Die Darstellung im juristischen Gutachten - der Gutachtenstil und seine Grenzen. I) Funktion juristischer Gutachten
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- Oswalda Sauer
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1 Prof. Dr. R. Backhaus Die Darstellung im juristischen Gutachten - der Gutachtenstil und seine Grenzen I) Funktion juristischer Gutachten Gutachten haben in der juristischen Praxis die Aufgabe, Entscheidungsgrundlagen zu schaffen. Das Gutachten des Hochschullehrers auf dem Gebiet des Kartellrechts schafft die Grundlage für die Entscheidung eines Unternehmens, ob eine geplante Fusion den Bestimmungen des GWB oder des EGV voraussichtlich entsprechen wird und daher durchgeführt werden kann, das des Berichterstatters in einem OLG-Senat bereitet das zu treffende Urteil vor und das des jungen Assessors in der Rechtsanwaltskanzlei setzt seinen Chef in den Stand zu entscheiden, ob eine Klage Aussicht auf Erfolg hat und deshalb erhoben werden kann. Aus dieser Funktion der juristischen Gutachten folgt, dass sie breiter angelegt sein müssen als etwa ein Urteil, das den Fall abschließend entscheidet und darum den schnellsten, einfachsten Weg zu dieser Entscheidung suchen kann. Anders das Gutachten: Es soll Entscheidungsalternativen aufzeigen und muss darum auch solche Lösungen darstellen, die nicht den Gutachter, vielleicht aber den Leser des Gutachtens überzeugen. In den Gutachten, die während des juristischen Studiums angefertigt werden, soll diese Technik erlernt und ihre Beherrschung dokumentiert werden. Deshalb folgen auch diese Gutachten denselben Grundsätzen. II) Was gehört ins Gutachten und was nicht? Was ist erlaubt und was nicht? 1) Aus der soeben dargestellten Funktion des Gutachtens ergibt sich, dass der Verfasser sämtliche in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen zu erörtern hat. Es sind also alle möglichen Anspruchsnormen zu untersuchen, ebenso alle einschlägigen Gegennormen (Einwendungsund Einredenormen). Das gilt auch dann, wenn der Verfasser bereits die Voraussetzungen einer von der Rechtsfolge her identischen Anspruchsgrundlage bejaht hat. Denn er kann sich nicht sicher sein, ob auch der Leser des Gutachtens seine Einschätzung hinsichtlich der von ihm als einschlägig erachteten Rechtsgrundlage teilen wird. Allerdings können solche Rechtsgrundlagen, die aus der Sicht des Verfassers zweifelsfrei redundant sind, knapper abgehandelt werden als solche, auf die es für die Entscheidung ankommt. 2) Innerhalb der Prüfung der einschlägigen Anspruchs- und Einwendungsnormen hat sich das Gutachten indes grundsätzlich auf die Erörterung der Fragen zu beschränken, die aus Sicht des Verfassers entscheidungserheblich sind. Werden etwa die Voraussetzungen eines Anspruchs aus 823 I geprüft und wird dabei die Widerrechtlichkeit verneint, so ist für Ausführungen zur Frage des Verschuldens kein Raum mehr. Denn der Leser vermag den Grund für solche Ausführungen, auf die es nach der Auffassung des Verfassers nicht ankommen kann, nicht nachzuvollziehen. 3) Aus diesem Grund ist auch mit Hilfsbegründungen Zurückhaltung angezeigt. Zwar sind diese in Gutachten nicht schlechthin unzulässig, weil sie der Funktion des Gutachtens entsprechen, eine möglichst umfassende Entscheidungsgrundlage zu liefern. Sie lassen sich auch ohne Schwierigkeiten im Gutachtenstil darstellen. G kann gegen S einen Anspruch aus 823 I haben... Das Verhalten des S muss widerrechtlich sein... S hat in Notwehr gehandelt. Sein Verhalten war nicht wi-
