Die Perspektive der Lernenden
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- Jens Brandt
- vor 8 Jahren
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1 2. München Mariakirchner Pflegetag Die Perspektive der Lernenden Empirische Erkenntnisse zum informellen Lernen in der praktischen Pflegeausbildung Prof. Dr. phil.
2 Was erwartet Sie? 1. Einführung in meine Forschungsarbeit zum informellen Lernen 2. Ausgewählte empirische Ergebnisse Selbstständigwerden als zentrales Phänomen Die Bedeutung von Lernerfahrungen Lerngegenstände im informellen Lernprozess Strategien der Lernenden => Verborgenes Lernhandeln 3. Diskussion und gemeinsamer Ausblick
3 Erkenntnisinteresse der Arbeit Hintergrund: Hohe Bedeutung informellen Lernens in der praktischen Pflegeausbildung!(Fichtmüller& Walter 2007, 155; Kirchhof 2007, 18) Forschungsfragen: Wie lernen Pflegeauszubildende/Pflegestudierende informell in der praktischen Pflegeausbildung? Was lernen die Pflegeauszubildenden/Pflegestudierenden? An welchen beruflichen Situationen lernen sie dies? Welchen Einfluss nehmen Rahmenbedingungen im Lernumfeld auf den informellen Lernprozess?
4 Informelles Lernen Informelles Lernen in der Berufspraxis erfolgt eher zufällig, beiläufig und unbewusst, v.a. in wenig überschaubaren / wenig vorhersagbaren Situationen (Dehnbostel 2004, 19; Overwien 2009, 23) Implizites Wissen (Neuweg 2001, 14; 252) intuitives, praktisches, nicht-verbalisierbares Wissen und Können an Situationen und Erfahrungen in der Praxis gebunden birgt die Gefahr von Fehlurteilen => Experten pendeln zwischen Erfahrung und Reflexion
5 Methodisches Vorgehen Qualitative Studie Datenerhebung Datenauswertung Teilnehmende Beobachtung Interviews und Gespräche im Feld Zeitraum Forschungspersonen: 7 Lernende aus verschiedenen Praxisfeldern in der AP/GKrPfl A empirisch entwickelte Theorie des informellen Lernens
6 Empirische Ergebnisse
7 Selbstständigwerden in der Pflegepraxis Lernende Selbstständigwerden Personen im Praxisfeld Verantwortung: organisatorisch fachlich moralisch (Selbst-) Vertrauen: sich etwas selbst zutrauen etwas zugetraut bekommen Unabhängigkeit: eigene Vorstellungen Entscheidungs- und Handlungsspielräume Distanzierung
8 Selbstständigwerden Beispiel 1 Ich hab auch gemerkt, wenn ich Schritte gemacht habe ( ) jetzt bin ich höher auf der Leiter gegangen oder wieder durch eine neue Tür gegangen (...) hier ist irgendwas passiert, da hast Du plötzlich in dieser Situation gemerkt: Du kannst es irgendwie besser, Du wusstest Du hast richtig gehandelt, und Du hast es selber entschieden, dass Du so gehandelt hast. Natürlich sind es meistens Situationen gewesen, wenn ich alleine mit Patienten in der Situation war oder mit einer Pflegekraft, aber ich für die verantwortlich war (IN_GK_1, )
9 Selbstständigwerden Beispiel 2 Ich will selbstständig arbeiten. Dann kann ich lieber meine eigene Struktur halt bilden, Tagesablauf, nicht wie andere, weil (.) wirklich, manchmal ist es nervig, (atmet hörbar ein), die eine Schwester sagt Okay, ich mach es so, und die andere sagte Nein, ich mach es so. Ja, und dann denkt man: Mein Gott, jedes Mal muss man sich einstellen und einstellen und einstellen und selbst beim Betten beziehen Nein, mach das lieber so, ich mach das so. Ich meine (lacht), das sind Beispiele aber, doch, also im letzten Einsatz dachte ich wirklich Jetzt reicht s mir (IN_GK_3, ).
