Verbrenner auf Abwurf!

Transkript

1 Seite 26 Technik Seite 27 Verbrenner auf Abwurf! Auf der IAA in Frankfurt präsentiert Porsche die ersten Prototypen des Cayenne-Hybrid, der noch in diesem Jahrzehnt in Serie gehen wird. Das neue Konzept, das internationalen Journalisten im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Weissach intensiv vorgestellt wurde, sorgt neben einer Verbrauchsreduzierung von derzeit bis zu 25 Prozent auch für eine Verbesserung der Beschleunigung und der Elastizität. Text Reiner Schloz Fotografie Christoph Bauer, Werk Kann man diesem Drehzahlmesser trauen? Wir cruisen so dahin, irgendwo zwischen 50 und 60 km/h, aber der Zeiger ruht still wie der See. Null Ausschlag. Ausgerechnet der Drehzahlmesser! In einem Porsche! Das sichtbare Symbol unbändiger Kraft und Leistung! Das war im Elfer schon immer so. Und im Boxster. Und auch im Cayenne. Aber nicht in diesem Cayenne. Wir sitzen in einem Cayenne-Hybrid, Prototyp. Er fährt sich wie ein Porsche, er klingt wie ein Porsche, wenn man es darauf anlegt aber manchmal spielt der Drehzahlmesser nicht mit. Dann nämlich, wenn der Hybrid- Manager (nein, nicht der Fahrer) den Verbrennungsmotor abgeworfen hat, wie die Experten sagen. Ja, ein paar Aha-Erlebnisse birgt eine Jungfernfahrt im Cayenne- Hybrid schon. Zum Beispiel diese Stille, wenn man den Wagen anlässt, und die Stille, wenn man mit dem Wagen normal anfährt. Oder dass man im Cockpit optisch permanent darüber aufgeklärt wird, welches Aggregat gerade mit Strom versorgt wird und welches gerade Strom abgibt. Oder dass die Warnleuchte für die Lichtmaschine komplett fehlt weil die Lichtmaschine komplett fehlt. Oder dass man mit diesem Fahrzeug segeln kann (wieder so ein Fachausdruck). Aber vor allem, dass man seine Fahrgewohnheiten nicht ändern muss und trotzdem gut 25 Prozent weniger Sprit verbraucht. A Enthüllungsjournalismus: Die Hybridkomponenten, die in einem Cayenne stecken

2 Seite 28 Bei einem Cayenne mit einem 3,6-Liter-Sechszylinder-Verbrennungsmotor bedeutet dies nach dem Neuen Europäischen Fahrzyklus deutlich unter zehn Liter pro 100 Kilometer statt 12,9 Liter. Zur Markteinführung sind 8,9 Liter anvisiert. So wird es also sein, wenn Porsche noch in diesem Jahrzehnt einen Cayenne auf den Markt bringt, bei dem der Verbrennungsmotor nur noch Teil eines sehr komplexen Antriebssystems ist. Es nennt sich Parallel-Full- Hybrid, wird gemeinsam mit VW und Audi entwickelt und ist bisher so noch nie umgesetzt worden. Porsche hat sich aus vielen Gründen für dieses Konzept entschieden. Zum Beispiel weil im Gegensatz zum leistungsverzweigten Hybrid beim Parallel-Full- Hybrid die Elektromaschine in den Antriebsstrang integriert wird. Das Hybrid-Modul sitzt zwischen Getriebe und Verbrennungsmotor, wo es mit einer Trennkupplung andockt. Ein Platzvorteil, weshalb die Einschränkungen beim Kofferraum-Volumen und der Allrad-Technik minimiert werden konnten. Außerdem können so auch bei Überland- und Autobahnfahrten bessere Verbrauchswerte erzielt werden. Dem Cayenne-Hybrid ist es möglich, den Verbrennungsmotor bis zu einer Geschwindigkeit von 120 Stundenkilometern abzuwerfen. Dann segelt er, gleitet also auf der Straße. Und, typisch Porsche, da der Elektromotor A Porsche bekennt Farbe: Die NiMH-Batterie (Foto rechts oben) und die Leistungs- Elektronik (Foto unten) aus dem Cayenne-Hybrid

