Die Rolle des ärztlichen Beratungsgespräches für den Entbindungsmodus Können uns die Leitlinien weiterhelfen?
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- Margarete Kappel
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1 GEBURTSHILFE Die Rolle des ärztlichen Beratungsgespräches für den Entbindungsmodus Können uns die Leitlinien weiterhelfen? Georgine Huber 1, Birgit Seelbach-Göbel 1 Das vorgeburtliche Beratungsgespräch über den Entbindungsmodus, das der klinisch tätige Geburtshelfer mit den Eltern führt, hat sich in den letzten Jahren inhaltlich deutlich gewandelt. Fachliche, forensische und ökonomische Entwicklungen in der Geburtshilfe, aber auch der gesellschaftliche Wandel mit veränderten elterlichen Ansprüchen spielen hier eine zunehmende Rolle. Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit den häufigsten Beratungssituationen des klinisch tätigen Geburtshelfers bei der Frage zum Entbindungsmodus und untersucht, inwieweit die derzeitigen Empfehlungen und Leitlinien unserer Fachgesellschaften helfen können, mögliche Fallstricke oder Kommunikationsprobleme zwischen Schwangerer, betreuendem Frauenarzt und Geburtsklinik zu vermeiden. Die steigende Anzahl der Kaiserschnittentbindungen sei als Beispiel für die gewandelte Situation genannt: War die niedrige Sectiorate einer geburtshilflichen Klinik ehemals auch ein Qualitätsmerkmal geburtshelferischen Könnens, so sind die Zahlen heute ins Gegenteil verkehrt: Sectioraten von bis zu 50 % werden nicht mehr hinterfragt, sondern gelten manchen Eltern, aber auch Ärzten als Beweis besonderer medizinischer Umsicht und Modernität. Das Selbstbestimmungsrecht der Gebärenden beim Thema Kaiserschnitt auf Wunsch, aber auch die fachlichen und örtlichen Gegebenheiten geburtshilflicher Abteilungen bei der relativen Sectioindikation beeinflussen darüber hinaus ganz wesentlich unser ärztliches Beratungsgespräch. 1 Klinik für Geburtshilfe und Frauen heilkunde der Universität Regensburg, Klinik St. Hedwig Auf perinatologischen Kongressen gibt es interessante Gruppenbildungen: Geburtsmediziner versus Geburtshelfer, die erbittert darüber streiten, ob eine vaginal durchgeführte Gemini- oder Beckenendlagengeburt hoffnungslos veraltet und verantwortungslos oder noch zeitgemäß ist. Die populistisch in den Medien aufbereiteten neuesten Geburts- und OP-Methoden und Studien ergebnisse werden dann nicht selten von den Eltern in den Beratungsgesprächen angefragt und für die Geburt des eigenen Kindes eingefordert. Schließlich ist der Geburtshelfer zunehmend mit psychischen Aspekten des Faches konfrontiert: Mütterliche Depression, Angst- und Panikstörung bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung nach vaginaler Geburt, gestörtes Bonding und mangelndes Geburtserleben nach Kaiserschnitt und die daraus resultierende Unzufriedenheit mit dem individuellen Geburtsverlauf bedeuten häufig auch, dass die Arbeit des Geburtshelfers in Zweifel gestellt und kritisiert wird. Die Angst vor der Schuld ist gerade in unserem Fach zentrales Thema, welches unser Handeln und die Beratung mit prägt. Hinterfragen der eigenen Indikationsprinzipien Bevor wir Eltern hinsichtlich des Entbindungsmodus beraten, müssen wir unsere eigenen, ärztlichen Indikationsprinzipien und die dahinterstehende Motivation für den einen oder anderen Geburtsweg hinterfragen: Befürwortet ein Geburtshelfer prinzipiell die Liberalisierung der Kaiserschnittindikationen als Spiegelbild der Selbstbestimmung der Gebärenden und des gesellschaftlichen Wandels? Wie schwer wiegen Argumente der mütterlichen Angst vor Schmerzen, bleibender körperlicher