10 Zwischenstopp Wie viel Selbstständigkeit erhalten Lernende? In welchen Situationen?
11 Einige Ergebnisse Zufälligkeit => Personalmangel als Türöffner Vor- und Rückschritte - Motivation und Demotivation Verantwortung der Praxisanleitenden => pädagogische Diagnostik für Lernende auch: sich stets neu beweisen müssen Lernumgebung => Bezugspflege unterstützt Selbstständigwerden Mehr Selbstständigkeit in Settings der Altenpflege
12 Die Bedeutung von Lernerfahrungen Selbstständigwerden als Prozess basiert auf Lernerfahrungen in neuen Situationen und in bekannten Situationen Selbstständigwerden Verantwortung (Selbst-) Vertrauen Unabhängigkeit Sicherwerden in bekannten Situationen in neuen Situationen handeln Lernerfahrungen
13 In neuen Situationen handeln Und da wurde man auch eigentlich ins kalte Wasser geworfen. Ja, geh mal rein, mach mal, das und das musste beachten. Finde ich auf der einen Seite nicht schlecht, weil man dann schneller lernt, aber auf der anderen Seite denke ich, gibt es auch Personen, die dort sehr unsicher sind, weil sie auch nicht wissen, ja okay, bei der Bewohnerin muss man zwar jetzt das und das beachten, aber was ist mit dem Rest? Du kennst die Bewohnerin nicht, die Bewohnerin kennt Dich nicht und dann gehst Du da einfach rein, als fremde Person, das ist schon unangenehm denke ich für beide Seiten (IN_AP_3, ).
14 In neuen Situationen handeln Freude Stolz neue Situationen Unsicherheit Angst Motivation Überforderung
15 Sicherwerden in bekannten Situationen ( ) ich hab mich einfach mit der Zeit entwickelt und ich bin jetzt sicherer auch geworden, ich weiß, was ich mache, auch bei dem Transfer, irgendwie bin ich mir schon sicher geworden, ich weiß, ob der Bewohner das schaffen kann oder nicht, ob ich das schaffe, also jetzt bin ich einfach noch sicherer (IN_AP_2, ) ist ein komplexer Lernerfolg braucht Zeit Fortschritte sind wenig bewusst Anerkennung im Lernprozess!?
16 Was informell gelernt wird Selbstständigwerden Verantwortung (Selbst-) Vertrauen Unabhängigkeit Lerngegenstände: Situationen einschätzen und Urteile bilden Pflegearbeit organisieren Pflegerische Einzelhandlungen gestalten Kontakt und Beziehungen gestalten Zusammenarbeiten und Position beziehen
17 Zusammenarbeiten und Position beziehen Produktive Zusammenarbeit Fachlicher Austausch Sich gegenseitig bei Arbeitsaufgaben unterstützen Offen Position beziehen (auch: widersprechen ) dürfen Konflikthafte Zusammenarbeit Mit Fehlern von Kollegen umgehen Nicht ernst genommen werden Sich im Stillen distanzieren
18 Zusammenarbeiten und Position beziehen Konflikte ansprechen!? Was vielleicht noch wichtig wäre, ist, dass man immer, wenn man ein Problem mit irgend jemandem hat, dass man das immer gleich anspricht und versucht zu klären, damit es im Team keine Konflikte gibt, weil sonst steht man wirklich dann irgendwann alleine da. (IN_AP_3, ) Also ich hab mir ganz ehrlich überlegt, was mache ich mit dieser Situation? Spreche ich es an? Wen spreche ich an? Hat es überhaupt Konsequenzen? Darf ich mir das überhaupt anmaßen in Blau im fünften Semester ( )? Ich bin noch zu keinem abschließenden Urteil gekommen (IN_GK_1, ).
19 Zwischenstopp Was zeigt sich Ihnen im Hinblick auf Zusammenarbeiten und Position beziehen?
20 Strategien der Lernenden Strategien der Lernenden Wahrnehmbares Lernhandeln Lernziele setzen und verfolgen sich informieren Fragen stellen und Hilfe holen Verborgenes Lernhandeln allein lernen und mit Unterstützung lernen sich anpassen und sich behaupten hinterfragen und erledigen
21 Verborgenes Lernhandeln allein lernen mit Unterstützung lernen sich anpassen sich behaupten hinterfragen erledigen
22 allein lernen mit Unterstützung lernen Ich hab es erst versucht alleine zu machen und wo ich dann Fragen hatte ( ) deswegen habe ich dann gefragt (IN_AP_1, 247f.) Ich glaub schon, dass man mehr lernt, wenn man alleine ist. Also ich bin so ein Typ, lieber lerne ich alleine, so lerne ich mehr als wenn jemand da hinter mir steht, wo ich mir dann denke Okay, ich bin immer noch- Du bist mein Lehrer, natürlich, okay, es ist kein Problem, aber trotzdem immer einen so unterstuft und ( ) ja, einem nicht so viel ermöglicht (IN_GK_3, ). Wir kriegen ja auch öfter mal Praxisaufträge von der Schule, die wir dann auch gemeinsam gemacht haben, es sei denn, ich hab sie mir auch allein zugetraut und sie hat dann nochmal rüber geschaut, ob es so in Ordnung ist, ob es alles seine Richtigkeit hat (IN_AP_3, ).