2 2 derrechtlich. Im Übrigen kann es aber auch an einem Verschulden des S fehlen. Schuldhaft ist das Verhalten des S nur, wenn... Dennoch sollte mit Hilfserwägungen sparsam umgegangen werden, weil sie die Überzeugungskraft des Hauptarguments beeinträchtigen, indem sie dem Leser nahe legen, der Verfasser sei von der Stringenz der Hauptbegründung selbst nicht recht überzeugt und habe aus diesem Grund die Hilfserwägung für erforderlich gehalten. 4) a) Das Gebot der Beschränkung auf solche Ausführungen, die für die Lösung des Falles maßgeblich sind, rechtfertigt und gebietet es auch, nicht entscheidungserhebliche Streitfragen offen zu lassen. Solche Streitfragen sollten zwar angesprochen werden, indem die unterschiedlichen Auffassungen in knapper Form dargestellt werden. Ebenso sollte aufgezeigt werden, dass und warum sich für die Lösung des Falles keine unterschiedlichen Konsequenzen aus dem Meinungsstreit ergeben. Dagegen sind eine Diskussion der unterschiedlichen Auffassungen und eine Entscheidung der Streitfrage entbehrlich. K hat im Supermarkt des V eine Flasche Wein aus dem Regal gezogen, auf seinen Einkaufswagen gestellt und sich zur Kasse begeben. Nachdem die Kassiererin den Preis eingetippt hat und K bemerkt, dass er kein Geld dabei hat, verweigert er die Kaufpreiszahlung. Anspruch V gegen K? Hier bedarf die Streitfrage, ob ein Kaufvertrag zwischen V und K schon mit dem Herausnehmen der Flasche aus dem Regal (Angebot des V durch Einstellen in das Regal, Annahme durch das Herausnehmen und Abstellen der Flasche im Einkaufswagen) oder erst an der Kasse (Angebot des K durch Vorlage der Flasche auf dem Einkaufsband, Annahme durch V, vertreten durch die Kassiererin beim Eintippen der Ware in die Kasse) zustande gekommen ist, keiner Entscheidung, weil das Zustandekommen des Kaufvertrags nach beiden Ansichten zu bejahen ist. Eine Diskussion oder gar eine Entscheidung der Streitfrage im Gutachten ist darum entbehrlich. Man kann formulieren: V kann gegen K einen Anspruch auf Bezahlung der Weinflasche aus 433 II haben. Voraussetzung dafür ist das Zustandekommen eines wirksamen Kaufvertrags zwischen V und K durch Angebot und Annahme. Man könnte hier annehmen, bereits im Aufstellen der Flasche im Regal sei ein Angebot des V und im Einstellen der Flasche in den Wagen durch K dessen Annahme zu sehen. Nach dieser Auffassung ist der Vertrag bereits mit dem Einstellen der Flasche in den Einkaufswagen zustande gekommen. Man kann jedoch auch der Auffassung sein, ein Angebot sei erst in der Vorlage der Flasche auf dem Einkaufsband durch K zu sehen; dieses Angebot ist dann angenommen worden, indem die Kassiererin in Vertretung des V den Kaufpreis in die Kasse eingetippt hat. Danach ist der Kaufvertrag erst an der Kasse zustande gekommen. Im vorliegenden Fall führen beide Auffassungen zum selben Ergebnis. K ist zur Bezahlung des Kaufpreises