Nierendiagnostik Grundlagen der Labormedizin
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1 Nierendiagnostik Grundlagen der Labormedizin
2 Autor: Prof. Dr. med. Walter G. Guder, München Redaktion: Dr. Volker Ehrhardt, Roche Diagnostics GmbH, Mannheim Überarbeitete Fassung: November 2009
3 Inhalt Seite 1 Nierendiagnostik, Allgemeines 4 2 Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie Proteinurie Formen der Proteinurie Hämaturie, Hämoglobinurie Leukozyturie und Bakteriurie 13 3 Urinuntersuchungen Proteinurie Hämaturie und Myoglobinurie Leukozyturie und Bakteriurie Keimzahlbestimmung im Urin und Nachweis anti bakterieller Stoffe 22 4 Blutuntersuchungen Kreatinin Harnstoff Cystatin C Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) Endogene Kreatinin-Clearance Berechnung der GFR aus Serum-Plasma-Kreatinin Berechnung der GFR aus Serum-Plasma-Cystatin C 33 5 Diagnostische Strategien Ausschluss von Nierenerkrankungen (Screening) Urinuntersuchungen Blutuntersuchungen Differenzierung von pathologischen Befunden beim Screening Differenzierung der Proteinurie Differenzierung der Hämaturie Differenzierung der Leukozyturie 46 6 Weitergehende Untersuchungen 48 7 Referenzbereiche Serum, Plasma Urin Funktionstests (Glomeruläre Clearance) 51 8 Literatur 52 9 Index 58 Inhalt 3
4 1 Nierendiagnostik, Allgemeines Erkrankungen der Nieren und des Urogenitaltraktes können lange Zeit ohne typische Beschwerden verlaufen. Nierenfunktionsstörungen und Niereninsuffizienz bleiben daher oft jahrelang unerkannt. Nierenfunktionsstörungen möglichst frühzeitig erfassen. Die Niereninsuffizienz ist als Endstadium verschiedener primärer und sekundärer Nierenerkrankungen nur noch durch eine Nieren ersatztherapie wie Dialyse und Nierentransplantation zu behandeln. Die Ursachen sind in Abbildung 1 dargestellt. Eine moderne Nierendiagnostik sollte daher in der Lage sein, eine Nierenfunktionsstörung in einem Stadium zu erfassen, in dem therapeutische Maßnahmen das Fortschreiten der Krankheit zur Niereninsuffizienz aufhalten können. Bei Laboruntersuchungen zum Ausschluss von oder bei Verdacht auf Nephropathien und Harnweg-Infekte werden verschiedene diagnostische Maßnahmen eingesetzt. Erste Hinweise geben Diabetes Glomerulonephritis Hereditär/Kongenial Systemerkrankungen Vaskuläre Nephropathie 4% Verschiedene Unbekannte Genese Zystennieren Interstitielle Nephritis 23% 8% 4% 8% Diabetes Typ II 32% n = Patienten 4% 1% 13% 3% Diabetes Typ I Abb. 1: Ursachen für dialyse pflichtiges chronisches Nierenversagen in Europa und Verteilung der Dia gnosen von Patienten in Nieren ersatztherapie bei Therapiebeginn (2006). 4 Nierendiagnostik, Allgemeines
5 Urinuntersuchungen mit Teststreifen, die Beur tei lung des Sediments und sensitive Proteinbestimmungen. Zur Nieren-Funktionsdiagnostik (Abklärung der glomerulären Clearance) eignen sich Bestimmungen von harn pflichtigen Substanzen im Blut. Abbildung 1 gibt die Ursachen für dialysepflichtige Nieren erkran kungen nach Angaben der europäischen Dialyse- und Trans plantationsorganisation von 2006 wieder. Eine Überwachung der Nierenfunktion ist besonders bei fol genden Krankheiten und Zuständen angezeigt: Hypertonie Tuberkulose Diabetes mellitus chronische Anwendung Hyperurikämie, Gicht potentiell nephrotoxischer Urolithiasis Medikamente (z. B. Gentamycin) Prostatahypertrophie akute oder chronisch Hyperparathyreoidismus rezidivierende Infekte Schwangerschaft Folgende Symptome, die den Patienten zum Arzt führen, deuten besonders auf das Vorliegen einer Erkrankung der Nieren oder ableitenden Harnwege hin: Polyurie Ödeme Oligurie Hämaturie Dysurie Schmerzen in der Nierengegend Pollakisurie Strangurie Nierendiagnostik, Allgemeines 5
6 2 Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie 2.1 Proteinurie Die meisten Nierenerkrankungen gehen mit einer Proteinurie einher. Jedoch kommt diese in seltenen Fällen auch bei Nierengesunden und bei extrarenalen Erkrankungen vor. Die Proteinurie ist weder Beweis für eine Nierenkrankheit noch schließt ihr Fehlen eine solche aus. Der Nachweis von Eiweiß macht deshalb weitere Untersuchungen erforderlich. Für Früherkennung und Lokalisation beginnender Nierenschäden hat sich die sensitive Messung von Albumin im Urin und die Differenzierung der Urinproteine als diagnostisch besonders aussagekräftig erwiesen Formen der Proteinurie Eine moderne Proteindiagnostik im Urin kann Aussagen über den Ort und den Mechanismus der zugrundeliegenden Schädi- Basalmembran normal Basalmembran diabetisch Serumproteine Lamina rara interna Lamina densa Lamina rara externa Der Nachweis einer Proteinurie erfordert weitere Untersuchungen. Normoalbuminurie < 20 mg/l Selektive Proteinurie mg/l Unselektive Proteinurie > 500 mg/l = Albumin = Hochmolekulares Protein Abb. 2: Pathogenese der glomerulären Proteinurie (modifiziert nach Hasslacher, 1990). 6 Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie
7 gung zulassen, d. h. zwischen prärenalen, glomerulären, tubulären und postrenalen Ursachen unterscheiden. Jüngere Forschungsergebnisse haben unser Wissen zum Mechanismus der Proteinurie erheblich erweitert. Normalerweise werden die Proteine des Blutes von der glomerulären Basalmembran zu rück gehalten. Das Ausmaß der Filtration ist jedoch für jedes Protein verschieden. So werden kleine Proteine (Molekulargewicht unter 40 kilodalton (kd)) nahezu vollständig filtriert, während große Proteine (Molekulargewicht über 200 kd) den glomeru lären Filter nahezu nicht passieren können. Bei Molekülen mittlerer Größe (z. B. Albumin, Molekulargewicht 67 kd) hängt die Rate ihrer Filtration zusätzlich von ihrer Ladung ab. Je mehr negative Ladungen ein Protein hat, desto geringer ist die Durchlässigkeit der filtrierenden Membran für dieses Protein. Auf diese Weise entsteht ein Proteinmuster im Primär-Harn, das sich von dem des Plasmas unterscheidet. Es enthält alle niedermolekulare Proteine, während Proteine mittleren Molekulargewichts abhängig von ihrer Ladung und höher-molekulare Proteine nicht enthalten sind. Entsprechend wird eine Verände rung dieses Proteinmusters im Primärharn infolge Vermehrung der Moleküle mittleren Molekulargewichts als selektiv, eine Veränderung durch Vermehrung von Proteinen höheren Molekulargewichts als unselektiv bezeichnet (Abbildung 2). Filtrierte Proteine werden im proximalen Tubulus nahezu vollständig rückresorbiert und in den Tubuluszellen abgebaut. Weniger als 1 % der filtrierten Proteine erscheinen gemeinsam mit Proteinen des Tubulus und der ableitenden Harnwege (Zellabschilferungen, Sekrete) im Endharn. Abbildung 3 stellt die verschiedenen Formen der Proteinurie schematisch dar. Prärenale Proteinurien sind relativ selten im Vergleich zu renalen und postrenalen Proteinurien. Sie sind charakterisiert durch die Ausscheidung von kleinmolekularen Proteinen, die vermehrt Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie 7
