Das Navigations-Ei der kleinen Seeräuber

Transkript

1 Das Navigations-Ei der kleinen Seeräuber Heiligenhafen Großenbrode Gedser Warnemünde Wismar Heiligenhafen 171 sm Schiff: Sun Odyssey 43 Baltic Sun Anfang Juli war es wieder soweit; die Jugendlichen des Segelclub Rheingau machten sich auf den Weg, um in See zu stechen Es ist bereits das 8. Mal in Folge und mein 4. Törn in eigener Verantwortung. Diesmal hatten wir nur 8 Tage für den Jugendtörn eingeplant, da im Anschluss an unseren Törn auf dem Schiff ein SKS-Prüfungstörn für die älteren Jugendlichen (ab 16 Jahre) stattfinden sollte. Bei der Planung des diesjährigen Jugendtörns stand die Auswahl der Wachführer und Paten im Vordergrund, weil uns die älteren Jugendlichen wegen ihrer eigenen SKS-Ausbildung für die Besetzung der Wachführerposten auf dem Jugendtörn nicht zur Verfügung standen. Ich entschloss mich dazu, den älteren Kids (13 Jahre), die bereits schon mehrfach mitgefahren waren, mehr Verantwortung zu übertragen, denn Ziel unserer Jugendtörns ist es, Kids und Jugendliche so früh wie möglich an das Seesegeln heranzuführen und selbstständig Aufgaben wahrzunehmen. Die Wachführer sollten auch die Patenschaften für unsere jüngeren Crewmitglieder übernehmen (ab 9 Jahre). Ziel des diesjährigen Jugendtörns war es, die neuen, doch recht jungen Wachführer an die Paten- und Wachaufgaben heranzuführen und ihnen Verantwortungsbewusstsein in diesem Bereich zu vermitteln. Aus diesem Grund haben wir unseren Törnplan nicht auf eine große Törnstrecke ausgelegt, sondern den Schwerpunkt auf Seemannschaft und Sicherheit gesetzt. Die Vorbereitung in Walluf Im Vorfeld standen mehrere Treffen mit den Jugendlichen und teilweise auch mit den Eltern an, um die Jugendlichen auf diesen besonderen Törn vorzubereiten und die Besetzung der

2 Wachführerposten zu besprechen. Die Themen waren Ausrüstung und Bekleidung, der mögliche Törnplan, der Kojenplan, der Umgang mit Seekrankheit, der Wachplan, die Bordgesetze, die Abendgestaltung und der Plan, wer was kocht an Bord und Backschaft übernimmt. Wir haben im Vorfeld der gesamten Crew die Betonnung, insbesondere die Gefahrentonnen und ein paar Leuchtfeuer erklärt, die wichtigsten Sicherheitsregeln, unser Punktsystem mit Tagesaufgaben und das Wettertagebuch besprochen. Es wurden vier Wachführer ausgewählt, mit denen zusätzlich eine kleine Schulung in Navigation und Logbuchführung abgehalten wurde. Gemeinsam wurde besprochen und definiert, was es heißt Verantwortung zu übernehmen. Wir haben an Bord zwei Wachen vorgesehen, die jeweils mit zwei Wachführern im Wechsel besetzt waren. Wetterempfang Unsere Wetterinformationen erhielten wir über verschiedene Kanäle. Morgens und abends schickte uns der Vercharterer einen Wetterbericht per SMS. Ferner bekamen wir über UKW einen Wetterbericht von DP 07 und konnten Aushänge bei den Hafenmeistern und Wetterkarten aus dem Internet in unserer Wetterplanung einbeziehen. Navigation Unsere Navigation haben wir mittels Koppelnavigation in der Seekarte, Peilungen und GPS durchgeführt. Crew Skipperin: Doris Schmidt Co-Skipper: Reinhard Beer Wache 1: Mario Lucchetti, Robert Steffen, Geronimo Werner, Julius Rosenthal Wache 2: Jannis Weber, Maurice Höher, Leonard Offer

