CME-Fortbildung Venenthrombosen und Lungenembolien
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- Clemens Lichtenberg
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1 arzneimittel CME-Fortbildung Venenthrombosen und Lungenembolien Volles Rohr Die Auswahl der für Prophylaxe und Therapie von venösen Thrombosen und Lungenembolien verfügbaren Wirkstoffe ist größer geworden. Eine CME-Fortbildung zu den derzeitigen Therapieoptionen In den letzten Jahren hat sich die Auswahl der Wirkstoffe, die für die Prophylaxe und Therapie von venösen Thrombosen und Lungenembolien zur Verfügung stehen, vergrößert. Dieser Beitrag soll helfen, rationale Therapieentscheidungen für die wichtigsten Indikationsgebiete zu treffen. Die Darstellung orientiert sich an den im Internet frei zugänglichen aktuellen Leitlinien des American College of Chest Physicians (ACCP) (1). Es wird auf die in Deutschland verfügbaren Arzneimittel und ihre zugelassenen Anwendungsgebiete Bezug genommen. Dabei wird zwischen Prophylaxe und Therapie unterschieden. Die sich an die Akuttherapie anschließende Rezidivprophylaxe zählt mit zur Therapie. Die Wirkweise der neueren Antikoagulantien unterscheidet sich von den seit Jahrzehnten als Blutgerinnungshemmer verfügbaren Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und Heparinen. Die VKA vermindern die Synthese der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X ein Wirkprinzip, das aufgrund der Halbwertszeiten dieser Gerinnungsfaktoren mit einem verzögerten Einsetzen (ca. 1 Tag) und Abklingen (2 5 Tage) des Effektes einhergeht (2). Heparine sind Gemische aus Glucosaminglykanen mit Molekülgrößen von bis Dalton (Da). Heparine katalysieren die inhibitorische Interaktion des endogenen Antithrombin mit Thrombin durch eine gleichzeitige Bindung beider Faktoren. Für diesen Effekt ist eine Molekülgröße von mindestens Da (18 Zuckerreste) erforderlich. Die Bindung von Heparin aller Molekülgrößen an Antithrombin potenziert die kovalente Bindung und Inaktivierung von Faktor Xa. Unfraktioniertes Heparin (UFH) hemmt Thrombin und Faktor Xa ungefähr gleichermaßen. Bei niedermolekularen Heparinen (NMH Molekülgewicht bis Da) überwiegt die anti-xa Wirkung. Das dem aktiven Zentrum der Heparine nachgebildete synthetische Pentasaccharid Fondaparinux katalysiert ausschließlich die Hemmung von Faktor Xa durch Antithrombin (2). Danaparoid ist ein niedermolekulares Heparinoid. Die anti-xa Wirkung überwiegt noch stärker als bei NMH. Wegen der geringen Kreuzreaktivität mit den Antikörpern, die eine Heparin induzierte Thrombozytopenie Typ II (HIT II) auslösen, wird es bei Patienten mit anamnestischer HIT II an Stelle von Heparinen eingesetzt (3). Desirudin ist ein rekombinantes Hirudin. Es hemmt Thrombin unabhängig von Antithrombin durch die Bildung eines Hirudin-Thrombin-Komplexes, der seinerseits die Aktivierung der Gerinnungsfaktoren V, VIII und XIII sowie die Thrombin abhängige Thrombozytenaktivierung hemmt (4). Wegen besonders ausgeprägter Blutungsrisiken und häufiger allergischer Reaktionen hat sich Desirudin in der Praxis nicht durchgesetzt. Neue orale Antikoagulantien Heparine, Fondaparinux, Danaparoid und Desirudin müssen injiziert werden. Als orale Antikoagulantien stehen seit wenigen Jahren neben den VKA neue Wirkstoffe zur Verfügung: Dabigatran ist ein direkter Thrombinhemmer. Rivaroxaban und Apixaban sind direkte Faktor Xa-Hemmer. Diese Substanzen hemmen die Gerinnung unabhängig von Antithrombin. Die Wirkstoffe Dabigatran und Rivaroxaban wurden im Niedersächsischen Ärzteblatt bereits dargestellt (5). Apixaban ähnelt Rivaroxaban in der Wirkweise, der Pharmakokinetik und den möglichen Arzneimittelinteraktionen (6). Die zugelassenen Indikationen der genannten Wirkstoffe sind in der Tabelle aufgeführt. Eine Erfassung der gerinnungshemmenden Wirkung durch die klassischen Standardgerinnungstests ist nur bei VKA, UFH