8 in den Blutkreislauf abgegeben und physiologischerweise durch die Niere eliminiert werden. Durch Überlastung der tubulären Rückresorption treten diese Proteine im Endharn auf. Normale Nierenfunktionen Prärenale Proteinurie Glomeruläre Proteinurie Tubulointerstielle Proteinurie Postrenale Proteinurie Glomerum 1 2 proximaler Tubulus Albumin LMW z.b. a 1 -M b-nag HMW n n n n n n bis n n bis n bis n bis n bis n n ableitende Harnwege 3 Proteine aufgrund extranaler Blutungen/ Entzündungen LMW = Low molecular weight proteins; HMW = High molecular weight proteins; a 1 -M = a 1 -Mikroglobulin; b-nag = N-Azetyl b, D-Glukosaminidase Abb. 3: Schematische Darstellung verschiedener Formen der Proteinurie (modifiziert nach Guder und Hofmann, 1993). 1 Ort der glomerulären Proteinurie 2 Ort der tubulären Proteinurie 3 Ort der postrenalen Proteinurie 8 Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie
9 Bekannte Beispiele sind die sog. Bence-Jones-Proteinurie, die Hämoglobinurie und die Myoglobinurie. Sie werden durch den Nachweis der sie verursachenden und charakterisierenden Proteine erfasst und differenziert (siehe S. 40). Andere extra renal bedingte Proteinurien können auch bei Herzinsuffizienz (Stauungsalbuminurie), Myokardinfarkt, Apoplexie, Schädel- Hirn-Trauma, epileptischen Anfällen, Koliken, fieberhaften Zustän den oder nach Operationen vorkommen. Sie unterscheiden sich in der Zusammensetzung der Harnproteine jedoch nicht von renal verursachten Proteinurien. Nach Ausheilung der Grundkrankheit verschwinden sie wieder. Glomeruläre Proteinurien stellen die häufigste Form diagnostisch relevanter Proteinurien dar. Sie entstehen durch vermehrte Filtration von Proteinen mittleren Molekulargewichts (z. B. Albumin) infolge primärer (Glomerulonephritis) oder sekundärer (z. B. Diabetes mellitus, Hypertonus) Nephropathien (Ab bildung 2 und Abbildung 3). Glomeruläre Proteinurien sind am häufigsten. Schlechte Stoffwechseleinstellung beim Diabetes mellitus führt nach 2 5 Jahren zu einer Verdickung der glomerulären Basalmembran (Abbildung 2). Als diagnostischer Marker dient das Albumin im Urin (Abbildung 3). Tubuläre Proteinurien sind gekennzeichnet durch eine vermehrte Ausscheidung kleinmolekularer Proteine (z. B. a 1 -Mikroglobulin) als Ausdruck einer verminderten tubulären Rückresorption bei normaler glomerulärer Filtration. Diese Form der Proteinurie ist typisch für chronisch interstitielle Nephropathien (z. B. bei Analgetika-Missbrauch) und bei akuten und chronischen tubulären Schäden durch endogene (z. B. hepatorenales Syndrom) und exo gene Tubulusgifte (Cadmium, Blei, nephrotoxische Antibiotika und Zytostatika). Diese Form der Proteinurie ist bei konventioneller Diagnostik mit Teststreifen und Harnsediment meist Albumin im Urin ist eine wichtige diagnos tische Messgröße bei Diabetes mellitus und Hypertonie. Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie 9
10 unerkannt geblieben, mit modernen Diagnostika aber sensitiv erfassbar geworden. Die tubulointerstitielle Beteiligung ist ein entscheidender Indikator für die Prognose einer Nierenerkrankung. Gutartige Proteinurien können verschiedene Ursachen haben. Postrenale Proteinurien sind meist durch Blutungen in die ableitenden Harnwege verursacht. Bei primären und sekundären Nierenerkrankungen finden sich häufig Kombinationen von glomerulärer und tubulärer Proteinurie (tubu lo glomeruläre Proteinurien). Diese entstehen sekundär durch Über lastung des Tubulusapparates bei ausgeprägten glomerulären Pro teinurien (über 3 g/l) oder bei Erkrankungen, die gleichzeitig ne ben den Glomeruli das Interstitium der Niere angreifen. Für die Prognose einer Nierenerkrankung wurde die tubulo interstiti elle Beteiligung als die maßgebende Komponente erkannt; daher ist die Früherkennung einer tubulären Beteiligung bei Nierenerkran kungen besonders wichtig. Früher so genannte gutartige Proteinurien findet man vor allem bei Nierengesunden im Alter bis zu 30 Jahren. Wesentliche Ursachen sind körperliche Anstrengungen, vasokonstriktorisch wirkende Arzneimittel oder Gravidität. In der Schwangerschaft werden bei 20 % der Frauen leichte Proteinurien beobachtet. Sie werden heute als Ausdruck angeborener verminderter Kapazität der glomerulären Filtration (sog. minimal change Nephropathie oder Syndrom der verdünnten Basal mem bran) oder als Frühsymptom einer beginnenden Nephro pathie (z. B. in der Schwangerschaft) oder Ausdruck einer Hyperfiltration (sog. Marschproteinurie) gesehen. Gutartige Proteinurien treten intermittierend auf. Im ersten Morgenurin ist die Eiweißaus scheidung meist nicht erhöht. Bei der postrenalen Proteinurie kann man eine vermehrte Ausscheidung aller Plasmaproteine einschließlich derer mit einem Molekular gewicht von über 500 kd beobachten, die die glomeruläre Basalmembran kaum passieren können. 10 Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie
11 Diese werden in den meisten Fällen durch Blutungen in die ableitenden Harnwege verursacht. 2.2 Hämaturie, Hämoglobinurie Die Hämaturie (Ausscheidung von Erythrozyten im Urin) ist ein Symptom zahlreicher urologischer und innerer Erkrankungen. Wie bei der Proteinurie unterscheidet man prärenale, renale und postrenale Ursachen (Abbildung 4). Renale Hämaturien können wiederum in glo meruläre und postglomeruläre unterschieden werden. Als Makrohämaturie wird eine mit dem bloßen Auge sichtbare, als Mikrohämaturie eine nur mikroskopisch oder mit Teststreifen nachweisbare Hämaturie bezeichnet. Die häufigsten Ursachen der Hämaturie sind bakterielle Infektionen der ableitenden Harnwege, Glomerulo nephritis, Urolithiasis, Tumoren der Nieren und des Uro genitaltraktes. Hämaturien können durch eine Vielzahl von Erkrankungen verursacht sein. Die Ursache ist in jedem Fall diagnostisch abzuklären. Von den zahlreichen Ursachen prärenaler Hämaturien seien hämorrhagische Diathesen, schwere Hypertonie, Herz insuffizienz, Blutkrankheiten und Thrombosen ge nannt. Da auch die Aus schei dung von Hämoglobin und Myoglobin einen positiven Teststreifenbefund für Blut verursacht, zählen auch alle Ursachen einer intravasalen Hämolyse sowie einer Myolyse mit entsprechender Aus scheidung im Urin zu den Ursachen. Renale Hämaturien treten bei Glomerulonephritis und bei interstitieller Nephropathie auf, z. B. bei Pyelonephritis, Analgetika- Nephritis, vaskulären Nierenerkrankungen, diabetischer Nephropathie und Niereninfarkt. Auch die renale Tuberkulose und das Nierenkarzinom können Ursachen einer renalen Hämaturie sein. Die postrenalen Hämaturien können durch eine Vielzahl von Erkrankungen verursacht sein. Sie sind charakterisiert durch das Auftreten eines Proteinmusters, das dem des Plasmas ähnlich ist (vgl. Abbildung 3). Ihre Unterscheidung von anderen Formen Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie 11
12 stellt ein besonderes diagnostisches Problem dar. Die häufigste Ursache einer postrenalen Hämaturie sind bakterielle Infektionen der ableitenden Harnwege. Bei Urolithiasis ist eine Mikrohämaturie manchmal das einzige Frühsymptom. Bei Tumoren kann man sowohl Mikro- als auch Makrohämaturie beobachten. Neben den genannten Erkrankungen kann eine Hämaturie bei einer Vielzahl von Nieren- und Harnwegserkrankungen auftreten. Glomerulonephritis Nierentumor Nierenstein Pyelonephritis Harnleitertumor Harnleiterstein Blasenkarzinom Cystitis Blasenstein Prostataadenom Abb. 4: Wichtige renale und postrenale Ursachen der Hämaturie. 12 Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie
13 2.3 Leukozyturie und Bakteriurie Die Leukozyturie, eine vermehrte Ausscheidung von Leukozyten im Harn, ist ein wichtiges Leitsymptom bei entzündlichen Erkrankungen der Nieren und/oder der ableitenden Harnwege. Der Harnwegsinfekt ist nach Infektionen des Respirationstraktes die häufigste bakterielle Erkrankung des Menschen. Die Verbreitung in der Bevölkerung ist nach Alter und Geschlecht unterschiedlich und nimmt mit wachsendem Alter merklich zu. Betroffen sind besonders Frauen. In der Schwangerschaft ist die Fahndung nach Harnwegsinfekten besonders wichtig. Männer erkranken vermehrt nach dem 60. Lebensjahr, wobei Prostata- Hypertrophie und instrumentelle Untersuchungen eine besondere Rolle spielen. Neben Schwangeren und älteren Menschen sind Hochdruckkranke und Diabetiker durch Harnwegsinfekte und Pyelonephritis besonders gefährdet, mehr noch Patienten mit Dauerkatheter, Gicht, Urolithiasis, Analgetika-Abusus und kongenitalen urologischen Erkrankungen. Leukozyturie und signifikante Bakteriurie finden sich häufig, jedoch durchaus nicht immer gleichzeitig. Aus der Tatsache, dass eine Leukozyturie häufig ohne Hämaturie auftritt, kann man schlie ßen, dass die Zellen parazellulär in die Harnwege einwandern. Die im Harn ausgeschiedenen Leukozyten sind vorwiegend Granulozyten. Lymphozyten, Makrophagen und eosinophile Granuloyzten haben bei speziellen Fragestellungen zunehmend diagnostische Bedeutung erlangt. Neben der signifikanten Bakteriurie ist die Leukozyturie Leitsymptom der akuten und chronischen Pyelonephritis. Besondere Bedeutung gewinnt sie zur Diagnose der chronischen Pyelonephritis. Während nämlich bei der akuten Verlaufsform meist Leukozyturie und Bakteriurie sind Leitsymptome bei akuter und chronischer Pyelonephritis und treten nicht immer gleichzeitig auf. Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie 13
14 zusätzliche Symptome auftreten (z.b. Fieber, Nierenschmerzen, pathologische Harnbefunde wie Proteinurie, Erythrozyturie) und gleichzeitig eine signifikante Bakteriurie beobachtet wird, ist die Leukozyturie zwischen den akuten Schüben manchmal einziges Symptom. Die verschiedenartigen Ursachen einer abakteriellen Leukozyturie sind neben abheilenden Harnwegsinfekten Analgetika- Nephropathien, Glomerulopathien sowie Intoxikationen. Außerdem können Infektionen durch Mikroben, die auf Eintauch nähr boden nicht anwachsen (Trichomonaden, Gonokokken, Mykoplasmen), sowie Viren und Mykosen eine abakterielle Leukozyturie verursachen. Sie ist überdies manchmal einziger Hinweis auf eine Tuberkulose der Nieren oder des Urogenitaltraktes. 14 Pathomechanismen der Proteinurie, Hämaturie und Leukozyturie
15 3 Urinuntersuchungen Die Urinuntersuchung dient nicht nur der Erfassung unerkannter Nierenerkrankungen, sondern kann auch bei der Therapie- und Verlaufskontrolle eingesetzt werden. Mit Teststreifen lassen sich schnell und einfach die Symptome Proteinurie, Hämaturie, Leukozyturie und Bakteriurie nachweisen. Auch das spezifische Gewicht des Urins als Ausdruck der Konzentrierungsfähigkeit der Niere lässt sich mittels Teststreifen abschätzen. Als Endprodukt der renalen Filtrations-, Sekretions- und Resorptionsleistung stellt Spontanurin ein nahezu immer verfügbares Untersuchungsmaterial dar. Urinuntersuchungen dienen zur Erfassung sowie zur Therapieund Verlaufskontrolle von Nierenerkrankungen. 3.1 Proteinurie Als Grenzwert einer physiologischen Proteinurie gilt ca. 100 mg/l. Für den Ausschluss einer pathologisch erhöhten Proteinurie wird die Untersuchung des ersten Morgenurins empfohlen, da dieser höher konzentriert ist und orthostatische sowie körperliche Belastungen als Ursache weitgehend ausgeschlossen werden können. Eine mit den üblichen Teststreifen nachweisbare Proteinurie erfasst jedoch erst Proteinurien ab mg/l Albumin. Da Albumin normalerweise nur ca % des Eiweißes im Harn ausmacht (ca mg/l), müssen empfindlichere Nachweismethoden angewandt werden, um geringe Proteinurien zu erfassen. Aus der Diskrepanz zwischen klinisch relevanter, aber mit dem konventionellen Protein-Teststreifen nicht erfassbarer Albuminurie ergab sich historisch der sprachlich unglückliche, aber inzwi schen weltweit verwendete Begriff Mikroalbuminurie. Die Mikroalbuminurie ist definiert als eine persistierende leicht erhöhte Albuminausscheidung im Urin: µg/min entsprechend ca mg/l. Die Bestimmung der Mikroalbuminurie stellt eine Möglichkeit dar, eine beginnende diabetische, aber auch hypertonusbedingte Nephropathie frühzeitig zu erkennen. Zu diesem Zeitpunkt bestehen noch therapeutische Möglichkeiten, die Progredienz der Nephropathie aufzuhalten bzw. eine Mikroalbuminurie. Urinuntersuchungen 15
