämlich die Zulassung von Fahrzeugen, die die laut Anhang der Richtlinie höchstzulässigen Maße für Länge und Gewicht (18,75 m und 40 t) überschreiten; das gilt für bestimmte Verkehrstätigkeiten, die den internationalen Wettbewerb nicht maßgeblich beeinträchtigen, beispielsweise Tätigkeiten in der Holzgewinnung und Forstwirtschaft, und unter der Bedingung, dass die Mitgliedstaaten, die solche Abweichungen einführen, die Kommission hierüber unterrichten. Die Ausnahmen von den Normen für die höchstzulässigen Abmessungen und Gewichte werden nur im innerstaatlichen Verkehr versuchsweise zugelassen. Nach einem Richtlinienvorschlag, der dem Europäischen Parlament und dem Rat am 15. April 2013 zur Verabschiedung vorgelegt wurde, soll der grenzüberschreitende Verkehr von längeren und schwereren Lastkraftwagen (Gigaliner) erlaubt werden (siehe auch Die Rolle des Europäischen Parlaments ). Kurzdarstellungen über die Europäische Union

3 B. Verwaltungspolitische Harmonisierung 1. Gesetzliche Pflichten des Fahrers Mit der Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juni 1991 über den Führerschein wurden das Format und die Fahrzeugklassen vereinheitlicht, der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung eingeführt und Grundanforderungen an Gesundheit und Befähigung festgelegt. In der Richtlinie 96/47/EG vom 23. Juli 1996 wiederum wurde ein neues Führerscheinformat in Kreditkartengröße festgelegt. Die dritte Richtlinie zum Führerschein die Richtlinie 2006/126 vom 20. Dezember 2006 schreibt dieses Format für alle Führerscheine vor, die ab dem 19. Januar 2013 in der Union ausgestellt werden. Darüber hinaus müssen alle bereits in Umlauf befindlichen Papierführerscheine entweder bei einer Neuausstellung oder spätestens bis 2033 in das neue Plastikkartenformat umgewandelt werden. Alle neuen Führerscheine werden für eine bestimmte Gültigkeitsdauer ausgestellt (für Motorräder und Pkw je nach Land zwischen 10 und 15 Jahren, für Lkw und Busse 5 Jahre) und sind in der gesamten Union gültig. EU-weit gibt es noch etwa 110 verschiedene Führerscheinmodelle. Die geplante Harmonisierung soll drei Zielen dienen: dem Kampf gegen Betrug, der Gewährleistung der Freizügigkeit und der Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit. Der Führerscheintourismus ist dann beispielsweise nicht mehr möglich, da jeder Bürger künftig nur einen einzigen Führerschein besitzen darf und die Ausstellung eines Führerscheins abgelehnt werden muss, wenn die Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde. Die Kommission erstattet frühestens am 19. Januar 2018 Bericht über die Durchführung dieser Richtlinie, einschließlich der Auswirkungen auf die Straßenverkehrssicherheit. Zu der mit Verordnung (EG) Nr. 484/2002 vom 1. März 2002 eingeführten Fahrerbescheinigung und dem in 2003/59/EG vom 15. Juli 2003 geregelten Befähigungsnachweis siehe vorherige Darstellung über den Straßenverkehr. 2. Zulassung von Fahrzeugen Die Richtlinie 99/37/EG des Rates vom 29. April 1999 (geändert durch die Richtlinie 2003/127/EG) harmonisiert die Zulassungsunterlagen für Kraftfahrzeuge und vereinfacht die Eigentumskontrollen und die Übertragungen zwischen Einwohnern zweier Mitgliedstaaten. Mit der Verordnung (EG) Nr. 2411/98 des Rates vom 3. November 1998 über die Anerkennung des Unterscheidungszeichens des Zulassungsmitgliedstaats von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern im innergemeinschaftlichen Verkehr wurde die obligatorische Anbringung der reflektierenden Europaflagge und des Unterscheidungszeichens des Mitgliedstaats ganz links auf dem Nummernschild eingeführt. Im Bericht 2010 über die Unionsbürgerschaft mit dem Titel Weniger Hindernisse für die Ausübung von Unionsbürgerrechten bezeichnet die Kommission die mit der Zulassung von Kraftfahrzeugen verbundenen Probleme als eines der größten Hindernisse für den freien Warenverkehr. So schlägt sie vor, die Formalitäten für die erneute Zulassung eines Fahrzeugs in einem anderen Mitgliedstaat zu vereinfachen, wodurch Unternehmen, Bürger und Behörden mindestens 1,5 Mrd. EUR einsparen könnten. Tritt der Vorschlag in Kraft, so sind beispielsweise Personen, die eine bestimmte Zeitspanne pro Jahr in einer Ferienwohnung in einem anderen Land der EU verbringen, nicht mehr davon betroffen, und diejenigen, die auf Dauer dort leben, haben sechs Monate Zeit für die Neuzulassung ihres Fahrzeugs. C. Soziale Harmonisierung 1. Arbeitszeit Das Transportgewerbe war aus der Basisrichtlinie 93/104/EG vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ausgeklammert worden. Mit der Richtlinie 2002/15/EG vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Kurzdarstellungen über die Europäische Union