Beeinträchtigung wie Inkontinenz, kind licher Gefährdung? Stellt defensivmedizinisches Denken die Kompensation von mangelndem geburtshelferischem Können, der klinischen Ausstattung, forensischer Konsequenzen oder ökonomischer Aspekte dar und sind wir ehrlich genug, diese Beweggründe zu nennen? Oder liegt die Hauptmotivation des Geburtshelfers darin, die Schwangere in ihrer Fähigkeit zum Gebären zu bestärken, die vaginale Geburt als ein prinzipiell erbringbares Können von Mutter und Kind zu begreifen wird mit dem Wunsch der Schwangeren nach Kaiserschnitt gar ein sich dem Gebären entziehen gleichgesetzt? Wie geht ein Geburtshelfer mit der Tat sache um, dass für einen Teil der Schwangeren der vaginale Geburtsweg keine Selbstverständlichkeit mehr ist, der Kaiserschnitt auf Wunsch dagegen die einzig akzeptable Option? Wie viel Wert messen wir dem Gebären bei? Wir stehen vor der schwierigen Aufgabe, ärztliche Argumente für die 446 FRAUENARZT 54 (2013) Nr. 5
2 Schwangere transparent zu machen, ohne den uns angetragenen nichtdirektiven Gesprächsstil aufzugeben unabhängig von der konkreten geburtshilflichen Fragestellung. Die Empfehlung der Fachgesellschaft skizziert lediglich den Idealzustand eines Beratungsgespräches: Empfehlungen zu den ärztlichen Beratungs- und Aufklärungspflichten während der Schwangerenbetreuung und bei der Geburtshilfe [AWMF 015/043 (S1)] (1): Es wäre jedoch verfehlt, das Aufklärungsgespräch in erster Linie unter haftungsrechtlichen Gesichtspunkten zu führen. Es dient vor allem dazu, der Patientin die Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen und ihr dabei ihre Mitverantwortung für die Gesundheit des Kindes bewusst zu machen. Zugleich ist es geeignet, Vertrauen zum Arzt zu wecken, die Patientin vor späteren Enttäuschungen zu bewahren und die Verantwortung mit ihr zu teilen Erkennen der mütterlichen/ elterlichen Motivationen Neben dem sicherlich immer noch an erster Stelle stehenden Hauptwunsch der Eltern für die Geburt: Mutter und Kind wohlauf sind Geburtshelfer zunehmend mit Wünschen und Erwartungen, aber auch Ängsten und Fehlvorstellungen von Eltern hinsichtlich eines Geburtsablaufes konfrontiert. Was steckt hinter diesen Sätzen von Schwangeren: Ich will keinerlei Risiko für mein Kind. Wir haben so viel in diese Schwangerschaft investiert, da darf jetzt nichts mehr schief gehen! Ich bin nicht der Typ für eine normale Geburt.? Vielfältige Gründe mögen hier eine Rolle spielen, so z. B. ein verändertes gesellschaftliches Denken mit Anspruch auf Perfektion, Kontrolle und Zeitmanagement, Verlust der Bedeutungsnormalität von Schwangerschaft und Geburt, mediale Informa tionsflut ohne Informationsgewinn aber auch immer die Angst der Frau. Diese Problematik wird in der Stellungnahme unserer Fachgesellschaft beim Thema Sectioindikationen thematisiert: Absolute und relative Indikationen zur Sectio caesarea [AWMF 015/054 (S1)] (2): Äußern Schwangere von sich aus den Wunsch nach einer primären Sectio, wird dieser fast immer mit Angstgefühlen motiviert und ist deshalb den weichen relativen, allgemein medizinischen Sectioindikationen zuzuordnen In der öffentlichen Diskussion, aber auch im medizinischen Sprachgebrauch wird der Begriff Wunschsectio häufig auch für die schwächer medizinisch, überwiegend psychisch motivierte Sectio gebraucht. Das sollte jedoch vermieden werden, um die medizinisch indizierte Sectio begrifflich klar von der eigentlichen Wunschsectio ohne jede medizinische Indikation abgrenzen zu können Im Beratungsgespräch ist es unsere Aufgabe, die Beweggründe einer Schwangeren für einen präferierten
