Welche Rechtsgrundlage für das Familienrecht? Das weitere Vorgehen
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- Dominic Böhme
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1 GENERALDIREKTION INTERNE POLITIKBEREICHE FACHABTEILUNG C: BÜRGERRECHTE UND KONSTITUTIONELLE ANGELEGENHEITEN RECHTSANGELEGENHEITEN Welche Rechtsgrundlage für das Familienrecht? Das weitere Vorgehen THEMENPAPIER PE DE
2 Dieses Dokument wurde vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments in Auftrag gegeben. VERFASSER Aude FIORINI Dundee Law School Universität Dundee Nethergate, Dundee, DD1 4HN, Schottland, UK ZUSTÄNDIGE BEAMTIN Vesna NAGLIČ Fachabteilung C: Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten Europäisches Parlament B-1047 Brüssel -Adresse: SPRACHFASSUNGEN Original: EN Übersetzung: BG/CS/DA/DE/EL/ES/ET/FR/IT/LV/LT/HU/MT/NL/PL/PT/RO/SK/SL/FI/SV ÜBER DEN HERAUSGEBER Kontakt zur Fachabteilung oder Bestellung des monatlichen Newsletters: Europäisches Parlament, Druckvorlage von November 2012 Europäische Union, 2012 Dieses Dokument ist im Internet unter folgender Adresse abrufbar: HAFTUNGSAUSSCHLUSS Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung des Verfassers wieder und entsprechen nicht unbedingt dem offiziellen Standpunkt des Europäischen Parlaments. Nachdruck und Übersetzung der Veröffentlichung außer zu kommerziellen Zwecken mit Quellenangabe gestattet, sofern der Herausgeber vorab unterrichtet und ihm ein Exemplar übermittelt wird.
3 Welche Rechtsgrundlage für das Familienrecht? Der Weg nach vorn ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund Eine Debatte über die Rechtsgrundlage für EU-Maßnahmen im Bereich Familienrecht erfordert zunächst eine nähere Erläuterung der Bedeutung von Familienrecht. Angesichts der Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeiten, eines Kernprinzips der EU, und des Fehlens von Bestimmungen zur Zuständigkeitsübertragung des nationalen Familienrechts auf die EU, gibt es wenig Zweifel daran, dass das materielle Familienrecht in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten (MS) fällt. Geteilte Zuständigkeit (zwischen den MS und der EU) existiert jedoch im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in welchem die EU den Verträgen zufolge justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen (einschließlich Familienangelegenheiten) mit grenzüberschreitendem Bezug entwickeln soll. Die Wahrnehmung dieser Zuständigkeit kann drei Hauptformen annehmen. 1) Die EU kann EU-weite 1 Maßnahmen erlassen (Artikel 81 AEUV). 2) Die EU kann die Mitgliedstaaten ermächtigen, Maßnahmen im Bereich des Familienrechts zu erlassen (Artikel 20 EUV). 3) Es ist ferner denkbar, dass diese Zuständigkeit ihren Ausdruck in der Beteiligung der EU an internationalen Familienrechtsinstrumenten findet, deren Anwendungsgebiet über das Gebiet der EU hinausgeht (Artikel 216 AEUV). Alle drei Ansätze wurden bislang verwendet. Drei Verordnungen basieren auf Artikel 81 AEUV. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung; Verordnung (EG) Nr. 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen; Verordnung (EU) Nr. 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses. Die Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 hat das auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Recht angeglichen, wurde jedoch auf Grundlage einer Verstärkten Zusammenarbeit verabschiedet. Überdies hat die EU das Protokoll der Haager Konferenz vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht ratifiziert und die Mitgliedstaaten ermächtigt, das Haager Übereinkommen von 1996 zum Schutz von Kindern zu 1 Dänemark, Irland und das Vereinigte Königreich beteiligen sich nicht an EU-Maßnahmen im Bereich des Familienrechts. In Bezug auf das Vereinigte Königreich und Irland besteht jedoch die Möglichkeit, dass sie sich zu einer Teilnahme entschließen. 3
4 Fachabteilung C: Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten ratifizieren bzw. ihm beizutreten. Des Weiteren hat die EU ein Verfahren entwickelt, das MS in bestimmten Fällen anwenden können, um Abkommen mit Drittstaaten zu schließen. Ziel In diesem Dokument werden Inhalte und Grenzen der Rechtsgrundlagen von EU- Bestimmungen zum Familienrecht im Hinblick auf die Einrichtung eines optimalen Mechanismus/optimaler Mechanismen für weitere Fortschritte im legislativen Bereich bewertet. Im Mittelpunkt sollen EU-Bürger stehen, die von Ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen. Die Situation anderer Personengruppen soll jedoch nicht unbeachtet bleiben und wird in einem späteren Teil des Themenpapieres behandelt. EU-Bürger in der EU Dieses Dokument wertet die Rechtsgrundlagen aus, auf deren Basis angeglichene Regelungen für EU-Bürger, die in der EU leben und von ihrem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU Gebrauch machen, im Hinblick auf aktuelle Ziele in diesem Bereich, insbesondere einen verbesserten Zugang zur Justiz, geschaffen werden können. Derartige Ziele können am besten durch die Anwendung interner, nicht externer Zuständigkeiten erreicht werden. Jedoch ging die Annahme von internen Maßnahmen im Bereich des Familienrechts bedeutend zögerlicher vonstatten als in anderen Zivilbereichen. Zum Teil kann dies dadurch begründet werden, dass Maßnahmen im Bereich des Familienrechts nur