Softtouch zum Preis von 2K-Spritzgussteilen

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1 Mehr Komfort im Fahrerhaus: Blenden und Abdeckungen des neuen Mercedes-Benz Actros werden im Dolphin-Verfahren mit weicher Softtouch-Oberfläche gefertigt (Foto: Daimler) Softtouch zum Preis von 2K-Spritzgussteilen Dolphin-Verfahren. Der Innenraum ist eines der wesentlichen Differenzierungsmerkmale heutiger Automobile. Neben dem Design gilt dabei ein besonderes Augenmerk der Anmutung der Oberflächen. Damit sich genarbte Oberflächen weich anfühlen, haben sich verschiedene Herstellungsverfahren etabliert. Das in puncto Wirtschaftlichkeit unangefochtene Dolphin-Verfahren schickt sich an, diese Reihe zu ergänzen. MICHAEL FISCHER ROGER KAUFMANN ALESSANDRO GIORDANI H ohe Qualitätsanforderungen, technische Machbarkeit und Kosten bilden das Spannungsfeld, in dem sich Verfahren zur Herstellung von Bauteilen mit Softtouch-Oberfläche bewegen. Dies gilt für das Kaschieren kompakter spritzgegossener Thermoplast-Bauteile ebenso wie für das Umschäumen mit Polyurethan oder für Slush-Haut-Prozesse. Eines haben die bislang bekannten Verfahren zum Erzeugen einer angenehmen Haptik gemeinsam: Es handelt sich um mehrstufige Prozesse, die nach der letz- ARTIKEL ALS PDF unter Dokumenten-Nummer KU Fertigungsgesamtkosten 125 % PP, PC, ABS etc., Spritzguss 50 niedrig PVC-Folie TPU-Slush (aliphatisch und aromatisch + IMC) PVC-Slush + IMC TPO-2-Folie PVC-Slush TPO Folie mittel Innenraum-Wertigkeit PUR-RIM (aliphatisch und aromatisch + IMC) Spray-PUR (aliphatisch) Spray-PUR (aromatisch + IMC) Dolphin hoch Bild 1. Kosten versus Qualität: Die Marktpositionierung des Dolphin-Verfahrens im Vergleich zu herkömmlichen Techniken. Die Ergebnisse basieren auf einer Untersuchung, die im Jahr 2008 für Cockpit- und Türverkleidungsteile durchgeführt, bislang aber nicht veröffentlicht wurde (Bild: Engel) 90 Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 3/2012

2 ten Stufe der Formgebung nicht ohne finalen Beschnitt, Umbug oder Verkleben auskommen. Die Verkettung der einzelnen Prozessstufen sowie die Nachbearbeitung beanspruchen Zeit, erhöhen die Investitionskosten für die Anlage, erfordern einen mitunter erheblichen logistischen Aufwand für den Transport der Halbzeuge und sind wie das Herstellen von PVC-Slush-Häuten zum Teil sehr energieintensiv. Ziel der Entwicklung des Dolphin-Prozesses [1] war es deshalb, Softtouch-Oberflächen mit signifikanter Weichheit, akzeptablen Dichten und Schaumhöhen auf thermoplastischer Spritzgießbasis zu verwirklichen, die außer der Angussabtrennung keine Nachbearbeitung mehr erfordern das heißt, die weiche Oberfläche sollte direkt in der Spritzgießmaschine auf den harten Trägerwerkstoff aufgebracht werden. Zudem wurde dem Trend nach einer hohen Flexibilität der Fertigungstechnik Rechnung getragen. Eine Spritzgießmaschine, die diesem komplexen Verfahren gewachsen ist, lässt sich für unterschiedliche Spritzgießwerkzeuge und -verfahren einsetzen und an zukünftige Produktgenerationen anpassen. Spagat zwischen Qualität und Wirtschaftlichkeit Einer Untersuchung zufolge, die die Marktpositionierung verschiedener Techniken zur Oberflächengestaltung beleuchtet (Bild 1), schließt das Dolphin-Verfahren die Lücke zwischen Formhäuten für höchste Qualitätsansprüche im Highend-Automobilbau und klassischen folierten Spritzgussteilen für die kosteneffiziente Fahrzeugfertigung. Inzwischen haben erste Anwendungen die hohe Wirtschaftlichkeit des Verfahrens bestätigt (Bild 2). Das Beispiel einer Pkw-Instrumententafel verdeutlicht das große Einsparpotenzial: Die Materialkosten für das Bauteil werden mit 11,90 EUR berechnet, 