Hinrich Bents: Manualisierung in der Psychotherapie
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- Josef Kaufman
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1 Hinrich Bents: Manualisierung in der Psychotherapie
2
3 Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich. Tolstoi 1878
4 Merkmale manualisierter Psychotherapie: Entwicklung in kognitiver Verhaltenstherapie Zunehmende Anwendung in psychodynamischen u. a. Psychotherapieverfahren Evidenzbasiert hohe Wirksamkeit Besondere Relevanz für Ausbildung und Anwendung in Diagnostik und Therapie Qualitätssicherung Typisch für störungsspezifische Methoden, aber bedeutsam auch für allgemeine Wirkfaktoren
5 Manualisiertes Vorgehen in Diagnostik und Therapie ist reliabel und valide, und erhöht Wirksamkeit und Effizienz der Behandlung. Dennoch verwenden Therapeuten Manuale nur selten. Warum?
6 Wie wichtig finden Sie in Ihrer klinischen Praxis Strukturierte Interviews? Margraf 2010
7 Wie gut kennen Sie Strukturierte Interviews? Margraf 2010
8 Bei wie viel Prozent Ihrer Patienten verwenden Sie strukturierte Interviews für die Diagnose? Mittelwert: 15% Margraf 2010
9
10 Was spricht gegen die Verwendung strukturierter Interviews? *: Andere Gründe: schwer zu lernen, zu mechanistisch, Übertragung/Gegenübertragung fehlen, kostet Geld und Zeit Margraf 2010
11 Einschätzung der Patientenakzeptanz Vollkommen zufrieden gar nicht zufrieden Margraf 2010
12 54,6 % der Patienten sind komorbid gestört 24,1 % weisen 3 und mehr Diagnosen auf (Bents 2012)
13 Bastine (2012): Komorbidität ist der Normalfall... Ess- Störungen: 13% Persönlichkeits- Störungen: 16% Affektive Störungen: 19,3% Affektive Störungen: 25%% Sucht, Abhängigkeiten: 27%
14 Aber:... Komorbidität ist ein rein deskriptiv-formaler Begriff, der lediglich Koinzidenzen beschreibt und nicht zum Verständnis psychischer Störungen beiträgt! Bastine 2012
15 Erklärung und Behandlung psychischer Störungen erfordern vielmehr die Annahme von Störungs-Systemen, die das Zusammenwirken unterschiedlicher (biologischer und psychosozialer) Faktoren berücksichtigen und einer Therapie zugänglich machen. Bastine 2012
16 Klingt gut und zeigt die Begrenztheit störungsspezifischer und damit häufig auch manualisierter Ansätze auf. Doch was erklärt deren Erfolg?
17 1. Mythos talking cure Der verständliche, weil attraktive Wunsch, mit einem Verfahren alle Arten von psychischen Störungen behandeln zu können, hat sich in der Geschichte der Psychotherapie immer wieder als Irrtum erwiesen.
18 2. Spezialisierung Der enorme Wissenszuwachs beim Verständnis psychischer Störung erfordert spezifisches Fachwissen und Handlungsleitlinien, die sich nicht mehr nur aus der persönlichen Erfahrung des Therapeuten speisen können.
19 Dispositionen, Hintergrundkonflikte, ursprüngliche Auslöser Körperschemastörungen Störungsmodell: Anorexie und Bulimia nervosa Angst vor Gewichtszunahme Kognitive Faktoren (z.b. Schlankheitsideal) Restriktives Essen Gegenmaßnahmen Psychische Funktionen Körperliche Veränderungen Psychische Funktionen Heißhunger- und Essattacken Bents 2010 Aktuelle psychosoziale Belastungen
20 3. Symptomübergreifende Wirkung manualisierter Psychotherapie Störungsspezifische, manualisierte Psychotherapie ist bei ko-morbinden Störungen nicht nur singulär wirksam, sondern verändert das Störungs- System.
