Mechanismen des Entscheidungsverhaltens nach Kokainmissbrauch
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- Gerda Busch
- vor 8 Jahren
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1 Mechanismen des Entscheidungsverhaltens nach Kokainmissbrauch Funktionale Veränderungen im präfrontalen Cortex von KokainkonsumentInnen Referentin: Hanna Müsche
2 Worum geht es? Studie zur neurophysiologischen Basis des Entscheidungsverhaltens nach Kokainmissbrauch (Bolla et al., 2003) AUSGANGSPUNKT Psychische Abhängigkeit, Suchtgedächtnis Tendenz, statt der langfristigen Negativa die kurzfristig angenehme Wirkung des Kokains zu fokussieren wiederholter Konsum bzw. Rückfall
3 Ausgangsfragen Lässt sich Kokainabhängigkeit auf Störungen des Entscheidungsverhaltens (decision-making) und der Handlungskontrolle (performance monitoring) zurückführen? Kovariiert Kokainabhängigkeit bzw. abhängiges Risikoverhalten mit Dysfunktionen im entscheidungsrelevanten Präfrontalcortex?
4 Grundlagen I Areale des präfrontalen Cortex und einige ihrer neuropsychologischen Funktionen Orbitofrontaler Cortex (OFC): Handlungsentscheidungen (insb. deren motivationale und emotionale Aspekte), Sozialverhalten, Handlungskontrolle Dorsolateraler präfrontaler Cortex (DLPFC): Aufmerksamkeitsteuerung, zeitlich-räumliche Strukturierung von Wahrnehmungsinhalten, Handlungsplanung und Handlungskontrolle, zielgerichtetes Handeln, Lernen und Gedächtnis (insb. Kurzzeitgedächtnisverarbeitung) Ventromedialer präfrontaler Cortex (VMPFC): Assoziation von aktuellen Reizen mit bisherigen Erfahrungen, Antizipation zukünftiger Handlungskonsequenzen samt emotionalen Konnotationen
5 Grundlagen II (aus: Pritzel, Brand, Markowitsch, 2003, S. 469)
6 Grundlagen III Kokain Derivat aus der Kokapflanze Psychostimulantium Wirkungsweise auf Hirnebene: Blockade der Wiederaufnahme von Neurotransmittern in die präsynaptische Endigung, insbesondere von Dopamin längere Verfügbarkeit von Dopamin im synaptischen Spalt Verstärkung der dopaminergen Transmission
7 Grundlagen V Schnelle Verstärkung der dopaminergen Projektionen durch Kokain hohes Suchtpotential (aus: Pritzel, Brand, Markowitsch, 2003, S. 482)
8 Grundlagen IV Dopaminerge Projektionen im präfrontalen Cortex Interaktion von Belohnungssystem, kognitiven und exekutiven Funktionen (aus: Pritzel, Brand, Markowitsch, 2003, S. 73, 482)
9 Fragestellung und Hypothesen Fragestellung: Weisen KokainkonsumentInnen während eines Tests zum Entscheidungsverhalten eine im Vergleich mit einer Kontrollgruppe von Nicht-KonsumentInnen veränderte Hirnaktivität im Präfrontalcortex auf? Hypothesen: 1) Die Hirnaktivität (cerebraler Blutfluss) von KokainkonsumentInnen weicht von der der Nicht- KonsumentInnen ab hauptsächlich in OFC und DLPFC (insb. rechtsseitig). 2) Die wöchentlich konsumierte Kokainmenge korreliert dabei negativ mit den Aktivitätsniveaus in OFC und DLPFC. 3) KokainkonsumentInnen zeigen eine schwächere Testleistung als die Kontrollgruppe.
10 Untersuchungsdesign I Unabhängige und abhängige Variable Menge konsumierten Kokains Hirnaktivität im präfrontalen Cortex (bei einer Entscheidungsaufgabe) Versuchsbedingungen Entscheidungsmodus 1) Ruheposition 2) Iowa Gambling Task 3) sensomotorischer Kontrolltest
11 Untersuchungsdesign II Versuchsgruppe (N = 13)* Durchschnittsalter: 36 Kokainkonsum seit mind. 2 Jahren, mind. 4-mal/Monat, allenfalls gemäßigter Konsum legaler Drogen (insb. von Alkohol); Auflage: 25-tägige überwachte Kokainabstinenz Kontrollgruppe (N = 13)* Durchschnittsalter: 30 kein Konsum illegaler Drogen (ausgenommen: geringe Mengen Marihuana), allenfalls gemäßigter Konsum legaler Drogen (insb. von Alkohol) * jeweils ausgeschlossen: Personen mit sonstigen psychischen Störungen oder neurologischen Krankheitsbildern
12 Methoden I 1. Funktionelle Bildgebung H 2 15 O-PET: Blutflussmessung mit radioaktivem Sauerstoff als Tracer; zugleich: 2. Neuropsychologische Funktionsdiagnostik Iowa Gambling Task: Test nach Art eines Glücksspiels zur Untersuchung alltäglichen Entscheidungsverhaltens Kontrolltest: entspricht den sensorischen und motorischen Komponenten des Gambling Tests, erfordert jedoch kein Entscheidungsverhalten
13 Methoden II Iowa Gambling Task (IGT) Ziel Gewinn eines möglichst hohen Geldbetrags Aufgabe Am Computerbildschirm sind von 4 Stapeln A, B, C, D in beliebiger Reihenfolge Spielkarten aufzudecken. Spielverlauf In Abhängigkeit von der Wahl des Stapels gewinnen oder verlieren die Vpn Geld (1 game dollar = 1 cent). Der aktualisierte Kontostand wird am oberen Bildschirmrand eingeblendet. Nach der 100. gezogenen Karte endet der Test.
