Predigt zum Heidelberger Katechismus (3.Teil- von des Menschen Dankbarkeit)
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- Irmgard Auttenberg
- vor 8 Jahren
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1 Predigt zum Heidelberger Katechismus (3.Teil- von des Menschen Dankbarkeit) Liebe Gemeinde, Dankbarkeit bezieht sich immer auf ein konkretes Gegenüber. Wir sind, wenn wir dankbar sind, jemandem dankbar, denn dieser jemand hat etwas für uns getan und unser Dank ist unsere Antwort, unsere Reaktion darauf. Dankbar sein bedeutet, die Wohltat, die einem widerfahren ist, mit seiner ganzen Person anzunehmen, verbunden mit dem Bedürfnis, dem Spender der Wohltat dies auch zum Ausdruck zu bringen. So bedeutet Dank Echo und Antwort. Im Dank antworten wir auf ein uns zuteil gewordenes Gutes, das uns vielleicht sogar höchst unerwartet und überraschend zugewendet wurde und das uns mitunter neue Lebenskraft und Zuversicht zu spenden vermag. Es lohnt sich, in gewissen Abständen darüber nachzudenken, wem und für was wir eigentlich dankbar sind, denn wie einsam und verloren wären wir, hätten wir keinen, dem wir danken könnten. So sind wir vielleicht unseren Eltern dankbar, die uns das Leben schenkten und uns groß gezogen haben und unseren Kindern dankbar, weil an ihnen sichtbar wird, dass das Leben weitergegeben und -getragen wird. Oder anderen Menschen, die uns aus Notlagen heraus geholfen haben, Freunden, die es gut mit uns meinen, oder auch z.b. der Kirche, weil sie uns immer wieder Lebensorientierung und Antwort auf unsere Fragen zu bieten vermag. In diesem Jahr sind wir sicher auch besonders dankbar dafür, dass eine Gemeinde 100 Jahre alt geworden ist und in ihrer Vielfältigkeit und Lebendigkeit immer noch bestand hat. Im HK wird die Frage nach der Dankbarkeit und wem ich eigentlich dankbar bin im dritten und letzten Hauptteil in einer ganz grundlegenden und existentiellen Weise beantwortet, die unser ganzes Leben betrifft und die über das alltägliche Danken weit hinausgeht. Es ist Gott, dem ich dankbar bin, denn ohne, dass ich im Voraus etwas geleistet hätte, wendet Gott sich mir zu- ganz ohne mein Verdienst aus lauter 1
2 Gnade schenkt er mir die Erlösung von meinem Elend durch die vollkommene Genugtuung, Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi- wie es in der 60ten Frage des HK heißt. Durch seine Gnade sind wir befreit aus unserem Elend und wir werden durch den Heiligen Geist ein neuer Mensch, der alte in uns stirbt ab, der neue in uns steht auf und bringt Gott für diese Erlösung seine Dankbarkeit entgegen. Denn wir treten in ein ganz neues Verhältnis zu Gott ein und was dieses Verhältnis in uns bewirkt, das eben ist Thema des dritten Hauptteiles Von des Menschen Dankbarkeit. Doch der dritte Hauptteil begnügt sich nicht einfach mit der Feststellung, dass die Dankbarkeit unsere einzige sinnvolle Antwort auf die Gnade Gottes ist, weil wir in eine neue, befreite Gottesbeziehung gestellt werden, sondern er führt aus, wie sich diese Dankbarkeit äußert und was sie von uns fordert. Sie äußert sich nicht nur im Loben und Preisen Gottes, sondern auch in einer zutiefst ethischen Weise: Im Tun der guten Werke, ganz konkret im Halten der 10 Gebote, und im stetigen Gebet. Aus Dankbarkeit tun wir also gute Werke, indem wir die Gebote halten. Aber ist das wirklich so einfach nachzuvollziehen? Klingt das nicht nach Werkgerechtigkeit und völlig unreformatorisch? Wie bringen wir die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade mit der Aufforderung zum Tun guter Werke und dem Halten der Gebote zusammen? Auch der HK weiß um dieses Grunddilemma und stellt die Frage, warum die Konsequenz aus der Erlösung durch Christus eigentlich das Tun der guten Werke ist, an den Anfang des dritten Hauptteiles. Macht die Verkündigung des Evangeliums von der freien Gnade die Einhaltung dessen, was Gott im Gesetz vom Menschen zu tun fordert, unnötig? Der Katechismus beantwortet diese Frage mit einem klaren Nein, denn Dankbarkeit ist nicht nur ein schönes Gefühl, sondern sie nimmt uns auch in die Pflicht. Und deshalb legt er in 23 Fragen und Antworten die 10 Gebote sorgfältig und präzise aus. 2
