VII ARBEIT MIT WEIBLICHEN/LESBISCHEN TÄTERINNEN
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- Jörg Bretz
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1 VII ARBEIT MIT WEIBLICHEN/LESBISCHEN TÄTERINNEN Systemische Therapie Überblick Als Systemische Therapie wird eine psychotherapeutische Fachrichtung beschrieben, die für die Diagnose und Therapie von seelischen Beschwerden und interpersonellen Konflikten interpersonelle Beziehungen und systemische Zusammenhänge in einer Gruppe (auch z.b. Paar oder Familie) heranzieht. Grundlage ist die sogenannte systemische Metatheorie von Ludwig von Bertalanffy, die ein allgemeingültiges, auf die verschiedensten Systeme anzuwendendes Modell mit gemeinsamen Gesetzmäßigkeiten und deren prinzipiellen Grundannahmen beschreibt. Ein System ist hierbei eine Einheit aus Elementen und dieses mehr als deren bloße Summe. Die Elemente haben untereinander und zu anderen Systemen Beziehungen. Dadurch entstehen Wechselwirkungen, anders und mehr als linear kausale Wirkungen zwischen zwei Einzelnen. Jedes System hat eine innere Ordnung, die es selbst und alle am System Beteiligten in einer Art Gleichgewicht hält. Wird diese Balance gestört, sei es in einer Familie durch z.b. Entwicklung der Kinder zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie dem Auszug aus dem Elternhaus oder innerhalb einer Paarbeziehung durch z.b. Arbeitsplatzverlust einer der PartnerInnen, gerät das System aus dem Gleichgewicht und dadurch in eine bedrohliche Lage. Um diese Bedrohung abzufedern, entwickelt immer mindestens eine Person Symptome wie z.b. Verhaltensauffälligkeiten, psychische Störungen oder Erkrankungen. Im Bereich von systemischer Beratung und Therapie gibt es ein großes Angebot von hilfreichen Theorien und Verfahren. Viele davon sind wissenschaftlich gut abgesichert und in ihrer Wirkungsweise belegt. Im Rahmen dieses Kapitels werden die verschiedenen Interventionen Broken Rainbow e.v., Berlin/Frankfurt a.m /6
2 und methodischen Verfahren nicht ausführlich beschrieben, auch kann nur ein grober theoretischer Überblick gegeben werden. Aus den systemischen Therapieverfahren (z.b. durch die amerikanische Therapeutin Virginia Satir) hat sich die Methodik der Familien-Skulptur (Familientherapie) oder Familienrekonstruktion entwickelt, die es erlaubt, biographische Muster und Verhaltensweisen zu identifizieren und bei Bedarf zu verändern. Sinn dieser Interventionen ist, das System (aus Familienmitgliedern und / oder wichtigen Anderen) in ihren Interaktionsmustern zu verstören und folglich sekundär die beklagte Symptomatik zu verändern. 2. Philosophie / Menschenbild Fokus der systemischen Therapie und Beratung ist die Person-in-ihrer-Welt (person-inenvironment) im Rahmen eines ganzheitlichen bio-psycho-sozialen Verständnisses von Gesundheit, Störung und sozialen Problemen. Generelles Ziel ist die Einbeziehung von exkludierten (isolierten), gefährdeten, erkrankten (symptomatischen) und behinderten Menschen. Das wichtigste Moment ist das der Orientierung an den Ressourcen. Im psychotherapeutischen Kontext beschreibt dies das therapeutische Ziel, der Klientin / dem Klienten die eigenen Ressourcen (Quellen von Kraft und Wohlbefinden) und die eigenen Stärken deutlich und wieder selbst nutzbar zu machen. Ressourcen sind materielle und immaterielle Güter und Werte, die einzelne Personen, aber auch Teams, Arbeitsgruppen und komplexe Systeme zur Handlung befähigen. Die Orientierung an Ressourcen (Kraft- und Energiequellen, Lösungskompetenzen, Lösungswegen und bildern etc. von Personen oder Systemen) fokussiert im Gegensatz zur Orientierung an Defiziten (Fehlern, Mängeln etc.) auf das Herausfinden, Zugänglichmachen und Aktivieren von Ressourcen und das Bestärken von vorhandenen Stärken, um Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen sowie Ziele oder Visionen zu erreichen. Im Sinne von lösungsorientierten Therapie- und Beratungsformen meint dies auch, mehr von dem zu tun, was gut läuft und weniger von dem, was schlecht läuft. Broken Rainbow e.v., Berlin/Frankfurt a.m /6