16 Niereninsuffizienz zu verhindern. Durch die Bestimmung ge ringgradig erhöhter Albuminausscheidungen im Urin ist eine frühere Diagnose möglich. Besonders bei Diabetikern und Hy per tonikern ist eine Frühdiagnose von Nephropathien durch sensitive Messung von Albumin für eine Verbesserung der Prognose hinsichtlich Nierenfunktion und Lebenserwartung essentiell. Die Mikroalbuminurie gilt heute als wichtigster Indikator für das Auftreten einer diabetischen Nephropathie. Eine intensivierte Behandlung und spezifische medikamentöse Intervention (z. B. ACE-Hemmer) können eine sich entwickelnde Nephropathie im Urin Albumin (mg/l) Intervention Jahre nach Beginn der Erkrankung unbehandelt, konventionell behandelt intensiviert behandelt Bereich der Mikroalbuminurie Abb. 5: Verlauf der renalen Albuminausscheidung bei Diabetes mellitus und Einfluss einer intensivierten Behandlung (modifiziert nach Mogensen, 1990). 16 Urinuntersuchungen
17 relativ frühen Stadium noch stoppen oder die weitere Entwicklung zur terminalen Insuffizienz ganz wesentlich hinauszögern (Abbildung 5). Demgegenüber weist der übliche Urinteststreifen Albumin erst ab ca. 150 mg/l nach. Das Erkennen einer solchen Makroalbuminurie ist aber eine Spätdiagnose, denn zu diesem Zeitpunkt ist die Nephropathie bereits manifest und häufig nicht mehr reversibel. Die Nierenfunktion nimmt kontinuierlich ab und eine Niereninsuffizienz ist zu erwarten. Eine solche abnehmende Nierenfunktion tritt nicht nur bei Diabetikern, sondern auch bei Patienten mit unbehandeltem oder nicht ausreichend behandeltem Bluthochdruck auf. Im Vordergrund therapeutischer Bemühungen steht bei Diabetikern und Hypertonikern eine sorgfältige Stoffwechseleinstellung und eine antihypertensive Therapie. Makroalbuminurie ist eine Spätdiagnose. Die Mikroalbuminurie bei essentieller Hypertonie ist positiv mit dem Grad der linksventriku lären Hypertrophie korreliert. Konsequenterweise sollten bei diesen Risikogruppen Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden, die eine Mikroalbuminurie erkennen lassen. Bei tubulointerstitiellen Proteinurien ist die Früherkennung von ähnlicher Bedeutung wie bei glomerulären Erkrankungen. Als Marker für tubuläre Störungen werden einerseits Enzyme aus den Tubuluszellen (z. B. N-Azetyl-b, D-glukosaminidase (b-nag)), andererseits kleine Proteine, sogenannte Mikroproteine (z.b. a 1 -Mikroglobulin, Retinol-bindendes Protein (RBP), b 2 -Mi kro globulin, Cystatin C, Lysozym), empfohlen. Will man abwägen, welche der vielen Marker am ehesten zum Ausschluss tubulärer Nierenschäden, bzw. zur Erstdiagnostik Tubulointerstitielle Proteinurien sind durch Mikroproteine charakterisiert. Urinuntersuchungen 17
18 tubulointer stititieller Erkrankungen geeignet sind, hat sich a 1 -Mi kroglobulin als Marker bewährt. Es wird, im Gegensatz zu Retinol-bindendem Protein, weniger durch extrarenale Einflüsse ver ändert (Retinol-bindendes Protein sinkt bei jeder kata bolen Stoffwechsel lage im Plasma ab und wird daher in gering erer Menge im Harn ausgeschieden), ist im Harn bei normalem ph-wert stabil (im Gegensatz zu b 2 -Mikroglobulin) und ist leicht mit üblichen Analysensy stemen (z. B. turbidimetrisch) zu messen. Auf der anderen Seite hat b 2 -Mikroglobulin als Marker den Nach teil, dass es bei physiologischem Harn-pH-Wert nicht stabil ist, so dass bei dem Patienten einen Tag vor der Messung der Harn durch Verab reichung von Bicarbonat zu alkalisieren ist. Die tubulären Enzyme (wie z. B. b-nag) haben einerseits eine hohe diagnostische Sensitivität und Spezifität bei akut tubulotoxi schen Erkrankungen, sind jedoch bei chronischen Veränderungen oft nicht mehr erhöht, da die sie produzierenden Tubulus zellen nicht mehr funktionsfähig sind. Auch hier hat a 1 -Mikroglobulin den Vorteil, dass seine Plasmakonzentration extrarenal konstant reguliert wird und die renale Ausschei dungsrate nahezu ausschließlich von der tubulären Resorptionsfunktion abhängt (Guder und Hofmann, 2008). Zusätzlich werden weiter neue Marker entwickelt, deren Rolle bei der Erstdiagnostik tubulointerstitieller Nierenschäden geprüft wird. So wurde das Neutrophilen Gelatinase assoziierte Lipocalin (NGAL) als neuer Marker bei akuten und chronischen Nierenkrankheiten erprobt. NGAL wird im distalen Nephron durch renale Schäden induziert und steigt sowohl im Plasma wie im Urin an (Devarajan, 2008). Auch das sogenannte Nieren Schaden Molekül 1 (kidney injury molecule 1 (KIM 1)) wurde als neuer Marker für aku- 18 Urinuntersuchungen
19 tes Nierenversagen beschrieben, das vor traditionellen Markern im Plasma und Urin ansteigt und derzeit in klinischen Studien erprobt wird (Bonventre, 2008). 3.2 Hämaturie und Myoglobinurie Die Hämaturie ist die häufigste vom Patienten selbst beobachtete Veränderung des Urins. Die rote Verfärbung wird ab einer Menge von ca. 1 ml Blut pro L Urin mit dem bloßen Auge sichtbar. Diese als Makrohämaturie bezeichnete Form ist zu unterscheiden von der mit Teststreifen feststellbaren Mikrohämaturie. Mit der Erfassung der Pseudoperoxidaseaktivität des Hämoglobins (und Myoglobins) mittels Teststreifen werden 10 Erythrozyten/µL nachgewiesen. Das entspricht einem µl Blut pro L Urin oder 0,15 mg Hämoglobin/L. Die Bestimmung mittels Teststrei- Mittels Teststreifen lassen sich Hämoglobin und Erythrozyten im Urin mit gleicher Empfindlichkeit nachweisen. A. Renale Hämaturie B. Postrenale Hämaturie Abb. 6 A/B: Dysmorphe Erythrozyten im Phasenkontrastmikroskop. Urinuntersuchungen 19
