Erasmus-Erfahrungsbericht Université de Genève Faculté des lettres WS 13/14. Organisation und Vorbereitungen

Transkript

1 Erasmus-Erfahrungsbericht Université de Genève Faculté des lettres WS 13/14 Organisation und Vorbereitungen Für einen Auslandsaufenthalt an einer französischsprachigen Universität habe ich mich vor allem entschieden, um mein Französisch zu verbessern. Für Erasmus habe ich mich über das Seminar für klassische Philologie beworben. Die Genfer Latinistik wurde mir von meinem Dozenten sehr ans Herz gelegt und so fiel meine Wahl schließlich auf Genf. Jedoch wurde mir bald klar, dass Studierende, die keine EU- Staatsbürgerschaft besitzen, völlig andere und sehr aufwändige Vorbereitungen und Behördengänge erwarten. Dass Kroatien zwei Monate vor Beginn meines Auslandssemesters der EU beigetreten war, spielte dabei für die Schweiz keine Rolle. Für deutsche Studenten reicht ein Formular mir Passfotos, das bei der Ankunft in Genf ausgefüllt werden muss und es entstehen, soweit ich weiß, keine Kosten. Für mich jedoch fielen zwei Fahrten in die Schweizer Botschaft nach Stuttgart an, insgesamt an die 140 Seiten Formulare, Erklärungen, Lebensläufe, Nachweise über Finanzierung usw., persönliches Vorstellen im office cantonale in Genf und Kosten von ca. 350 Euro an. Da das alles erst nach und nach klar wurde und ich, nachdem ich eine feste Zusage für meinen Studienplatz bekommen hatte, nicht mehr aufgeben wollte, bin ich doch bei meiner Wahl geblieben. Für meine Tochter als deutsche Staatsbürgerin galt das normale Anmeldeverfahren, jedoch prüfte das office cantonale so lange unseren Antrag, dass wir schon abreisen mussten, bevor sie ihren Ausländerausweis erhalten hatte. Die Organisation der Universitäten empfand ich als gut und die Vorbereitungen (z.b. Onlineregistrierung, learning agreement) verliefen reibungslos. In Heidelberg gab es im Juni eine große Infoveranstaltung des akademischen Auslandsamtes, ebenso bei der Ankunft in Genf. Das Auslandsamt der Universität Genf verschickte in den Monaten vor Beginn des Auslandssemesters regelmäßig s mit praktischen Informationen zu Wohnheimen, Versicherung, Studentenausweis usw. 1

2 Bei der Wohnungssuche hatte ich Glück und bekam letztendlich ein voll möbliertes und gut ausgestattetes Studio (1,5 Zimmer, eigene Küche und Bad) im Studentenwohnheim Cité Universitaire. Meine Erfahrung bestätigt den in Berichten weit verbreiteten Ratschlag, dass man bei der Wohnungssuche sehr hartnäckig sein muss und man sollte außerdem auf keinen Fall einen Mietvertrag unterschreiben, wenn eine längere Frist eingetragen ist, als man selbst das Zimmer benötigt. Etwas befremdlich erschien mir auch, dass man in den Wohnheimbewerbungen möglichst viel Einkommen angeben sollte, um Chancen auf einen Platz zu haben. Nachweise sind dabei aber nicht erforderlich. Fast alle Erasmusstudenten, die ich getroffen habe, wohnten in der Cité. Die Zimmer und ihre Ausstattung sind sehr unterschiedlich und abhängig vom Gebäude. Von Einzelzimmern, in denen man sich eine kleine fensterlose Küche und zwei Duschen und Toiletten mit 16 Mitbewohnern teilt, über WGs bis zu geräumigen Studios ist alles dabei. Ich war sehr zufrieden damit in der Cité zu wohnen, da sie in einem ruhigen Stadtviertel in der Nähe von Parks, Spielplätzen und dem Fluss Arve liegt und mit dem Bus erreicht man Uni Bastion in 10 Minuten. Außerdem gibt es im Gebäude einen Waschsalon und einen kleinen Laden, die an allen Wochentagen geöffnet haben. Als Student und vor allem Austauschstudent mit Kind ist man in Genf ein großer Exot. So hatte ich größte Schwierigkeiten damit eine Kinderbetreuung zu finden. Auch als ich persönlich einige Monate vor Studienbeginn im eve-büro (espaces de vie enfantine) der Universität und im Jugendamt Genf nach Kinderbetreuung fragte, bekam ich keine Unterstützung. Schließlich fand ich über Anzeigen eine private Tagesmutter. Insgesamt lernte ich durch mein Auslandssemester die Uni Heidelberg als kinderfreundliche Uni noch mehr zu schätzen als bisher. Studium und Leben in Genf Zu Beginn des Semesters fand eine Begrüßungsveranstaltung des Auslandsamtes statt, bei der jeder Erasmusstudent eine Freikarte für eine gemeinsame Schifffahrt über den Genfer See auf einem historischen Schiff bekam. In der ersten Vorlesungswoche bietet die faculté des lettres eine Informationsveranstaltung an und 2