3 3. Grundlagen Der klassische aus der Systemischen Familientherapie entwickelte Ansatz sieht die Paarbeziehung (als das kleinste System), das familiäre System bzw. das organisatorische System eines Unternehmens auch als Ressource. Das einzelne Mitglied kann sowohl Fähigkeiten und Stärken als auch Verhaltensstörungen entwickeln. Zeigt ein Mitglied einer Gruppe psychische oder Verhaltensauffälligkeiten, so wird die/der Betreffende als Symptomträger für das Gesamtsystem betrachtet. Häufig wird diese Person auch aus der Gruppe/dem System ausgeschlossen bzw. alle bestehenden Schwierigkeiten oder Konflikte ursächlich ihr zugeschrieben. In diesem Fall stehen der Person nicht mehr alle ihre Ressourcen zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung uneingeschränkt zur Verfügung, sondern sind gebunden an die funktionelle Störung und die Funktion, welche diese für das gesamte System hat. Im Rahmen des so genannten Refraimings geht es darum, Erfahrungen, Handlungen, Hindernisse, Fehler oder Mängel so umzudeuten, dass sie als Ressource (Stärke) beschrieben und aktiv genutzt werden können. Dazu werden diese in einen anderen Kontext gestellt (frame: engl, Rahmen, auch: Neurahmung, Umdeutung). Die Elemente der Systemischen Therapie und Beratung beziehen generell ganzheitliche Fragestellungen mit ein. Anliegen oder als schwierig und konflikthaft empfundene Situationen betrachtet die Therapeutin/der Therapeut (oder Coach) aus verschiedenen Beziehungsebenen. Je nach Standort finden sie auf die scheinbar gleiche Frage mehrere richtige Antworten. Das System definiert hier den Standort, das Element und seine Beziehungen zu den anderen Elementen. Systemische Therapie und Beratung ermöglicht den Beteiligten: die Identifizierung von Symptomen und deren Funktion eine Wahrnehmung von neuen und bisher unbekannten Perspektiven ein Verstehen der Haltung der übrigen Beteiligten die Analyse von Mustern in Kommunikations- und Interaktionsvorgängen Beteiligung an angemessenen Interventionen zur Veränderung Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln eine ganzheitliche Hypothesenbildung Broken Rainbow e.v., Berlin/Frankfurt a.m /6
4 Diese Zielvorstellung steuert dann den eigentlichen, auf Veränderung und Ressourcenkräftigung gerichteten beraterischen und therapeutischen Prozess. 4. Die Bedeutung von Gewalt im Sinne der Systemischen Sichtweise Jedes System ist anfällig für Gewalt. Die meisten Systeme sind nicht gleichberechtigt ausgelegt, sondern geprägt von Hierarchien, Machtverhältnissen, unterschiedlich verteilten (oft finanziellen) Ressourcen, Wissen, Erwartungen aneinander, Bedürfnissen und deren Erfüllung sowie nicht lebbaren Wünschen und Enttäuschungen. Gerät das Gleichgewicht innerhalb eines Systems aus der Balance (der Ordnung), entwickelt meist ein Mitglied des Systems Symptome wie z. B. psychische oder Verhaltensauffälligkeiten, um diese Bedrohung abzufedern und die alte Ordnung wiederherzustellen. Gewalt gilt in diesem Sinne als Verhaltensauffälligkeit. Hiermit soll der alte Zustand wieder hergestellt werden. Dieser alte Zustand, die alte Ordnung kann auch eine innerpersonelle Bedürfnislage sein. Innerhalb einer Paarbeziehung ist z.b. eine der beiden Personen - bspw. aufgrund von bei ihr vorhandenen finanziellen Ressourcen oder Wissen oder Berufstätigkeit außer Haus - mächtiger als die andere. Diese Verteilung und auch damit einhergehende Rollenverteilung ist zunächst von beiden gewollt. Durch eine Veränderung, z.b. Aufnahme einer Berufstätigkeit der zweiten Person und einer damit einhergehenden finanziellen Unabhängigkeit von der ersten Person, wird die bisherige (Rollen-) Verteilung verändert. Dies ängstigt Person 1. Sie will die alte Ordnung wieder herstellen