gemäß 433 II verpflichtet. b) Offen gelassen werden kann auch das Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen einer Norm, wenn feststeht, dass andere, wenngleich logisch nachrangige Merkmale dieser Norm nicht gegeben sind. Dies ist vor allem dann angezeigt, wenn das Vorliegen des logisch vorrangigen Merkmals sehr fraglich, das Nichtvorliegen des logisch nachrangigen Merkmals dagegen eindeutig ist. In einer solchen Situation ist es eine Zumutung für den Leser, wenn dieser über 20 Seiten hinweg Ausführungen zu dem logisch vorrangigen Merkmal lesen muss, um dann
3 3 schließlich in zwei Sätzen zu erfahren, dass es hierauf gar nicht ankommt, weil die geprüfte Rechtsfolge aus anderem Grund nicht eintreten kann. In einem solchen Fall ist es nicht nur erlaubt, sondern geboten, das Vorliegen des logisch vorrangigen Merkmals offen zu lassen. Es empfiehlt sich in einem solchen Fall allerdings, die Gründe, aus denen das Vorliegen des logisch vorrangigen Merkmals zweifelhaft ist, in knapper Form darzulegen. "G kann gegen S einen Anspruch auf Schadensersatz nach 823 I haben... Ferner muss das Verhalten des S widerrechtlich sein. Hier kann das Verhalten des S durch Notwehr gerechtfertigt sein. Möglicherweise kann er sich in einer Notwehrlage befunden haben. Hierfür spricht... Gegen das Vorliegen einer Notwehrlage lässt sich aber ins Feld führen... Möglicherweise kann die Frage der Widerrechtlichkeit des Verhaltens des S aber offen bleiben. Der Anspruch aus 823 I setzt ferner voraus, dass dem S ein Verschulden zur Last fällt... c) Ob auch die Frage, welches die einschlägige Rechtsgrundlage für die erstrebte Rechtsfolge ist, offen bleiben kann, wenn dies zweifelhaft ist, die gewünschte Rechtsfolge sich aber jedenfalls alternativ aus zwei verschiedenen Rechtsgrundlagen ergibt, ist zweifelhaft. Da diese Frage teilweise verneint wird, ist es sicherer, hier eine Entscheidung zu treffen. G hat dem S mit der Abrede überlassen, dass S ihm das Geld ohne Zinsen in sechs Monaten zurückzahlt. Ist hier zweifelhaft, ob S unbeschränkt geschäftsfähig war, so kann es nahe liegen, diese Frage offen zu lassen, da dem G entweder ein Anspruch aus 488 I 2 (bei bestehender voller Geschäftsfähigkeit des S) oder aus 812 I 1 1.Fall (bei fehlender voller Geschäftsfähigkeit des S und fehlender Zustimmung seiner Eltern) zusteht und da beide Anspruchsnormen das Rückzahlungsbegehren des G gleichermaßen rechtfertigen. Hiervon ist jedoch eher abzuraten. III) Gedankliche Struktur der Prüfung im Gutachtenstil 1) Juristische Gutachten sind im Gutachtenstil abzufassen. Kennzeichen dieses Gutachtenstils ist es, dass durch das Argument die angestrebte Rechtsfolge gefunden wird, dass also die Begründung der Feststellung des Ergebnisses vorangeht. Also: (1) Rechtsfolge X setzt Tatbestand Y voraus. (2) Tatbestand Y liegt vor. (3) Also ist Rechtsfolge X gegeben. Im Urteilsstil wird dagegen umgekehrt zunächst eine Feststellung getroffen und diese dann begründet, die Begründung folgt also der Feststellung des Ergebnisses nach. Also: (1) Rechtsfolge X ist gegeben. (2) Denn Tatbestand Y liegt vor. Danach sieht die Darstellung im Gutachtenstil wie folgt aus: Zunächst wird in einem einleitenden