3 die Erstsemestereinführungen der départements können auch nützlich sein, um sich zu orientieren. An der gesamten faculté des lettres gilt für Erasmusstudenten folgende verbindliche Regelung: pro 2 SWS im Semester bekommt man vier Leistungspunkte. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Kurs über ein Semester oder das ganze akademische Jahr geht. Wenn man nur ein Semester bleibt und einen Kurs besuchen möchte, der über zwei Semester geht, muss man die Teilnahmebedingungen individuell mit dem jeweiligen Dozenten absprechen. Die meisten sind aufgeschlossen und bereit einen Leistungsnachweis anzubieten, der den erforderlichen vier Leistungspunkten entspricht, manche lehnen es ab. Deshalb ist es sehr praktisch, dass man in den ersten zwei Vorlesungswochen alle Kurse besuchen kann und sich erst danach entscheiden muss, welche man belegen möchte. Einerseits ermöglicht diese Vier-Punkte-Regelung, dass Austauschstudenten einzelne Kurse besuchen können und nicht zwangsläufig ein ganzes Modul absolvieren müssen (das Studium in meinen Fächern war stark modularisiert), um überhaupt dafür Punkte zu bekommen. Andererseits fand ich es ärgerlich, dass man dadurch auf eine bestimmte Anzahl von Wochenstunden festgelegt ist. Wenn man also rund 30 Punkte erreichen möchte, sind es 14 bzw. 16 Stunden. Die meisten Veranstaltungen an der Universität besuchte ich im Fach Latein. Die Betreuung durch die Dozenten der Latinistik war hervorragend. Sie nahmen sich viel Zeit, um mit mir über meine Kurswahl zu sprechen und waren bei allen administrativen Fragen sehr hilfsbereit. Die Kurse waren klein (5-15 Personen) und die Stimmung sehr angenehm. Ich konnte sowohl Bachelor- als auch Masterkurse besuchen (ich befand mich in meinem fünften Fachsemester) und in Absprache mit den Dozenten wählen, ob ich eine mündliche oder schriftliche Prüfung machen wollte. Ich hatte jedoch auch die Möglichkeit andere Kurse an der faculté des lettres zu belegen und besuchte zusätzlich zwei Kurse in Französisch, einen davon im département francais moderne, den andern im département FLE (francais langue étrangère). Das Wintersemester teilt sich in Vorlesungszeit und Prüfungszeit. Die Vorlesungen begannen Mitte September und endeten vor Weihnachten. Der Prüfungszeitraum lag in den ersten beiden Februarwochen, sodass ich einige Wochen Zeit für die 3