3 Der übliche Stress zu Beginn Die Schiffsführung (Skipperin und Co-Skipper) reiste bereits schon am Freitag an und konnte einige Vorbereitungen treffen und Einkäufe erledigen. Am Samstag früh wurde das Schiff übernommen und durchgecheckt. Kaum waren die letzten Vorbereitungen getroffen, kamen unsere Kids mit zwei Stunden Verspätung und einer Menge Gepäck am Schiff an. Nach einem kurzen Mittagssnack mussten zunächst die ganzen Klamotten, die die vorsichtigen Mütter eingepackt hatten, verstaut werden. Im Anschluss fand eine gründliche Bootseinweisung statt. Es wurde besonders Wert auf die für die Sicherheit relevanten Einrichtungen gelegt. Ein wichtiger Punkt war das Anpassen der Schwimmwesten. Die neuen Wachführer zeigten hier Verantwortung; sie halfen den Kleinen und zeigten ihnen die richtigen Handgriffe an Bord. Der Wachplan mit den entsprechenden Aufgaben wurde nochmals ausführlich besprochen. Wir haben festgelegt, dass bei auftretenden Problemen ein Beidrehmanöver gefahren wird, um Ruhe ins Schiff zu bekommen. Bei Mann über Bord fahren wir als Rettungsmanöver das Quick-Stopp-Manöver. Den Abend ließen wir mit einem leckeren Abendessen an Bord und dem allseits beliebten Spiel Piraten-Stechen ausklingen. Kaum waren die Leinen los, war Seemannschaft vergessen Am Sonntag stand als erster Programmpunkt ein ausgiebiges Frühstück auf dem Plan, da das Wetter nicht so einladend war grau in grau. Gegen Mittag legten wir ab und fuhren noch einige Manöver. Wir wählten eine kurze Törnstrecke und segelten bei einem frischen Nordwest-Wind um 4 Bft. durch die Fehmarnsund Brücke nach Großenbrode. Mein Co-Skipper und ich waren mit den Leistungen unserer neuen Wachführer nicht zufrieden. Über die anfängliche gute Seemannschaft und die Bereitschaft, Verantwortung übernehmen zu wollen, waren wir überrascht. Doch leider hielt es nicht lange an und es kehrte der heimische Trott ein, bei dem jeder der Kids dachte, ein anderer wird s schon erledigen. Jetzt waren wir gefordert. Es musste eine andere Strategie her, um den Kids aufzuzeigen, wie wichtig es ist, dass an Bord jeder seine zugeteilten Aufgaben gewissenhaft wahrnimmt, um einen schönen und sicheren Törn fahren zu können.

4 Ein Straftag wird zum Schluss zum Spaßtag Am nächsten Morgen führten wir unter Hinweis auf die Bordgesetze intensive Gespräche. Ich traf trotz guter Windverhältnisse die Entscheidung, den Hafen heute nicht zu verlassen. Jetzt musste die gesamte Crew erst einmal richtige Seemannschaft lernen; es wurde das gesamte Schiff gereinigt, Knoten, Segel setzen, Segel bergen und reffen geübt und vor allem klar gemacht, dass ohne gute Seemannschaft der Törn hier in Großenbrode endet. An dem heutigen Tag war die Tagesaufgabe Navigation an der Reihe. Es wurden mithilfe eines hartgekochten Ei s sämtliche für die Navigation wichtigen Begriffe (Längengrade, Breitengrade, Merkatorprojektion usw.) erklärt. Dieses bunt bemalte Ei wurde sorgfältig in unserem Kühlschrank aufbewahrt und bei Bedarf immer wieder zu Rate gezogen. Es war sozusagen unser Ei des Kolumbus. Selbst unser Kleinster an Bord hat bei der Navigation so viel Spaß gehabt, dass er bei seinem abendlichen Telefonat gesagt hat, dass er ab sofort zuhause unbedingt Seekarten und ein Navigationsbesteck benötige. Der Straf-Lern-Tag und die Lust, segeln zu wollen, haben dazu geführt, dass aus den Kids eine starke Crew mit kameradschaftlichen und seemännischen Denken wurde. Grillen und Fußball in Dänemark Am nächsten Tag, nach den morgendlichen Checks (Bilge, Bordventile, Luken und Motor), legten wir gegen 10:00 Uhr bei leichtem Ostwind ab. Jetzt hatte der Törn so richtig begonnen und unsere Jungs waren wieder auf See angekommen. Wir wählten den Kurs am Wind und segelten nach Gedser. Hier in Dänemark wird gegrillt, was wir auch mit viel Spaß machten. Der Tag wurde mit einem gemeinsamen Fußballspiel abgerundet. Nach der Wetterkarte befanden wir uns in einem Hoch umgeben von Tief`s; der Wind konnte also aus nordöstlichen oder auch südwestlichen bis westlichen Richtungen kommen. Wir wählten als nächstes Ziel Warnemünde und hofften auf guten Wind aus der richtigen Richtung. Am Anfang mussten wir leider motoren, dann setzte ein frischer Wind bis 4 Bft. aus Ost ein. Wir segelten mit viel Spaß, kreuzten den stark befahrenen Kiel-Ostsee-Weg und legten gegen