4 Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben, sollten Mindestanforderungen an die Arbeitszeitgestaltung festgelegt werden, mit denen die Gesundheit und die Sicherheit der Kraftfahrer verbessert werden sollten. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt laut der Richtlinie 48 Stunden. Sie kann aber bis zu 60 Stunden betragen, sofern die für einen Zeitraum von vier Monaten berechnete durchschnittliche Dauer 48 Stunden nicht übersteigt. Im Oktober 2008 legte die Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie 2002/15/EG vor, nach dem die echten selbständigen Kraftfahrer aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen werden sollten. Das Europäische Parlament jedoch war gegen einen solchen Ausschluss. 2. Lenk- und Ruhezeiten gemäß der europäischen Sozialverordnung Die höchstzulässige tägliche und wöchentliche Lenkzeit, die Pause und die tägliche und wöchentliche Mindestruhezeit werden in der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 vom 15. März 2006 zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 vom 20. Dezember 1985 geregelt. Sie gilt für Fahrer im Bereich der Güterbeförderung (Fahrzeuge von über 3,5 t) und der Personenbeförderung (Fahrzeuge mit mehr als 9 Plätzen); sie schreibt häufigere Pausen vor und verbessert und vereinfacht die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten. Darüber hinaus änderte die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 die Verordnung (EG) Nr. 3821/85 vom 20. Dezember 1985 dahingehend, dass der elektrische oder digitale Fahrtenschreiber endgültig eingeführt wurde, der als manipulationssicher gilt und mit dem Verstöße gegen die europäische Sozialverordnung leichter aufgedeckt werden können. Die Richtlinie 2006/22/EG vom 15. März 2006 regelt die Mindestanforderungen für die Umsetzung der genannten Verordnungen und die Mindestzahl der Kontrollen (Kontrolle von mindestens 3 % der Arbeitstage der Kraftfahrer im Jahr 2010), die die Mitgliedstaaten vornehmen müssen, um die Einhaltung der Lenk-, Pausen- und Ruhezeiten zu überprüfen. Infolge der Ersetzung der analogen Fahrtenschreiber durch digitale Geräte können in zunehmendem Maße größere Datenmengen rascher und genauer geprüft werden, weshalb die Mitgliedstaaten in der Lage sein werden, mehr Kontrollen durchzuführen. Mit der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 vom 21. Oktober 2009 im Rahmen des Kraftverkehrspaket (siehe Kurzdarstellung Abschnitt 2 c) wurde die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 geändert, um die 12-Tage-Regelung für den Personenkraftverkehr wieder einzuführen, nach der ein Fahrer seine wöchentliche Ruhezeit um zwölf aufeinander folgende Tage verschieben kann (statt höchstens sechs aufeinander folgende Tage zu arbeiten); dies gilt nur für die Personenbeförderung im grenzüberschreitenden Gelegenheitsverkehr (d. h. mit einem mindestens 24-stündigen Aufenthalt in einem anderen Land als dem des Abreiseortes). Darüber hinaus sollte diese Ausnahme nur unter sehr strengen Voraussetzungen gestattet sein, in denen die Sicherheit des Straßenverkehrs gewährleistet ist und die Fahrer verpflichtet sind, unmittelbar vor und nach dem Dienst wöchentliche Ruhezeiten einzulegen. Ab dem 1. Januar 2014 kommen folgende weitere Voraussetzungen hinzu: Das Fahrzeug muss mit einem digitalen Fahrtenschreiber ausgerüstet sein, und bei Fahrten zwischen 22 und 6 Uhr muss entweder die zusammenhängende Fahrtzeit eines einzelnen Fahrers um drei Stunden verringert werden, oder es müssen sich mehrere Fahrer im Fahrzeug befinden. ROLLE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS Das Parlament hat im Rahmen seiner Legislativbefugnisse die meisten Harmonisierungsvorschläge der Kommission unterstützt, aber gleichzeitig eigene Akzente gesetzt, und zwar: Bei der letzten Änderung der Eurovignetten-Richtlinie hat das Parlament die Umweltaspekte verstärkt. Denn die Tatsache, dass ab dem zweiten Halbjahr 2013 die Kurzdarstellungen über die Europäische Union

5 Kosten der Lärmbelastung und der Luftverschmutzung in die Straßennutzungsgebühren eingehen dürfen die absolute Mindestbedingung für die Anwendung des Verursacherprinzips, ist dem entschlossenen Eintreten des Verkehrsausschusses des Parlaments zu verdanken. Das Parlament plädiert für eine wirksame soziale Harmonisierung auf Unionsebene, nachdem es eine signifikante Erhöhung der Kontrollen der Lenk- und Ruhezeiten durchsetzen konnte. Zu diesem Zweck hat es die Kommission aufgefordert, bis Ende 2013 die Rechtsvorschriften über Lenk- und Ruhezeiten im Güter- und Personenverkehr erneut zu überarbeiten und ihre Durchführung und Durchsetzung zu harmonisieren. Dieser Bericht (KOM(2014)0222 endg.), der am 14. April 2014 angenommen wurde, gibt einerseits die Entwicklung des Marktes wider und beschreibt andererseits die soziale Dimension des Güterkraftverkehrs. In dem Bericht werden unter anderem wirksamere Kontrollen und bessere Arbeitsbedingungen für den Beruf gefordert, um den Folgen der größten Veränderungen entgegenzuwirken, die sich langfristig bemerkbar machen werden, vor allem dem Mangel an Fahrern (siehe auch die Rolle des EP in der Kurzdarstellung 5.7.3). Darüber hinaus hat das Parlament erreicht, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2002/15 ab 2009 auch für selbständige Kraftfahrer gelten (ca. 20 % der Kategorie). Schließlich lehnte das Parlament am 15. April 2014 die von der Exekutive gewünschte Änderung der laut Richtlinie 96/53/EG höchstens zulässigen Abmessungen und Gewichte ab. Es forderte die Kommission damit auf, eine angemessene Folgenabschätzung für Gigaliner durchzuführen und dem Parlament bis 2016 darüber Bericht zu erstatten. Piero Soave 11/2015 Kurzdarstellungen über die Europäische Union