und Desirudin gewährleistet. Die Wirkung von Heparinen, Fondaparinux, Rivaroxaban und Apixaban kann durch wirkstoffspezifisch kalibrierte anti-xa-assays gemessen werden (7). Lediglich für die Kontrolle der VKA-Wirkung mittels INR gibt es eine validierte Korrelation mit der klinischen antithrombotischen Wirksamkeit. Bei NMH, Fondaparinux, Danaparoid, Desirudin und den neuen oralen Antikoagulantien besteht das Risiko einer Kumulation bei höhergradiger Niereninsuffizienz. Thromboseprophylaxe Die Indikation zur Thromboseprophylaxe wird auf der Grundlage einer Stratifizierung des individuellen Risikos für Thrombosen und Embolien gestellt. Das Risiko wird unter Berücksichtigung von Disposition (z. B. anamnestische Thrombose oder Lungenembolie, maligne Grunderkran- 38 niedersächsisches ärzteblatt
2 CME-Fortbildung Venenthrombosen und Lungenembolien arzneimittel Thrombose der Vena femoralis superficialis links: Kompressionssonographische Darstellung im Querschnitt, links echogenes Material im Gefäßlumen, rechts: unvollständige Komprimierbarkeit der Vene. Aufnahmen aus dem Franziskus-Krankenhaus Berlin kung) und Exposition (Art der vorgesehenen Operation oder der akuten Erkrankung, Grad der Immobilisierung) abgeschätzt (8). Operative Eingriffe, Verletzungen und akute Erkrankungen werden in drei Risikostufen unterteilt. Eine ausgeprägte patientenseitige Disposition führt zu einer individuellen Höherstufung. Nichtmedikamentöse Basismaßnahmen (z. B. Frühmobilisation und Bewegungsübungen) sollten immer eingesetzt werden. Bei hohem Thromboserisiko (z. B. große abdominelle oder thorakale Operationen, große Operationen an Wirbelsäule, Becken, Hüfte oder Knie) ist eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe indiziert (8). Bei mittlerem Thromboserisiko (z. B. arthroskopisch assistierte Gelenkchirurgie der unteren Extremitäten) sollte sie erwogen werden. Ausgenommen sind Patienten mit akuten Blutungen oder gleichzeitig bestehendem hohen Risiko für schwerwiegende Blutungen (1). In diesen Fällen sollten spezielle physikalische Maßnahmen (z. B. Thromboseprophylaxestrümpfe mit einem von distal nach proximal abnehmenden Kompressionsdruck, intermittierende pneumatische Kompression) eingesetzt werden. Postoperativ Für Eingriffe mit hohem Thromboserisiko ist die prophylaktische Wirksamkeit von Acetylsalicylsäure (ASS), VKA, UFH, NMH und physikalischen Maßnahmen durch Placebo kontrollierte Studien belegt (9). ASS ist für die Anwendung zur Thromboseprophylaxe nicht zugelassen. Aus direkten Vergleichsstudien ergeben sich Vorteile in der Wirksamkeit und Sicherheit der NMH gegenüber UFH und VKA, vor allem bei den größeren orthopädischen Operationen (9). Fondaparinux ist dagegen bei vergleichbarer Wirksamkeit mit häufigeren größeren Blutungen bei älteren und gebrechlichen Patienten assoziiert (9). Ein Körpergewicht unter 50 kg ist eine relative Kontraindikation für Fondaparinux. Für nichtorthopädische Operationen sind Vorteile von NMH oder Fondaparinux gegenüber UFH nicht belegt (10). Wegen der potentiell gravierenden Konsequenzen von Blutungen im Operationsgebiet ist eine detaillierte Abschätzung von Thrombose- und Blutungsrisiken für die Entscheidung zwischen medikamentöser, mechanischer oder kombinierter Thromboseprophylaxe erforderlich. Die neuen oralen Antikoagulantien sind zur Prophylaxe nur nach elektiven Hüft- und Knieendoprothesenimplantationen zugelassen. Rivaroxaban reduziert thromboembolische Ereignisse möglicherweise stärker als NMH. Der Vorteil wird jedoch durch häufigere Blutungen aufgewogen (9). Durch Dabigatran und Apixaban können nicht mehr symptomatische Thrombosen oder Thromboembolien verhindert werden als durch NMH (9). Apixaban wurde der frühen Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und den Gemeinsamen Bundesausschuss unterzogen. Die zweckmäßige Vergleichstherapie war NMH. Es ergab sich ein Beleg für