Erst- und Nachwirkungen
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- Gerhardt Schenck
- vor 8 Jahren
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1 Uwe Plate Erst- und Nachwirkungen Jede Arznei hat zwei Wirkungen, die Erstwirkung und die Nachwirkung. Die Erstwirkung ist die Arzneiwirkung, die auf den Organismus ausgeübt wird und die Nachwirkung ist die Gegenreaktion des Organismus gegen den Arzneireiz, die in der Pharmakologie als Gewöhnung bekannt ist. Es ist die Toleranz gegenüber einem Pharmakon, die eine Dosissteigerung erforderlich macht, um die gleiche Wirkung zu erzielen (Pschyrembel). Hahnemann hatte dieses Phänomen schon vor 200 Jahren als pharmakologisches Naturgesetzt erkannt und er schreibt im Organon 63: Jede auf das Leben einwirkende Potenz, jede Arznei, stimmt die Lebenskraft mehr oder weniger um, und erregt eine gewisse Befindens-Veränderung im Menschen auf längere oder kürzere Zeit. Man benennt sie mit dem Namen: Erstwirkung. Sie gehört, obgleich ein Produkt aus Arznei und Lebenskraft, doch mehr der einwirkenden Potenz an. Dieser Erstwirkung bestrebt sich unsere Lebenskraft ihre Energie entgegen zu setzen. Diese Rückwirkung gehört unserer Lebens-Erhaltungs-Kraft an und ist eine authomatische Thätigkeit derselben, Nachwirkung oder Gegenwirkung genannt. In der Erstwirkung verhält sich die Lebenskraft nur passiv, empfänglich, gleichsam leidend (rezeptiv) und so wie gezwungen ( 64). Dann aber entwickelt sie als Gegenreaktion die Nach- oder Gegenwirkung, um damit den einwirkenden Arzneireiz zu neutralisieren. Das ist eine sinnvolle Einrichtung der Natur als Anpassung des Lebens an toxische Umweltbedingungen. Die Gegenwirkung des Organismus setzt jedoch nicht sofort nach dem ersten Arzneireiz ein, sondern erst nach wiederholtem toxischem Einfluss (Arzneigaben). Jede einzelne Gabe verstärkt die Gegenwirkung und damit wird die Arznei immer mehr neutralisiert, es tritt Gewöhnung ein, eine Toleranz wird ausgebildet, der Organismus reagiert nicht mehr auf das Arzneimittel. Um weitere Wirkungen zu erreichen muss die Dosis verstärkt werden, was wiederum zu einen stärkeren Gegenwirkung führt. Ein Teufelskreis entsteht, mit immer stärkeren Arzneigaben und immer schwächeren Wirkungen. Eine Heilung ist auf Dauer nicht zu erreichen. Wären die Ärzte fähig gewesen, über solche traurigen Erfolge von opponierter Arzneianwendung nachzudenken, so würden sie schon längst die große Wahrheit gefunden haben, dass im geraden Gegenteil von solcher antipathischen Behandlung der Krankheitssymptome, die wahre dauerhafte Heilart zu finden sein würde; sie würden inne geworden sein, dass, so wie eine den Krankheits-Symptomen entgegen gesetzte Arznei-Wirkung (antipatisch angewendete Arznei) nur kurz dauernde Erleichterung und nach ihrer Verfließung stets Verschlimmerung zur Folge hat... ( 61). Eine Arzneitherapie nach dem Prinzip contraria contrariis gegen die Beschwerden kann wegen der Gewöhnung niemals zur Heilung führen. Wird eine Darmverstopfung mit einem Abführmittel behandelt (die abführende Wirkung der Arznei gegen die Verstopfung eingesetzt), bildet die Lebenskraft über kurz oder lang eine Gegenreaktion aus, die zur Gewöhnung an die Arznei führt. Das Abführmittel wirkt nicht mehr und der Stuhlgang bleibt aus. Nur eine Dosissteigerung kann noch Wirkung erzielen, aber eine Dosissteigerung ist nicht unbegrenzt und sie führt zu einer immer stärkeren Gegenreaktion des Organismus, so dass im Endeffekt die Krankheit verschlimmert wird und es entsteht eine Arzneimittelabhängigkeit. Nach Herings Ansicht ist aber die Gegenwirkung nicht der Ausschlag des Pendels auf die Gegenseite, sondern nur die Wiederherstellung des Normalzustandes, was auch schon Hahnemann im 66 gesagt hat: Eine auffallende 1, entgegen gesetzte Nachwirkung ist aber 1 Auffallend im Sinne von wahrnehmbar.
