Migrantinnen im Frauenhaus: Spezialisierung oder interkulturelle Öffnung?
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- Frauke Kaufer
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1 1 Migrantinnen im Frauenhaus: Spezialisierung oder interkulturelle Öffnung? Ich wurde angefragt, Ihnen in diesem Forum über unser Frauenhaus und meine Erfahrungen in der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Migrantinnen zu berichten. Vieles von dem, was ich Ihnen berichten werde, kennen Sie in der einen oder anderen Weise aus ihrem eigenen Arbeitsfeld, denn es ist der Alltag aller Frauenhäuser, von Gewalt betroffene Frauen JEDER Nationalität aufzunehmen. Die Besonderheit unseres Hauses ist, dass seit vielen Jahren fast ausschließlich Migrantinnen Zuflucht bei uns suchen - dies prägt den Lebensalltag der Bewohnerinnen und die Arbeitsweise des Teams. Aufgrund unserer Geschichte, von der ich Ihnen gleich berichten werde, haben wir zunächst eher zufällig, dann bewusst den Weg der Spezialisierung im Hinblick auf Migrantinnen gewählt. Wenn ich heute ein Stichwort, ein Motto finden sollte, um die Veränderungen in unserem Frauenhauses markanter zu beschreiben, so könnte ich dies mit vom Allgemeinen zum Speziellen benennen. Wir wollen uns heute bewusst der praktischen Arbeit im Frauenhaus mit von häuslicher Gewalt betroffenen Migrantinnen widmen. - Was bedeutet Spezialisierung bzw. interkulturelle Öffnung für die Frauenhausbewohnerinnen bzw. die Mitarbeiterinnen? - Welche Anforderungen sind an uns Mitarbeiterinnen gestellt? - Wie beeinflusst die interkulturelle Öffnung das Zusammenleben der Frauen und Kinder? - Was benötigen wir, um notwendige Veränderungen umzusetzen? Unter anderem mit diesen Fragen wollen wir uns heute Nachmittag beschäftigen. Ich freue mich auf einen regen Austausch mit Ihnen und wünsche uns ein anregendes Forum.
2 2 Das Internationale Frauenhaus der AWO Düsseldorf besteht als Frauenhaus seit 19 Jahren (1989) und verfügt über 12 Plätze (8 Frauen und 4 Kinder). Bereits seit 1984 wurden misshandelte deutsche und ausländische Frauen mit ihren Kindern von der AWO Düsseldorf ambulant beraten. Seit 1987 gab es im Rahmen des Hilfsangebotes Internationale Frauenwohngemeinschaft zusätzlich zur ambulanten Beratung eine anonyme Unterbringungsmöglichkeit. Als 1989 die Internationale Frauenwohngemeinschaft in die Förderung des Landes NRW aufgenommen wurde, wurde der Name in Internationales Frauenhaus geändert und die personelle Situation entsprechend der Förderrichtlinien NRW erweitert. Es arbeiten jetzt eine Sozialpädagogin, eine Erzieherin und eine Hauswirtschafterin im Internationalen Frauenhaus. Die Stellen sind nach dem konservativen Modell des Landschaftsverbandes Rheinland aufgeteilt. Das heißt: 1 Sozialpädagogin/Sozialtherapeutin für die Arbeit mit Frauen 1 Erzieherin /Motopädin für die Arbeit mit Kindern (und deren Müttern) 1 Hauswirtschafterin Traditionell beriet die AWO in Düsseldorf sog. Gastarbeiter aus den Ländern Türkei, Marokko und dem damaligen Jugoslawien. Auch wenn zu Beginn des Beratungsangebotes 1984 die Zielgruppe sehr allgemein gehalten wurde nämlich Frauen in Krisensituationen -, so kristallisierte sich bald heraus, dass die Klientel aus mißhandelten und/ oder bedrohten Frauen mit und ohne Kinder bestand. Auch junge Migrantinnen, die zwangsverheiratet werden sollten, wandten sich an die Beraterinnen und konnten Zuflucht in der Internationalen Frauenwohngemeinschaft und später im Internationalen Frauenhaus finden. So dokumentieren wir z. B. bereits seit 19 Jahren die Zahl der von Zwangsverheiratung bedrohten Frauen bzw. der Frauen, die zwangsverheiratet wurden. Der Prozentsatz der Migrantinnen schwankt zwischen 100 % (z. B. in 2006) und 86 % (z. B. in 2007). Im Jahr 2008 ist der Migrantinnenanteil bisher 83 %. Aufgrund der hohen Zahl von Migrantinnen hat sich über die Jahre die Zahl der Frauen, die jährlich Zuflucht bei uns suchen, reduziert, jedoch nicht die prozentuale Belegung.