21 Bents 2001
22 4. Allgemeine Wirkfaktoren profitieren von Manualisierung: Beziehungsgestaltung Klärung Problemaktualisierung Bewältigung
23 Beziehungsgestaltung: Schrittweise Erarbeitung motivorientierter Interaktion Bents Wirkung und konkretes Verhalten des Patienten 2. Wunde Punkte: Verletzende Äußerungen 3. Pflaster: Wohltuende Äußerungen und Interaktionen 4. Beziehungsziele des Pat: Negative (Meidung) und positive (Annäherung) Beziehungsziele 5. Verborgene Beziehungsziele des Pat. 6. Methoden: Vorläufig indizierte und kontraindizierte Therapiemethoden 7. Gesten: Vorläufig indizierte und kontraindizierte nonverbale Interaktionen des Th. 8. Worte: Vorläufig indizierte und kontraindizierte verbale Interaktionen des Th. 9. Prüfungen: Zu erwartende Beziehungstests a) Befürchtungen und Hoffnungen b) Sinnvolle Reaktionen des Therapeuten
24 Klärung: + Ambivalenzkonflikt Therapie 1. Persönlich relevante Vorteile der Therapie 3. Persönlich relevante Nachteile der Therapie Ist- Zustand 4. Persönlich relevante Vorteile der Störung 2. Persönlich relevante Nachteile der Störung Bents 2006
25 Problemaktualisierung: Figur- Konfrontation Bents 2010 Medien: Ganzkörperspiegel o. Video mit Monitor Graduiertes Vorgehen: 1. Kleidung (zunächst normale Alltagskleidung, allmählich körperbetonter, schließlich in Badeanzug/Bikini) 2. Beginnend mit neutralen Körperpartien (z.b. Füße), Steigerung zu schwierigen Körperpartien 3. Zunächst nach Beschreibungen, dann erst nach emotionalen Bewertungen, zuletzt nach Bedeutungen fragen 4. Zunächst geschützter Raum, später öffentlicher Raum (Alltagsbedingungen) Therapeutenverhalten: Während der Übung ständige Ermunterung zum emotionalen Ausdruck; Einschätzungen von Stärke und Qualität Neutrales Frageverhalten der Therapeutin Gleichgeschlechtliche Therapeutinnen Wiederholungen Rahmen: Dauer: ca. 45 Min Setting: Einzeltherapie
26 Bewältigung: Kommunikationstraining Sprecher-Regeln 1. Ich-Gebrauch 2. Konkretes Verhalten ansprechen 3. Konkrete Situationen ansprechen 4. Aktuelle und konkrete Gefühle benennen Hahlweg & Baucom 2008 Zuhörer-Regeln 1. Aufmerksamkeit zeigen 2. Paraphrasieren 3. Loben und ermutigen 4. Rollenwechsel einleiten
27 Anwendungen manualisierter Psychotherapie: Ausbildung Diagnostik Zielanalyse Indikative Entscheidungsprozesse und Therapieplanung Motivationale Vorbereitung Beziehungsgestaltung Störungsverständnis und Klärungsprozesse Problemaktualisierung und Bewältigung Orientierung für Sitzungs- und Therapiestruktur
28 Therapiestruktur: Paartherapie Sitzung 1: Sitzung 2-4: Sitzung 5: Sitzung 6-7: Sitzung 8-9: Sitzung 10-12: Sitzung 13-14: Sitzung 15: Erstgespräch mit Problem- und Zielklärung, Übersicht, Vereinbarungen Diagnostik, Problemanalyse, Verhaltensbeobachtungen, Psychoedukation Störungsmodell, Zielvereinbarung, Rollendefinition, Therapieplan Reziprozitätstraining, Wahrnehmungsschulung Kommunikationstraining, Übungen, Rollenspiele Konfliktgespräche, Kommunikationstraining, Übungen Kognitive Interventionen, Fortsetzung bisheriger Kommunikationstrinings und Konfliktgespräche Reflektion, Selbstmanagement, Krisenprophylaxe Hahlweg & Baucom 2008
29 Sitzungsstruktur 1. Mitteilung der Diagnose (anhand individueller Befunde und evidenzbasierter Hypothesen) 2. Vermittlung eines Störungsmodells (für Entstehung und Aufrechterhaltung) 3. Ableitung eines Therapiemodells (durch sokratischen Dialog) 4. Erarbeitung von Zielkonflikten (mit Hilfe von Konfliktheuristik)
30 Manualisierung... Beachtet zeitlichen Verlauf und wirksame Abfolge von Veränderungsprozessen Berücksichtigt Krisen und Stagnation (z. B. durch Redundanz) Betont allgemeine Wirkfaktoren Bedient psychische Grundbedürfnisse: o Orientierung ( Navigationssystem ) o Selbstwert (Selbstwirksamkeit) o Bindung (gemeinsame Erfahrungen) o Wohlbefinden (Symptomreduktion)
31 Literatur Bastine, R. (2012): Komorbidität ein Anachronismus und eine Herausforderung für die Psychotherapie. In: Fliegel, P. (Hrsg) Die Zukunft der Psychotherapie, S. 13. Berlin: Springer. Bents, H. (2001): Intensivtherapie der Bulimia Nervosa. DGPs-Kongress, Berlin Bents, H. (2006): Kognitive Vorbereitung. In: Fliegel, S. & A. Kämmerer (Hrsg.) Psychotherapeutische Schätze. S Tübingen: DGVT-Verlag. Bents, H. (2006): Entscheidungswürfel. In Fliegel, S. & A. Kämmerer (Hrsg.) Psychotherapeutische Schätze, S. 51. Tübingen: DGVT-Verlag. Bents, H. (2010): Ambulante Verhaltenstherapie bei Essstörungen. In: Reich, G. & M. Cierpka (Hrsg.) Psychotherapie der Essstörungen, S Göttingen: Thieme. Bents, H. (2011): Motiv-orientierte Beziehungsgestaltung. Vorlesung Universität Heidelberg. Bents, H. (2012): Newsletter ZPP. Universität Heidelberg. Caspar, F. (2008): Motivorientierte Beziehungsgestaltung. In: Hermer, M & B. Röhrle (Hrsg.) Handbuch der therapeutischen Beziehung, S Tübingen: DGVT-Verlag. Hahlweg, K., Baucom, D. (2008): Partnerschaft und Psychische Störung. Göttingen: Hogrefe. Margraf, J. (2010): Störungsspezifische Psychotherapie. Vortrag Kolloquium Moderne Psychotherapie, Nexus-Klinik, Baden-Baden. Tolstoi, L. (1878): Anna Karenina. 17. Aufl München: dtv.
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