Fallrepetitorium an der Universität Tübingen
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- Ralph Günther
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1 Fallrepetitorium an der Universität Tübingen Aktuelle Fälle des Verwaltungsgerichts Sigmaringen Sommersemester 2006 Lösungsskizze zu Fall 7: Altlasten unter der Alten Galvanik - geänderte Fassung Richter Michael Hauser Maßgebliche Rechtsgrundlagen: 31, 25, 20, 2 LVwVG (Dürig Nr. 43) 9, 4 BBodSchG (Sartorius Nr. 299) 55, 80, 87, 208, 209 InsO (Schönfelder Nr. 110) Vorüberlegungen: V ist als Insolvenzverwalter über das Vermögen von zwei getrennten Firmen bestellt, der Besitzgesellschaft und der Betriebsgesellschaft. Die Klagen des V als Insolvenzverwalter dieser beiden Firmen gilt es zu unterscheiden, auch wenn dieselbe Person klagt. Ebenso muss unterscheiden werden zwischen Insolvenzforderungen, die bei Eröffnung des Verfahrens schon begründet waren (vgl. 38 InsO) und Masseverbindlichkeiten, die aus der vorhandenen Insolvenzmasse vorweg zu bedienen sind (vgl. 53, 55 InsO). Das Verwaltungsgericht wird den Klagen stattgeben, wenn sie zulässig und begründet sind. I. Zulässigkeit der Klagen 1. Verwaltungsrechtsweg, 40 VwGO 2. Statthafte Klageart - Anfechtungsklage gegen Kostenerstattungsbescheid, 42 Abs. 1 VwGO - Feststellungsklage gem. 43 VwGO, dass Insolvenzmasse nicht verpflichtet? Für Insolvenzgläubiger ist das Insolvenzverfahren zwingend, 87 InsO. 3. Klagebefugnis, 42 Abs. 2 VwGO ist gegeben, weil V sich gegen belastende Verwaltungsakte wendet, die ihn zu einer Geldleistung verpflichten.
2 4. Vorverfahren, 68 VwGO 5. Beteiligten- und Prozessfähigkeit V klagt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Besitzgesellschaft und der Betriebsgesellschaft. Das ist ein Fall der gesetzlichen Prozesstandschaft, die sich aus 80 InsO ergibt. 240 ZPO und 85, 86 InsO betreffen nur bereits anhängige Prozesse. 6. Sonstige Voraussetzungen: Zuständigkeit des Gerichts, 52 VwGO; ordnungsgemäße Klageerhebung, Klagefrist, Rechtsschutzbedürfnis. II. Begründetheit der Klage des V als Insolvenzverwalter der Betriebsgesellschaft Die Klage ist begründet, wenn der Kostenerstattungsbescheid rechtswidrig und V dadurch in seinen Rechten verletzt ist, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO: 1. Ermächtigungsgrundlage für den Kostenbescheid: 24 BBodSchG regelt eine Reihe von Kostenerstattungsansprüchen. Er greift aber nur, wenn der Anspruchsteller die Verpflichtung nach dem BBodSchG freiwillig erfüllt. Für Kostentragung für Vollstreckungsmaßnahmen ist das Vollstreckungsrecht des Landes vorrangig, hier 31 LVwVG. 2. Passivlegitimation, 78 VwGO Die Klage ist gegen das Land Baden-Württemberg zu richten; das Landratsamt wird bei der Erhebung von Vollstreckungskosten als Vollstreckungsbehörde tätig, Vollstreckungsbehörde ist die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, 4 LVwVG. Das ist beim Vollzug des Bundes-Bodenschutzgesetzes gemäß 16 Abs. 2 und 3 LBodSchAG (Dürig Nr. 124) die untere Verwaltungsbehörde. Untere Verwaltungsbehörde ist das Landratsamt als Staatsbehörde ( 13 Abs. 1 Nr. 1 LVG, 1 Abs. 3 Satz 2 LKrO). 3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage Der maßgebliche Zeitpunkt ergibt sich jeweils aus dem einschlägigen materiellen Recht. Im Zweifel gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Regel, dass es bei der Anfechtung eines Verwaltungsakts auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt, bei einem Leistungsanspruch, der mit der Verpflichtungsklage geltend gemacht wird, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwGE 78, 243ff; 92, 32ff; sehr ausführlich dazu Kopp/Schenke
