STRAHLENDE UTOPIE TEXT MATS TIBORN FOTOS ARCAM & ANDERS DEROS

Transkript

1 STRAHLENDE UTOPIE Ob außergewöhnliche Flugzeugteile, individuell angefertigte Implantate oder Ersatzteile aus Mondsand mit einer CAD-Zeichnung und den 3D-Druckern von Arcam wird Science Fiction zur Realität. Als ein Auftrag auf Messers Schneide stand, half Semcon. TEXT MATS TIBORN FOTOS ARCAM & ANDERS DEROS 46 FUTURE BY SEMCON

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3 »Semcon war von Beginn an eine wertvolle Ressource. Wir hatten noch ein halbes Jahr bis zur Fertigstellung und mussten Thilda Ullström nicht extra anlernen, das hat wertvolle Zeit gespart. Lars Löwgren, Projektleiter bei Arcam I N KROKSLÄTTS, einem südlichen Stadtteil von Göteborg, arbeiten in einer Fabrik aus dem 19. Jahrhundert um die 40 Mitarbeiter von Arcam in einer nahezu futuristisch anmutenden Szenerie. Arcam ist der weltweit führende Entwickler und Hersteller von Anlagen für die additive Fertigung (Additive Manufacturing, AM). Hier entstehen solide Bauteile aus Metall direkt aus digitalen Daten ohne Werkzeuge. Mit anderen Worten: Ein Hightech-3D-Drucker stellt echte Objekte aus echten Metallen her. Schicht für Schicht wird das Material aus dem Pulverbett durch Elektronenstrahlschmelzen aufgebaut. Arcam hat sich dieses Verfahren (Electron Beam Melting, EBM) patentieren lassen. In einer Vakuumkammer bewegt sich ein elektromagnetischer Strahl mit extrem hoher Geschwindigkeit. Der Strahl trifft auf eine Oberfläche, die mit einer hauchdünnen Schicht Metallpulver ( Mikrometer Titan, Kobalt oder Chrom) bedeckt ist und verschmilzt diese, ehe sich die Basisplatte wieder senkt. Der Elektronenstrahl wird von einem 3D- Modell gesteuert, das Schicht für Schicht abgearbeitet wird. So entstehen Formen, deren Herstellung früher sehr zeitaufwändig war oder gar unmöglich gewesen wäre. Die Maschinen von Arcam erreichen und halten zudem hohe Temperaturen (bis zu 2000 C), sodass die Bauteile sehr hart und robust werden und nicht im Nachgang gehärtet werden müssen.»während der Testphase fertigte ein Kollege ein Ersatzteil für sein Auto, doch ein kleines Bohrloch landete an der falschen Stelle. Anschließend brauchte er drei Betonbohrer, um diesen Fehler zu korrigieren. Die Produkte sind sehr solide«, berichtet Thilda Ullström von Semcon, die seit gut einem Jahr für Arcam arbeitet. Etwa seit dem Jahr 2000 baut Arcam Maschinen wie die A1 und A2 hauptsächlich für die Flugzeugindustrie und die Hersteller medizinischer Implantate, die die Möglichkeit