einen geringen Zusatznutzen von Apixaban für die Thromboseprophylaxe bei Patienten mit elektiver Hüftgelenksersatzoperation. Symptomatische tiefe Beinvenenthrombosen wurden von 0,2 auf unter 0,1 Prozent reduziert (11, 12). Für Patienten mit elektiver Kniegelenksersatzoperation wurde dagegen das Vorliegen eines Zusatznutzens verneint, da unter Apixaban häufiger Lungenembolien aufgetreten waren (13). Die umfangreichere klinische Erfahrung spricht derzeit bei Hüft- und Knieendoprothesen-implantationen für den vorzugsweisen Einsatz von NMH (9). Als Dauer der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe sind standardmäßig 7 bis 10 Tage vorgesehen. Sie kann bei größeren orthopädischen Eingriffen darüber hinaus in die poststationäre Phase bis zur kompletten Remobilisierung oder auf 35 Tage nach der Operation ausgedehnt werden. Bei einer verlängerten Antikoagulation sind auch vermehrte Blutungsereignisse zu berücksichtigen. Eine systematische Übersicht ergab, dass die vorliegenden Daten am ehesten für die Hüftendoprothesenimplantationen eine verlängerte Prophylaxe rechtfertigen (14). Für den Nutzen einer verlängerten Thromboembolieprophylaxe nach Implantation von Knieendoprothesen gibt es keine ausreichende Evidenz (14). Bei der operativen Versorgung von Hüftfrakturen sind Vorteile der verlängerten Thrombose- kvn niedersächsisches ärzteblatt 39
3 arzneimittel CME-Fortbildung Venenthrombosen und Lungenembolien prophylaxe ebenfalls nicht belegt. In einer randomisierten Placebo kontrollierten Studie bei 326 Patienten standen 8 vermiedenen symptomatischen thromboembolischen Ereignissen 6 zusätzliche größere Blutungen unter verlängerter Therapie mit Fondaparinux gegenüber (15). Bei der Dosierung von Antikoagulantien zur Thromboseprophylaxe sollten individuelle Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Patienten, die wegen einer Hüftfraktur operiert werden, sind häufiger hochbetagt, haben mehr Komorbiditäten und einen schlechteren Allgemeinzustand als Patienten mit elektiver Endoprothesenimplantation. In einer umfangreichen britischen Beobachtungsstudie war die Mortalität der Hüftfrakturpatienten in denjenigen Krankenhäusern am niedrigsten, die bei diesen Patienten grundsätzlich reduzierte Dosierungen der NMH einsetzten: 20 mg Enoxaparin oder 2500 Einheiten Dalteparin einmal täglich (16). Bei Kniegelenksarthroskopien reduziert eine Thromboembolieprophylaxe mit Nadroparin (7 Tage) im Vergleich zu Kompressionsstrümpfen das Auftreten symptomatischer (überwiegend distaler) tiefer Venenthrombosen von 1,9 auf 0,3 Prozent. Die Zunahme klinisch relevanter Blutungen von 0,2 auf 0,6 Prozent (nicht signifikant) ist vergleichsweise gering (17). Der Nutzen ist auf die Subgruppe mit Meniskusresektion beschränkt. Nach anderen Interventionen und rein diagnostischen Arthroskopien waren symptomatische Thrombosen und Embolien sehr selten. Ein Nutzen der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe ist für diese nicht belegt (17). Immobilisierung nach Trauma Bei verletzungsbedingter Immobilisierung des Unterschenkels ist eine signifikante Verringerung von symptomatischen Thrombosen und Embolien durch NMH nicht belegt. Das ergibt sich aus einer für die aktuelle ACCP-Leitlinie erstellten Metaanalyse der veröffentlichten Studien mit mindestens einwöchiger Ruhigstellung unter Einbeziehung der bisher nur in Kurzform veröffentlichten D-KAF- Studie (18). Daher wird eine generelle medikamentöse 40 niedersächsisches ärzteblatt Tabelle: Indikationsbereiche von Antikoagulantien mit Bezug auf venöse Thrombosen und Embolien; Details, Dosierungen und Kontraindikationen siehe jeweilige Fachinformation; HIT = Heparin-induzierte Thrombozytopenie; * nicht bei Lungenembolie; **bis zu max. 45 Tagen bei oberflächlichen Thrombosen unter den in der Fachiinformation angegebenen Voraussetzungen; *** nur bei Hüft- und Knie-TEP; **** nur bei