Wissenswert. Wer braucht heute noch den 1. Mai? Hebammen. von. Anne Baier. Sendung: , hr-info

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1 Hessischer Rundfunk hr-info Redaktion: Heike Ließmann Wissenswert Wer braucht heute noch den 1. Mai? Hebammen von Anne Baier Sprecherin: Anne Baier Sendung: , hr-info Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.

2 ANMOD Hebamme ist einer der ältesten Berufe überhaupt. Schon immer unterstützten Frauen Schwangere darin, ihre Kinder auf die Welt zu bringen und in den ersten Wochen danach zu versorgen. Nun scheint dieser Berufsstand in Gefahr. Ab dem Sommer 2015 ist die Versorgung der Bevölkerung mit freiberuflichen Hebammenleistungen, insbesondere bei der Geburtshilfe, Vorsorge und Nachsorge in Gefahr. Eine Tätigkeit, ein Beruf, der gebraucht und geschätzt wird, der ohnehin niedrig bezahlt ist für die Leistung, die darin steckt und nun das: die ständige Erhöhung der Haftpflicht bringt den Berufsstand der Hebammen unter Druck, nun wollen die Versicherer ganz aussteigen. Aber ohne Versicherung darf keine Hebamme arbeiten. Was wäre eine Gesellschaft ohne Hebammen?! Anne Baier hat es sich einmal vorgestellt. Seite 2

3 MUSIK Madonna I m a material girl Die Hebamme Gitte Müller steigt aus ihrem Porsche und stakst in hochhackigen Schuhen auf die ausladende Villa zu. Hinter der schweren Eisentür klingt gedämpft Säuglingsgeschrei. Früher konnte sie ihre Hausbesuche in Turnschuhen machen, aber ihre Kundschaft verlangt jetzt einen gewissen Stil. Sie hat einen Termin bei Benjamin von Hufschlag und seiner Mutter, der Kleine trinkt schlecht, sie wird ihr helfen, damit sie ihn richtig anlegt. Danach geht s zu Pricilla Kaiser, sie hat ein Ziehen im Unterleib, wohl erste leichte Wehen und auch Familie Gröhe bittet um schnellen Rückruf. Der Terminkalender von Gitte Müller ist voll. Sie ist eine der letzten Hebammen in Deutschland, die überhaupt noch Frauen vor und nach der Geburt zu Hause besucht. In Hessen gibt es gerade noch fünf. und ihre Dienste sind teuer Musik hoch O1 (O-ton Szenario): also das Szenario, dass sich gutsituierte Damen Hebammen zur Nachsorge leisten können, wäre so ein bisschen vorstellbar und zwar dann, wenn sich keine Versicherungen mehr findet, die Berufsrisiken von Hebammen auffängt. Und zwar zu Beiträgen, die Hebammen sich leisten können. Mit diesem Problem ist nicht nur Claudia Riegel, Geschäftsführerin des Geburtshauses in Frankfurt konfrontiert, sondern der gesamte Berufsstand der Hebammen sind rund 21 tausend Hebammen in Deutschland tätig, die Mehrheit von ihnen freiberuflich. O2 (O generell): Generell ist es so, dass eine Hebamme eine Versicherung haben muss das ist kein kann, sondern eine absolut verbindliche Vorschrift. Dementsprechend kommt es darauf an, für welchen Bereich sich eine Hebamme versichert, für den Geburtsbereich oder die Vor- und Nachsorge. Im Prinzip ist das Problem nicht neu. Jahr für Jahr müssen freiberufliche Hebammen für ihre Berufshaftpflichtversicherung tiefer in die Tasche greifen. Für viele Hebammen ist das bei einem gleichzeitigen Stundensatz von 8,50 Euro nicht mehr bezahlbar. O 3 (O Spitzenverdiener): Wenn ne Frau nachts ne Hebamme anruft. mir geht s nicht gut. Dann bekommt sie nach der Seite 3