5 17:00 Uhr in Warnemünde, Marina Hohe Düne, an. Leider konnten wir nicht in dem alten malerischen Stadthafen anlegen, da bereits alle Liegeplätze für die Warnemünder Woche reserviert waren. Wir fuhren von der Marina aus gegen Abend mit einem Shuttle-Boot zur Altstadt und erfüllten uns kleine Shoppingwünsche. Die Kids betrachteten die alten und neuen Yachten im malerischen Stadthafen mit Erstaunen. Baden und plötzlich ein MAYDAY-Ruf Für den nächsten Tag war wenig Wind angesagt. In der Wetterkarte konnte man die langweiligen Isobarenlinien sehen. Wir versuchten trotzdem mit jedem Windhauch zu segeln, erst gegen 14:00 Uhr setzte sich dann eine beständige Brise von 2-3 Bft. aus Nordwest durch. Gegen 16:00 Uhr drehten wir bei und legten einen kleinen Badestop ein. Um 16:30 Uhr hörten wir über UKW Kanal 16, der immer eingeschaltet war, einen MAYDAY-Ruf. Eine Segelyacht hatte sich bei den Untiefen vor Boltenhagen festgefahren und hatte nun Wassereinbruch. Jetzt wurde es spannend und die Kids waren schon ganz aufgeregt und verfolgten gespannt jede Äußerung auf Kanal 16. Kurz nach dem Hilferuf meldete sich eine Yacht, die dann den Kontakt nach Bremen herstellte. Wir hätten auch nicht helfen können, da wir zu weit weg waren, aber vielleicht ein MAYDAY-Relay aufbauen können. Nach der kurzen Windpause drehte der Wind nach Nordost und nahm an Stärke zu. Wir segelten jetzt sehr aufmerksam durch das Untiefengebiet vor Wismar. Jede einzelne Tonne wurde von den Kids mit größter Sorgfalt abgearbeitet, da sie den zuvor gehörten MAYDAY-Ruf im Hinterkopf hatten. Am späten Abend, nach einer navigatorischen Bestleistung, legten wir im Seehafen von Wismar an. Es war ein spannender Segeltag, Theorie und Praxis waren zum Anfassen und es hat sich wieder gezeigt, dass eine gute Vorbereitung z.b. Schulung in Navigation wertvoll ist. An diesem Abend waren alle stolz, das Bordessen schmeckte ganz besonders gut und so mancher ist mit Kapitänsgedanken schlafen gegangen. Der letzte Tag auf See ein unfreundlicher Abschied von Rasmus Das Tief über Irland rückte immer näher und schickte uns die ersten Vorboten: Schichtwolken, etwas Regen und schwacher Wind aus Südwest. Am Anfang motorten wir durch das Tonnengewirr bis zur