3 Kommentar VwGO 113 Rn. 29ff für Anfechtungsklage, Rn. 217ff für Verpflichtungsklage). Nach dem materiellen Recht gilt hier folgendes: Kostenschuldner ist der Pflichtige, 31 Abs. 2 LVwVG. Die Vollstreckung durch Ersatzvornahme führt dazu, dass die Ordnungspflicht nach 9 Abs. 2 und 4 BBodSchG erfüllt wird. Es kommt deshalb maßgeblich darauf an, wer zum Zeitpunkt der Ersatzvornahme im August 2005 nach 9 Abs. 2 und 4 BBodSchG ordnungspflichtig war. 4.Formelle Rechtmäßigkeit - Zuständigkeit - zuständig ist das Landratsamt als untere Bodenschutzbehörde, vgl. oben 2. - Verfahrens- und - Formfehler sind hier nicht ersichtlich. 5. Wirksame Vollstreckung - Vollstreckungstitel nach 2 LVwVG: Untersuchungsanordnung vom , bestandskräftig. - Androhung, 20 LVwVG, mit Fristbestimmung ist mit der Untersuchungsanordnung erfolgt. - Wenn Ersatzvornahme angedroht wird, sind die voraussichtlichen Kosten anzugeben, 20 Abs. 5 LVwVG. Das ist hier unterblieben. Das macht den Verwaltungsakt zwar rechtswidrig, er ist aber bestandskräftig. Im Vollstreckungsrecht kommt es grundsätzlich nur auf die Wirksamkeit, nicht auf die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung an (vgl. Würtenberger/Heckmann, PolizeiR in BaWü, Rn. 755). Die fehlende Angabe der voraussichtlichen Kosten führt nicht zur Nichtigkeit nach 44 Abs. 1 LVwVfG und ist deshalb hier unschädlich (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v , NJW 1997, 3259f m.w.n.). 6. Kostenschuldner ist der Pflichtige, 31 Abs. 2 LVwVG. Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens war die Betriebsgesellschaft Verursacherin im Sinne des 4 Abs. 3 BBodSchG und ordnungspflichtig für eine Untersuchung zur Gefahrabschätzung nach 9 Abs. 2 BBodSchG. V als Insolvenzverwalter der Besitzgesellschaft ließ die Galvanisierung mit Insolvenzeröffnung sofort stilllegen, kommt also nicht als Verursacher in Betracht. Da der Mietvertrag gekündigt und die Halle zurückgegeben wurde, ist er auch nicht mehr Inhaber der tatsächlichen Gewalt im Sinne des 4 Abs. 2 BBodSchG. Er wurde aber
4 bestandskräftig als Pflichtiger in Anspruch genommen und ist deshalb auch bei der Heranziehung zu den Kosten als Pflichtiger anzusehen. Der Einwand wäre deshalb im Stadium der Vollstreckung auch präkludiert ( 767 Abs. 2 ZPO analog). 7. Auswahlermessen bei der Heranziehung mehrerer Kostenpflichtiger Bei der Heranziehung mehrerer Handlungspflichtiger zu den Kosten ist eine Ermessensentscheidung nach anderen Kriterien zu treffen als bei der Anordnung der Maßnahme. Nach Ausführung der Maßnahme spielt die Effektivität der Gefahrenabwehr keine Rolle mehr (vgl. Würtenberger/Heckmann, PolizeiR in BaWü, Rn. 508 m.w.n.). Diese Auswahlentscheidung ist nur eingeschränkt überprüfbar nach 114 S. 1 VwGO. Hier evtl. Ermessensausfall, weil die Behörde zwar zwischen Betriebsgesellschaft und Besitzgesellschaft unterscheiden hat, aber nicht mehr zwischen V als Insolvenzverwalter der Betriebsgesellschaft und der Besitzgesellschaft und den beiden getrennten Insolvenzmassen. Eine Auswahl konnte so gar nicht stattfinden. Ergebnis: Die Klage des V als Insolvenzverwalter der Betriebsgesellschaft hat Erfolg. III. Begründetheit der Klage des V als Insolvenzverwalter der Besitzgesellschaft wie oben unter II. 6. Kostenschuldner ist der Pflichtige, 31 Abs. 2 LVwVG. a) Bis zur Insolvenzeröffnung war die Besitzgesellschaft Eigentümerin des Grundstücks und als Zustandsstörerin ordnungspflichtig nach 4 Abs. 3 BBodSchG. b) Ob der Insolvenzverwalter mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls als Zustandsstörer herangezogen werden kann und dies eine Masseverbindlichkeit nach 55 InsO darstellt, ist streitig: - Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Heranziehung des Insolvenzverwalters und der Insolvenzmasse als Zustandsstörer nicht ohne weiteres möglich, wenn die Altlast oder der entsprechende Verdacht schon vor Insolvenzeröffnung vorhanden war. Ein normaler Gläubiger einer zivilrechtlichen Forderung hätte dann auch nur eine Insolvenzforderung, die er zur Tabelle anmelden müsste und die mit einer Quote befriedigt würde (vgl.