Hüft- und Knie-TEP, nur für Hüft-TEP besteht laut GBA ein Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen; ***** Therapie mehr als 7 Tage nur bei Pat., für die keine geeignete antithrombotische Alternative verfügbar ist. Thromboembolieprophylaxe für die Unterschenkelimmobilisation nicht empfohlen (9). Für Patienten mit sehr hohem Thromboserisiko (z. B. Alter über 50, im starren Gipsverband, mit kompletter Entlastung oder schwerer Verletzung Fraktur/ Dislokation/ komplette Sehnenruptur und zusätzlichen Risikofaktoren) fehlen kontrollierte Interventionsstudien. Für diese Patientengruppe wird im Allgemeinen eine medikamentöse Thromboseprophylaxe empfohlen (19). Neben UFH ist Reviparin für die Primärprophylaxe tiefer Venenthrombosen bei traumatisierten, immobilisierten Patienten mit mittlerem thromboembolischem Risiko zugelassen. In der Zulassungsstudie wurde eine Reduzierung der durch ein phlebographisches Screening erfassten, überwiegend symptomlosen Thrombosen durch Reviparin gezeigt (20). Internistische Erkrankungen Studien zur medikamentösen Thromboembolieprophylaxe bei Patienten, die wegen akuter internistischer Erkrankungen stationär behandelt werden oder bettlägerig sind, haben in Abhängigkeit von den untersuchten Patientenkollektiven und den Zielparametern unterschiedliche Ergebnisse. Patienten der höchsten Risikokategorie wurden im Allgemeinen ausgeschlossen, da bei diesen die Indikation zur medikamentösen Thromboembolieprophylaxe nicht bezweifelt wurde. In einigen Studien wurden als Endpunkte alle durch systematisches phlebographisches, sonographisches oder nuklearmedizinisches Screening erfassten Thrombosen ausgewertet. Die klinische Relevanz dieser Surrogatendpunkte ist jedoch spekulativ. Eine aktuelle Übersichtsarbeit fokussiert daher auf symptomati-
4 CME-Fortbildung Venenthrombosen und Lungenembolien arzneimittel sche Thrombosen und Embolien als Endpunkte. Bei internistischen Patienten zeigt sich für eine generelle medikamentöse Thromboembolieprophylaxe kein Nutzen, der das leicht erhöhte Blutungsrisiko aufwiegen könnte (21). Der sinnvolle Einsatz der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe bei internistischen Patienten erfordert eine weitergehende Differenzierung in der Risikostratifizierung. Thrombotische und embolische Ereignisse treten vor allem bei Patienten mit aktiven Malignomen und in hohem Alter auf (22). Bei Patienten mit Krebserkrankungen können symptomatische tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien durch eine gezielte medikamentöse Prophylaxe reduziert werden (23). Bei hochbetagten Patienten kann es sinnvoll sein, wegen des ebenfalls hohen Blutungsrisikos von einer Thromboseprophylaxe abzusehen (24). Eine aktuelle Metaanalyse ging der Frage der Verlängerung einer prophylaktischen Antikoagulation bei internistischen Risikopatienten über den stationären Aufenthalt hinaus nach. Die mit Apixaban und Rivaroxaban durchgeführten Studien wurden eingeschlossen. Weder symptomatische thromboembolische Ereignisse noch die Mortalität werden signifikant reduziert. Die Häufigkeit von größeren Blutungen wird jedoch erhöht (25). Apoplex Für Patienten mit akuten ischämischen Schlaganfällen (mit Beinlähmung) konnte eine Metaanalyse keine signifikanten Auswirkungen einer Heparinisierung auf symptomatische thromboembolische Ereignisse im Vergleich zu Placebo oder unbehandelten Kontrollen finden (26). Größere Blutungen traten jedoch bei 1,5 Prozent der Patienten im Vergleich zu 0,88 Prozent signifikant häufiger auf. Gegen die Fokussierung auf symptomatische Thrombosen wurde eingewandt, dass die systematische Suche nach symptomlosen Thrombosen (Screening) und deren anschließende Behandlung das Auftreten symptomatischer Thrombosen auch unter Placebo reduziert haben könne (27). Die Prophylaxe würde somit den risikoreicheren therapeutischen Einsatz der Antikoagulation reduzieren. Tatsächlich