3 Seite 30 den Verbrenner nicht nur vertreten, sondern auch unterstützen kann, werden Beschleunigung und Elastizität im Vergleich zum herkömmlichen Cayenne nochmals deutlich besser. Das komplizierte Zusammenspiel zwischen Verbrenner, Elektromaschine und Batterie regelt dabei der Hybrid-Manager, das Herzstück des Fahrzeugs. Er erhält alle Fahr- und Energieinformationen und steuert beide Antriebe in jeder Fahrsituation optimal an. Dabei wird die Batterie weder zu sehr entladen noch zu oft beund entladen. Der Hybrid-Manager ist ein echtes Superhirn, das ständig mit definierten Datenparametern arbeiten muss. Für eine normale Motorsteuerung reichen schon 6000 Datenparameter. Blick-Kontakt: Im Kombi-Instrument wird deutlich, welcher Antrieb gerade zum Einsatz kommt Typisch Porsche: Da der Elektromotor den Verbrenner nicht nur vertreten, sondern auch unterstützen kann, werden Beschleunigung und Elastizität im Vergleich zum herkömmlichen Cayenne nochmals deutlich besser. Auch sonst müssen für einen optimalen Parallel-Full-Hybrid noch einige Herausforderungen bewältigt werden. Das fängt bei der Trennkupplung zwischen Verbrenner und Elektromotor an. Sie leistet eine ebenso feinfühlige wie harte Arbeit. Der Hybrid-Manager wirft den Verbrenner ab oder schaltet ihn zu, wie es für das Fahrzeug gerade optimal ist. Und dank des Verbrennungsmotors (der ohne das kleinste Zucken in jeder Lage blitzschnell anspringt und ausgeht) und dank der Trennkupplung merkt der Fahrer nichts davon. Er hört es nur weil er nach dem Abwerfen praktisch nichts mehr hört. Und da ist die Batterie aus 240 Zellen (347x633x291Millimeter), die in der Reserverad-Mulde untergebracht ist und 69 Kilogramm wiegt. Die Batterie arbeitet mit einer Leistung von 38Kilowatt und hat eine Spannung von 288 Volt. Geladen wird sie während des Fahrens durch das rekuperative Bremsen und die verbrauchsoptimierte Lastpunktverschiebung des Verbrennungsmotors. Da sie A

4 Seite 32 Die Trennkupplung zwischen Verbrenner und Elektromotor leistet eine ebenso feinfühlige wie harte Arbeit. Von vorn bis hinten: Die Hybrid-Komponenten Leistungselektronik, Kupplungsaktuator, Elektromotor (vorn)und Batterie (hinten) Der Hybrid-Manager wirft den Verbrenner ab oder schaltet ihn zu, wie es für das Fahrzeug gerade optimal ist. Der Fahrer merkt nichts davon, er hört es nur weil er praktisch nichts mehr hört. durch das Be- und Entladen ganz schön heiß werden kann, wird ihre Temperatur durch ein spezielles Luftkühlsystem auf unter 40 Grad Celsius gehalten. Die frische Brise wird aus dem Fahrgastraum angesaugt. So wird die Lebenserwartung der Batterie an die des gesamten Fahrzeugs angeglichen. Da im herkömmlichen Fahrzeug auch andere Komponenten wie die Unterdruckpumpe für die Servolenkung, der Bremskraftverstärker, die Klimaanlage oder die Ölpumpe für das Automatikgetriebe vom Verbrennungsmotor abhängig sind, werden sie im Cayenne-Hybrid durch elektrisch betriebene Aggregate ergänzt beziehungsweise ersetzt. Alles zusammengerechnet wiegt der Cayenne-Hybrid so 150 Kilogramm mehr als herkömmliche Verbrenner. Da steckt viel Arbeit dahinter, aber Porsche-Entwickler haben sich ja schon immer etwas einfallen lassen, wenn es um Verbrauchsreduzierung geht. In den vergangenen 15Jahren wurde der CO 2 -Ausstoß jährlich um 1,7 Prozent reduziert ein absoluter Spitzenwert in der Automobilindustrie. Und auch bei der zweiten Cayenne-Generation konnten die Emissionen innerhalb von vier Jahren um 15 Prozent reduziert werden. Mit dem Hybrid stößt Porsche in neue Dimensionen vor. Deshalb wird das Konzept auch im neuen Panamera umgesetzt, der 2009 auf den Markt kommt. So hat der Schritt in die Zukunft eigentlich nur eine Leidtragende: Denn wie gesagt, die gute alte Lichtmaschine ist draußen. B

5 Seite 34 Früh-Starter: Bereits 1900 entwickelte Ferdinand Porsche den Lohner-Porsche Mixte mit Radnaben-Elektromotor und Verbrennungsmotor Der Lohner-Porsche von 1900: Das allererste Hybrid-Fahrzeug Seit die Klimaveränderung das gesellschaftspolitische Thema Nummer eins geworden ist, wird auch viel über den Hybrid-Antrieb diskutiert. Dabei ist die Idee, einen Verbrennungs- und einen Elektromotor zu kombinieren, schon ziemlich alt. Genau genommen über 100 Jahre alt. Damals hat sie Firmengründer Professor Ferdinand Porsche bereits umgesetzt. In Diensten der Vereinigten Elektrizitätswerke AG Béla Egger in Wien entwickelte Ferdinand Porsche 1896, im Alter von 21 Jahren, einen elektrischen Radnabenmotor. Für die Wiener k. u. k. Hofwagenfabrik Ludwig Lohner & Co. entwickelte er vier Jahre später den Lohner-Porsche Mixte. Dieses Fahrzeug besaß neben einem Verbrennungsmotor auch einen Elektromotor und konnte bereits Energie in einer Batterie zwischenspeichern. Damit war der Lohner-Porsche seiner Zeit weit voraus und sozusagen das erste serienmäßige Auto mit Hybrid-Antrieb. B