3 Der Ansatz bei den 10 Geboten ist für die damalige Katechismusliteratur durchweg typisch, denn es wäre den Theologen des 16ten Jahrhunderts gar nicht anders in den Sinn gekommen, als die konkrete christliche Ethik in einer Auslegung des Dekalogs zu entfalten. Aber es ist eine Besonderheit des HK, dass die Auslegung der 10 Gebote dem dritten Hauptteil zugeordnet wird. Denn es soll nicht seine einzige und hauptsächliche Funktion sein, den Menschen anhand der 10 Gebote seiner Sündhaftigkeit und seiner Unfähigkeit die Gesetze halten zu können, zu überführen, (wie er es im ersten Hauptteil Von des Menschen Elend anhand des Doppelgebots demonstriert hat), sondern der Mensch soll positiv an die Gebote gebunden werden, mit der Möglichkeit, sie auch zu erfüllen- auch wenn er dabei in den Anfängen stecken bleibt. Der HK teilt die ersten 4 Gebote auf Grund ihres Gottesbezuges einer ersten, die zweiten sechs Gebote wegen ihres mitmenschlichen Bezuges einer zweiten Tafel zu, wobei alle Gebote in einem großen Zusammenhang stehen. Denn es gibt zwar Pflichten gegenüber Gott und Pflichten gegenüber Menschen, doch letztlich gehen Gottes- und Nächstenliebe ineinander über und die Liebe, welche die Menschen üben sollen, ist eingebettet in die Liebe Gottes. Insgesamt wird der Dekalog auffallend positiv ausgelegt und die Verbote des ersten und dritten Gebotes werden durch positive Wendungen in Gebote verwandelt. Auch das achte Gebot wird z.b. nicht als Verbot aller Arten des Stehlens ausgelegt, sondern aus ihm heraus wird auch die Goldene Regel abgeleitet und zur Bedürftigenhilfe aufgerufen. Diese Auslegung verleiht dem Gesetzesverständnis des HK eine starke soziale Komponente und fasst so die sozial-ethischen Anliegen des Alten und Neuen Testamentes treffend zusammen. Das schon im ersten Teil des HK angesprochenen Grundproblem, dass der Mensch nicht in der Lage ist, das Doppelgebot der Liebe zu halten, wird allerdings am Ende der Gebotsauslegung dann doch wieder aufgenommen mit der Feststellung, dass der Mensch auch nicht in der Lage ist, die 10 Gebote 3
4 vollkommen zu halten- um dann weiter zu fragen, welchen Sinn die Gebote dann machen, wenn sie sowieso keiner dauernd und vollständig einhalten kann. Hier gibt der Katechismus zur Antwort, dass sie dennoch wichtig sind, weil sie Maßstäbe und Regeln für unser Zusammenleben setzen. Dass wir trotz ernsthaftem Bemühen immer wieder am Guten scheitern, gibt uns Aufschluss über unsere wahre Natur und lässt uns einsehen, dass wir die Gnade Gottes brauchen, ja bitter nötig haben, um von ihr her zu leben und immer wieder neu beginnen zu können. Durch den Protestantismus zieht sich diese theologische Erkenntnis wie ein roter Faden: Der Mensch ist immer angewiesen auf Gottes Gnade und seine Erlösung hängt nicht von seinem Tun und Lassen ab. Aber diese Angewiesenheit auf Gottes Gnade befreit uns nicht davon, verantwortlich zu handeln und nach der Erfüllung der Gebote Gottes zu streben. Wir können uns mit unserem Handeln nicht aktiv der Gnade Gottes nähern, denn das wäre Werkgerechtigkeit, aber der HK stellt den Menschen in ganz besonders eindringlicher Weise in die Mitverantwortung für ein gelingendes Leben. Als Menschen, die sich zu Christus gehörig fühlen, können wir uns mit dem Wissen um unsere Unvollkommenheit nicht um unsere Verantwortung herumdrücken. Wir sind zur Freiheit berufen. Und das echte Gebot nimmt uns nicht die Freiheit, sondern ordnet das Zusammenleben der Freien. Und deshalb legt der