3 Entbindungsmodus genau zu erfragen auch wenn diese Argumente im medizinischen Sinn unvernünftig erscheinen: Absolute und relative Indikationen zur Sectio caesarea [AWMF 015/054 (S1)] (2): Selbst wenn der Arzt die Entscheidung der Frau für unvernünftig hält, hat er ihr Selbstbestimmungsrecht zu achten und sollte wissen, dass nach einer Formulierung des Bundesverfassungsgerichts kein Patient verpflichtet ist, nach Maßstäben Dritter vernünftig zu sein. Erst dann kann der nächste Schritt in der Beratung, die Erläuterung der ärztlichen Empfehlungen, erfolgen. Beratungssituationen Beratungssituation: Wunsch nach vaginaler Geburt bei unkomplizierter Einlingsschwangerschaft Hier stellt sich für den beratenden Arzt die Frage, ob und in welcher Form neben den normalen Geburtsabläufen auch Pathologien oder bleibende Einschränkungen wie Funktionseinbußen am Beckenboden geschildert werden müssen. Die Mehrzahl der Schwangeren mit unkompliziertem Verlauf wird sich durch die ärztliche Gewichtung von pathologischen Geburtsereignissen eher belastet fühlen. Mögliche Komplikationen sollten besprochen werden, wenn die Patientin hierzu konkrete Fragen oder Ängste hat. Im Einzelfall kann eine solche Frage ein versteckter Hinweis für eine belastete Eigen- oder Familienanamnese sein und sollte schon deshalb ärztliches Gehör finden. Wichtig erscheint, nicht nur die Komplikation an sich, sondern auch die möglichen medizinischen Lösungswege für die Schwangere aufzuzeigen. Die Empfehlungen zu den ärztlichen Beratungs- und Aufklärungspflichten während der Schwangerenbetreuung und bei der Geburtshilfe [AWMF 015/043 (S1] (1) bestätigen diese Vorgehensweise: Bei problemlosem Verlauf der Schwangerschaft und ohne konkreten Anlass ist der Arzt nicht verpflichtet, mit der Schwangeren rein vorsorglich über mögliche Komplikationen bei der Entbindung und dann etwa notwendige operative Eingriffe zu sprechen. Fragen der Schwangeren sind wahrheitsgemäß zu beantworten. Der Illusion einer sanften Geburt ist in jedem Fall entgegenzutreten... Auch der Geburtshelfer, der seine Patientin nicht schon während der Schwangerschaft betreut hat, darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass sie sich im Gespräch mit dem bisher betreuenden Arzt während der Schwangerschaft, durch Besuche von Elternabenden oder aus schriftlichem Informationsmaterial in eigener Verantwortung auf ihre Niederkunft vorbereitet und ein Basiswissen auch über denkbare Komplikationen verschafft hat. Er darf jedoch nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass der über- oder einweisende Arzt die Schwangere schon in allen Einzelheiten aufgeklärt und auf konkrete Komplikationen vorbereitet hat... bei intrauteriner Wachstumsrestriktion Zum Thema IUGR und ärztliche Beratung zum Entbindungsmodus gibt es keine einheitlichen Empfehlungen der Fachgesellschaft. Gerade hier haben wir es aber häufig mit verunsicherten Eltern und auch unterschiedlichen ärztlichen Vorgehensweisen zu tun. Die Empfehlungen zu den ärztlichen Beratungs- und Aufklärungspflichten während der Schwangerenbetreuung und bei der Geburtshilfe [AWMF 015/043 (S1)] (1) nehmen lediglich allgemein Stellung zur Risikogeburt: Ist mit einer Risikogeburt zu rechnen, kommt insbesondere eine vorhersehbare Schnittentbindung in Betracht, so soll auch der Arzt, der später nicht der Geburtshelfer sein wird, beizeiten mit der Schwangeren ein Aufklärungsgespräch über mög liche operative Eingriffe, insbesondere die Vor- und Nachteile der vaginalen Geburt und der Schnittentbindung, für Mutter und Kind führen oder ein solches Gespräch mit dem Geburtshelfer vereinbaren