Satz die erstrebte Rechtsfolge in der Möglichkeitsform angesprochen. (etwa: V kann gegen K einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus 433 II haben. ). Die folgende Prüfung erfolgt in drei gedanklichen Schritten: (1) Zunächst sind die Voraussetzungen zu formulieren, von deren Vorliegen der zu prüfende Anspruch abhängt (Obersätze). Dabei kann es sich um die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der zu prüfenden Vorschrift (bei 433 II etwa: Vorliegen eines wirksamen Kaufvertrags) oder
4 4 ergänzender Normen ("Hilfsnormen", etwa: 104 ff, 929 ff), aber auch um Definitionen handeln, die die Tatbestandsmerkmale präzisieren. Voraussetzung für einen Anspruch aus 433 II ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen K und V. Dies erfordert zunächst einen auf Abschluss eines Kaufvertrags gerichteten Antrag. Antrag ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die ein Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass nur von dessen Einverständnis das Zustandekommen des Vertrags abhängt... ). (2) In einem zweiten Schritt ist für jede Anspruchsvoraussetzung zu prüfen, ob sie nach dem Sachverhalt gegeben ist; diesen Prüfungsschritt bezeichnet man als Subsumtion. Im Zusenden der Preisliste durch V ist ein solches Angebot zu sehen. (3) Schließlich werden in einem dritten Schritt aus der Subsumtion die rechtlichen Konsequenzen gezogen (conclusio). "Folglich liegt ein Kaufvertrag vor. Der Anspruch aus 433 II ist begründet." Die Unterschiede zwischen Gutachten- und Urteilsstil lassen sich anhand des folgenden Beispielsfalls verdeutlichen: B befindet sich in finanziellen Schwierigkeiten. Als er seinen Freund A auf der Straße trifft, erzählt er ihm hiervon. Spontan zieht A seine Brieftasche, sagt "Hier hast Du 100!" und übergibt ihm einen entsprechenden Geldschein. B steckt das Geld in der Annahme ein, A wolle ihm ein Darlehen geben. Tatsächlich wollte A jedoch das Geld dem B schenken. Als einige Zeit später das Missverständnis aufgeklärt wird, sagt B zu A sofort hocherfreut: "Ich nehme das Geschenk dankend an." A dagegen, den seine Freigebigkeit längst gereut hatte, verlangt nunmehr Rückzahlung. Zu Recht? Hier geht die Prüfung im Gutachtenstil wie folgt vonstatten: I) A kann gegen B zunächst einen Anspruch aus 488 I 2 haben. Dies setzt voraus, dass zwischen A und B ein Darlehensvertrag zustande gekommen ist. Dazu müssen sich A und B darüber geeinigt haben, dass A dem B das Geld für begrenzte Zeit mit der Maßgabe überlässt, dass B ihm nach Ablauf dieser Zeit eine Geldsumme in gleicher Höhe zurückzahlt. Hierzu muss zunächst ein Antrag des A vorliegen, der von B, als vernünftiger und redlicher Erklärungsempfänger gedacht, eindeutig als Antrag auf Abschluss eines Darlehensvertrags verstanden werden musste. A hat gegenüber B erklärt Hier hast Du 100. Diese Erklärung war nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehrdeutig. Hiermit konnte A sowohl die Absicht ausdrücken, ein Geschenk zu machen, als auch die Absicht, ein Darlehen zu geben. Da A und B befreundet waren, musste sich dem B auch nicht wegen der Höhe der zugewendeten Geldsumme die Einsicht aufdrängen, ein Geschenk komme nicht in Betracht.