3 3 Folgende Merkmale bzw. Ausgangspunkte beschreiben unsere Arbeitsgrundlage: Mehr als 50 % der Migrantinnen, die in den letzten Jahren im Internationalen Frauenhaus lebten, konnten sich nicht in deutsch verständigen Eine Vielzahl der Migrantinnen kam im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland, sie waren weniger als 2 Jahre hier, der aufenthaltsrechtliche Status spielte eine entscheidende Rolle Die Migrantinnen hatten keinerlei Informationen über frauenspezifische Angebote, die wenigsten verbanden mit dem Hilfsangebot Frauenhaus eine Unterstützung nach Gewalterfahrung Durch eine Trennung vom Ehemann werden Migrantinnen mit den damit einher gehenden gesellschaftlichen Folgen ihrer Herkunftsgesellschaft konfrontiert Viele Migrantinnen besaßen keine Kenntnisse über deutsche Strukturen (z.b. Ämter, notwendige Anträge etc.) Der Erstkontakt wird oftmals über eine Beratungsstelle, Krankenhaus, FreundInnen hergestellt Das Aufnahmegespräch findet meist unter erschwerten sprachlichen Bedingungen statt. Es kann in der Regel keine Spontanberatung stattfinden, da immer zuerst eine Dolmetscherin organisiert werden muß Meist hat die Frau eine übermächtige Angst vor dem Ausländeramt und/oder dem Jugendamt, da der Ehemann oftmals im Falle einer Trennung mit Abschiebung durch das Ausländeramt oder Wegnahme der Kinder durch das Jugendamt gedroht hat. Es besteht eine große Angst vor Besuchskontakten zwischen Kinder und Kindesvater: es werden Übergriffe durch Mißhandler befürchtet; das Kind wird als Mittel zum Zweck eingesetzt; es besteht die Gefahr der Verfolgung nach Besuchskontakten
4 4 Einige unserer Angebote im Alltag: Ressourcen vorhalten (beginnt schon bei Geschirr für moslemische Frauen) Moslemische Feste ebenso wie christliche feiern Gruppenangebote zur Annäherung der Kulturen (z. B. Besuch verschiedener Glaubenshäuser) Wie finden wir Zugang zu Migrantinnen? Respekt der Rolle der Frau in jeder Gesellschaft Alltag kulturübergreifend gestalten Position beziehen: Gewalt ist immer Unrecht Der Beratungsansatz bei Migrantinnen ist erheblich anders als bei deutschen Frauen: oftmals geht es um eine Minimalversorgung, wenn sprachliche Hürden kaum zu überwinden sind. Es gilt wie immer: Vorrangig ist der Schutz der Frau (Unterbringung im Frauenhaus); fehlende Sprache kann durch Mimik, Gestik und Empathie ausgeglichen werden. Kenntnisse über kulturelle Hintergründe sind selbstverständlich, vor allem in Verbindung mit der Rolle der Frau bzw. den Familienstrukturen. Dies stellt eine große Herausforderung auch für uns Mitarbeiterinnen dar. Kenntnisse über das Aufenthaltsgesetz sind unverzichtbar. Die größten Nationalitätengruppen sind seit vielen Jahren türkische und marokkanische Frauen, gefolgt von Migrantinnen aus osteuropäischen Ländern und deutschen Frauen. Auch wenn inzwischen relativ viele vor allem junge - Migrantinnen im Besitz eines deutschen Passes sind, beeinflußt, bzw. verändert dies in keiner Weise den kulturellen Hintergrund, der gerade bei moslemischen Frauen, die Hilfe in unserem Frauenhaus suchten, meist Initiator für die Notwendigkeit eines Frauenhaus- Aufenthaltes war.