fehlte der Effekt der Heparinisierung auf die symptomatischen Thrombosen aber auch in den Studien ohne Screening (28). Therapie von venösen Thrombosen und Lungenembolien Eine proximale tiefe Beinvenenthrombose ist ebenso wie eine symptomatische Lungenembolie eine Indikation zur therapeutischen Antikoagulation (1). Bei Einleitung der Therapie soll schnell eine wirksame Antikoagulation erreicht werden. Dadurch können ein weiteres Thrombuswachstum und (weitere) Lungenembolien verhindert werden. Die Auflösung der Thromben durch die körpereigene Fibrinolyse wird unterstützt. Eine wirksame Antikoagulation kann schnell mit Heparinen, Fondaparinux und den oralen Thrombin- und Faktor Xa-Inhibitoren erreicht werden. Von den letzteren ist nur Rivaroxaban für die Therapie von venösen Thrombosen zugelassen (s. Tabelle). UFH kann intravenös oder subcutan verabreicht werden. Die Dosierung wird durch die Bestimmung der partiellen Thromboplastinzeit (PTT) oder der Thrombinzeit individuell angepasst. NMH und Fondaparinux werden ein- oder zweimal täglich subcutan in einer am Körpergewicht orientierten Dosierung verabreicht. Vorteile der zweimal täglichen Gabe sind bei Vergleich äquivalenter Tagesdosen nicht belegt (1). Laut Fachinformation sind Dalteparin, Tinzaparin und Fondaparinux für die einmal tägliche Gabe in dieser Indikation geeignet. Bei höhergradiger Niereninsuffizienz wird UFH bevorzugt. Bei Heparintherapie (UFH oder NMH) sind Kontrollen der Thrombozytenzahl ab dem fünften Behandlungstag erforderlich. Bei Einleitung der Therapie mit einem Heparin oder Fondaparinux ist entsprechend der Fachinformation des Präparates die überlappende orale Antikoagulation mit einem VKA (in Deutschland überwiegend Phenprocoumon) angezeigt. Das Heparin oder Fondaparinux wird mindestens fünf Tage (Tinzaparin 10 Tage) bzw. bis zum Erreichen des INR- Zielbereiches zwischen 2 und 3 fortgeführt. Das Anstreben eines INR-Zielwertes von 2,5 erhöht den Zeitanteil mit Werten im therapeutischen Bereich (29). Bettruhe obsolet Eine frühe Mobilisierung von Patienten mit tiefer Beinvenenthrombose erhöht das Risiko von Lungenembolien im Vergleich zu Bettruhe nicht (30). Eine mit NMH eingeleitete ambulante Therapie tiefer Venenthrombosen reduziert nach einem Cochrane Review im Vergleich zu einer stationären Therapie sogar die Häufigkeit von Lungenembolien und Thromboserezidiven (32). Die vorliegenden Studien waren allerdings anfällig für Verzerrungen. Viele Patienten wurden ausgeschlossen. Im Einzelfall sprechen unter anderem eine besonders schwere Symptomatik, eine erhebliche Komorbidität oder eine problematische häusliche Situation gegen eine ambulante Behandlung bei Patienten mit tiefen Beinvenenthrombosen. Manifeste Lungenembolien sind eine Indikation für eine stationäre Behandlung. Es ist noch nicht erwiesen, ob zukünftig durch eine Risikostratifizierung in relevantem Umfang stationäre Aufenthalte gefahrlos vermieden oder abgekürzt werden können (32). Die Indikationen für eine operative oder kvn niedersächsisches ärzteblatt 41
5 arzneimittel CME-Fortbildung Venenthrombosen und Lungenembolien interventionelle Beseitigung des Thrombus oder eine Thrombolyse können hier nicht erörtert werden (33). Therapiedauer Dauertherapie? Die empfohlene Dauer der Antikoagulation beträgt drei Monate für Thrombosen und Lungenembolien, die durch vor - übergehende Risikosituationen ausgelöst wurden. Bei erstmaligen idiopathischen proximalen tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien und niedrigem oder mäßigem Blutungsrisiko kann die Antikoagulation auf sechs Monate verlängert werden. Bei rezidivierenden idiopathischen proximalen tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien soll eine zeitlich unbegrenzte Antikoagulation in Betracht gezogen werden, sofern kein hohes Blutungsrisiko besteht (1). Da weder eine Reduktion der Mortalität noch eine