4,40 EUR für den Träger und 7,50 EUR für die Schaumschicht. Diesen Werten liegt ein Volumen der Trägerkomponenten von 1300 cm 3 zugrunde. Die Fläche des Trägers beträgt 4500 cm 2. Mit einem Startwert von ca. 2 mm für die Dicke der TPE-Schaumschicht ergibt sich daraus ein TPE-Volumen von 1050 cm 3. Für eine Endwanddicke von 8 mm liegt die Zykluszeit bei rund 150 s. Die Zykluszeit des Gesamtprozesses wird maßgeblich durch die maschinenspezifischen Bewegungszeiten sowie die Kühlzeiten bestimmt. Dabei hängt die Kühlzeit für die Schaumkomponente von der finalen Schichtdicke des Schaums ab. So ist bei einer 3 mm dicken Schaumschicht von einer Zykluszeit von ca. 90 s auszugehen. Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten wirken sich die hohe Flexibilität der Fertigungsanlage und die damit verbundene hohe Anlagennutzung positiv auf den ROI aus. Hinzu kommen die insgesamt geringeren Investitionen in die Infrastruktur und die technologiespezifischen Anlagenkomponenten. Zudem sind Fertigungszellen dieser Größe nicht selten länger als 15 Jahre im Einsatz. Das Dolphin-Verfahren wurde gemeinsam von Engel Austria, Georg Kaufmann Formenbau, BASF und der P-Group (heute SO.F.TER) entwickelt und auf der K2007 damals gemeinsam mit dem Automobilzulie- > Kunststoffe 3/2012

3 i Kontakt Bild 2. Instrumententafeln, Armlehnen und klappbare Innenraumelemente gehören zu den ersten Produkten, die als Prototyp oder in Kleinserie gefertigt wurden (Fotos: Engel, Daimler) Engel Austria GmbH A-4311 Schwertberg, Österreich > Georg Kaufmann Formenbau AG CH-5453 Busslingen, Schweiz > SO.F.TER SPA I Forlì, Italien > ferer Johnson Controls vorgestellt. Im Herbst 2011 startete nun die erste Serienanwendung. Der italienische Daimler- Zulieferer Sole S.p.A. produziert auf diese Weise Cockpitabdeckungen für den neuen Mercedes-Benz Actros (Titelbild). Zum Dolphin-Konsortium gehören heute Engel, Georg Kaufmann Formenbau und SO.F.TER (siehe Kasten). Enge Toleranzen im Werkzeugbau Das Dolphin-Verfahren vereint das Zwei- Komponenten-Spritzgießen ( Engel combimelt ) mit dem physikalischen Schäumen (MuCell) und der Prägetechnik. Auf einer Wendeplatten-Spritzgießmaschine (Bild 3) wird in der ersten Trennebene zunächst ein thermoplastischer Grundträger z.b. aus PC+ABS konventionell mithilfe eines Nadelverschluss-Heißkanalsystems hergestellt und nach dem Abkühlen durch eine Drehung der mittleren Werkzeugplatte in die zweite Trennebenenposition gebracht. Ein thermoplastisches Elastomer (TPE) wird nach dem Plastifizieren im Massezylinder mit einem Inertgas in superkritischem Zustand beladen und die einphasige Kunststoff/Treibgas-Lösung in die Kavität gespritzt verteilt über mehrere Kaltkanäle. Dabei wird die Trägerstruktur vollflächig in einer Dicke von ca. 2 mm überflutet. Die MuCell-Verfahrenseinheit ist für diesen Prozessschritt an der beweglichen Werkzeugaufspannplatte der Spritzgießmaschine angebracht. Während einer kurzen Abkühlphase erstarrt die Schmelze an der Werkzeugwand und bildet eine Hautschicht, die die genarbte Oberfläche der Kavität abformt. Unmittelbar danach wird die Schließeinheit um einen definierten Prägehub geöffnet, sodass sich das Treibgas ausdehnen kann. Da der Druck innerhalb des Formhohlraums mit einem über die Kavität gleichen Gradienten abnimmt, bilden sich besonders feine und gleichmäßige Schaumzellen die Voraussetzung für eine hochwertige Oberfläche. Die Kavität wird in der erweiterten Position gehalten, bis das TPE vollständig abgekühlt und kristallisiert ist. Dabei werden neben der einstellbaren Verzögerungszeit auch die Öffnungsgeschwindigkeit und die Plattenparallelität kontrolliert. Da gleichzeitig