schätzen, individuelle, maßgeschneiderte Bauteile und leichte geometrische Formen produzieren zu können. Zudem versuchen die Flugzeugbauer, den Treibstoffverbrauch zu senken ein Problem, das ihnen zunehmend auf den Nägeln brennt. IM FRÜHJAHR 2011 fragte ein weltweit führender Flugzeugbauer bei Arcam an, ob sie eine Maschine herstellen könnten, die noch größere Bauteile als ihre Vorgängerin produziert. Der Liefertermin war in Stein gemeißelt: Ende des Jahres oder gar nicht. Wenn Arcam pünktlich liefern könne, gäbe es weitere interessante und noch größere Aufträge. Die Zeit war knapp. In nur sechs Monaten sollte Arcam eine neue Maschine (A2XX) entwickeln. Einfach das bisherige Modell zu vergrößern, war keine Lösung.»Einige Parameter lassen sich nicht skalieren. Zum Beispiel die Über Arcam Arcam entwickelt Maschinen, die mit Hilfe eines Elektronenstrahls Metallpulver zum Schmelzen bringen und daraus nach einem 3D-Modell Bauteile herstellen. Dies nennt man additive Fertigung. Schicht für Schicht entstehen so mit ungeheurer Präzision Implantate und Flugzeugteile. Basisplatte, wo der Strahl auf das Pulver trifft. Hätten wir hier etwas ändern müssen, dann hätte das die gesamte Konstruktion in Frage gestellt. Die Zeit hatten wir nicht«, erklärt Lars Löwgren, Maschinenbauingenieur bei Arcam. Um eine größere Maschine mit demselben»feingefühl«wie die A1 oder A2 zu bauen, brauchte Arcam einen Experten, der sich mit Blechen auskennt. Thilda Ullström, die viele Jahre unter anderem bei Ericsson in der Blechherstellung gearbeitet hatte, war genau die Richtige. Sie sollte die Probleme lösen, die die Vergrößerung der Bauteile für Rahmen, Stativ und Designplatten mit sich brachte:»ich sah mir die alten Modelle sehr genau an. Letztlich wurde es eine Mischung aus Alt und Neu. Von den alten Modellen entfernte ich alles, was wir bei der neuen Maschine nicht gebrauchen konnten.«überall in der Fabrikhalle stehen Maschinen, die aussehen wie Kühlschränke. An einigen stehen Techniker, die sie kalibrieren und testen. Es glüht und brummt, wenn die enorme Kraft des Elektronenstrahls das Metallpulver verflüssigt. DIE WÄRME, die das Titanpulver zum Schmelzen bringt, sorgt auch dafür, dass beim Aufheizen Metall ausgedampft wird, das sich dann im Inneren der Maschine in allen Ecken und Winkeln festsetzt. Um das zu verhindern, konstruierte Ullström ein Wärmeschutzschild, das über der Basisplatte angebracht wird.»thilda Ullström war sofort im Bild. Sie kannte sich aus mit Prototyping und unserem 48 FUTURE BY SEMCON