23 allein lernen mit Unterstützung lernen Allein lernen => Freude und Motivation durch Handlungs-und Entscheidungsspielräume Verantwortung erhalten und sich kompetent erleben Ohne Beobachtung ausprobieren dürfen Aber auch: Erleben von Unsicherheit, Lernen aus Fehlern, kritischen Rückmeldungen ausweichen können,
24 allein lernen mit Unterstützung lernen Mit Unterstützung lernen => Freude und Motivation durch Interesse an der eigenen Person Ermutigung, Bestärkung passende Lernunterstützung Aber auch: dazwischenwursteln, übertrieben anleiten : im eigenen Lernprozess unterbrochen werden, Verantwortung vorenthalten bekommen, irritiert werden,
25 sich anpassen sich behaupten Also im Haus B. hatte ich erst Schwierigkeiten. Ich habe meine Lernbedürfnisse zurückgestellt. Ich habe immer das gemacht, was man mir gesagt hat ( ) Dann hat man auch so ein bisschen Angst, so: Frage ich jetzt oder frage ich nicht? Stört den das jetzt? Wenn die halt im Stress sind, dann ist man auch ein bisschen mies gelaunt, dann denkst Du so: Nee ich warte mal noch ein bisschen ab, bevor ich Ärger kriege, dann stecke ich auch ein bisschen zurück, wenn zu viel Stress ist, das behindert einen ein bisschen so mit der Zeit (IN_AP_1, ) Aber ich hab s mir auch eingefordert und dann sind wir halt beide ein bisschen länger geblieben und sind meine Fragen durchgegangen und sie fand es auch gut, dass ich mir das eingefordert habe. Jetzt weiß ich aber erstmal, dass es hier anders läuft, dass ich wirklich denn mir das auch richtig einfordern muss, ich muss auf den Tisch hauen und denn krieg ich s auch, was ich brauche. (IN_AP_3, )
26 sich anpassen sich behaupten Sich anpassen => als wertvolle Fähigkeit Hineinkommen in ein Team/Praxisfeld Spielregeln kennen lernen Sich zurücknehmen können Aber auch: eigene Lernbedürfnisse vernachlässigen, ggf. desinteressiert/unmotiviert wirken
27 sich anpassen sich behaupten Sich behaupten => als wertvolle Fähigkeit Eigene Lerninteressen durchsetzen Eine eigene Meinung bilden und Position beziehen, auch wenn es Kraft erfordert Aber auch: die Perspektive der anderen vernachlässigen, ggf. zu forsch und überheblich wirken
28 hinterfragen erledigen Also in der Situation zu denken: Klar, ich mach das jetzt so, aber Moment ( ) immer noch mal die Situation hinterfragen ( ) was würde ich dazu gerne noch wissen, was interessiert mich? Klar man muss das nicht jeden Tag machen, aber wenn man sich so Punkte immer rausnimmt, so habe ich das auch immer gemacht ( ) was ich neu gelernt habe, oder neue Situationen ( ) das nochmal alles aufzuschreiben, nochmal nachzuforschen (IN_GK_1, )
29 Diskussion und gemeinsamer Ausblick Welche Erkenntnisse sind für Sie besonders eindrücklich? Welche Fragen stellen Sie sich?
30 Literatur Bohrer, A. (2013). Selbstständigwerden in der Pflegepraxis. Eine empirische Studie zum informellen Lernen in der praktischen Pflegeausbildung. Berlin: wvb. Dehnbostel, P. (2004). Konzepte zur Verbindung von informellem und formellem Lernen unter besonderer Berücksichtigung betrieblicher Wissens-und Kompetenzerzeugung. In P. Dehnbostel & P. Gonon (Hrsg.), Informell erworbene Kompetenzen in der Arbeit. Grundlegungen und Forschungsansätze. 13. Hochschultage Berufliche Bildung Bielefeld: W. Bertelsmann, Fichtmüller, F. & Walter, A. (2007). Pflegen lernen. Empirische Begriffs- und Theoriebildung zum Wirkgefüge von Lernen und Lehren beruflichen Pflegehandelns. Göttingen: V & R unipress. Kirchhof, S. (2007). Informelles Lernen und Kompetenzentwicklung für und in beruflichen Werdegängen. Dargestellt am Beispiel einer qualitativ-explorativen Studie zu informellen Lernprozessen Pflegender und ihrer pädagogisch-didaktischen Implikationen für die Aus- und Weiterbildung. Münster: Waxmann. Neuweg, G. H. (2001). Könnerschaft und implizites Wissen. Zur lehr-lerntheoretischen Bedeutung der Erkenntnis- und Wissenstheorie Michael Polanyis. 2. Aufl. Münster: Waxmann. Overwien, B. (2009). Informelles Lernen. Definitionen und Forschungsansätze. In M. Brodowski, U. Devers-Kanoglu, B. Overwien, M. Rohs, S. Salinger & M. Walser (Hrsg.), Informelles Lernen und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Beiträge aus Theorie und Praxis. Opladen: Barbara Budrich, Strauss, A. & Corbin, J. (1996). Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung.Weinheim: Beltz.
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