Eine gute Abstimmung zwischen betreuendem Frauenarzt und der geburtshilflichen Einrichtung mit möglichst standardisierter Vorgehensweise reduziert die Anzahl widersprüchlicher Aussagen und vermittelt den Eltern Sicherheit. Gegensätzliche Informationen ( Es gibt keinen Grund für einen Kaiserschnitt Ihr Kind schafft niemals eine normale Geburt ) führen nicht nur zu elterlichem Misstrauen und Angst, sondern genau diese Aussagen werden im Falle eines nicht optimalen Geburtsverlaufes (z. B. vaginal intendierte Geburt mit sekundärer Sectio) bei den betroffenen Eltern Unzufriedenheit hervorrufen. Konkret bedeutet dies bei vaginalem Entbindungsversuch, die Eltern realistisch über die eventuelle Notwendigkeit eines sekundär durchzuführenden Kaiserschnittes aufzuklären bzw. ihnen nach Abwägen der Vorund Nachteile auch die Entscheidung für eine primäre Sectio zu ermöglichen. bei Verdacht auf fetale Makrosomie Bei sonografischem Verdacht auf fetale Makrosomie ist die Beratungssituation durch zweierlei Aspekte erschwert. Einerseits ist für die Schwangere oftmals nicht nachvollziehbar, warum trotz sorgfältiger sonografischer Kontrolle die Messgenauigkeit hinsichtlich des fetalen Schätzgewichtes deutlich vom tatsächlichen Kindsgewicht abweichen kann. Die eingeschränkte Sensitivität des Ultraschalls wird auch in der vorliegenden S1-Leitlinie bestätigt. 448 FRAUENARZT 54 (2013) Nr. 5
4 Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung [AWMF 015/065] (3): Im Hinblick auf die Erkennung einer Makrosomie ist die Sensitivität des Ultraschalls mit unter 80 % begrenzt. Auch klinische Untersuchungen wie die Messung des Fundusstandes oder des Leibesumfanges sind nur bedingt zuverlässig. Eine kombinierte sonografische und klinische Einschätzung ergibt die besten Ergebnisse bei fetaler Makrosomie Der zweite Aspekt ist die Frage nach vorzeitigem vaginalem Einleitungsversuch oder der Durchführung einer primären Sectio als gleichwertige alternative Entbindungsmethode zur Vermeidung einer fetalen Schulterdystokie bei V. a. fetale Makrosomie. Empfehlungen zur Schulterdystokie. Erkennung, Prävention und Management [AWMF 015/024 (S1)] (4): Nach Gross et al. und Sandmire wären zur Prävention von fünf Fällen von Schulterdystokie via Sectio bei einem Geburtsgewicht von g aufgrund von präpartalen ultrasonografischen Fehlschätzungen 132 zusätzliche Sectiones erforderlich Bei Verdacht auf Makrosomie kann allerdings die vorzeitige Geburtseinleitung ab der abgeschlossenen 37. Schwangerschaftswoche erwogen werden. Im Einzelfall muss immer das Risiko einer fetalen Unreife gegen die Risiken abgewogen werden, die sich aus der Zunahme des fetalen Gewichts ergeben können Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass eine alternative Aufklärung zum Kaiserschnitt bei einem erwarteten Kindsgewicht von g angemessen ist. Die Einwilligung der Patientin in die gewählte Entbindungsmethode ist einzuholen, wenn eine Sectio wegen ernstzunehmender Gefahren für das Kind bei vaginaler Entwicklung zur echten Alternative geworden ist Der klinisch beratende Geburtshelfer muss also entsprechend den Empfehlungen sowohl die Themen sonografische Messungenauigkeit mit konsekutiv unnötig durchgeführter Sectio, die Möglichkeit der vorzeitigen Geburtseinleitung und deren Risiken als auch das bei 10 % liegende Risiko der Schulterdystokie bei fetalem Schätzgewicht von g inklusive der möglichen gesundheitlichen Folgen für Mutter und Kind bei vaginaler Geburt und die empfohlene Alternative der primären Sectio mit den Eltern besprechen und dokumentieren. bei Geminischwangerschaft Zu diesem Thema gibt