2 begreiflicher Weise nicht bei Einwirkung ganz kleiner homöopathischer Gaben der umstimmenden Potenz im gesunden Organismus wahrzunehmen. Ein wenig von diesem allen bringt zwar eine, bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmbare Erstwirkung hervor, aber der lebende Organismus macht dafür auch nur so viel Gegenwirkung (Nachwirkung), als zur Widerherstellung des normalen Zustandes erforderlich ist. Doch Hahnemann war der Ansicht, dass bei homöopathischen Arzneiprüfungen trotzdem Nachwirkungen auftreten können, wenn nämlich nicht mit einer einzigen sondern mit mehreren Gaben geprüft wird kommen mehrere Nachwirkungen unter den Symptomen mit vor ( 137). Das wurde von Hering bestritten. Für ihn gibt es bei homöopathischen Arzneiprüfungen keine wahrnehmbare Gegenwirkungen des Organismus, keinen Ausschlag des Pendels auf die Gegenseite, also keine gegenteiligen Symptome bei ein und demselben Prüfer. Alle auftretenden Wirkungen sind einzig und allein Erstwirkungen. Hier muss, wer die Geschichte der Homöopathie so wenig kennt, als die meisten unserer heutigen Leser, eine kurze Bemerkung sich gefallen lassen. Hahnemann fand unter seinen Zeitgenossen die Ansicht vor, dass das Lebende, wenn es nicht plötzlich überwältigt wurde, eine Gegenwirkung mache (vgl. Cullen u. A.). Er musste bei seinen Forschungen das Wellenförmige in den Arzneizeichen, die Oscillationen, sogleich bemerken, spricht sich auch schon darüber aus in der Vorrede zu den Fragmenten 1805, und schied Primär- und Secundärwirkungen. Auf die kleineren Wellen, die Wechselwirkungen, kam er erst später. Auf die Hauptwellenerscheinung, die der Erst- und Nachwirkung, stützte er nun die Erklärung des Heilvorgangs, stützte darauf sein Heilgesetz und die Anwendung desselben. Daher seine ängstliche Sorgfalt, Erst- und Nachwirkungen zu scheiden. Nur die ersten konnten seiner Ansicht nach zur Heilung dienen. 2 Eine homöopathische Arzneiprüfung kann zwar eine Darmverstopfung hervorrufen, aber selbst wenn die Prüfung in wiederholten und großen Gaben durchgeführt werden würde, käme es nicht zu einer gegenteiligen Wirkung. Es würde kein Durchfall als Gegenteil von Verstopfung auftreten ( wahrnehmbare Wirkung ), weil die Gegenwirkung nur zum normalen und nicht zum gegenteiligen Zustand führt. Es käme zur Gewöhnung an das Arzneimittel (normaler Stuhlgang), aber das wäre eine Neutralisation ( Nullwirkung ) und nicht der Umschlag in das Gegenteil. Die gegenteiligen Prüfungssymptome einer Arznei, Durchfall und Verstopfung, Hitze und Frieren, Verschlimmerung im Liegen und Besserung im Liegen, sind folglich immer nur Erstwirkungen (im Fall von Gegenteilen heißen sie Wechselwirkungen ). Hahnemanns ängstliche Sorgfalt Erst- und Nachwirkungen zu unterscheiden war somit unbegründet, aber es wäre heute schäbige Frechheit mit ihm darüber zu rechten, denn in der Anfangszeit der Homöopathie konnten diese Zusammenhänge noch nicht erkannt werden. Damals waren jedoch viele Homöopathen davon überzeugt, dass Nachwirkungen, weil sie zeitlich nach der Erstwirkung auftreten, grundsätzlich in spät entstandenen Prüfungssymptome