4 Gebührenverordnung 5,37. Also wir sprechen nicht von Spitzenverdienern, sondern eigentlich von einer Niedriglohnklasse! Zugespitzt hat sich der Konflikt, weil die Nürnberger Versicherung sich im Sommer 2015 ganz aus der Hebammenhaftpflicht verabschieden will. Die Lage ist absolut unsicher, nur auf Druck scheinen Versicherer Hebammen überhaupt noch zu akzeptieren. Für Geburtshäuser wie das in Frankfurt könnte das das Aus bedeuten. Geschäftsführerin Claudia Riegel: O4 (O Folgen) wenn es keinen Versicherer geben wird, der dieses Haftungsrisiko übernimmt, dann werden wir die Geburtshilfe nicht leisten können! Das heißt das Geburtshaus muss dann nach 21 Jahren sagen, wir müssen diesen Teil unseres Betriebes einstellen. Und haben unsere ganzen Kolleginnen, im Team arbeiten aktuell 9 Hebammen ein Berufsverbot! 20 Ohne Versicherung haben Hebammen keine Arbeitserlaubnis und das käme einem Berufsverbot gleich. Betroffen wären alle freiberuflichen Hebammen, die im Geburtshaus, zu Hause oder als Beleghebamme in einer Klinik Geburtshilfe leisten. O5 (O betroffen) Also diese Nicht- Versicherung betrifft auch die Geburten in den Kliniken. Also nicht nur Hausgeburten, wo man sagen könnte, das sind so wenige, die könnte man vernachlässigen, sondern auch die Geburten in den Kliniken! (23) In Hessen immerhin 20% aller Geburten in den Kliniken. Der andere wichtige Bereich der Hebammenarbeit: die Vorsorge für Schwangere wie auch die Nachsorge in den Wochen nach der Geburt ist ohne Versicherung ebenfalls nicht mehr möglich. Davon betroffen ist z.b. Romy Lietz. Die alleinerziehende Mutter arbeitet seit acht Jahren als freiberufliche Hebamme im Rhein-Main-Gebiet. Zu ihren Leistungen zählt: sie hat immer ein offenes Ohr für Beschwerden, Sorgen, Fragen, Unsicherheiten und zwar Tag und Nacht: O6 O Romy Schwangerenberatung nicht jede kann ihren Körper so gut deuten. Als Beispiel; Darmkoliken, aber eigentlich vorzeitige Wehen, dann berate ich sie, schick sie ggf zum Frauenarzt. Hebammen leisten eine Arbeit, die heute mehr denn je gefragt ist, wo es den Verband der Großfamilie nicht mehr gibt und den jungen Eltern oft die Erfahrungen der Mütter oder Omas fehlen. Hebammen bauen schon Seite 4

5 früh eine Beziehung und ein Vertrauensverhältnis zu den zukünftigen Eltern auf, denn eine Geburt ist einer der intimsten Momente im Leben. Es gibt auch noch einen ganz pragmatischen Grund, sich rechtzeitig mit Romy Lietz in Verbindung zu setzen: O7 ( O Romy ausgebucht): es geht mir nur ganz selten, dass ich noch eine Haustüre suchen muss, weil die meisten sich schon sehr früh kümmern, das ist auch nötig. ich komme aus Wiesbaden, das ist eine sehr geburtenreiche Stadt und ich bin jetzt schon bis Oktober ausgebucht. Marktwirtschaftlich gesehen ist die Geburtsvor- und Nachbereitung sehr gefragt. Der Hauptteil dieser Hebammenarbeit ist eine sanfte, unterstützende Leistung zuhause, nach der Geburt. Eine heikle Zeit, da ist so ein winziges Wesen, völlig neu und unbekannt, die Hebamme kennt sich sowohl mit dem Säugling wie auch den Bedürfnissen der Mutter aus. Z.B. Wundpflege, oder der erste Milcheinschuss: O8 (O Romy erster Besuch) dann fange ich ganz viel ab, bei diesem ersten Besuch. Dass ich schon mal gucke, wie legt die Mutter an, kann ich da noch Impulse geben, manche muss ich auch erstmal aufbauen, weil sie so viele unterschiedliche Informationen bekommen haben, dann muss ich erstmal sagen, was ist normal, wo kann sie was dran machen. Hebamme Romy Lietz stellt immer wieder fest, dass junge Eltern sehr unsicher sind, dankbar für die Erfahrungen, die die Hebamme hat, aber vor allem die unkomplizierten Hausbesuche sehr schätzen, die gerade nach einer Geburt eine sensible und gute Versorgung möglich machen. O9 (O Romy alles neu): da das eigene Baby oftmals das erste Kind ist, das viele im Arm haben, das ist sehr verwirrend. Viele Eltern denken, was kaputt zu machen, besonders die Väter, die dann das erste Mal so einen direkten Kontakt zum Baby haben. Dass ich da Beratungstätigkeit übernehme und vieles erkläre, was normal ist. Hebammen beweisen viel Einfühlungsvermögen und Geduld. Dass sie kurz davor stehen, ihre Arbeitserlaubnis zu verlieren, erscheint mehr als absurd. Ein Beruf, der gesellschaftlich unverzichtbar ist, da sollte man eher fragen, warum eine Hebamme bislang nicht mehr verdient? Momentan bekommt eine Nachsorgehebamme um die 30 pro Hausbesuch, egal wie lange dieser dauert. Laut Gebührenverordnung sind dafür 25 bis 40 Minuten vorgesehen. Seite 5