es für den beratenden Geburtshelfer keine Leitlinie der deutschen Fachgesellschaften. Es fehlen evidenzbasierte Daten zugunsten einer generellen elektiven Sectio als auch zur vaginalen Geburt, insbesondere bei Nicht- Schädellage eines oder beider Feten. Diese Unsicherheit hat auch mit dazu geführt, dass viele geburtshilfliche Kliniken den Eltern hinsichtlich des Entbindungsmodus freie Wahl lassen. Als derzeit für ein vaginales Vorgehen geeignet gelten sowohl dichorial-diamniote als auch monochorial-diamniote Schwangerschaften mit dem führenden Fetus in Schädellage. Aspekte wie die fetale Gewichtsdiskrepanz, Einleitungsnotwendigkeit und -zeitpunkt werden weiterhin unterschiedlich gehandhabt und erschweren die Beratung. Eine wesentliche Voraussetzung für die kindliche und mütterliche Sicherheit bei gewünschter vaginaler Geburt liegt zweifellos in der vorhandenen Klinikstruktur mit kompetentem versiertem geburtshilflichen Team, einer leistungsfähigen Neonatologie und Anästhesie. Im Beratungsgespräch muss auch bei Kindern, die beide in Schädellage liegen, die Situation der plötzlich auftretenden Steißlage oder Querlage bis hin zur Notsectio am zweiten Zwilling diskutiert werden. Sind solche akut auftretenden Probleme in einer Abteilung nicht sicher lösbar, müssen wir dies den Eltern ehrlich mitteilen. bei Beckenendlage Kaum ein Thema verunsichert Eltern nahe am Entbindungstermin so wie die kindliche Steißlage. Auch die in vaginaler Beckenendlagenentbindung versierten Geburtshelfer mussten sich plötzlich fragen (lassen), ob ihr Tun noch gerechtfertigt war die Ergebnisse der Term Breech Trial Collaborative Group (bekannt als Hannah - Studie) zu Beginn des Jahrtausends schienen eine klare Sprache zu sprechen. Mittlerweile haben sich so manche Studienergebnisse relativiert und wir wissen, dass unter der Voraussetzung der sorgfältigen Patientinnenselektion, der Erfahrung des Geburtshelfers und der adäquaten Klinikausstattung das Angebot der vaginalen Beckenendlagenentbindung an die interessierte Schwangere kein verantwortungsloses Tun antiquierter Geburtshelfer ist. Dies wird auch in der vorliegenden Stellungnahme bestätigt. Geburt bei Beckenendlage [AWMF 015/051 (S1)] (5): Wünscht eine Schwangere eine vaginale Geburt bei BEL, kann diesem Wunsch entsprochen werden, wenn den gegebenen Empfehlungen unter besonderer Berücksichtigung der Mutterschaftsrichtlinien (B II, 6.) gefolgt wird. Dazu gehören: individualisierte und ergebnisoffene Beratung der Schwangeren, adäquate Struktur und Organi - sa tion der Geburtsklinik, Qualifikation der Geburtshelfer Gerade dieser letzte Punkt ist leider in immer weniger Kliniken sichergestellt. Als Folge des nicht zuletzt durch die o. g. Hannah -Studie verursachten Rückgangs der vaginalen Beckenendlagengeburten haben immer weniger Assistenzärzte an immer weniger Kliniken die Möglichkeit, vaginale Beckenendlagengeburtshilfe zu erlernen. Das bedeutet in Konsequenz, dass in solchen Kliniken selbstverständlich nur die Sectio als Geburtsmodus bei Beckenendlage infrage kommt. Kann unter diesen Bedingun- DIAGNOSTIK + THERAPIE FRAUENARZT 54 (2013) Nr