Verbesserung der Lebensqualität nachgewiesen sind, sollten die Präferenzen des Patienten vor jeder Verlängerung der Antikoagulation über 3 Monate hinaus eruiert und berücksichtigt werden (34). Die Indikation muss im weiteren Verlauf regelmäßig überprüft werden. Welcher Wirkstoff? Die für die Therapie von Thrombosen zugelassenen Wirkstoffe sind in der Tabelle aufgeführt. Eine Kostenvergleichstabelle ist unter in der Rubrik Praxis/Fortbildung verfügbar. Ein VKA in adjustierter Dosis ist das Mittel der Wahl für die Langzeitbehandlung der Thrombose (35). Dalteparin ist als einziges Heparin für die Therapie und Rezidivprophylaxe von Thrombosen zugelassen beschränkt auf onkologische Patienten. Im Vergleich zu VKA reduzierte Dalteparin während eines halben Jahres die Häufigkeit von symptomatischen Thromboserezidiven bei Krebspatienten von 9 auf 4 Prozent. Der größte Teil des Effektes war in den ersten drei Behandlungsmonaten zu beobachten (36). Neben den VKA ist nur Rivaroxaban zur Langzeitbehandlung der Thrombose (auch bei Patienten ohne aktive Krebserkrankung) zugelassen. In der Zulassungsstudie wurde Rivaroxaban mit einer Standardbehandlung beginnend mit Enoxaparin und überlappender Therapie mit einem VKA mit einer Behandlungsdauer von drei bis zwölf Monaten verglichen. Rivaroxaban war in Bezug auf die Verhinderung von symptomatischen Rezidivthrombosen oder Lungenembolien der Vergleichstherapie nicht unterlegen (37). Die Möglichkeit einer oralen Behandlung mit Rivaroxaban bereits im Akutstadium (in den ersten drei Wochen zweimal täglich 15 mg, dann weiter einmal täglich 20 mg) sowie die fehlende Notwendigkeit von Gerinnungskontrollen könnten für Rivaroxaban sprechen. Nachteile sind die unverlässliche Erfassung der gerinnungshemmenden Wirkung mit den klassischen Gerinnungstests, das Fehlen eines bewährten Antidots und die mögliche Kumulation bei sich verschlechternder Nierenfunktion. Wegen der noch nicht ausreichenden Sicherheitsdaten werden die neuen oralen Antikoagulantien in der ACCP-Leitlinie als nachgeordnete Reservemittel genannt (35). Fazit In der hier erwähnten Leitlinie der ACCP wurde berücksichtigt, dass sich der Grad der Verbindlichkeit von Empfehlungen nicht zwingend aus der vorliegenden Evidenz ableiten lässt. Vielmehr ist eine vergleichende Einschätzung der Bedeutung der jeweils erfassten Endpunkte erforderlich (38). Dabei kommen individuelle Wertungen zum Tragen. Somit kann und soll eine Leitlinie nicht Behandlungspfade fixieren, sondern begründete Empfehlungen und Vorschläge aussprechen, die es ermöglichen, für den einzelnen Patienten unter Berücksichtigung der vorliegenden Evidenz eine an seinen Präferenzen orientierte Behandlung zu finden. Es ist zu bedenken, dass auch leitliniengerechte Entscheidungen (Rezidiv-)Thrombosen und Embolien nicht sicher verhindern können, da die Anwendung der verfügbaren antithrombotischen Wirkstoffe durch die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung einer ausreichenden Hämostase begrenzt ist. Dr. med. Rainer Burkhardt Beratender Arzt der KVN Bezirksstelle Oldenburg Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis. Es ist beim Verfasser erhältlich und online unter in der Rubrik Praxis/Fortbildung verfügbar. CME-Fortbildung zum Thema: Thrombozytenaggregationshemmer, Juli 2012: Antworten: Die richtigen Antworten waren: 1b, 2e, 3d, 4b, 5a, 6d, 7a, 8b, 9e, 10d. Auf der folgenden Seite finden Sie die für die Teilnahme an der Fortbildung zu beantwortenden Fragen. Teilnehmer mit mindestens 9 richtigen Antworten bekommen 3 Fortbildungspunkte, Teilnehmer mit 7 oder 8 richtigen Antworten bekommen 2 Fortbildungspunkte. Die Teilnahme ist auch online unter in der Rubrik Praxis/Fortbildung möglich. Einsendeschluss ist der 30. November Eine Gutschrift der Fortbildungspunkte durch die KVN erfolgt bei korrekter und lesbarer Angabe der EFN nach Einsendeschluss. Die richtigen Antworten werden unter in der Rubrik Praxis/Fortbildung und im niedersächsischen ärzteblatt veröffentlicht. < 42 niedersächsisches ärzteblatt