durch ein spezielles legislatives Verfahren (Einstimmigkeit im Rat und Konsultation mit dem EP) angenommen werden können. Letzteres kann auf die besondere Sensibilität dieser Themen sowie die in diesem Bereich ausgeprägten nationalen Traditionen und Kultur zurückgeführt werden. Bestehende Rechtsakte decken nicht alle Kernbereiche des Familienrechts ab und sind durch Fragmentarisierung und Differenzierung gekennzeichnet, was meist sowohl mit der gewählten Rechtsgrundlage als auch dem damit verbundenen verwendeten Gesetzgebungsverfahren zusammenhängt. Deshalb wird überprüft, inwiefern die Überleitungsklausel oder ein Rückgriff auf Verstärkte Zusammenarbeit im Hinblick auf eine erleichterte und beschleunigte Annahme von Maßnahmen im Bereich des Familienrechts in Erwägung gezogen werden können. Überleitungsklausel In den Verträgen existieren Brücken- oder Überleitungsklauseln, die einen Wechsel zwischen Gesetzgebungsverfahren und Abstimmungsanforderungen ermöglichen. Eine solche Klausel betrifft Maßnahmen des Familienrechts. Gemäß Artikel 81 Absatz 3 kann der Rat einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments beschließen, dass eine Maßnahme zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wird. Jegliche Diskussion über die Überleitungsklausel bedarf zunächst einer Erläuterung des Begriffs Maßnahmen zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug. Der genaue Umfang dieser Kategorie ist unklar und strittig; was schon durch die verschiedenen Rechtsgrundlagen, auf deren Basis Verordnungen zu Unterhalt und Nachfolge entwickelt werden, exemplifiziert werden kann. Auch wenn nicht bestritten werden kann, dass Belange in Bezug auf Unterhalt und Nachfolge einen Mischcharakter haben, da sie Aspekte von Familienrecht sowie Schuldrecht bzw. Eigentumsrecht vereinen, war ihre Handhabung 4
5 Welche Rechtsgrundlage für das Familienrecht? Der Weg nach vorn bisher jedoch sehr unterschiedlich. Die Komplexität von Unterhaltsbelangen diente der Rechtfertigung für einen versuchten Rückgriff auf die Überleitungsklausel. Dies misslang und die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates wurde gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet. Im Gegensatz dazu wurde der Mischcharakter des Nachfolgerechts von vornherein abgewiesen, was die Verabschiedung der Verordnung auf Grundlage eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens ermöglichte. Eingedenk der Tatsache, dass die Anwendung der Überleitungsklausel Einstimmigkeit im Rat sowie der Zustimmung der nationalen Parlamente bedarf, wird deutlich, dass dieser Mechanismus nur dann verwendet werden kann, wenn die Staaten davon überzeugt sind, dass der Inhalt der erwogenen Maßnahme akzeptabel ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn nicht nur der Anwendungsbereich des Instruments selbst unstrittig ist, sondern auch die darin enthaltenen Regeln neutral sind. Die Erfüllung solcher Voraussetzungen dürfte nicht leicht sein, wenn man die von der EU erklärten Ziele im Familienrecht betrachtet. Verstärkte Zusammenarbeit Artikel 20 EUV autorisiert die Verstärkte Zusammenarbeit. Somit kann eine Gruppe Mitgliedstaaten (mithilfe der Institutionen und Mechanismen des EUV) untereinander Maßnahmen erlassen. Eingedenk der Tatsache, dass Verordnungen, die durch Verstärkte Zusammenarbeit verabschiedet wurden, definitionsgemäß die Ziele der EU im Familienrecht weniger gut erfüllen als EU-weite Maßnahmen, stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, diesen Mechanismus für die Gesetzgebung im Familienrecht zu fördern. Aus der Perspektive einer ehrgeizigen Zielsetzung ist es sicher besser, die Angleichung bei einer gewissen Anzahl von teilnehmenden Staaten zu einem gewissen Grad voranzutreiben als gar nicht. Jedoch müssen die eventuellen Auswirkungen der Verstärkten Zusammenarbeit im betreffenden Bereich berücksichtigt werden, nicht nur, was die EU-Bürger betrifft, die davon profitieren, sondern auch was diejenigen betrifft, die es nicht tun. Weiterhin bedarf es eines klaren Verständnisses darüber, dass man auf die Verstärkte Zusammenarbeit nur als letztes Mittel zurückgreifen sollte. Andere Personengruppen Bezüglich Personen, die nicht EU-Bürger sind, die von Ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, ist die Situation unklarer. Zunächst ist zu bedenken, dass Regelungen, die zugunsten von EU-Bürgern verabschiedet werden, die ihren Wohnsitz in der EU haben, auch anderen Personengruppen zugutekommen werden. Tatsächlich gelten die Regelungen des Familienrechts aufgrund des Prinzips der Nichtdiskriminierung für alle Bewohner der EU, ungeachtet ihrer Nationalität. Darüber hinaus implizieren die Rechtswahl und die Verwendung von Anknüpfungspunkten im Kontext von Familienstreitigkeiten im Gegensatz zu Rechtsstreitigkeiten einzelner Personen, dass diese Regelungen sogar EU-Bürgern zugutekommen können, die in Drittstaaten leben. Allerdings müsste die Situation anderer EU-Bürger, die außerhalb der EU leben, ebenfalls behandelt werden, wenn die EU die Ziele, einschließlich der Auflagen, die in Artikel 3 Absatz 5 EUV festgelegt sind, erreichen will. In diesem Zusammenhang könnte gegebenenfalls auf die Bestimmungen zu externen Zuständigkeiten (Artikel 216 ff AEUV) zurückgegriffen werden. 5
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