zum Schäumprozess auf der anderen Werkzeugseite bereits das nächste Trägerteil gefertigt wird, darf die Schließkraft während des Öffnungshubs nicht abfallen. Dies wird durch ein Verblockungssystem auf der zweiten Matrizenseite gewährleistet. Eine weitere werkzeugtechnische Besonderheit ist eine in den Stempel eingearbeitete umlaufende Federleiste, die die beiden Werkzeughälften während des Öffnungshubs zuverlässig abdichtet, sodass weder Schmelze noch Schaum entweichen können. Der Dolphin-Prozess erfordert somit besonders stabile und hochpräzise Werkzeuge. Die Toleranz in den temperierten und beweglichen Elementen liegt bei 0,03 mm. Ebenso anspruchsvoll ist die Temperierung. Um die Bauteile in der besten Qualität zu erzeugen, müssen die beiden Werkzeughälften unterschiedlich temperiert werden. Die Herstellung des Trägerteils verlangt eine um 35 C höhere Tem- Bild 3. Der Dolphin-Prozess basiert auf dem Mehr-K-Spritzgießen mit zwei horizontal angeordneten Spritzeinheiten und Wendeplatte, das mit dem physikalischen Schäumen kombiniert wird (Bild: Engel) 92 Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 3/2012

4 Teil vor Kompression geschäumte Haut Hinterschnitt Teil nach Kompression Schieber Bild 4. Der Dolphin- Prozess eröffnet ein hohes Maß an Designfreiheit. Hinterschnitte und enge Radien sind möglich (Bild: SO.F.TER) Bild 5. Angepasstes Werkzeugdesign: Für unsichtbare Trennlinien werden dezent Schieberkanten platziert (Fotos: Engel) Bild 6. Die gewünschte Schaumqualität lässt sich über die Prozessparameter einstellen (Fotos: Engel) peratur als das Aufspritzen der weichen Komponente. Die Dolphin-Technik erlaubt ein hohes Maß an Designfreiheit, da auch komplexe Geometrien einfach realisiert werden können. Beispielsweise lassen sich mithilfe von Schiebern Hinterschnitte generieren (Bilder 4 und 5), der Schäumprozess lässt dabei auch sehr enge Radien zu. Für die genarbte Oberflächenstruktur hat Georg Kaufmann Formenbau eine spezielle Methode entwickelt. In seinem Technikum betreibt der Werkzeugbauer ein Versuchswerkzeug mit auswechselbaren Narbeinsätzen, um den Produktentwicklern ein breites Spektrum an Möglichkeiten aufzeigen zu können (Bild 6). Dekompressionshub bestimmt Weichheit Beim Schäumprozess bestimmt die Ausgangswanddicke der Schaumkavität das Schussgewicht des Bauteils und die nach dem Dekompressionshub zu erzielende Wanddicke die Schaumhöhe (Bild 7, Tabelle 1). Somit lässt sich die Dichte des Schaums über den Dekompressionshub einstellen und ist indirekt proportional zum Verhältnis zwischen Ausgangs- und Endwanddicke. Neben weiteren Parametern bestimmt der einstellbare Hub damit auch die Weichheit des Produkts. Für eine Versuchsreihe wurde bei einer Ausgangswanddicke von 2 mm und einer Dichte von 1,12 g/cm 3 der Dekompressionshub mit 2, 3 und 4 mm variiert. Die errechneten mittleren Dichten liegen somit bei 0,56, bei 0,45 und 0,37 g/cm 3,wobei die kompakte Deckschicht bereits einkalkuliert wurde. Diese bildet sich sowohl an der Werkzeugwandung als auch an der Kontaktfläche zum Trägerteil aus. Der hohe Fülldruck unterstützt die Ausformung einer langlebigen adhäsiven Verbindung zwischen Schaumschicht und Trägerstruktur. > Kunststoffe 3/