und zwar mit und über Gewalt. Hierzu zählen alle Formen von Gewalt: nicht nur körperliche, auch verbale oder ökonomische. Je nach Persönlichkeitsstruktur von Person 2 kann Person 1 damit Erfolg haben oder nicht; verlässt Person 2 die Beziehung oder bleibt in einer gewalttätigen Beziehung. Gewalt unterscheidet sich grundlegend von Streit. Bei einem Streit sind beide beteiligten Personen immer auf einer gleichen Ebene und kommunizieren ihre jeweiligen Argumente auf Augenhöhe. Bei Gewalt befinden sich die Beteiligten auf unterschiedlichen Ebenen ( Augenhöhen ). Hier geht es um Macht und Kontrolle, dies ist auch das Ziel von Gewalt. Broken Rainbow e.v., Berlin/Frankfurt a.m /6
5 Das Anliegen eines Streites ist es durchaus, das Eigene erreichen zu wollen, jedoch nicht mit dem Ziel, Macht und Kontrolle über die andere Person auszuüben. Hier geht es nicht darum, die andere Person zu unterdrücken und um jeden Preis gewinnen zu wollen. Im Vordergrund steht eine Einigung, auch über die Herstellung eines Kompromiss. Im Vergleich zu anderen dysfunktionalen Verhaltensweisen (wie z.b. Anorexie, Schulangst, Sucht usw.), bei denen im Rahmen einer Therapie zunächst versucht wird, die Funktion des Symptoms zu verstehen ehe es dahingehend bearbeitet wird, dass das gesamte System darauf verzichten kann, ist bei dem Symptom Gewalt ein anderer Ansatz wichtig. Oberstes Ziel bei diesem pro-aktiven Ansatz ist es, die Gewalt sofort zu beenden, also das Symptom in seinem schädigenden Ausdruck unverzüglich aufzuheben. Für weitere Interventionsstrategien im therapeutischen Prozess ist es wichtig zu beachten: Benennung einer Person des Systems als TäterIn und einer/weiteren Person/en als Opfer. Verantwortungsübernahme seitens der TäterIn für die Gewalt. Verantwortungsübernahme seitens der Person/en, die Opfer wird/werden für den eigenen Schutz. Die Kommunikationsmuster und den Beziehungsprozess identifizieren, in welchen beide PartnerInnen sowohl individuell und als System Paarbeziehung agieren und angesprochen sind. Die transgenerationelle biographische Geschichte jeder Betroffenen berücksichtigen. In einer systemischen Herangehensweise bezieht die TherapeutIn jede einzelne Person einer Paarbeziehung bzw. jedes einzelne Familienmitglied in ihre Hypothesenbildung und Interventionen mit ein. Verweigert sich die/der Gewaltausübende diesem Prozess und dieser Arbeit, kann dies die Traumatisierung seitens der zum Opfer gewordenen Person verschlimmern. Eine solche Retraumatisierung ist umso schwerwiegender, wenn dies innerhalb des therapeutischen Rahmens geschieht und sollte unter allen Umständen vermieden werden. Ebenso eine Situation, in welcher die/der TherapeutIn in die Rolle einer RichterIn gedrängt wird. Der systemische Ansatz findet mithilfe der Identifizierung von Symptomen und dem Verstehen derer Funktionen für das System einen Zugang zum Leiden aller Betroffenen im Zusammenhang mit den Gewalttaten. Deshalb muss die therapeutische Arbeit einhergehen mit der Bewusstmachung von Verantwortung für diese Gewalthandlungen und mit der Einübung von Verantwortungsübernahme. Broken Rainbow e.v., Berlin/Frankfurt a.m /6
6 Literatur Mücke, Klaus (2003): Probleme sind Lösungen. Systemische Beratungen und Psychotherapie ein pragmatischer Ansatz. Lehr- und Lernbuch; 3. Auflage. Berlin Retzer, A. (2004): Systemische Paartherapie. Stuttgart Sautter, Christiane und Alexander (2006): Alltagswege zur Liebe. Familienstellen als Erkenntnisprozess. Eine Einführung in die systemische Arbeit nach Virginia Satir. Wien. Schlippe, Arist von; Schweitzer, Jochen (2003): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen Welter-Enderlin, Rosemarie (2006): Deine Liebe ist nicht meine Liebe systemische Paartherapie. Und: Wie aus Familiengeschichten Zukunft entstehen. Heidelberg Broken Rainbow e.v., Berlin/Frankfurt a.m /6
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