6 Ansteuerungstonne Offentief, setzten die Segel bei einem mäßigen Südwest-Wind und steuerten 344 am Kompass in Richtung Fehmarnsund-Brücke. Wir konnten sogar die schmale Fahrwasser- Passage durchsegeln. Nach der Brücke wartete Rasmus, den wir jeden Morgen um guten Wind baten, mit einem kleinen Abschiedsgeschenk auf uns. Über Heiligenhafen bauten sich Cumulusstratuswolken auf, wobei die Stratuswolken den Horizont nicht mehr freigaben. Jetzt war Eile angesagt. Für unsere Kids war dies zwar unverständlich, da wir doch noch so schön segeln konnten. Die Segel wurden notdürftig verpackt, Ölzeug angezogen, die Position festgehalten und schon stürzten die Böen in Sturmstärke auf uns zu, brachten starken Regen mit Kraupel und die Sicht nahm schlagartig ab. Wir mussten die Ansteuerung des Hafens aus Sicherheitsgründen abbrechen, denn man konnte den Hafen und die vorgelagerten Untiefen nun überhaupt nicht mehr sehen. Jetzt konnten unsere Kids selbst erleben was gute Seemannschaft bedeutet. Nach 20 Minuten war die Front über uns weggezogen und wir konnten Heiligenhafen sicher anlaufen. Gegen 18:00 Uhr machten wir unsere Baltic Sun am Steg mit einer gut eingespielten Crew- fest. Das Bordfest Auch diesmal hatten wir auf unseren Törn ein Punktesystem durchgeführt. Es gab Punkte für gute Seemannschaft, für die Tagesaufgaben, das Wettertagebuch und vor allem Teampunkte für die Wachaufgaben. Natürlich gab es auch Minuspunkte für Nach einem guten Essen im alten Salzspeicher ließen wir den Törn mit unserem traditionellen Bordfest und der Auflösung unseres Punktesystems stilvoll ausklingen. Am nächsten Morgen wurde noch einmal ausgeschlafen und dann nach einem ausgiebigen Frühstück mit Käpt`n Blaubär Geschichten gepackt. Nach dem Aufräumen machten wir noch einen Stadtbummel, um Mitbringsel zu kaufen. Danach ging es ab zum Zug und nach Hause Fazit Auch der diesjährige Jugendtörn war ein voller Erfolg, obwohl er am Anfang, zwecks mangelnder Seemannschaft, fast zu scheitern drohte.

7 Wir legten zwar nur 171 sm zurück, dafür haben wir aber kleine Segler durch Ihre Wachführertätigkeiten ganz groß gemacht. Auch unsere Jüngsten haben uns überrascht, sie zeigten gute Seemannschaft und hatten große Freude die Ostsee seglerisch zu durchkreuzen. Dank guter Wetterberichte und Wetterkarten, konnten wir mit einer guten Wetternavigation jeden Tag auf`s Neue mit viel Freude und Abenteuerlust in See stechen und waren dabei immer auf der sicheren Seite. Wir hatten alle viel Spaß und auch die jüngsten an Bord bekamen richtige Seebeine. Auch in diesem Jahr hat alt und jung an Bord gut zusammengearbeitet und für eine harmonische Stimmung an Bord gesorgt. Die Durchführung des Punktsystems mit den Tagesaufgaben, Wettertagebuch und Käpt`n Blaubär-Geschichten war ein voller Erfolg. Den Kids und Jugendlichen konnte so auf spielerische Weise seemännisches Wissen vermittelt werden und sie hatten eine sinnvolle Beschäftigung in ihren Freiwachen. Trotz all der Aufgaben ist der Spaß an Bord nicht zu kurz gekommen. Auch die neuen Wachführer konnten sich weiterbilden und mussten feststellen, dass Verantwortung zu übernehmen nicht immer ganz einfach ist. Ein Dankeschön an unseren Club für die finanzielle Unterstützung. Ein Dankeschön auch an meine Crew und den Co-Skipper, die alle zum Gelingen des Törns beigetragen haben. Insgesamt war es ein sehr harmonischer Törn, den wir hoffentlich im nächsten Jahr wiederholen können. Doris Schmidt