6 CME-Fortbildung Venenthrombosen und Lungenembolien arzneimittel Antwortbogen Absender: Name Vorname Straße Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen Bezirksstelle Oldenburg z. Hd. Fr. Erichsen Huntestr Oldenburg Fax Nr. (04 41) Ort Bitte EFN eintragen. Bei Postversand Barcode verwenden. Fragen: 1 Welcher Wirkstoff katalysiert ausschließlich die Hemmung des Gerinnungsfaktors Xa durch Antithrombin? a Phenprocoumon b Dalteparin c Fondaparinux d Desirudin e Rivaroxaban 2 Die gerinnungshemmende Wirkung welcher Antikoagulantien lässt sich durch die klassischen Standardgerinnungstests zuverlässig erfassen? a Unfraktioniertes Heparin und Phenprocoumon b Enoxaparin und Tinzaparin c Rivaroxaban und Apixaban d Dalteparin und Danaparoid e Fondaparinux und Certoparin b c d e für internistische Patienten für Schlaganfallpatienten für Patienten mit zerebralem Anfallsleiden für Patienten mit elektiver Hüftendoprothesenimplantation 5 Die Entscheidung über eine medikamentöse Thromboseprophylaxe hängt unter anderem ab von a der Bereitschaft der Krankenkasse zur Kostenübernahme b den Vorgaben des Krankenhausträgers c anamnestischen Risikofaktoren des Patienten d der Verfügbarkeit von Blutkonserven e der Verfügbarkeit venenkompressionssonographischer Diagnostik zum postoperativen Screening 8 Welcher Wirkstoff ist derzeit das Mittel der Wahl zur Langzeitbehandlung von tiefen Venenthrombosen? a Phytomenadion b Phenprocoumon c Pentoxifyllin d Dabigatran e Chinin 9 Wie lange wird die Antikoagulation nach einer ersten tiefen Venenthrombose in der Regel durchgeführt? a 7-10 Tage b 3 Wochen c 3 Monate d 1 Jahr e lebenslang kvn 3 Die Zulassung der neuen oralen Antikoagulantien zur Thromboseprophylaxe erstreckt sich auf a internistische Erkrankungen mit einer mindestens 3 Tage dauernden Bettruhe b alle orthopädischen und gelenkchirurgischen Eingriffe c posttraumatische Ruhigstellung der unteren Extremität d elektive Hüft- und Knieendoprothesenimplantationen e ischämische Schlaganfälle 6 Bei einer gesicherten proximalen tiefen Beinventhrombose sollte a immer Bettruhe verordnet werden b unverzüglich eine rasch wirksame Antikoagulation eingeleitet werden c vor Einleitung einer Antikoagulation eine Thrombophiliediagnostik abgewartet werden d bei aktiver Krebserkrankung keine Antikoagulation erfolgen e eine duale Plättchenhemmung mit ASS und Clopidogrel begonnen werden 10 Die ACCP-Leitlinie zur Thrombosetherapie und -prophylaxe a enthält für alle denkbaren Situationen zwingende Handlungsanweisungen b lässt Raum für die Berüücksichtigung von Patientenpräferenzen in der Therapieentscheidung c hat sich seit 10 Jahren in der Praxis bewährt d verhindert bei korrekter Umsetzung alle Thrombosen und Embolien e ist nur in der Zentralbibliothek Medizin in Köln verfügbar 4 Der Nutzen einer über die Dauer des stationären Aufenthaltes hinaus verlängerten medikamentösen Thromboseprophylaxe ist am ehesten nachgewiesen a für Patienten mit operativ versorgten Hüftfrakturen 7 Welcher Wirkstoff eignet sich zur Einleitung einer Thrombosetherapie? a Warfarin b Phenprocoumon c Aescin d Clopidogrel e Heparin niedersächsisches ärzteblatt 43
7 Kostenvergleich von Antikoagulantien zur Prophylaxe und Therapie von venösen Thrombosen, Preise nach Lauer Liste Stand , Kostenspanne bei körpergewichtsabhängiger Dosierung, Reimporte sind nicht berücksichtigt. Thromboembolieprophylaxe Therapieeinleitung Langzeittherapie Wirkstoff (Handelsname) Dosis je Tag Dauer (d) Kosten je Behandlung Dosis je Tag Kosten für 5 Tage (kleinste ausreichende Packung) bzw. Mindestdauer Dosis je Tag Kosten je Tag Phenprocoumon (Marcumar, Generika) unfrakt. Heparin (UFH) Certoparin (Mono Embolex ) 2 x 7500 E 10 49, E iv** 28,80 1 x 3000 E 10 50,52 