6 O9 (O Romy Dauer) ich muss sagen, bei den ersten Terminen, das schaffe ich nicht! Wenn ich eine Frau, die gerade geboren hat, die erstmal ihre Blase entleeren muss, bevor ich nach der Gebärmutter abtaste und man tauscht sich aus und sie erzählen von der Geburt, da ist ganz schnell 1 Stunde vorbei und die ersten Termine brauche ich meistens 1 ½ bis 2 Stunden So ruhig und bedacht wie Romy Lietz wirkt, die Diskussion um die Haftpflichtversicherung und die steigenden Beitragszahlungen bringen auch sie aus dem Gleichgewicht. Als Vor- und Nachsorgehebamme sind ihre Beträge zwar nicht so drastisch hoch wie für die Kolleginnen, die Geburten betreuen, dennoch: O 11 ( O Romy existenzbedrohend): ich fing mit etwas über 200 Haftpflichtversicherung im Jahr an, jetzt zahle ich mehr als 600, das geht in meiner Situation noch, aber ich stelle mit Betroffenheit fest, dass viele meiner Kolleginnen, die Geburtshilfe leisten, sich schon zurückgezogen haben, weil sie diese hohen Versicherungssummen nicht mehr zahlen können Warum die Versicherungen dennoch ihre Beiträge immer weiter nach oben schrauben, liegt nicht daran, dass Hebammen mehr Fehler machen. Die Anzahl der Geburten, während der ein Kind zum Beispiel zu wenig Sauerstoff bekommt, und infolgedessen bleibend geschädigt ist, hat nicht etwa zugenommen. So schlimm das ist, es passiert ob bei einer Geburt in der Klinik oder zu Hause oder in einem Geburtshaus. Claudia Riegel vom Geburtshaus Frankfurt erklärt diesen Kostenanstieg damit, dass die Schadenssummen höher werden und es immer häufiger zu juristischen Klagen kommt. O12 (O kosten) Wir sprechen ja immer bei Schäden bei Geburten von 30 Jahren es verjährt der Anspruch nach 30 Jahren, und die Menschen werden klagefreudiger,..und wenn man mit 28 feststellt, ah da is was, kann man mit einem gewieften Anwalt klagen, vielleicht war ja was unter der Geburt?! Und wenn s wirklich zu Schäden kommt unter der Geburt, die Menschen werden durch die gute medizinische Versorgung immer besser versorgt und das treibt natürlich die Schadensummen immens in die Höhe. Momentan sind Hebammen mit einer Schadenssumme von rund 2,5 Mio versichert Viel zu wenig, meint der Deutsche Hebammenverband und setzt 6 Mio an. Damit wäre das Risiko, mit dem Privatvermögen zu haften, erheblich geringer. Eine weitere Lösung könnte laut Claudia Riegel sein: Seite 6

7 O 13 (Lösungen): ob man überlegt, ob man Schadensfälle deckelt, also sagt, es gibt eine Obergrenze, ab der kann man Schäden nicht mehr einreichen.das ist das eine, das andere, zu überlegen, ist dieser Fall wirklich auf die Geburt zurückzuführen. Und wenn man das 5 Jahre später versucht ist das von der Beweislage wirklich schwierig. Gab es Komplikationen während der Schwangerschaft,..das ist komplex! Die Politik ist gefragt. Wenn immer mehr Hebammen sich zurückziehen ja zurückziehen müssen, dann blutet der Berufsstand aus. Überhaupt ist zu kritisieren, dass es so weit kommen konnte - und nicht bereits Lösungen angedacht sind. Claudia Riegel versteht nicht, warum es keinen Konsens gibt, dass die Hebammenarbeit eine wichtige gesellschaftliche Leistung ist. Ihrer Meinung nach wäre eine sinnvolle Alternative: O14 (O Alternative) ich glaube es gibt große Versicherungskonzerne, die in der Lage sind eine solche kleine Zielgruppe mit so einem geringen Volumen zu versichern.das ist Aufwand, das ist Mühe, weil die natürlich an großen Geschäften interessiert sind, viel einfacher ne Kfz Haftpflicht abzuschließen, als ne Geburt zu versichern, aber ich setzte auf große Versicherungskonzerne und ich setzte auf Herrn Gröhe, der schließlich 4 Kinder hat und weiß, wie wichtig ne Hebamme ist! Solange die Diskussion um die Haftpflichtversicherung anhält, wird Hebamme Romy Lietz gemeinsam mit ihren Kolleginnen und vielen jungen Eltern - oder solchen, die es werden wollen, zittern und bangen, ob die Arbeit, die sie bislang mit großem Erfolg gemacht hat, weiter möglich sein wird zu leisten. Bis dahin wird sie auf die Straße gehen. Demonstrieren, die Hebammen haben noch Hoffnung und geben sich nicht geschlagen. O Schluss: (O Romy Schluss) Es ärgert mich, dass ein Beruf, den es schon seit Jahrhunderten gibt, dass ne ganze Berufsgruppe, das dachte ich mir, soll in Deutschland verschwinden, wenn da keine Lösung gefunden wird, das macht mich sehr ärgerlich! Und da hab ich mir gedacht, jetzt Romy musst du mal was machen! Seite 7

8 Abmod. Mahnwachen, Demonstationen, 6. Mai..Darüber hinaus ist die Politik gefragt. Im Bundestag ist das Anliegen der Hebammen bereits angekommen. Finanzielle Hilfe soll mittels eines Fonds geschehen. Juni Gesundheitsminiterkonferenz?? Seite 8