vorhanden sind und diese Symptome sollten im Zuge der allgemein Kritik an Hahnemanns Arzneimittellehre entfernt werden. Dagegen protestierte Hering. Während ich seitdem fortfuhr die allerentschiedensten Nachwirkungen jedes Mittels bei Heilungen zu benutzen, und immer mehr einsah, daß dadurch die allerdauerhaftesten Heilungen bewirkt werden konnten, hat man in den verschiedenen Schriften fortgefahren die Nachwirkungen für unbrauchbar zu halten und vermuthungsweise zu bestimmen, welche Symptome dergleichen Nachwirkungen seien; hat auch fortgefahren von der Nachwirkung als einer Reaction zu sprechen, und gleichsam eine directe und indirecte Heilung statuiren wollen, also den obigen Satz von 1834 noch nicht angenommen. 3 Hering wählte auch nach spät in der Prüfung auftretenden Symptomen, also vermeintlichen Nachwirkungen seine Arzneien und erzielte dauerhafte Heilungen, was nicht möglich gewesen 2 Herings med. Schriften S. 1374, Gypser (Hrg.) Ulrich Burgdorf ebenda S. 749
3 wäre, wenn spät auftretende Prüfungssymptome Gegenwirkungen wären. Er hatte sowohl theoretisch (die Gegenwirkung des Organismus bewirkt den Normalzustand) als auch praktisch belegt, dass vermeintliche Nachwirkungen nur Spätwirkungen sind. Es ist jedoch verwirrend, dass er den Begriff Nachwirkung benutzt, den Hahnemann im Organon als Gegenwirkung definiert hat, und nicht den Begriff Spätwirkung 4. Später nahm er dazu Stellung und schrieb: Nun zur spaltenden Lehre von den Wirkungen. Ich habe auch da eben so wenig Anstoss genommen an Worten: Erst- und Nach-, Primär- und Secundär-, Wechsel- und Gegenwirkung, allen liegt was Wahres zu Grunde, habe mich daher derselben bedient, nur um verstanden zu werden, so wie man sagt, die Sonne geht auf und unter, und weiss es besser 5 Das besagt jedoch keinesfalls, dass Hering die Erst- und Nachwirkungen der Arzneien völlig abgelehnt hat. Ganz im Gegenteil hat er sie gegen Angriffe auf Hahnemann verteidigt. 6 Es waren wohl viele mit der Lehre der Erst- und Nachwirkungen nicht einverstanden, zwingt sie doch dazu, einzig nach dem Prinzip similia similibus zu arbeiten. Aber das gefiel den Halbhomöopathen gar nicht, die je nach Belieben allopathisch und homöopathisch arbeiten wollten. Erst- und Nachwirkungen existieren selbstverständlich und sie sind ein pharmakologisches Gesetz, weil sie gesetzmäßig auftreten. Die Gegenwirkung oder Gewöhnung kommt jedoch nur bei allopathischer Medikation nach dem Prinzip contraria contrariis vor. Hering hatte weiterhin festgestellt, dass es Unterschiede in den Prüfungen gibt, je nachdem ob mit niedrigen oder hohen Potenzen geprüft wird. Prüfungen mit starken Gaben in niedrigen Potenzen führen zu Vergiftungserscheinungen, auf die der Organismus mit Ausscheidungen im Sinne von Erbrechen, Schweiß oder Durchfall reagiert 7. Nachdem diese stürmischen Wirkungen abgeklungen sind, wirkt die Arznei aber weiter (Spätwirkungen oder nach Hering Nachwirkungen ). Die späteren Symptome sind diskreter, aber wesentlich wertvoller für die Homöopathie, weil sie differenzierter in den Empfindungen und Modaltitäten sind. Nach diesen wichtigen weil