Lernen in Arbeitsprozessen macht Kompetenz sichtbar!
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- Franziska Schulz
- vor 7 Jahren
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1 Lernen in Arbeitsprozessen macht Kompetenz sichtbar! Thesenpapier zum Vortrag Lernen im Prozess der Arbeit und das Erfassen formal und informell erworbener Kompetenzen im Rahmen der NGG Fachtagung zur Gestaltung des demografischen Wandels am in Oberjosbach/Taunus Was bedeutet Lernen für Sie? Wahrscheinlich Unterricht, vielleicht üben, üben, üben oder sogar Prüfungen. Dann verbindet Sie etwas mit fast allen anderen Menschen. Für Sie bedeutet Lernen: Belehrt werden! Da sie viele Jahre die Schulbank gedrückt haben, ihnen Wissen eingetrichtert wurde und sie es in Klassenarbeiten und Prüfungen wiedergeben sollten, ist dies kein Wunder. Früher dienten Schule und Ausbildung dem Erwerb feststehender Kenntnisse und Fertigkeiten. Damit wurde auf ein Erwerbsleben vorbereitet, welches vorherbestimmt war: Der einmal erlernte Beruf reichte für ein ganzes Leben und bestimmte über das gesamte Dasein. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr lautete die Devise. Dies prägt unser Bild von Lernen bis heute. Aber diese Vorstellung war schon immer einseitig und ist inzwischen eindeutig veraltet. Entwicklungspsychologie, Gehirnforschung und Neurobiologie zeigen, dass Menschen immer und überall lernen, auf viele unterschiedliche Weisen. Lernen ist viel mehr als schulischer Wissenserwerb: Ein Baby lernt sprechen, ein Kind Fahrrad fahren, Jugendliche die Welt kennen, Erwachsene wechseln Beruf oder Stelle, legen sich ein neues Hobby zu oder engagieren sich politisch. In allen diesen Situationen wird gelernt, aber dieses Lernen ist alltäglich. Es wird aber nicht als Lernen angesehen, weil es nicht in Schule oder Seminar stattfindet. Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 1
2 Abbildung 1: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans allemal Genau diese selbstverständlichen Lernprozesse in denen Handeln und Lernen sich zu Können verbinden, sind zunehmend wichtiger. Denn Gesellschaft wie Wirtschaft, Privat- wie Erwerbsleben, verändern sich immer schneller. Mit diesen Veränderungen Schritt zu halten, sie zu gestalten, erfordert Kompetenz. Kompetenz ganz allgemein ist dynamisches Können. Kompetenz verbindet Handeln mit Lernen und Lernen mit Handeln. Kompetentes Handeln zeigt sich immer nur in Situationen, in der gehandelt wird. Berufliche Situationen sind heute vielfältig und komplex, Anforderungen sind hoch und ändern sich häufig. Kompetentes Handeln bedeutet immer auch Lernen: sich auf die neue Situation einstellen, etwas ausprobieren, gemeinsam mit Kollegen nach Lösungen suchen, KVP-Workshops. In allen diesen Situationen ist Handeln und Lernen, ist Kompetenz erforderlich. Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 2
3 Abbildung 2: AllgemeinesHandlungsmodell: Handeln-in-Situationen Lernen durch Handeln in Arbeitsprozessen ist also selbstverständlich und alltäglich! Aber es wird oft nicht als Lernen wahrgenommen und deswegen scheint auch der Nachweis dieses Lernens schwierig. Dabei zeigt sich Kompetenz als dynamisches Können in Arbeitsprozessen von alleine: durch angemessenes Handeln. Dieses Handeln lässt sich dokumentieren und begründen. So können Kompetenzentwicklung und erfolgreiche Lernprozesse nachgewiesen werden. Kompetenz, die in Arbeitssituationen, im Handeln entwickelt wird, wird auch als informell erworben bezeichnet. Informell erworben heißt vor allem: Lernen findet nicht (nur) im Unterricht statt. Hier steht noch deutlich das klassische Bild von Lernen im Vordergrund, das sogenannte formale Lernen : Formales Lernen findet in Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen statt und führt zu anerkannten Abschlüssen und Qualifikationen, definiert die europäische Kommission. Andere Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 3