20 fen kann mit gleicher Empfindlichkeit freies Hämoglobin (Hämoglo binurie) und Erythrozyten (Hämaturie) feststellen. Demgegenüber lassen sich mikroskopisch nur Erythrozyten nach wei sen. Im Rahmen der Sedimentuntersuchung gelten bis zu 3 Ery throzyten pro Gesichtsfeld als obere Normalgrenze. Dies entspricht einer Zellzahl von 5 Erythrozyten/µL. Um renale von postrenalen Ursachen der Hämaturie zu unterscheiden, wird die Differenzierung der Erythrozyten in der Phasen kontrastmikroskopie empfohlen. Diese erlaubt es, atypische Formen der Erythrozyten, die bei der Passage durch die Nierentubuli entstehen, am typischsten sogenannte Akanthozyten, von ande ren postrenal bedingten Erythrozytenformen zu unterschei- C. Phasenkontrastmikroskopie (1000- fache Vergrößerung) D. Rasterelektronenmikroskopie (2500- fache Vergrößerung) Abb. 6 C/D: Dysmorphe Erythrozyten. Die für eine glomeruläre Hämaturie charakteristische Erythrozytendysmorphie ist der Akanthozyt, der durch seine Ausstülpung leicht erkennbar ist. 20 Urinuntersuchungen
21 den. Abbildung 6 stellt solche renal bedingten dysmorphen Erythrozyten anderen Formen gegenüber. Bei normaler Gesamtzahl der Erythrozyten gelten bis 50 % dysmorphe Formen als normal. Bei einer manifesten Hämaturie besteht bei > 50 % dysmorpher und > 10 % Akanthozyten der Verdacht auf eine renale (glomeruläre oder tubulointerstitielle) Ursache. Eine Myoglobinurie wird entweder durch direkte Messung des Myoglobins bei positivem Teststreifen oder durch zusätzlichen Nachweis einer Myolyse durch Marker der muskulären Schädigung im Plasma (z. B. CK-Aktivität) bestätigt. Weitere Hinweise zur Differenzierung eines positiven Hämaturiebefundes werden unter Diagnostische Strategien beschrieben (S. 34 ff). 3.3 Leukozyturie und Bakteriurie Leukozyturie und/oder Bakteriurie stellen ein häufiges Symptom der akuten und chronischen Infektion der ableitenden Harnwege dar. Bei weiblichen Patienten wird eine Leukozyturie wesentlich häufiger als bei männlichen beobachtet. Dies erklärt sich einerseits aus der größeren Anzahl von Harnwegsinfekten beim weiblichen Geschlecht. Andererseits ist die Gefahr der Kontamination der Urinprobe durch Leukozyten aus dem äußeren Genitaltrakt der Frau größer. Eine Leukozyturie ist bei Frauen häufiger als bei Männern. Der Teststreifennachweis von Leukozyten basiert auf der Messung granulozytärer Esterase im Urin. Mit ihm werden temperatur- und zeitabhängig zwischen 6 und 10 Leukozyten pro µl Urin nachgewiesen. Demgegenüber kann die mikroskopische Sedimentuntersuchung nur intakte Zellen nachweisen. Ent sprechend sinkt die Zellzahl bei Aufbewahrung des Urins über zwei Stunden bei Raumtemperatur, während die Zahl der positiven Urinuntersuchungen 21
22 Teststreifenergebnisse aufgrund der weiteren Bildung von Esterase bei längeren Transport- und Aufbewahrungszeiten eher zunimmt. Die Grenze zwischen normaler und pathologisch erhöhter Leukozyten-Ausscheidung ist nicht einheitlich definiert. Von der überwiegenden Zahl der Autoren werden jedoch zwischen 5 und 20 Leukozyten/µL im Nativharn als suspekt und kontrollbedürftig und mehr als 20 Leukozyten/µL als pathologisch eingestuft. Vorausgesetzt wird natürlich ein sauber gewonnener Urin. Bei der Frau muss der Befund einer Leukozyturie deshalb durch Ausschluss einer vaginalen Kontamination abgesichert werden. Es empfiehlt sich, im Normalfall Mittelstrahlurin, in besonderen Fällen Blasenpunktionsurin zu untersuchen. Bakteriennachweis im Urin vor einer antibakteriellen Therapie. 3.4 Keimzahlbestimmung im Urin und Nachweis antibakterieller Stoffe Der erfolgreiche Nachweis einer Bakteriurie setzt voraus, dass eine antibakterielle Therapie nach Möglichkeit mindestens drei Tage vor der Urinuntersuchung abgesetzt wurde. Harn ist normalerweise weitgehend keimfrei. Bei aseptischer Harngewinnung durch suprapubische Blasenpunktion sind deshalb schon geringe Keimzahlen als Harnwegsinfekt zu werten. Bei Mittelstrahl- und Katheterurin muss man infolge Kontamination mit einer Keimzahl von /mL rechnen. Als signifikante Bakteriurie gelten Keimzahlen ab /mL in frisch gelassenem Mittelstrahlurin. Keimzahlen zwischen und /mL sind verdächtig auf Harnwegsinfekt und erfordern Kontrolluntersuchungen. Trotz einer Keimzahl von weniger als /mL kann aber eine chronische Pyelonephritis vorliegen, z.b. wenn die Entzündungsherde in der Niere weitgehend abgekapselt sind oder wenn eine Polyurie besteht. Bei entsprechendem klinischen Verdacht ist dann eine weitere diagnos- 22 Urinuntersuchungen
23 tische Abklärung erforderlich. Neben anderen Untersuchungen können besonders Leukozyturie und Leukozytenzylinder diagnostische Hinweise geben. Der Nachweis von antibakteriellen Stoffen (das Antibiogramm) im Urin, d.h. das Wissen, ob in dem untersuchten Urin antibakterielle Faktoren vorhanden sind, ist mitentscheidend für die Beurteilung einer Keimzahlbestimmung im Urin. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Patienten, bei denen aufgrund der Medikamentenanamnese keine Hemmstoffe zu erwarten waren, in bis zu 30 % der Fälle antibakterielle Stoffe im Urin nachgewiesen wurden. Unabhängig von der Herkunft der antibakteriellen Substanzen im Urin haben diese für die Interpretation des bakteriologischen Befundes eine große Bedeutung: Nicht erkannt, können sie zu Fehlinterpretation der Keimzahlbestimmung führen. Antibakterielle Stoffe im Urin können zur Fehlinterpretation von Keimzahlbestimmungen führen. Diese Befunde trugen mit dazu bei, dass in den Verfahrensrichtlinien der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) für Urinuntersuchungen empfohlen wird, bei jeder Keim zahlbestimmung im Urin gleichzeitig einen Test zum Nachweis von antibakteriellen Stoffen im Urin mitzuführen. Nur wenn das Vorhandensein von Hemmstoffen mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ist der Keimzahlbefund uneingeschränkt zu verwenden. Urinuntersuchungen 23
24 4 Blutuntersuchungen Die Differentialdiagnostik einer Nephropathie ist auch ambulant möglich. Die Messung der Konzentration von glomerulär filtrierten Substanzen im Blut ermöglicht Aussagen über die glomeruläre Filtration, nicht aber über die Art einer Nierenerkrankung. Die Differentialdiagnose einer Nephropathie ist auch in der Arztpraxis möglich, wenn zusätzlich Anamnese, klinische Untersuchungsbefunde, weitere Laboruntersuchungen und bildgebende Verfahren einbezogen werden. Kreatin + Kreatinphosphat (1 2% des tägl. Umsatzes) Steroide Fieber Verbrauch Nahrung anaboler kataboler Stoffwechsel Kreatinin Pool Plasma Kreatinin Kreatinin wird glomerulär filtriert, in den Tubuli nicht rückresorbiert, aber zusätzlich sezerniert. extrarenale Kreatininausscheidung (< 1% des Umsatzes) Filtration Sekretion renale Kreatininausscheidung Abb. 7: Herkunft und Umsatz des Kreatinins im Körper. 24 Blutuntersuchungen