4 Lars Löwgren Position: Projektleiter mechanische Konstruktion Standort: Arcam Per Woxenius Position: Leiter Entwicklung Standort: Arcam Thilda Ullström Position: Mechanische Konstrukteurin Standort: Semcon, Göteborg, Schweden FUTURE BY SEMCON

5 Extramaterial für ipad im appstore nach»semcon«suchen»man kann testen und Flugzeugteile ganz anders optimieren, ohne 18 Monate zu warten und zusätzlich 3 Millionen Euro auszugeben.«per Woxenius, Leiter der Entwicklung bei Arcam Flugzeugteile Leichtere Flugzeuge sind das Ziel. Aber Karbon- und Aluminiumwerkstoffe lassen sich nicht gut miteinander verbinden. Titanlegierungen zeigen in Kombination mit Karbonfasern dagegen keine negativen Effekte. Für Flugzeugmotoren entwickelt Arcam ganz neue und leichtere Materialien, die die gleichen hervorragenden Eigenschaften aufweisen, zum Beispiel Titanaluminid als Legierung für Turbinenblätter. Implantate Titan- und Kobalt-Chrom-Legierungen eigenen sich besonders gut für Implantate, da sie keine Allergien und Abstoßungsreaktionen hervorrufen. Arcam liefert Anlagen an Hersteller, die unter anderem Implantate für Knie, Hüfte, Schädel oder Wirbelsäule produzieren. Dank EBM können medizinische Implantate ganz leicht für jeden Patienten individuell angefertigt werden. PDM-System. Wir hatten noch ein halbes Jahr bis zur Fertigstellung und mussten sie nicht extra anlernen, das hat wertvolle Zeit gespart. Sie konnte gleich loslegen«, erzählt Lars Löwgren. Ullström ist es auch zu verdanken, dass alles schnell und zügig voranging. Sie hat mehr zugepackt und weniger geredet. Das war wichtig, sonst wäre allen die Zeit davongelaufen:»ich habe eine Menge bei Arcam gelernt. Mit Blech im Vakuum unter extremer Hitze zu arbeiten, war neu für mich. Jetzt habe ich neue Werkzeuge in meiner Werkzeugkiste.«ARCAM LIEFERTE DIE Maschine wie gewünscht zum Jahresende. Nun kommen neue Herausforderungen auf das Unternehmen zu. Unter anderem wird Ullström zunächst bei Arcam bleiben und an einem vorerst noch sehr geheimen Projekt arbeiten. Per Woxenius, Leiter der Entwicklung bei Arcam, hofft natürlich, dass die neue Maschine A2XX weitere Bestellungen nach sich zieht:»früher haben wir 15 Maschinen pro Jahr verkauft, aber seit dem Jahreswechsel 2011/12 arbeiten wir mit der Flugzeugindustrie zusammen, und da geht es um weit größere Aufträge.«Die Flugzeugbauer lockt die Möglichkeit, Bauteile mit individuellen geometrischen Formen zu produzieren, um den Treibstoffverbrauch zu senken. Viele bisherige Gussteile können durch das EBM-Verfahren anders ausgeformt werden und neue Eigenschaften erhalten. Aber die Maschinen von Arcam können noch mehr: komplexere geometrische Formen ohne viele Verarbeitungsschritte produzieren. Die Fertigung von Bauteilen mit verwinkelten Kanälen oder Hohlräumen war mit traditionellen Methoden entweder ganz unmöglich oder erforderte sehr viel Zeit. Ein Gussstück für ein kompliziertes Flugzeugbauteil herzustellen, kostete im besten Fall um eine Dreiviertelmillion Euro und im schlimmsten Fall auch durchaus einmal drei oder vier Millionen. Außerdem sind die Lieferzeiten endlos: zwischen 14 und 18 Monaten.»Da kommt man mit Versuch und Irrtum nicht voran. Mit unserer Maschine kann man in einer Woche eine Iteration schaffen. Dann kann man testen und Flugzeugteile ganz anders optimieren, ohne 18 Monate zu warten und zusätzlich 3 Millionen Euro auszugeben«, betont Per Woxenius. BEI ARCAM WIRD viel getestet, und das sieht man deutlich: Überall stehen Dinge herum. Im Eingangsbereich wird in einer Vitrine ein Schädel präsentiert, bei dem ein Großteil der Schädeldecke durch ein Titanimplantat ersetzt wurde. In einer anderen Vitrine ist eine Stoßstange eines Formel-1-Wagens ausgestellt auch ein Anwendungsbereich für die Maschinen von Arcam. Im Büro von Per Woxenius wimmelt es von Titanfiguren. Eine harte graue Schachfigur, eine Dame, demonstriert, welche feinen Details der Elektronenstrahl herausarbeiten kann. BEI IMPLANTATEN haben die Maschinen von Arcam den Vorteil, dass sie sehr schnell Ersatz für menschliche Knochen schaffen können. Ein Schädelimplantat ist jedoch keine Massenware, sondern wird ganz individuell nach den Schädelmaßen des Patienten angefertigt in kurzer Zeit mit hoher Präzision. Ist man bei Arcam zu Gast, wird man das Gefühl nicht los, in einem Science-Fiction- Film zu sein. Und tatsächlich hat ein Kunde von Arcam damit in gewisser Weise etwas zu tun: die NASA. Sie kaufte eine Maschine, um sie auf eine Mondbasis zu schicken, wo sie Ersatzsteile aus Mondsand herstellen soll, um Transporte einzusparen. Geht eine Hacke kaputt, steckt man die Konstruktionszeichnung in die Maschine, und heraus kommt eine neue Hacke.»Aber der Sand muss unbedingt vom Nordpol des Mondes kommen. Nur der lässt sich schmelzen«, merkt Per Woxenius an FUTURE BY SEMCON