4 Formen von Lernen entsprechen dann diesem Bild nicht oder nicht vollständig. Dabei weist das informelle Lernen der Kompetenzentwicklung viele positive Merkmale auf: Kompetenzentwicklung findet überall, in jeder Situation statt, sie ist nicht an einen festen Ort ( Klassenraum ) gebunden. Kompetenzentwicklung ist differenziert, an die jeweilige Situation und ihren weiteren Kontext angepasst. Es gibt keinen von Dritten im Detail vorstrukturierten Lehrplan, der der Komplexität und Dynamik moderner Erwerbssituation nicht gerecht werden kann. Kompetenzentwicklung wird den individuellen Voraussetzungen, Lerngewohnheiten und Zielen der Lernenden gerecht. Alle müssen zur gleichen Zeit auf die gleiche Weise dasselbe Wissen für die gleiche Klausur büffeln, gilt nicht mehr. Die Entwicklung von Kompetenz, die Handeln und Lernen dynamisch verbindet, erfolgt selbstgesteuert und nicht selten auch selbstorganisiert. Im Mittelpunkt stehen nicht Prüfungsanforderungen, sondern erfolgreiches Handeln. Gerade informell erworbene Kompetenz dynamisches Können ermöglicht also, den schnell wechselnden Herausforderungen des modernen Erwerbslebens gerecht zu werden. Zur Entwicklung und zum Nachweis so erworbener Kompetenz gibt es mittlerweile vielfältige Möglichkeiten. Die drei nachfolgenden Beispiele stellen nur eine kleine Auswahl dar. Prozesse als Kompetenzstandards, zum Beispiel in der Produktionstechnologie In der beruflichen Aus- und Fortbildung in High-Tech-Branchen ist die Kompetenzentwicklung in Arbeitsprozessen bereits zum Standard geworden. So wurde unter anderem im Jahr 2008 eine Gruppe neuer Berufe für die Produktionstechnologie Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 4
5 eingeführt. Dazu gehören der Ausbildungsberuf Produktionstechnologe, zwei Spezialistenprofile und die Fortbildung auf Meisterebene mit Abschluss Geprüften Prozessmanager Produktionstechnologie. Für alle vier Berufe sind die Kompetenzstandards und damit die Prüfungsanforderungen als typische Arbeitsprozesse beschrieben, zum Beispiel Analysieren von Prozessanforderungen oder Erarbeiten von technischen Lösungen. Diese Arbeitsprozesse sind eigenständig in betrieblichen Projekten durchzuführen. Abbildung 3: Prozessexperte (Anhang Fortbildungsordnung: Geprüfter Prozessmanager - Produktionstechnologie) Gelernt wird durch Handeln in Arbeitsprozessen. Die jeweilige Ordnung für den Beruf gibt eine Struktur vor: die typischen Arbeitsprozesse. Sie können und müssen in jedem Unternehmen und für jeden Lernenden individuell konkretisiert werden. Da es für viele Herausforderungen in der Produktionstechnologie unter- Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 5
6 schiedliche Lösungen gibt, mechanische, IT-technische, arbeitsorganisatorische und andere mehr, sind Handeln und Lernen offen für unterschiedliche betriebliche wie individuelle Ziele und Entwicklungen. Trotzdem sind mit den typischen Arbeitsprozessen natürlich auch Anforderungen vorgegeben, die zumal im Rahmen einer bundesweit anerkannten beruflichen Aus- oder Fortbildung erfüllt werden müssen. Für diesen Nachweis werden entsprechende Projekte und Prozesse durchgeführt, dokumentiert und in einem Fachgespräch ( Prüfung ) mit anderen Experten dargestellt und begründet. Lernen wie Handeln, Handeln wie Lernen findet also in den Arbeitsprozessen statt. Berufsschule wie Ausbilder haben dabei eine neue Funktion: Sie sind nicht mehr Lehrer, sondern Lernbegleiter und unterstützen die Lernenden in der Organisation und Reflexion ihres Lernprozesses. Abbildung 4: Die vollständige Arbeitshandlung und ihr Lernpotential Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 6