4 Prüfungsvorbereitung hatte. Die meisten Genfer Studenten legen allerdings ihre Prüfungen erst im Juni, also am Ende des Sommersemesters ab, d.h. nicht nach jeder Veranstaltung einzeln, sondern nach Abschluss des ganzen Moduls. Ein beliebtes Gesprächsthema unter Austauschstudenten sind die hohen Lebenskosten in Genf. Um meine Finanzierung musste ich mir jedoch glücklicherweise keine Sorgen machen. Dank Auslandsbafög und eigenen Ersparnissen waren meine Kosten gedeckt. In bestimmten Fällen, zu denen auch Kindererziehung zählt, gewährt der DAAD einen Zuschusses zum Erasmusstipendium. Auch mein Deutschlandstipendium, das von der Firma Wild mitfinanziert wird, wurde mir trotz Auslandsaufenthalt ausgezahlt und lockerte meine finanzielle Situation. Wie ich mitbekommen habe, ist es für Austauschstudenten recht leicht über eine Uni- Jobbörse einen Nebenjob zu finden. Mit Nachhilfe beispielsweise verdient man etwa 25 Euro pro Stunde. Allerdings gelten auch hier erschwerende Bedingungen für Nicht-EU-Studenten: eine Arbeitserlaubnis bekommt man erst nach sechs Monaten Aufenthalt in der Schweiz, was für viele Studenten, die darauf angewiesen sind neben dem Studium Geld zu verdienen, ein großes Problem ist. Genf ist nicht in jeder Hinsicht teurer als Heidelberg, manches ist sogar günstiger. Während beispielsweise Mieten und Lebensmittel deutlich teurer sind, sind vor allem kulturelle Angebote und Aktivitäten für Familien (Stadtbücherei, Schwimmbäder, Schlittschuhlaufen, Filmvorstellungen, Kindertheater usw.) in Genf sehr attraktiv und oft kostenlos oder sehr günstig. Ich habe in der Schweiz kein Konto eröffnet und kam trotzdem problemlos mit meinen Finanzen zurecht. Einen Überblick über mein Konto hatte ich durch online-banking und Rechnungen kann man einfach bei der Post einzahlen, die Miete in der Cité auch direkt an der Rezeption. An der Rezeption erhält man ebenfalls die Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr, die mit CHF 45 vergleichsweise günstig ist, denn ein Tagesticket kostet bereits CHF 8. Reisen mit Bus und Bahn ist in Genf sehr bequem, denn unter der Woche fahren Straßenbahnen alle 3-5 Minuten, die Busse etwa alle 10 Minuten. Da meine Tochter mit mir in Genf wohnte, habe ich nicht viel vom typischen Studentenleben mitbekommen. Das empfand ich allerdings nicht als Nachteil, denn 4

5 im Gegensatz zum Großteil der Austauschstudenten, die meist unter sich bleiben und überwiegend Englisch oder ihre eigene Sprache sprechen, war ich gezwungen mit einheimischen Familien Kontakte zu knüpfen. So entstanden wertvolle Freundschaften, ich erhielt viele Tipps rund um das Leben in Genf und mein Französisch hat sich durch das Sprechen im Alltag deutlich mehr verbessert als nur durch passives Zuhören an der Uni. Ein besonders lohnenswertes Ausflugsziel in der Umgebung ist der Mont Salève. Mit der Seilbahn kommt man in wenigen Minuten nach oben und hat einen fantastischen Blick über die Stadt und bei gutem Wetter auf den Mont Blanc. In Genf selbst gibt es viele wunderschöne Parks, z.b. den Parc des Eaux-Vives und lange Spazierwege an der Arve. Wer in der Winterzeit in Genf ist, sollte sich die Escalade nicht entgehen lassen. Es handelt sich um ein Volksfest mit Stadtlauf, an dem beeindruckend viele Läufer teilnehmen und eine tolle Stimmung in der Stadt herrscht. Von den Museen hat mir die archäologische Ausgrabung unter der Kathedrale St. Pierre sehr gut gefallen. Nach dem nervenaufreibenden Beantragen des Schweizer Visums konnte ich meine Zeit in Genf genießen und bin dankbar für diese wertvolle Erfahrung. Wer Näheres über meine Erfahrungen mit Erasmus, Studieren in Genf, Auslandssemester mit Kind wissen möchte, kann mich gerne unter kontaktieren. 5