14 Methoden III Iowa Gambling Task (IGT) Hintergrund A & B kurzfristig hohe Gewinne + höhere Abzüge langfristige Verluste = insgesamt unvorteilhafte Wahl C & D kurzfristig niedrige Gewinne + niedrigere Einbußen langfristige Gewinne = insgesamt vorteilhafte Wahl
15 Methoden IV Auswertung IGT (Züge von C + D) minus (Züge von A + B) [Mittelwert aus 2 Durchgängen] negativer Wert: tendenziell ungünstige Wahl positiver Wert: tendenziell vorteilhafte Wahl Indikator für die (Lern-)Fähigkeit, sich für die langfristig günstigeren Alternativen zu entscheiden
16 Ergebnisse I zu Hypothese 1: Die VG zeigt während des IGT signifikant stärkere Hirnaktivität im rechten OFC und signifikant weniger Aktivität im rechten DLPFC (überdies im linken MPFC) als die KG. verifiziert zu Hypothese 2: Die wöchentlich konsumierte Kokainmenge korreliert negativ mit der Aktivität im (linken) OFC (nach Eliminierung zweier Ausreißer signifikant). verifiziert Keine Korrelation zwischen Kokainmenge und Aktivität im DLPFC. falsifiziert
17 Ergebnisse II zu Hypothese 3: Die VG erzielt einen durchschnittlich negativeren Wert im IGT (jedoch: nicht signifikant). Auch zeigt sie im 2. Durchgang einen durchschnittlich schwächeren Lerneffekt als die KG (jedoch: nicht signifikant). falsifiziert (Diskrepanz zu anderen Studien, mögliche Ursachen: kleiner Stichprobenumfang, Abstinenzphase) außerdem: Die Testleistung korreliert in beiden Gruppen mit der Aktivität im rechten medialen OFC. Keine Korrelation zwischen Testleistung und Aktivität im DLPFC.
18 Ergebnisse III Zusammenfassung Gemessen an der KG ist für die VG eine Hyperaktivität im rechten OFC und eine geringere Aktivität im rechten DLPFC wie auch linken MPFC bei ansonsten vergleichbarem Aktivitätsniveau beobachtet worden. KokainkonsumentInnen zeigen also nachhaltige funktionale Abweichungen in denjenigen präfrontalen Netzwerken, die das Entscheidungsverhalten konstituieren.
19 Diskussion I Möglichkeiten der Kausalinterpretation 1) Kompensation Überaktivierung des rechten OFC zur Kompensation seiner geringeren Effizienz bei Entscheidungsanforderungen 2) Erlernte Hypersensibilität Überaktivierung des rechten OFC aufgrund einer Hypersensibilität für Belohnung, der Aktivierung der ausgeprägteren Belohnungsrepräsentation (emotional) analog: Unteraktivierung von DLPFC und MPFC aufgrund einer schwächeren Repräsentation von z. B. Langzeitfolgen (kognitiv) logische Folge wäre jedoch eine signifikant verschiedene Testleistung gewesen!
20 Diskussion II Möglichkeiten der Kausalinterpretation Degeneration Überaktivierung des rechten OFC infolge einer degenerativen transmitterspezifischen Einschränkung der synaptischen Übertragung Unteraktivierung von DLPFC und MPFC als Folge einer ebensolchen kokaininduzierten Degeneration 4) unwahrscheinliche Erklärungsalternativen Alter Nikotinkonsum
21 Diskussion III Fazit Genauere Kenntnis der funktionalen Veränderungen im präfrontalen Cortex von KokainkonsumentInnen kann das Verständnis von Abhängigkeitsmechanismen fördern: Wahrscheinlich unterstützen reduzierte Lernkapazität und unvorteilhaftes Entscheidungsverhalten (Korrelat: präfrontaler Cortex) die Suchtentwicklung und verhindern Abstinenz. erforderlich: Replikationsstudie!
22 Diskussion IV Nutzen bzw. Anwendungspotential Kenntnis der Rückfallprädikatoren Verbesserung der Intervention (therapeutisch + pharmakologisch) Verbesserung der Suchtprävention (informativ + pharmakologisch)
23 Ergänzungen irreversibel: reversibel: genetische Suchtprädisposition Verlangen nach einem Suchtstoff (per Impfung oder Neukonditionierung) Beispiel: Rückprägungstherapie Überwindung der psychischen Abhängigkeit durch Rückprägung des Suchtgedächtnisses 1) Sensibilisierung des Gehirns für neue Lerninhalte mit Kortikoiden 2) permanente und unfreiwillige Verabreichung von Droge oder Substitut (= Last und Qual) vs. Droge mit Belohnungseffekt in Reizsituationen
24 Kritik ethische Bedenklichkeit solcher Umprägungen pharmakologische Entwöhnungstherapie kein Ersatz für Psychotherapie (sinnvoll: Kombination)
25 Literatur Bolla, K. I. et al. (2003). Orbitofrontal cortex dysfunction in abstinent cocaine abusers performing a decision-making task. NeuroImage 19, Pritzel, M., Brand, M., Markowitsch, H. J. (2003). Gehirn und Verhalten. Spektrum, Heidelberg, Berlin Kantara, J. A. (2001). Therapie: Spritze gegen Sucht. Impfen und biochemische Konditionierung sollen Drogenabhängigen helfen. Die Zeit, 13; URL: (Stand: )
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