5 5 Danach war die Erklärung des A objektiv mehrdeutig. Ein Angebot auf Abschluss eines Darlehensvertrags liegt nicht vor. Ein Darlehensvertrag ist nicht zustande gekommen. Ein Anspruch des A gegen B aus 488 I 2 besteht nicht. II) Dem A kann ferner gegen B ein Anspruch aus 812 I 1 1. Fall zustehen... Im Urteilsstil wäre dagegen wie folgt zu formulieren: A hat keinen Anspruch gegen B auf Zahlung von 100 aus 488 I 2. Denn ein wirksamer Darlehensvertrag ist zwischen A und B ist nicht zustande gekommen. Hierfür fehlt es schon an einem auf den Abschluss eines Darlehensvertrags gerichteten Angebot des A. Die Erklärung des A Hier hast Du 100 konnte von B nicht als Antrag auf Abschluss eines Darlehensvertrags verstanden werden. Sie war objektiv mehrdeutig. B als redlicher Erklärungsempfänger konnte ihr nicht entnehmen, dass A ihm das Geld nur beschränkt für eine bestimmte Zeit überlassen wollte. Vielmehr konnte er sie ebenso gut dahin verstanden werden, dass ihm das Geld schenkweise überlassen wollte. A hat gegen B auch keinen Anspruch aus 812 I 1 1.Fall... 2) Wichtig ist dabei, dass sich im Gutachtenstil die Darstellung der einzelnen gedanklichen Schritte in den Obersätzen und der conclusio entsprechen. Dieser Vorgang lässt sich mit dem Öffnen und Schließen einzelner Fenster im PC-System Windows vergleichen. Jedes gedankliche Fenster, das bei der Formulierung der Obersätze geöffnet wird, muss in der conclusio wieder geschlossen werden. Bezogen auf das vorliegende Fallbeispiel sieht die gedankliche Struktur hier wie folgt aus: Anspruch aus 488 I 2 nur, wenn wirksamer Darlehensvertrag gegeben Darlehensvertrag nur, wenn Einigung gegeben Einigung nur, wenn entsprechender Antrag des A gegeben Antrag nur, wenn Erklärung des A für B dahin zu verstehen war, wenn sie also für B nicht etwa objektiv mehrdeutig war Dem entspricht dann die conclusio: Erklärung war objektiv mehrdeutig also kein Antrag auf Abschluss eines Darlehensvertrags also keine Einigung von A und B über Darlehen also kein wirksamer Darlehensvertrag also kein Anspruch aus 488 I 2 IV) Modifikationen des Gutachtenstils 1) Der Grundsatz, dass sich die Prüfung im Gutachtenstil im soeben dargestellten Sinn vollzieht, gilt freilich nicht uneingeschränkt. Die obige Darstellung hat erkennen lassen, dass der Gutachtenstil eine gewisse Schwerfälligkeit aufweist. Von ihm darf richtigerweise dort abgewichen werden, wo das Vorliegen oder Nichtvorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale einer Norm unproblematisch ist.
6 6 Bsp.: In dem obigen Fall hat A gegenüber B erklärt: Hier hast Du 100, gib sie mir in einem Monat wieder zurück. Hier wäre es verfehlt, wie folgt zu prüfen: A kann gegen B einen Anspruch aus 488 I 2 haben. Dies setzt voraus, dass zwischen A und B ein wirksamer Darlehensvertrag zustande gekommen ist. Dazu müssen sich A und B darüber geeinigt haben, dass A dem B das Geld für begrenzte Zeit mit der Maßgabe überlässt, dass B ihm nach Ablauf dieser Zeit eine Geldsumme in gleicher Höhe zurückzahlt. Hierzu muss ein Antrag des A vorliegen, den B, als redlicher Erklärungsempfänger gedacht, als Antrag auf Abschluss eines Darlehensvertrags verstehen musste... A hat gegenüber B erklärt: Hier hast Du 100, gib sie mir in einem Monat wieder zurück. Aus dem Umstand, dass A gegenüber B ausdrücklich darauf hingewiesen hat, B soll ihm die 100 nach einem Monat zurückgeben, musste B entnehmen, dass er das Geld als Darlehen erhalten soll. Damit liegt ein für B eindeutig auf Abschluss eines Darlehensvertrag gerichteter Antrag des A vor... 2) Ob man bei solchen unproblematischen Fragen auch im Gutachten offen zum Urteilsstil übergehen darf, wird unterschiedlich beurteilt. Aus diesem Grund erscheint eine gewisse Vorsicht angezeigt. Sicherer als die Darstellung im Urteilsstil ist es daher, die erwünschte Kürze durch Weglassen der Obersätze oder - in ganz eindeutigen Fällen - durch Beschränkung der Darstellung auf eine schlichte Feststellung zu erreichen. Ist etwa zu prüfen, ob sich ein bestimmter Ring im Besitz des X befindet und verwahrt X diesen Ring in seinem Safe, so kann formuliert werden: "X verwahrt den Ring in seinem