5 5 Migrantinnen, die in unserem Frauenhaus lebten, berichteten, dass ihre Ehemänner / Väter traditionelle männliche Verhaltensweisen zeigten und eine erhöhte Gewaltbereitschaft hatten. Dazu gehörte, dass sie stark kontrolliert wurden und in sozialer Isolation leben mussten. Der Ehe als Institution kommt in diesen konservativ gelebten Familienstrukturen eine große Bedeutung zu. Nicht die Mißhandlung durch den Ehemann ist anzuprangern, die Frau, die die Probleme nach aussen trägt, verhält sich nicht der Norm entsprechend und wird deshalb bestraft. In diesem Zusammenhang wird oftmals der Begriff Ehre eingebracht. Die Frau hat die Ehre der Familie verletzt, in dem sie offen macht, was sich innerhalb der eigenen vier Wände abspielt. Es hat NICHTS mit Ehrverletzung zu tun, sein eigenes Leben und das seiner Kinder vor Mißhandlungen zu schützen! Migrantinnen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen sind und keine eigene Familie in Deutschland haben, berichten, dass sie eine besondere Bindung an die Familie des Ehemannes entwickelt haben. Der Ort der Familie bedeutete für sie zugleich Schutzraum (vor dem Ungewissen der Aufnahmegesellschaft) als auch Identität (als Ehefrau und Mutter). Als Konsequenz erlebten sie eine Isolation, die auch der Inanspruchnahme von Hilfe entgegenstand. Das Gewaltschutzgesetz, das die Möglichkeit einer gerichtlichen Zuweisung der gemeinsamen Wohnung vorsieht, wurde von den Migrantinnen, die wir kennen gelernt haben, so gut wie nie in Anspruch genommen. Meist leben Migrantinnen, die im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen sind, im Familienverbund des Ehemannes. Das kann konkret bedeuten, dass die Familie des Mannes im selben Haus oder aber in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnt. Hier hat es keinen Sinn, wenn sich die Ehefrau die gemeinsame Wohnung vom Gericht zuweisen lässt der Sicherheitsaspekt, den diese gerichtliche Schutzanordnung schließlich erfüllen soll, wäre nicht gegeben. So bleibt dieser Personengruppe nur der Gang ins Frauenhaus. Auch erleben wir in Düsseldorf, dass bei polizeilichen Einsätzen die Maßnahme der Polizeilichen Wegweisung (nach 34a PolG, NRW) nach Häuslicher Gewalt bei Migrantenfamilien kaum vorkommt. Wenn Sprachbarrieren vorhanden sind, ist es für die Polizei mit den vorhandenen Mitteln kaum möglich, eine genaue Rekonstruktion des Hergangs zu ermitteln. In diesen Fällen wäre eine Sprachmittlerin (= Dolmet-
6 6 scherin), die die Polizei bei Einsätzen häuslicher Gewalt begleitet, die einzige Lösung. Spricht die Frau kein Deutsch führt eine Übersetzung durch den deutschsprechenden Ehemann nicht zu einem wahrheitsgemäßen Ergebnis es liegt in der Sache, dass der Ehemann seine Interessen wahrt und nicht die Seite der Frau neutral übersetzt. In Düsseldorf wurde seit 1998 kontinuierlich eine interdisziplinäre Vernetzung gegen häusliche Gewalt aufgebaut. Mittlerweile arbeiten Vertreterinnen und Vertreter der ARGE Ärztekammer Bewährungshilfe - Frauenunterstützungseinrichtungen (Frauenhäuser, Frauenberatungsstelle) Gerichtshilfe Institut für Rechtsmedizin kommunale Behörden (Jugend-, Wohnungs-, Ausländeramt sowie Gleichstellungsbüro) Polizei - Richterschaft Sozialdienste und Unterstützungseinrichtungen für Kinder Staatsanwaltschaft: Sonderdezernat häusliche Gewalt Telefonseelsorge und Rechtsanwältinnen in der Fachgruppe Häusliche Gewalt zusammen. So ist eine Verbindung zu sehr unterschiedlichen Institutionen entstanden, die dazu beiträgt, die jeweiligen Zuständigkeiten und Unterstützungsmöglichkeiten nicht separat, sondern aufeinander bezogen und abgestimmt zu verstehen und zu realisieren. In diesem Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt werden nicht konkrete Einzelfälle bearbeitet. Es geht vielmehr um die Abstimmung und ggf. Praxisänderung mit dem Ziel, einen effektiven Abstimmungsprozess gegen häusliche Gewalt im Rahmen der Vernetzung zu installieren. Bis heute konnten so bereits erhebliche Verbesserungen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt entwickelt und umgesetzt werden (spezielle Ansprache von Migrantinnen, Einrichtung von Sonderzuständigkeiten bei Jugendamt, ARGE, Ausländeramt, Staatsanwaltschaft, Angebote für Täter, Berücksichtigung der Kinder als direkte oder indirekte Opfer).
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