2 x 8000 E 197,38 (Fachinfo: mindestens 10 Tage) adaptiert 0,18 0,23 bei 1 Tbl./Tag Dalteparin (Fragmin )* 1 x 2500 E 10 42,05 1 x ,23 241,33 1 x E 10,77 23,78 Dalteparin (Fragmin )* 1 x 5000 E 10 71,09 Enoxaparin (Clexane )* 1 x 20 mg 10 35,68 2 x mg 93,15 149,69 Enoxaparin (Clexane )* 1 x 40 mg 10 60,15 Nadroparin (Fraxiparin ) 1 x 0,3 0,6 ml 10 45,67 83,98 2 x 0,4 0,8 ml 60,15 107,55 Reviparin (Clivarin ) 1 x 1750 E 10 60,15 Tinzaparin (Innohep ) 1 x 3500 E 10 38,78 1 x E 90,68 Fondaparinux (Arixtra ) 1 x 1,5 mg 7 45,46 1 x 5 10 mg 94,75 177,77 Fondaparinux (Arixtra ) 1 x 2,5 mg 7 48,37 Dabigatran (Pradaxa ) 1 x 220 mg 10 52,60 Rivaroxaban (Xarelto ) 1 x 10 mg 10 42,10 2 x 15 mg 143,25 (Fachinfo: 3 Wochen) 1 x 20 mg 3,27 Apixaban (Eliquis ) 2 x 2,5 mg 10 76,36 Danaparoid (Orgaran ) 2 x 750 E , E iv** 860, , x 750 E 57,35 86,02 * Dosis in der Prophylaxe abhängig vom Risiko; ** höhere Bolus bzw Initialdosis
8 Literaturangaben: 1. G. H. Guyatt und andere: Executive summary. Antithrombotic therapy and prevention of thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians evidence-based clinical practice guidelines. Chest 2012, 141, 2 Suppl, 7S 47S 2. J. I. Weitz: Blood coagulation and anticoagulant, fibrinolytic, and antiplatelet drugs. In: L. Brunton und andere (Hrsg.): Goodman and Gilman s The Pharmacological Basis of Therapeutics. New York 2011, Anonymus: Danaparoid. In: T. Beck und andere: Arzneistoffprofile, 15. Ergänzungslieferung Eschborn Anonymus: Desirudin. In: T. Beck und andere: Arzneistoffprofile, 15. Ergänzungslieferung Eschborn R. Burkhardt: Aus dem Takt. CME-Fortbildung zum Vorhofflimmern. Nieders Ärztebl 2012, 85 (4), S. Konstantinides und T. Münzel: Apixaban. Hämostaseologie 2012, 32, im Druck 7. M. Gavillet und A. Angelillo-Scherrer: Quantification of the anticoagulatory effect of novel anticoagulants and the management of emergencies. Cardiovasc Med 2012, 15, AWMF: Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie, Stand Y. Falck-Ytter und andere: Prevention of VTE in orthopedic surgery patients. Chest 2012, 141, 2 Suppl, e278s e325s 10. M. K. Gould und andere: Prevention of VTE in nonorthopedic surgical patients. Chest 2012, 141, 2 Suppl., e227s e277s 11. M. R. Lassen und andere: Apixaban versus enoxaparin for thromboprophylaxis after hip replacement. NEJM 2010, 363, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitwesen: Apixaban Nutzenbewertung gemäß 35a SGB V. IQWiG-Berichte 2012, M. R. Lassen und andere: Apixaban versus enoxaprin for thromboprophylaxis after knee replacement (ADVANCE-2): a randomised double-blind trial. Lancet 2010, 375, D. M. Sobieraj und andere: Prolonged versus standard-duration venous thromboprophylaxis in major orthopedic surgery. Ann Int Med 2010, 156, B. I. Eriksson und andere: Duration of prophylaxis against venous thromboembolism with fondaparinux after hip fracture surgery. Arch Int Med 2003, 163, N. Heidari und andere: Mortality and morbidity following hip fractures related to hospital thromboprophylaxis policy Hip Internat , G. Camporese und andere: Low-molecular-weight heparin versus compression stockings for thromboprophylaxis after knee arthroscopy: a randomized trial. Ann Int Med 2008, 149, Dalteparin in knee-to-ankle fracture trial: NCT D. Horner: Towards evidence-based emergency medicine: best BETs from the Manchester Royal Infirmary: Evidence exists to guide thromboembolic prophylaxis in ambulatory patients with temporary lower limb immobilisation. Emerg Med J 2011, 28, M. R. Lassen und andere: Use of the low molecular weight heparin reviparin to prevent deep-vein thrombosis after leg injury requiring immobilization. NEJM 2002, 347, M. Vardi und M. Haran: Venous thromboembolism prophylaxis of acutely ill hospitalized medical patients. Are we over-treating our patients. Eur J Int Med 2012, 23,
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