25 4.1 Kreatinin Kreatinin entsteht aus Kreatin bzw. Kreatininphosphat im Muskel. Muskelkräftige Menschen haben deshalb höhere Kreatininwerte als muskelschwache. Kreatinin wird glomerulär filtriert und in den Tubuli nicht rückresorbiert. Zusätzlich werden bis zu 20 % der ausgeschiedenen Menge tubulär sezerniert. Im Alter verringert sich mit abnehmender Muskelmasse die Kreatininproduktion im Körper. Die selten vorkommenden Myopathien mit akutem Muskelzerfall gehen dagegen mit einem Anstieg des Kreatinins einher. Schwere körperliche Anstrengungen und forciertes Bodybuilding können ebenfalls zum Anstieg der Kreatininkonzentration im Plasma/Serum führen. Der Verzehr von gekochtem, nicht aber gebratenem Fleisch führt zur enteralen Aufnahme von Kreatinin (Abbildung 7). Kreatinin wird chemisch (mit der Jaffé-Reaktion) oder enzymatisch im Plasma/Serum bestimmt. Bei der Jaffé-Methode sind viele Störgrößen (z. B. endogene soge nannte Pseudokreatinine und Medikamente) beschrieben, die methodenabhängig das Ergebnis der Plasmabestimmung erhö hen. Durch Vergleich mit den Ergebnissen einer Referenzmethode bei der Quali tätskontrolle (interne Kontrolle und Ringversuche) kann die analytische Spezifität der verwendeten Methode ge prüft werden. Bei Überschreitung der Plasmakonzentration der im Anhang angegebenen Referenzbereiche kann durch eine international einheitliche Formel die glomeruläre Clearance abgeschätzt werden (siehe 4.4). 4.2 Harnstoff Harnstoff, das quantitativ wichtigste Abbauprodukt des Eiweißstoffwechsels, wird in der Leber gebildet, glomerulär filtriert und zum großen Teil in den Tubuli rückresorbiert. Im Gegensatz zu Blutuntersuchungen 25
26 Kreatinin ist die Ausscheidung von der Diurese abhängig. Die Harnstoffkonzentration im Blut ist nicht nur von der Nierenfunktion, sondern auch von extrarenalen Faktoren abhängig. Eiweißreiche Kost, verstärkter Eiweißabbau (z. B. bei Fieber), mangelnde Flüssigkeitszufuhr, Exsikkose und Oligurie können zum Anstieg des Harnstoffspiegels führen. Eiweißarme Ernährung oder vermehrte Flüssigkeitsausscheidung im Urin dagegen Gewebeprotein Nahrungsprotein Intestinale Blutung Steroide Fieber Verbrauch anaboler kataboler Stoffwechsel Aminosäuren Pool Harnstoff Plasma Harnstoff extrarenale Harnstoffausscheidung Filtration Reabsorption renale Harnstoffausscheidung Abb. 8: Herkunft und Umsatz des Harnstoffs im Körper (nach Dossetor, 1966). 26 Blutuntersuchungen
27 lassen die Harnstoffwerte sinken. Auch bei Azidose und bei fortgeschrittener Lebererkrankung ist die Synthese von Harnstoff vermindert. Auffallend niedrige Harnstoffkonzentrationen im Blut können daher die Folge schwerer Leberschädigungen sein. Da die Kreatinin- und Harnstoff-Konzentrationen im Blut nicht in jedem Falle mit der Schwere einer Nierenfunktionsstörung bzw. Niereninsuffizienz parallel gehen, ist es üblich und wünschenswert, beide Messgrößen zu bestimmen. Besonders wichtig ist die parallele Bestimmung von Kreatinin und Harnstoff bei der Überwachung von Niereninsuffizienten, die mit eiweißarmer Diät behandelt werden. Dann können nämlich die Harnstoffwerte bis in den Referenzbereich sinken, während die erhöht bleibende Kreatininkonzentration weiterhin den Grad der Niereninsuffizienz angibt. In Tabelle 1 sind mögliche Ursachen diskrepanter Ergebnisse zusammengestellt. Während eine isolierte Erhöhung des Harnstoffs meist extrarenale Ursachen hat, ist der Anstieg des Kreatinins ein spezifischer Hinweis auf eine Störung der Nierenfunktion. Erst bei einer Erhöhung des Kreatinins über 2,8 mg/dl (250 µmol/l) kann eine Erhöhung des Harnstoffs mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit als Hinweis auf eine Einschränkung der Nierenfunktion gedeutet werden. Andererseits ist eine Erhöhung des Harnstoffs über 180 mg/dl (30 mmol/l) äußerst selten durch extrarenale Ursachen bedingt. Erhöhte Kreatininkonzentrationen im Blut sind im allgemeinen erst dann zu erwarten, wenn das Glomerulumfiltrat und damit die Nierenleistung um über ein Drittel zurückgegangen sind (s. Abbildung 9). Blutuntersuchungen 27
28 Harnstoff erhöht, Kreatinin normal A. Durch Einflussgrößen Antidiurese (Exsikkose) Proteinreiche Nahrung Blutungen im Magen-Darm-Trakt Postoperativer Zustand Herzinsuffizienz Aminosäureinfusion Hypotonie Glukokortikoidtherapie Reduktion der glomerulären Funktion bei reduzierter Muskelmasse B. Durch Störfaktoren Messfehler durch Ammoniakkontamination Kreatinin erhöht, Harnstoff normal Erhöhte Muskelmasse bzw. Muskelerkran kung (Schwerathleten, Myopathie, unge wöhn liche körperliche Tätigkeit) Eingeschränkte Nierenfunktion bei proteinfreier Nahrung Eingeschränkte Nierenfunktion bei gestörter Harnstoffsynthese Eingeschränkte Nierenfunktion bei anaboler Stoffwechsellage (Anabolikatherapie, Insulin therapie, Glukoseinfusion) Erhöhte Kreatininzufuhr mit der Nahrung Pseudokreatinine erhöht [Ketose, Diabetes mellitus, Medikamente, fötales Hämoglobin (Jaffé-Me thode), Ikterus, (Jaffé-Methoden, enzymatische Methoden)] Tabelle 1: Ursachen für isolierte erhöhte Harnstoff- und Kreatininkonzen trationen (nach Guder und Hofmann, 2003). A Cystatin C im Vergleich mit Kreatinin-Clearance 6 Sensitivität 96% Spezifität 65% 5 Cystatin C (mg/l) Kreatinin-Clearance (ml/min) B Kreatinin im Vergleich mit Kreatinin-Clearance Kreatinin (mg/dl) Sensitivität 63% Spezifität 95% Frauen Männer Kreatininblinder Bereich Kreatinin-Clearance (ml/min) Abb. 9 A/B: Sensitivität und Spezifität von Cystatin C und Kreatinin im Serum im Vergleich zur Kreatinin-Clearance (nach Page M et al., 2000). Untere Referenzbereichsgrenze für die GFR. 28 Blutuntersuchungen