HK wert darauf, dass wir die Gebote kennen und immer wieder hören. Sie sind wie ein Geländer, an dem wir uns entlang bewegen, das uns Halt und Lebensorientierung gibt, denn es kann nicht sein, dass Schuld und Sünde immer wieder alles zerstören. Wer einfach sagt: Ich bin nun einmal so wie ich bin, ich kann nicht anders, der vergisst, was Jesus für ihn getan und aus ihm gemacht hat. Und er denkt zu gering von der erneuernden Kraft des Heiligen Geistes. Im Großen und Ganzen ist der HK durch eine eher nüchterne Tonlage ausgezeichnet. Er neigt nicht zum Enthusiasmus, sondern gestaltet die Fragen und Antworten in einer prägnanten Sachlichkeit. Umso mehr fällt es 4
5 auf, wenn in der 90ten Frage plötzlich das Wort Freude auftaucht, ja, wenn dort sogar von herzlicher Freude die Rede ist. Denn die Auferstehung des neuen Menschen wird dort als herzliche Freude in Gott durch Christus haben und Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben bezeichnet und es soll deutlich werden: Freude und Dankbarkeit gehören zusammen, die neue Existenz des Christenmenschen ist von der Freude geprägt, die ihre endgültige Erfüllung allerdings erst im Jenseits haben wird. Dieser Grundton der Freude und der Dankbarkeit ist für die reformatorische Theologie besonders charakteristisch, denn nirgendwo in der Geschichte der Christenheit ist die Befreiung zum Handeln durch das vorausgegangene Wort der Rechtfertigung so stark empfunden worden wie im Zeitalter der Reformation. Was vorher vielleicht aus Krampf und Zwang geschah, geschieht jetzt auf einmal aus einer großen inneren Freiheit heraus. So äußert sich die Dankbarkeit nicht nur in dem immer wieder neuen Versuch, den Geboten Gottes gerecht zu werden, sondern auch im Gebet, ja es heißt sogar in der 116ten Frage, dass die Dankbarkeit ihre wichtigste Gestalt in der Anrufung Gottes im Gebet hat und im Folgenden wird das Vaterunser ausgelegt. Dabei ist das Beten kein Gegensatz zu ethischem Engagement, kein kontemplativer Quietismus, sondern gerade im Gebet vollzieht sich die Neuausrichtung der Existenz des Glaubenden. Der HK stellt sich die Erneuerung des Menschen als voranschreitenden Prozess vor, der das ganze Leben umspannt. Der Mensch schreitet je länger, je mehr in der Heiligung voran, sodass das Gesetz ihm nach und nach zur Herzensangelegenheit wird. Und so können wir festhalten: Der 3te Teil des HK ist ein zutiefst ethischer Text. Und er denkt von einem ethischen Ansatz her, bei dem die Realisierungsmöglichkeiten des von Gott geforderten Guten ausdrücklich mitbedacht werden. 5
6 Wie aktuell dieser Katechismus bis heute ist, zeigt auch ein Zitat Dietrich Bonhoeffers, der etwa 400 Jahre nach seiner Entstehung sagen wird: Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Liebe Gemeinde, Dankbar sein im alltäglichen Leben ist weder selbstverständlich noch immer einfach. Denn unsere Dankbarkeit im täglichen Leben ist nicht ewig, sondern begrenzt und oft mit sog. Ja-aber Sätzen verbunden. Ja, für dieses oder jenes kann ich danken, aber das andere ist noch offen. Ja, für meine Familie kann ich dankbar sein, aber wird es ihr morgen noch gut gehen? Ja, für diesen Tag kann ich danken, aber was ist mit morgen? Das war damals zur Zeit der Abfassung des HK nicht anders als heute. Gerade die Glaubensflüchtlinge aus Frankreich wussten nicht, was der nächste Tag bringen mag und wann sie wieder in Sicherheit leben werden können. Umso wichtiger und tröstender war und ist es bis heute, dass der Katechismus eine Dankbarkeit zur Sprache bringt, die all diese Fragen und Sorgen in sich aufzunehmen und zu umfassen vermag. Denn das Wissen um meinen Erlöser löst eine Grunddankbarkeit in mir aus, die dem Zweifel, der Not, dem Elend und sogar dem Tod gewachsen ist und standzuhalten vermag. Amen. 6
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