7 In den Lernprozessen wechseln sich unterschiedliche Phasen ab: Problemanalyse und Lösungsentwicklung, Recherche und Wissenserwerb, Reflexion und Dokumentation. Aus- und Fortbildungen in der Produktionstechnologie werden seit 2008 erfolgreich durchgeführt. Lernende wie Lernbegleiter und Unternehmen haben in dieser Zeit viele positive Erfahrungen mit der erfolgreichen Entwicklung und dem Nachweis von Kompetenz in Prozessen gemacht. Dies gilt auch in den anderen Branchen, wie IT, Metall, Elektro, in denen prozessorientierte Aus- und Fortbildungsordnungen schon länger existieren. Erfolgreiche Beispiele aus der Praxis und weitere umfangreiche Informationen finden sich im Internet: Kompetenzrahmen als gemeinsame Sprache, zum Beispiel für die ITK-Branche in Europa In der beruflichen Aus- und Fortbildung werden durch Verordnungen vorab Kompetenzstandards für das Arbeiten und Lernen in Prozessen festgelegt. Ihre Erfüllung wird durch Handeln in passenden Prozessen und Projekten, entsprechende Dokumentationen und Fachgespräche belegt. In anderen Bereichen ist der Nachweis schwieriger. Hier können Kompetenzrahmen hilfreich sein, die für eine Branche oder einen Sektor typische Kompetenzen beschreiben. Ein Beispiel für einen Kompetenzrahmen ist der europäische e-competence Framework für die ITK-Branche. Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 7
8 B.1 Design und Entwicklung: Entwirft und entwickelt Softwareund/oder Hardwarekomponenten entsprechend der geforderten Spezifikationen, [...] Folgt einer systematischen Methodik, um die geforderten Komponenten und Schnittstellen zu analysieren und zu erstellen. [...] Niveau 2: Entwickelt systematisch kleine Komponenten. Niveau 5: Trägt die endgültige Verantwortung für die strategische Ausrichtung des Produkts, der technischen Architektur oder der Entwicklung. Abbildung 5: Der europäischen e-competence Framework (Auszug) und eine Kompetenzbeschreibung (Auszug) Im e-cf sind insgesamt 32 Kompetenzen auf bis zu fünf Niveaustufen beschrieben. Sie sind entsprechend typischer Arbeitsprozesse geordnet und stehen gleichermaßen für betriebliche Anforderungen wie individuelles Können. So bilden die Kompetenzbeschreibungen eine gemeinsame europäische Sprache. Vorhandene, in Arbeitsprozessen entwickelte Kompetenzen lassen sich mit Hilfe des e-cf in anerkannter Weise beschreiben und auf einem entsprechenden Niveau einordnen. Umfangreiche Informationen, der e-cf selbst und ein Nutzerleitfaden mit Beispiele aus der Praxis findet sich im Internet: Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 8
9 Portefolios in der Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen, zum Beispiel an der Uni Oldenburg Eine weitere Möglichkeit der nachträglichen Anerkennung und Anrechnung von beruflich erworbener Kompetenzen stellen Portefolios dar. Ähnlich wie bei prozessorientierten Fortbildungen werden in einem Portefolio die Projekte und Prozesse dokumentiert, in denen jemand gehandelt und gelernt hat. Auch hier geht es um den Nachweis vorhandenen Könnens. Abbildung 6: Kompetenzportfolio zur Anrechnung (Uni Oldenburg) Das Portefolio kann an Hochschulen, die das Verfahren anbieten, genutzt werden. Es ermöglicht die Zulassung zu einem entsprechenden Studiengang oder die Anrechnung von Teilen eines Studiengangs. Viele Verfahren für den nachträglichen Nachweis beruflich erworbener Kompetenz sind derzeit noch im Aufbau. Bislang gibt es einzelne, anerkannte Beispiele, in den nächsten Jahren werden es sicher mehr werden. Einige Hochschulen und Studiengänge, die beruflich erworbener Kompetenz anrechnen, finden sich in folgende Liste: Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 9
10 Weiterführende Literatur: Rogalla, I.: Moderne Arbeit - Moderne Berufe. Ein interdisziplinäres Modell. Berlin: R&W-Verlag, 2012; siehe auch: Büchele, U.: Praxisleitfaden Lernbegleitung. Berufliche Weiterbildung: Lernprozesse gemeinsam gestalten. Berlin: R&W-Verlag, Dr. Irmhild Rogalla, Institut für praktische Interdisziplinarität, Berlin 10
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