29 4.3 Cystatin C Cystatin C ist ein Proteinaseinhibitor, der in konstanter Menge im Blut vorkommt und aufgrund seines niedrigen Molekulargewichts glomerulär frei filtriert wird. Cystatin C ist ein alternativer Marker der glomerulären Filtrationsrate. Er bietet gegenüber Kreatinin folgende Vorteile: 1. Nahezu keine Alters- und Geschlechtsabhängigkeit 2. Keine Abhängigkeit von der Muskelmasse und anderen extrarenalen Faktoren. 3. Cystatin C weist keine tubuläre Sekretion auf. 4. Plasmaanstiege aufgrund der geringen interindividuellen Streu ung bereits im sog. Kreatinin-blinden Bereich (siehe Abbildung 9). 5. Die Berechnung der glomerulären Filtrationsrate aus der Plasmakonzentration von Cystatin C ist gegenüber Einflüssen durch extra renale Faktoren weniger anfällig als die Berechnung aus dem Plasma-Kreatinin. Cystatin C der alternative Marker für die glomeruläre Filtration. Zu beachten ist: Eine internationale Standardisierung von Cystatin C steht noch aus, ist aber vorgesehen (Blirup-Jensen et al., 2008). Deshalb sind derzeit die Cystatin C-Messergebnisse methodenabhängig zu interpretieren. Zusammenfassend sprechen die medizinischen Gründe für die Verwendung von Cystatin C, da sich auf diese Weise eine höhere diagnostische Aussagekraft ohne Durchführung aufwändiger und den Patienten belastender Methoden erzielen lässt. Wie bei Kreatinin kann mit einer einfachen Formel aus Plasma-Cystatin C die glomeruläre Filtrationsrate berechnet werden (siehe 4.4). Blutuntersuchungen 29
30 4.4 Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) Die glomeruläre Filtrationsrate kann durch Bestimmung eines der Marker im Plasma/Serum ermittelt werden. Die Ermittlung ist eine semiquantitative Nierenfunktionsprüfung, die jedoch zur Beurteilung der Nierenleistung oft ausreichend ist. Sie wird traditionell aus den Plasma- und Urinkonzentrationen des Kreatinins berechnet. Zwar besitzen quantitative Nierenfunktionsprüfungen, z.b. die Isotopen-Clearance, eine größere Aussagekraft als semiquantitative Funktionsproben, sie sind jedoch wesentlich aufwändiger Endogene Kreatinin Clearance Die traditionelle Formel lautet: Kreatinin-Clearance = (ml/min) Urinkonzentration 2 Harnvolumen (ml) Plasmakonzentration 2 Sammelzeit (min) Dabei werden sowohl 6 h-sammelperioden wie 24 h-sammelperioden angewendet. Die Berechnung geschieht jeweils mit der gleichen Konzentrationsangabe für Kreatinin (mg/dl oder mmol/l) bei Urin und Plasma/Serum. Weicht die Körperoberfläche bei Erwachsenen wesentlich vom Normalen ab, kann mit Einfügen von 1,73 in den Zähler und der Körperoberfläche der betroffenen Person in den Nenner der Formel die Clearance in ml/min/1,73 m 2 berechnet werden. Bei der Beurteilung der Kreatinin-Clearance ist zu beachten, dass die glomeruläre Filtrationsrate und die Nierendurchblutung mit zunehmendem Alter abnehmen. Dementsprechend kann die Kreatinin-Clearance bis auf etwa die Hälfte reduziert sein. Bei älteren Menschen können stark erniedrigte Clearance-Werte auch ohne signifikanten Anstieg der Plasma/Serum-Kreatinin-Konzentration vorkommen, weil die Kreatininproduktion auf grund des Muskelschwundes mit fortschreitendem Alter abnimmt. 30 Blutuntersuchungen
31 Dies trifft nicht für Cystatin C zu. Dieser Marker steigt entsprechend der altersbedingt sinkenden glomerulären Filtrationsrate erst ab dem 60. Lebensjahr signifikant an Berechnung der GFR aus Serum Plasma Kreatinin Heute wird die glomeruläre Filtrationsrate meis tens mit Hilfe spezifischer Formeln allein aus der Serum-/Plasmakonzentration des Kreatinins (oder der von Cystatin C) abgeschätzt (vgl. Abbildung 9). Anstieg des Serumkreatinins erst bei Einschränkung der endogenen Kreatinin Clearance von 50 %. Dies ist vor allem bei Vorsorgeuntersuchungen von Bedeutung. In den letzten Jahren wurden von der Modification of Diet in Renal Disease Study Group (MDRD) Formeln veröffentlich, von denen die folgende auch von europäischen Experten empfohlen wird. Sie ist den Forderungen nach Referenzmethoden-basierter Messung des Kreatinins angeglichen (Levey et al., 2007, 2009). GFR (ml/min) = Kreatinin (mg/dl) 1,154 2 Alter (Jahre) 0,203 Bei nicht Referenz methoden-basierter Analytik beträgt der Faktor 186. Bei Frauen wird das Ergebnis mit 0,742 multipliziert. Als Ausdruck der wohl im Durchschnitt höheren Muskelmasse wurde für Afro-Amerikaner eine Multiplikation mit 1,21 vorgeschlagen. Bei allen Formeln ist der Wert von Kreatinin durch 88,4 zu teilen, wenn er in mmol/l eingegeben wird. Es wird empfohlen, die Ergebnisse im Bereich < 60 ml/min quan titativ angegeben. Höhere Ergebnisse werden als > 60 ml/min angegeben. Damit wird dem sogenannten kreatininblinden Be reich, der zwischen ca. 60 und 100 ml/min liegt, (vgl. Abbildung 9 B) Rechnung getragen. Blutuntersuchungen 31
32 Die von Cockcroft und Gault (1976) vorgeschlagenen Gleichungen haben ihre Bedeutung verloren, werden aber der Vollständigkeit halber erwähnt (Coresh, Auguste, 2008): Erwachsene / GFR (ml/min) = 0,85 x? GFR (ml/min) = (140 Alter) 2 Körpergewicht (kg) 72 x Plasma-Kreatinin (mg/dl) (140 Alter) 2 Körpergewicht (kg) 72 x Plasma-Kreatinin (mg/dl) Für Kinder wird meist die Formel nach Schwartz (Schwartz et al., 1987) eingesetzt, sie kann aber auch bei Erwachsenen angewendet werden. Bei Verwendung der Referenzmethoden-basierten Kreatininbestimmung weichen die Ergebnisse erheblich von der wahren GFR ab, da hier der sekretorische Anteil der Kreatininausscheidung zu höheren Ergebnissen der GFR führt. Bei der bisherigen Methode wurde dieser zufällig durch den höheren Anteil Pseudo kreatinin bei der Messung im Plasma/Serum kompensiert. Die Formeln nach Schwartz werden daher bei Verwendung referenzmethodenbasierter Kreatininmessung nicht mehr empfohlen (Delanghe, 2008): Kinder ab 1. Lebensjahr GFR (ml/min/1,73 m 2 ) = 0,55 2 Körperlänge (cm) Plasma-Kreatinin (mg/dl) Reife Neugeborene und Säuglinge im 1. Jahr GFR (ml/min/1,73 m 2 ) = 0,45 2 Körperlänge (cm) Plasma-Kreatinin (mg/dl) 32 Blutuntersuchungen
33 4.4.3 Berechnung der GFR aus Serum Plasma Cystatin C In ähnlicher Weise kann die Clearance bei Erwachsenen aus dem Plasma- bzw. Serum-Cystatin C abgeleitet werden (Grupp et al., 2005): GFR (ml/min 2 1,73 m 2 ) = 84,7/Cystatin C 1,68 (mg/l). Bei Kindern unter 14 Jahren sollte das Ergebnis mit 1,384 multipliziert werden. Die jeweiligen Faktoren sind derzeit noch testund chargenabhängig. Nach erfolgter einheitlicher internationaler Standardisierung der Kalibration der Cystatin C-Methoden wird eine einheitliche For mel verwendet werden können. Dabei ist die lineare Beziehung zwischen der reziproken Cysta tin konzentration und der GFR weder vom Alter (ab dem ersten Jahr) noch von der Muskelmasse oder anderen extrarenalen Faktoren abhängig. Schliesslich sei erwähnt, dass von Stevens et al. (2008) eine Formel vorgeschlagen und erprobt wurde, die sowohl Kreatinin wie Cystatin C einbindet: GFR = 177,6 2 Kreatinin -0, ,7 2 Cystatin C -0,57 2 Alter (2 0,82 bei Frauen und 2 1,11 bei Afro-Amerikanern) Blutuntersuchungen 33