5 Speziell für den Dolphin-Prozess hat der Rohstoffhersteller SO.F.TER eine TPE-Type auf Basis seiner Produktreihe Pibiflex entwickelt. Pibiflex 3567 S zeichnet sich durch eine hohe UV-Stabilität und Kratzfestigkeit sowie besonders angenehme Haptik aus. Das Material wird aktuell in den Farben Beige, Grau, Anthrazit und Schwarz verarbeitet. Da es das zum Schäumen eingesetzte Gas gut in Lösung hält, erlaubt es eine gleichmäßige, kontrollierte Expansion. Außerdem haftet das TPE-E stabil am thermoplastischen Trägerteil. Aufgrund ihrer günstigen mechanischen Eigenschaften über ein breites Temperaturspektrum von -45 bis 150 C sind die Produkte der Pibiflex- Reihe Blockcopolymere aus kristallinem PBT und amorphem Polyether- Dekompressionsverhältnis glasfaserverstärkter Träger glasfaserverstärktes PBT (Standardspritzgießen) Grenzschicht Schaumkern niedriger Dichte kompakte Außenhaut physikalisch geschäumtes TPE-E (Spritzgießen mit MuCell und Engel-coinmelt-Dekompressionstechnik) Bild 7. Die MuCell-Technik gestattet es, die Schaumstruktur im Endprodukt gezielt zu steuern. Damit werden auch die Dichte und die Weichheit des Materials bestimmt (Bild: Engel) Öffnungshub [mm] Gesamtschaumdicke [mm] Glykol generell für Anwendungen im Automobilbau prädestiniert. Die Weichheit des Materials bleibt auch bei sehr tiefen Temperaturen erhalten. Härte und Haptik lassen sich individuell einstellen. Geschäumte Trägerteile für optimierte Flächengewichte Errechnete mittlere Dichte [g/cm 3 ] 2 1:1 1, :2 0, :2,5 0, :3 0,37 Tabelle 1. Die Dichte des Schaums lässt sich über den Dekompressionshub einstellen und ist indirekt proportional zum Verhältnis zwischen Ausgangs- und Endwanddicke. Dichte von Pibiflex laut Datenblatt: 1,12 g/cm 3 (Quelle: Engel) In der aktuellen Serienanwendung von Sole sowie bei weiteren Anwendungen in der Erprobungsphase wird jeweils die Weichkomponente an der Bauteiloberfläche geschäumt. Für zukünftige Leichtbauanforderungen muss aber sicherlich auch die Trägerstruktur ihren Beitrag leisten. Ziel aktueller F&E-Arbeiten ist es deshalb, bei entsprechender Bauteilkonstruktion und Werkzeuggestaltung auch die Hartkomponente physikalisch zu schäumen. Dies würde die mittlere Dichte des Trägerteils um voraussichtlich 7 bis 10 % reduzieren. Das Schäumen des Trägers in Dekompressionstechnik eröffnet ein noch größeres Sparpotenzial als das klassische Schäumen des Trägermaterials, da Füllvolumen und Masse ebenso wie beim Schäumen des TPEs durch die Initialkavität und die durch den Dekompressionshub definierten finalen Trägerabmessungen bestimmt werden. Beim physikalischen Schäumen von PC+ABS als Trägermaterial scheinen Flächengewichte unter 5,1 kg/m 2 realistisch, vor allem wenn die derzeitigen Trägerwanddicken optimiert werden. Die günstigen Materialeigenschaften des Pibiflex-Materials über ein breites Temperaturspektrum machen weitere Anwendungen denkbar, z.b. bei der Herstellung von Airbag-Abdeckungen. Das Sollbruchverhalten wäre mit diesem Material von der Temperatur unabhängig und das Aufreißen der Abdeckung in kalter und warmer Umgebung reproduzierbar. LITERATUR 1 N.N.: Gehobene Softtouch-Qualität in einem Arbeitsgang. Kunststoffe 96 (2006) 7, S DIE AUTOREN DIPL.-ING. MICHAEL FISCHER, geb. 1968, ist Verkaufsleiter Technologien der Engel Austria GmbH, Schwertberg/Österreich. ROGER KAUFMANN, geb. 1967, obliegt die Vertriebs- und Projektleitung der Georg Kaufmann Unternehmensgruppe, Busslingen/Schweiz. ALESSANDRO GIORDANI, geb. 1970, arbeitet im technischen Service der SO.F.TER SPA, Forlì/Italien. SUMMARY SOFT-TOUCH FOR THE PRICE OF 2-COMPONENT INJECTION MOLDING DOLPHIN PROCESS. The interior is one of the key differentiating features of modern cars. Besides the design, special attention is also paid to the quality of the surfaces. Various manufacturing processes have become established to give grained surfaces a soft feel. The Dolphin process, which is unrivalled in cost effectiveness, is set to join the ranks. Read the complete article in our magazine Kunststoffe international and on 94 Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 3/2012