Safe; folglich ist er Besitzer." Diese Formulierung wird ungeachtet des Weglassens des Obersatzes dem Grundanliegen des Gutachtenstils gerecht, wonach die Begründung der Feststellung des Ergebnisses vorangeht. Sie ist darum dem offenen Wechsel zum Urteilsstil vorzuziehen: "X ist Besitzer des Rings, weil er diesen in seinem Safe verwahrt." Besteht keinerlei Begründungsbedarf, kann man sich auch mit einer schlichten Feststellung begnügen: "X ist Besitzer des Rings." In dem obigen Beispielsfall könnte man etwa formulieren: A kann gegen B einen Anspruch aus 488 I 2 haben. Durch seine Erklärung: Hier hast Du 100, gib sie mir in einem Monat wieder zurück! hat A dem B ein Angebot auf Abschluss eines Darlehensvertrags gemacht. Durch das Einstecken des Geldscheins hat B dieses Angebot angenommen. Damit ist ein Darlehensvertrag zustande gekommen. Der Anspruch ist gegeben. V) Hinweise zur Darstellung im Gutachten
7 7 1) Nichts Selbstverständliches problematisieren. Umständliche Ausführungen im Gutachtenstil zu Tatbestandsmerkmalen, die ersichtlich gegeben sind (oder ersichtlich nicht gegeben sind), wirken anfängerhaft. In solchen eindeutigen Fällen darf die Prüfung auch nicht mit der Wendung beginnen: Fraglich ist... ; hier ist nichts fraglich. 2) Keine erlernten Schemata unreflektiert abspulen. 3) Stets am Fall bleiben. Keine lehrbuchartigen Ausführungen machen, auf die es für die Lösung des Falles nicht ankommt. Dafür gibt es nicht nur keine Pluspunkte, sondern Punktabzüge. 4) Unzulässig sind auch methodische Vorbemerkungen ( Vorab ist zu fragen, ob zunächst die vertraglichen oder die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen zu prüfen sind. ). Ob die richtige Methodik praktiziert worden ist, muss sich aus den Ausführungen selbst ergeben. 5) Dasselbe gilt auch für Vorab-Prüfungen in der Sache ("Zunächst ist festzustellen, ob X ein wirksames Testament errichtet hat"). Die Frage nach dem Vorliegen eines wirksamen Testaments ist im Gutachten an der Stelle anzusprechen, an der es für den zu prüfenden Anspruch darauf ankommt. 6) Besonders wichtig: Einmal gefundene Ergebnisse dürfen später nicht in Frage gestellt werden. Um das zu vermeiden, müssen Zwischenergebnisse vorsichtig formuliert werden. Alle Bedenken gegen eine bestimmte Lösung sind an der Stelle zu erörtern, an der das Problem zum ersten Mal diskutiert wird (Gebot der Widerspruchsfreiheit). 7) Eine methodische Todsünde ist die häufig anzutreffende einleitende Floskel "Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass... Ein tragfähiger Obersatz muss die Auswirkungen benennen, die eintreten, wenn bestimmte, in der Folge zu prüfende Voraussetzungen vorliegen. VI) Insbesondere: Die Diskussion von Streitfragen im Gutachten Hier gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten, eine konventionelle und eine argumentative Methode (Bezeichnungen stammen von mir und sind nicht technisch). 1) Konventionelle Methode a) Hier erfolgt zu Beginn eine Darstellung des Meinungsstreits. In diesem Teil enthält sich der Bearbeiter jeder Bewertung. Es werden lediglich die zu der einschlägigen Rechtsfrage vertretenen Auffassungen referiert. Dabei ist zu beachten, dass im Interesse der gebotenen Knappheit und Klarheit nicht jede Stellungnahme zu einer Rechtsfrage in Schrifttum und Rechtsprechung einfach wiedergegeben wird. Es dürfen nicht Statements referiert werden ( Larenz sagt..., Medicus meint..., der BGH ist der Auffassung... ), sondern Thesen formuliert ( Zu dieser Frage lassen sich folgende Auffassungen vertreten... Zum einen kann man annehmen...doch kann man auch wie folgt argumentieren... ). Das setzt voraus, dass die Stellungnahmen in Rechtsprechung und Schrifttum vom Bearbeiter strukturiert werden. b) Dieses Referat sollte knapp gehalten werden. Soweit die Argumente, die für oder gegen eine bestimmte These ins Feld geführt werden können, im Rahmen der Würdigung (unten d) ohnehin angesprochen werden müssen, ist es eleganter, dies nur dort zu tun und sich auf ein Referat der Ergebnisse zu beschränken, zu denen die einzelnen Auffassungen gelangen. Andernfalls kommt es zu einer überflüssigen doppelten Erörterung.