34 5 Diagnostische Strategien 5.1 Ausschluss von Nierenerkrankungen (Screening) Welche Urinprobe? Combur 5 TestT, Micral TestT. Moderne Teststreifen gestatten einen empfindlichen Nachweis von Albumin und von Blut im Urin Urinuntersuchungen Traditionell wird für die Ausschlussdiagnostik von Nierenerkrankungen der erste Morgenurin empfohlen, d. h. die erste Urinprobe nach mindestens 8-stündiger Nachtruhe. Dies hat nach wie vor seine Berechtigung, da erst die Konzentration durch die fehlende Einnahme von Flüssigkeit während der Nacht und die mehrstündige Inkubation des Urins in der Blase die notwendige diagnostische Empfindlichkeit, z. B. des Leukozyten- oder Nitrittests gewährleistet. Mit Einführung einer Bezugsgröße, wie z. B. Kreatinin oder auch Leitfähigkeit/Osmolalität (spezifisches Gewicht) im Urin kann mit gleicher Empfindlichkeit auch der sogenannte zweite Morgenurin verwen det werden, d. h. jeder Spontanurin am Vormittag, da durch die Bezugsgröße variable Harnkonzentrationen aufgrund verschiedener Trinkmengen ausgeglichen werden. Dies ermöglicht, kurzfristig spontan gelassenen Urin in standardisierten Gefäßen in der Praxis bzw. Klinik zu gewinnen und damit die Aussagefähigkeit der Untersuchung zu verbessern. Sammelurine sollten für Screeninguntersuchungen nicht mehr notwendig sein, da sich erste quantitative Aussagen aus dem Spontanurin gewinnen lassen, wenn das Ergebnis auf Kreatinin bezogen wird. Diese Strategie ist in nationale diagnos tische Pfade (siehe Abbildung 10 und 12) und euro päische Leitlinien (Kouri et al., 2000) eingeflossen und wurde bei einigen Teststreifen berücksichtigt. Will man Erkrankungen der Niere mit großer Sicherheit ausschließen (hohe diagnostische Spezifität), so sind meist qualitative Methoden mit hoher analytischer Empfindlichkeit ausreichend. Dies trifft z. B. für den Nachweis von Blut (Hämoglobin, Myoglobin) im Urin zu. Mit dem Teststreifen, der die Pseudoperoxydase des Hämoglobins nachweist, kann die Gegenwart von einem µl Blut pro Liter Urin nachgewiesen werden. Eine ähnlich 34 Diagnostische Strategien
35 hohe Empfindlichkeit hat der auf immunologischer Basis aufgebaute Teststreifen für Albumin, der ab 20 mg/l, der oberen Referenzbereichsgrenze, positiv reagiert, während konventionelle Proteintestfelder auf der Basis des Prinzips der ph-verschiebung eines Indikators erst bei der zehnfachen Albumin-Konzentration positiv reagieren. Nachdem die sogenannte Mikroalbuminurie, d.h. eine Albuminausscheidung zwischen der Obergrenze des Referenzbereiches und der Nachweisgrenze des konventionellen Teststreifens, als Frühindikator der diabetischen Nephropathie, der Nephrosklerose des Hypertonikers sowie als Risikofaktor für kardiale und cerebrale Komplikationen der Makroangiopathie erkannt wurde, sollte zum Ausschluss all dieser Risiken und Erkrankungen ein möglichst empfindliches und für Albumin spezifisches Verfahren angewandt werden. Als Marker für tubuläre Funktionsstörungen wird a 1 Mikroglobulin mit einer Nachweisgrenze von ca.10 mg/l verwendet. Mit diesem Verfahren ist es erstmals möglich, tubulointerstitielle Nephropathien im Frühstadium zu erfassen oder mit hoher Sicherheit auszuschließen. Auch akute und chronische Formen der tubulären Insuffizienz (alle Formen des primären und sekundären Fanconi-Syndroms), Schwermetallintoxikationen, nephrotoxische Nebenwirkungen von Therapeutika und Abstoßungsreaktionen nach Nierentransplantation lassen sich mit diesem Test mit bisher nicht bekannter Sicherheit ausschließen. Für den Einsatz dieses diagnostischen Verfahrens spricht auch, dass die herkömmlichen Test streifen auf Protein tubuläre Proteinurien nicht erfassen können. Eine Leukozyturie wird traditionell durch Beurteilung des Harnsediments ausgeschlossen. Der Teststreifen auf Leukozyten weist demgegenüber die Esteraseaktivität von Granulo zyten nach, die typischerweise bakterielle Infektionen begleiten. Das Signal des Teststreifens bleibt auch erhalten, wenn die Leuko- Diagnostische Strategien 35
36 zyten aufgrund eines erniedrigten spezifischen Gewichtes, eines erhöhten ph-wertes oder langer Standzeit des Urins bereits lysiert und daher im Sediment nicht mehr erkennbar sind. Diese Beobachtung führte zu der Empfehlung, dass auf ein Harnsediment zum Nachweis einer Leukozyturie verzichtet werden kann, wenn der Teststreifen auf Esterase negativ ist. Andererseits kann der Nachweis von Leukozyten ohne positives Teststreifenergebnis als Hinweis auf eine Kontamination des frischen Urins gedeutet werden, wenn es nicht durch Kontamination des Urins mit hemmend wirkendem Vitamin C, Medikamenten (z. B. Cephalosporine, Gentamycin) oder erhöhte Glukosekonzentration bedingt ist. Bei normal langer Lagerung werden Granulozyten/L mit dem Teststreifen nachgewiesen. Kombinationsteststreifen enthalten häufig neben einem Protein-, Blut- und Leukozytentestfeld ein Nachweisfeld auf Nitrit, das auf dem Prinzip der Griess schen Probe beruht. Nitrit wird von den für die häufigsten bakteriellen Infektionen verantwortlichen Bakterien gebildet. Die Aussagekraft des negativen Ergebnisses dieses Tests wird jedoch in vielfacher Weise eingeschränkt, so dass eine bakterielle Infektion durch ein negatives Ergebnis keineswegs ausgeschlossen werden kann (geringe diagnosti sche Spezifität). Andererseits ist bei positivem Ergebnis in über 90 % von einer Keimbesiedlung des Harntrakts auszugehen (hohe diagnostische Empfindlichkeit). Die diagnostische Bedeutung des Harnsediments verändert sich. Traditionell gehört das Harnsediment, ggf. mit einfachen Färbeverfahren, in den meisten Arztpraxen und Krankenhauslaboratorien zum Harnstatus. Die Vielzahl der sich dem erfahrenen Betrachter im Sediment ergebenden Hinweise ist durch kein anderes Verfahren erreichbar. Da jedoch alle relevanten glomerulären (Albumin) und tubulären (a 1 -Mikroglobulin) renalen Erkrankungen, Blutungen und Leukozyturien mit wesentlich höherer Sensitivität durch die beschriebenen Screening-Verfahren 36 Diagnostische Strategien
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