5 gen ein Beratungsgespräch wirklich objektiv sein? Ist es zu viel verlangt, die Schwangere bei bestehendem Wunsch nach einer vaginalen Geburt an eine andere Klinik mit entsprechendem Know-how zu verweisen? Offenheit in der Beratung ist aber auch dort unabdingbar; dazu gehört das Gespräch über das Angebot des äußeren Wendungsversuches, die Wahrscheinlichkeit einer sekundären Sectio, aber eben auch Probleme bei Arm- oder Kopfentwicklung des Kindes und deren mögliche Folgen. Problematisch für das Beratungsgespräch ist häufig, dass der Geburtshelfer kaum noch eine Chance für eine nicht-direktive Aufklärung bekommt viele Eltern haben sich letztlich unter dem Druck der Umgebung bereits fest für eine primäre Sectio entschieden. Jeder verantwortungsvolle Geburtshelfer wird diese Eltern nicht zu einer vaginalen Geburt überreden aber es ist doch bedauerlich, dass sich hinter dem Argument zu gefährlich durchaus auch ein kann fachlich/organisatorisch nicht geleistet werden verstecken kann. bei Zustand nach Sectio Hier stellt die S1-Empfehlung der Fachgesellschaft ein umfassendes Grundgerüst für die Beratung der Eltern dar: Schwangerenbetreuung und Geburtseinleitung bei Zustand nach Kaiserschnitt [AWMF 015/021 (S1)] (6): Die ergebnisoffene Beratung über den geplanten Geburtsmodus sollte rechtzeitig genug erfolgen, um der Schwangeren ausreichend Gelegenheit zu geben, die Vor- und Nachteile beider Vorgehensweisen (vaginaler Entbindungsversuch bzw. elektive Re-Sectio) zu überdenken Eine vaginale Entbindung bei Zustand nach Sectio ist in vielen Fällen möglich und erfolgversprechend. Die sorgfältige Aufklärung der Schwangeren über Erfolgschancen und Risiken sollte rechtzeitig erfolgen und gut dokumentiert werden. Dabei ist über die höheren Inzidenzen von Placenta praevia, Placenta accreta und increta sowie der Uterusruptur (insbesondere bei wiederholter Sectio, kurzem Zeitintervall, uterinem Längsschnitt oder bei Geburtseinleitung mit Prostaglandinen) aufzuklären Nicht unterschätzt werden sollte, dass für manche Schwangere im Zustand nach sekundärer Sectio ein nochmaliger Versuch der vaginalen Entbindung ein wichtiger Baustein in der Verarbeitung eines für sie nicht zufriedenstellenden Entbindungsverlaufes darstellt. Dabei ist oft nicht entscheidend, ob die vaginale Geburt im zweiten Anlauf tatsächlich gelingt, sondern dass im Beratungsgespräch eine Chance auf Gelingen eingeräumt wird. Obwohl diese Leitlinie, welche im September 2011 abgelaufen ist und derzeit überprüft wird, genügend Spielraum lässt, sich für den vaginalen Geburtsweg im Z. n. Sectio zu entscheiden, zeigt die bayerische Perinatalerhebung einen anderen Trend: In den letzten zwölf Jahren hat sich mit dem Anstieg der durchschnittlichen Kaiserschnittrate auf 33,6 % auch die Anzahl der Schwangeren mit einem Kaiserschnitt in der Vorgeschichte mit 13,5 % im Jahr 2011 nahezu verdoppelt. Diese Frauen erhielten bei reifem Kind in mehr als 70 % eine Resectio, im Jahr 2000 waren es noch 10 % weniger. Doch gibt es offensichtlich von Klinik zu Klinik deutliche Unterschiede, wie das Beispiel des Perinatalzentrums Ostbayern zeigt (s. Abb. unten): Auch dort ist der Prozentsatz an Schwangeren mit Sectio in der Anamnese auf fast das Doppelte gestiegen und auch der Anteil an Resectiones auf 55 %, er liegt aber immer noch 15 % niedriger als im bayerischen Schnitt. Der Anstieg der Resectiorate dürfte in erster Linie auf die Zunahme Entwicklung der Resectio-Raten: PNZ Ostbayern vs. Bayern gesamt 80 % Z. n. Sectio PNZ Ostbayern Resectio PNZ Ostbayern Z. n. Sectio Bayern Resectio Bayern Prozentuale Häufigkeit des Z. n. Sectio und Resectio-Rate in Bayern vs. Perinatalzentrum Ostbayern bei reifen Kindern FRAUENARZT 54 (2013) Nr. 5