5 38, 87 InsO). Eine Heranziehung soll erst dann möglich sein, wenn er die Sache für die Masse nutzt oder verwertet, also als Verursacher (vgl. BGH, Urt. v , IX ZR 327/99, BGHZ 148, 252ff und Urt. v , IX ZR 161/01, BGHZ 150, 305ff). - Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann der Insolvenzverwalter grundsätzlich auch als Zustandsstörer herangezogen werden, wenn von der Insolvenzmasse Gefahren ausgehen; das Insolvenzrecht stelle ihn nicht von den Ordnungspflichten frei, die das Polizeiund Ordnungsrecht, hier 9 Abs. 2 und 4 Abs. 3 BBodSchG für den Eigentümer und den Inhaber der tatsächlichen Gewalt aufstellen (vgl. BVerwG, Urteil v , BVerwGE 122, und Urteil v , BVerwGE 108, 269, 272). Eine Entscheidung dieser Streitfrage kann für den vorliegenden Fall aber dahinstehen, weil V auch als Insolvenzverwalter der Besitzgesellschaft mit Verfügung vom als Störer zur Ausführung von Bodenuntersuchungen herangezogen wurde und dieser Bescheid bestandskräftig ist. c) Der Insolvenzverwalter hat das Grundstück nach Bestandskraft des Bescheides aus der Masse freigegeben, es ist ab diesem Zeitpunkt wieder insolvenzfreies Vermögen der Besitzgesellschaft. Nach der Rechtsprechung des BVerwG kann der Insolvenzverwalter nach Freigabe des Grundstücks nicht mehr nach 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG in Anspruch genommen werden; eine analoge Anwendung von 4 Abs. 3 Satz 4 BBodSchG kommt auch nicht in Betracht, weil das Eigentum nicht aufgegeben, sondern lediglich aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben wird und dem Eigentümer wieder ohne Beschränkung zur Verfügung steht (vgl. BVerwG, Urt. v , BayVBl. 1984, 759; Urt. v , a.a.o.; ebenso Bayerischer VGH, Urteil v , Az. 22 B ; UPR 2005, ; kritisch zur Freigabe Eickmann, in Heidelberger Kommentar InsO 36 Rn. 28 und 80 Rn. 11 m.w.n.). Die Freigabe ist auch nicht nach 767 Abs. 2 ZPO analog präkludiert, weil sie nach Eintritt der Bestandskraft erfolgt ist und nicht mehr mit Widerspruch und Klage geltend gemacht werden kann. Allerdings können die Streitfragen hier dahingestell bleiben. Die Freigabe wirkt nämlich nicht zurück und beseitigt nicht die Zustandsstörereigenschaft des Insolvenzverwalters zum maßgeblichen Zeitpunkt im August 2005, als die Ersatzvornahme ausgeführt wurde und die streitgegenständlichen Kosten entstanden sind.
6 7. Zum Auswahlermessen unter mehreren Ordnungspflichtigen vgl. oben II.7 8. Masseunzulänglichkeit macht die Heranziehung des Insolvenzverwalters und der Insolvenzmasse zu den Kosten nicht rechtswidrig. Das beklagte Land würde allerdings nicht den vollen Betrag erhalten, sondern auch hier nur quotenmäßig bedient werden (vgl. 209 InsO). Ergebnis: Die Klage des V als Insolvenzverwalter der Betriebsgesellschaft hat Erfolg.
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