8 8 c) Erforderlich ist es allerdings, die Folgen aufzuzeigen, die sich aus den einzelnen Thesen für die Lösung des Falles ergeben. Denn nur so kann der Leser erkennen, warum nach Auffassung des Bearbeiters der Meinungsstreit für die Lösung des Falles erheblich ist oder nicht. d) Gelangt der Bearbeiter zu der Auffassung, dass alle zu einer Frage vertretenen Auffassungen im vorliegenden Fall zum selben Ergebnis führen, ist der Meinungsstreit nicht zu diskutieren und zu entscheiden. Dies hat Konsequenzen für den Umfang des Referats. Seitenlange Ausführungen zu nicht entscheidungserheblichen Fragen sind nicht angezeigt. Nicht erhebliche Streitfragen dürfen allenfalls kurz referiert werden, nämlich in dem Umfang, in dem dies erforderlich ist, um dem Leser vor Augen zu führen, warum der Meinungsstreit im gegebenen Fall nicht relevant ist. e) Gelangt der Bearbeiter zu der Auffassung, dass die einzelnen Thesen im vorliegenden Fall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, so sind diese Thesen zu diskutieren, d.h. die Argumente für und gegen die einzelnen Thesen zu erörtern und gegeneinander abzuwägen. Am Ende der Diskussion steht die eigene Entscheidung des Bearbeiters. f) Die gedankliche Struktur der Problembearbeitung verläuft also, wenn zu dem einschlägigen Problem zwei unterschiedliche Auffassungen vertreten werden können, bei dieser Methode wie folgt: (1) Darstellung These 1 (möglichst knapp und, soweit verständlich, ohne Begründung) (2) Darstellung der Konsequenzen aus These 1 für den Fall (Subsumtion unter These 1) (3) Darstellung These 2 (möglichst knapp und, soweit verständlich, ohne Begründung) (4) Darstellung der Konsequenzen aus These 2 für den Fall (Subsumtion unter These 2) (5) Diskussion der Thesen 1 und 2 sowie Entscheidung für eine der Thesen (nur erforderlich, wenn die Thesen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen). 2) Argumentative Methode: a) Bei dieser Methode wird zunächst nur eine These mit ihren Konsequenzen für die Lösung des zu bearbeitenden Falles dargestellt. Sodann werden die Gründe diskutiert, die für und die gegen diese These sprechen. Die Argumente, die gegen die diskutierte These sprechen, führen dann - gegebenenfalls im Zusammenwirken mit weiteren Argumenten dazu, dass die vorzugswürdige These 2 formuliert werden kann. Die Streitführung verläuft also wie folgt: (1) Darstellung von These 1 (2) Darstellung der Konsequenzen, die sich aus These 1 für den Fall ergeben (3) Diskussion der These 1 (a) Argumente für These 1 (b) Argumente gegen These 1, gegebenenfalls weitere Argumente für These 2 (4) Überleitung zu These 2 und deren Darstellung ( Wegen der soeben dargestellten Bedenken liegt es nahe anzunehmen, dass... ) (5) Darstellung der Konsequenzen, die sich aus These 2 für den Fall ergeben b) Diese Methode ist eleganter als die oben 1) beschriebene Methode, aber auch schwieriger in der Anwendung. Für Anfänger dürfte sich daher die Methode 1) besser eignen.
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