6 derjenigen Schwangeren zurückzuführen sein, welche bereits mehr als einen Kaiserschnitt in der Vorgeschichte haben. Die Unterschiede in den Resectioraten spiegeln u. a. Unterschiede in der Beratung wider, die erheblich durch strukturelle und personelle Unterschiede der Geburtskliniken beeinflusst wird. Beratungssituation: Kaiserschnitt auf Wunsch In der Stellungnahme der Fachgesellschaft zum Thema Kaiserschnitt auf Wunsch wird die Wichtigkeit der Patientinnenaufklärung betont: Absolute und relative Indikationen zur Sectio caesarea [AWMF 015/054 (S1)] (2): Je schwächer die Indikation für eine Schnittentbindung, desto umfassender die Aufklärungspflicht. Aber auch wo eine medizinische Indikation zur Sectio fehlt, sie freilich auch nicht kontraindiziert ist, darf der Geburtshelfer dem ernsthaften und nachdrücklichen Wunsch der Frau nach einer Schnittentbindung entsprechen. Verpflichtet ist er hierzu nicht... Bei den Voraussetzungen zur Durchführung des Kaiserschnittes auf Wunsch heißt es unter anderem sogar: Die Schwangere muss über die Risiken und möglichen Folgen der Sectio extrem aufgeklärt worden sein (siehe hierzu 4.2.2) Dies heißt konkret, dass wir die Schwangere nicht nur über Risiken der geplanten Sectio (z. B. Thromboembolie, Infektion und Wundheilungsstörung, Verletzung von Nachbarorganen, erhöhter Blutverlust, Anästhesiekomplikationen), sondern auch über mögliche Folgen der Sectio für eine nächste Schwangerschaft und Geburt (Plazentationsstörung mit hohem Blutverlust bis hin zur Hysterektomie, Uterusruptur) aufklären müssen: In der Stellungnahme Absolute und relative Indikationen zur Sectio caesarea [AWMF 015/054 (S1)] (2) werden für die Beratungssituation wich tige Zahlen aus den Statistiken der Bayerischen Perinatalerhebung und der Bayerischen Arbeitsgemeinschaft zur Qualitätssicherung aufgezeigt. Zwischen 2001 und 2008 verstarben 12 Mütter nach Vaginalgeburt und 28 nach Kaiserschnitt: Die mütterliche Letalität nach Vaginalgeburt betrug im Zeitraum 2001 bis ,010, nach Sectio 0,017, d. h. bei einem Verhältnis von 1:1,7 nähern sich Zahlen zwar an, aber die sectiobedingte Sterblichkeit ist immer noch höher (7). Dem Thema der Thromboemboliegefahr wird in der Leitlinie Prophylaxe der venösen Thrombembolie [(S3) AWMF 003/001] (8) ebenfalls besondere Bedeutung beigemessen: Die Inzidenz von VTE-Ereignissen ist in der postpartalen Phase am höchsten. Die Entbindung per Kaiserschnitt erhöht das Risiko um
7 den Faktor 3 5 im Vergleich zur Spontangeburt Des Weiteren werden im Risk- Management zur Vermeidung von Müttersterbefällen (Plazentationsstörungen bei Status nach Sectio [AWMF 015/046] (9) der Fachgesellschaft Zahlen von Huch und Chaoui zitiert: Die Inzidenz der Placenta praevia beträgt ohne Voroperation am Uterus 0,3 %, bei Zustand nach einmaliger Sectio erhöht sie sich auf 0,8 %, steigt nach zwei Schnittentbindungen auf 2 % und nach drei und mehr Kaiserschnitten auf 4,2 % an. Ebenso wird zum Thema Plazentationsstörung eine ACOG Committee Opinion wiedergegeben: Bei Plazenta-Insertion im Narbenbereich besteht ein zusätzliches Risiko für eine Placenta accreta/increta/percreta in Abhängigkeit von der Anzahl vorausgegangener Schnittentbindungen (bis ca. 40 % nach zwei oder mehr Sectiones).. Die von den Eltern oft als größte Gefahr nach Kaiserschnitt genannte Uterusnarbenruptur wird in der Stellungnahme Schwangerenbetreuung und Geburtseinleitung bei Zustand nach Kaiserschnitt [AWMF 015/021 (S1)] (6) mit einem Risiko von 0,5 % angegeben und erhöht sich auch nach zwei Sectiones nicht signifikant. Ebenso muss eine mögliche kindliche Anpassungsstörung (insbesondere bei geplanten Kaiserschnittentbindungen vor 38+0 SSW) und die sicherlich seltene kindliche Schnittverletzung angesprochen werden. Die postpartalen, operationsbedingten Schmerzen dürfen ebenso wenig verharmlost werden wie Dauerbeschwerden durch Adhäsionen. Der aufklärende Arzt hat also die schwierige Aufgabe, deutliche Worte der Information zu finden. Gleichzeitig soll aber nicht der Eindruck bei der Schwangeren hervorgerufen werden, sie durch die Aufklärung so verängstigen zu wollen, dass sie in der Folge auf ihren Wunsch nach Kaiserschnitt verzichtet. Dies wird auch in den Empfehlungen zu den ärztlichen Beratungs- und Aufklärungspflichten während der Schwangerenbetreuung und bei der Geburtshilfe [AWMF 015/043 (S1)] (1) betont: Im Aufklärungsgespräch, das die beiderseitigen Risiken realistisch darzustellen hat, darf auch der Geburtshelfer, der der vaginalen Entbindung den Vorzug gibt, die Risiken der primären Sectio nicht größer darstellen, als sie tatsächlich sind Zusammenfassung Die geburtshilfliche Beratungssituation hat an Komplexität zugenommen, nicht selten bewegen sich Eltern und Geburtshelfer in einem Spannungsfeld gegensätzlicher Erwartungen und Überzeugungen. Die Leitlinien, Stellungnahmen und Empfehlungen der Fachgesellschaften können eine Unterstützung für das Gespräch sein, ersetzen aber nicht das echte Interesse des Arztes an seiner Patientin und ihren Wünschen für die Geburt. Dazu kommt, dass die geburtshilflichen Leitlinien fast ausnahmslos S1-Charakter haben, d. h. eher Handlungsempfehlungen einer nicht-repräsentativen Expertengruppe ohne systematische Evidenzbasierung und ohne strukturierte Konsensfindung sind, zudem mit teilweise unklarer Gültigkeitsdauer. Von entscheidender Bedeutung ist daher die individuelle Einschätzung der Patientin und der Kompetenz der Geburtsklinik durch den beratenden Arzt. In der Klinik dürfen wir unsere Grenzen seien sie fachlich/organisatorisch oder ethisch der Patientin nicht verschweigen. Umgekehrt sollte der niedergelasssene Frauenarzt die Strukturen der von der Schwangeren anvisierten Geburtsklinik und die Expertise der verantwortlichen Geburtshelfer vor Ort soweit kennen, dass er deren Kompetenz in nicht alltäglichen Situationen wie Beckenendlage-Entbindungen und Mehrlingsgeburten beurteilen kann. Kann er das nicht, ist es sicher sinnvoll, das Beratungsgespräch zum Geburtsmodus eher dem klinischen Geburtshelfer zu überlassen, damit keine Widersprüche entstehen, welche das Vertrauen der Schwangeren in ihre Ärzte nachhaltig stören können. Literatur 1. Empfehlungen zu den ärztlichen Beratungs- und Aufklärungspflichten während der Schwangerenbetreuung und bei der Geburtshilfe. AWMF 015/043 (S1), erstellt 1996, Stand , gültig bis Absolute und relative Indikationen zur Sectio caesarea. AWMF 015/054 (S1),erstellt 2001, letzte Überprüfung 7/ Vorgehen bei Terminüberschreitung und Übertragung. AWMF 015/065, erstellt 2/2010, nächste Überprüfung für 12/2012 vorgesehen. 4. Empfehlungen zur Schulterdystokie. Erkennung, Prävention und Management. AWMF 015/024 (S1), erstellt 4/2000, letzte Überarbeitung 5/ Geburt bei Beckenendlage. AWMF 015/051 (S1), erstellt 2005, letzte Überprüfung 1/2010, gültig bis 8/ Schwangerenbetreuung und Geburtseinleitung bei Zustand nach Kaiserschnitt. AWMF 015/021 (S1), erstellt 1998, letzte Überarbeitung 11/2007, gültig bis , wird derzeit überprüft. 7. aus: Welsch H et al.: Müttersterblichkeit. in: Schneider H et al.: Die Geburtshilfe. Springer Verlag. 4. Aufl. 2011, Prophylaxe der venösen Thrombembolie (S3). AWMF 003/ Plazentationsstörungen bei Status nach Sectio. AWMF 015/046; erstellt 11/2005, letzte Überarbeitung 8/2008. Für die Autoren Dr. med. Georgine Huber Universität Regensburg Klinik für Geburtshilfe und Frauenheilkunde St. Hedwig-Krankenhaus Barmherzige Brüder Steinmetzstr Regensburg georgine.huber@ barmherzige-regensburg.de 452 FRAUENARZT 54 (2013) Nr. 5
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