differenzierten Symptomen wählte Hering und erreichte schöne Heilungen mit Spätsymptomen, die fälschlich als Nachwirkungen (Gegenwirkungen) angesehen wurden und aus der Arzneimittellehre gestrichen werden sollten. Bei Prüfungen mit großen Gaben und niedrigen Potenzen kommt es zu heftigen Primärwirkungen (Hering) und später nachfolgenden Nachwirkungen (Spätwirkungen). Diese Spätwirkungen sind aber identisch mit Prüfungssymptomen von hohen Potenzen 8 : Alle Zeichen, welche bei den Prüfungen der höhern Potenzen entstehen, sind ganz gleich mit den Nachwirkungen der niedern oder sogenannten stärkern Gaben. Aber sie sind nicht gleich mit den Primärwirkungen dieser. Niedre Prüfungen liefern also in den letzten Tagen dieselben Zeichen, welche höhere Prüfungen sogleich liefern. Oder: die bei niederen Prüfungen nachkommenden, sind bei höhern Prüfungen die überwiegenden, vorherrschenden. Außerdem hatte Hering noch erkannt, dass Arzneisymptome besonders wertvoll sind, wenn sie sowohl bei niedrigen als auch hohen Potenzen in Prüfungen auftreten 9 : Ich muß noch beifügen, daß es eine Menge Zeichen giebt, z.b. das Brennen bei Arsenik, die Zeichen des Säfteverlustes bei China u.a., welche sich sowohl unter den Erstwirkungen, als den 4 Auch in seiner Arzneiprüfung von Acid-fl sagt er zu Nr. 719: Die Nachwirkungen können die Empfindlichen, die alles zu beobachten gewohnt sind, Wochen und Monate lang anhaltend fühlen, besonders das Jucken. 5 Herings med. Schriften S. 1154, Gypser (Hrg.) Ulrich Burgdorf ebenda S Hering Acid-fl Nr. 716: Starke Gaben wirken chemisch so zerstörend, dass die notwendigen Folgen alle übrigen Erscheinungen verdunkeln. Nr. 717: Schwache Gaben, verdünnte niedere Potenzen wirken heftig, machen wenig Symptome, die bald wieder verschwinden. In Nr. 720 sagte Hering, dass hohe Potenzen weit mehr Symptome hervorbrachten als die niederen und zwar je höher desto mehr. Hahnemann hatte bereits in der Vorrede zu seinem Werk Reine Arzneimitellehre ausgeführt, dass Arzneien in starken Dosierungen reine Ausscheidungsphänomene hervorrufen können, die keine charakteristischen Arzneiwirkungen sind (FN 14). Hering hatte offensichtlich mit Prüfungen in großen Gaben dieselben Erfahrungen wie Hahneman gemacht. 8 Herings med. Schriften S. 757, Gypser (Hrg.) Ulrich Burgdorf ebenda S. 759
4 Nachwirkungen 10 finden. Diese sind es, welche ich als Hauptzeichen des Mittels betrachte und in meiner naturhistorischen Arzneimittellehre (vergl. Vorrede zum Schlangengift) als Eintheilungsgrund hervorhebe. Denn was für Zeichen sich in beiden, den Erstwirkungen sowohl, als den Nachwirkungen, gleich vernehmlich aussprechen, das ist bei der Wahl des Mittels immer das Wichtigste. Weit minder wichtig sind die Wechselwirkungen. Sehr oft ist es unmöglich den gewaltsamen und doch charakterlosen Erstwirkungen 11 das rechte Verständniß abzugewinnen, bis man die Hauptzeichen aus den Nachwirkungen 12 mit zu Hülfe nimmt. Symptome, die sich unter den Primärwirkungen und auch unter den Spätwirkungen von großen Gaben zeigen, sind nach Hering die wichtigsten bei der Wahl des Mittels! Treten Symptome als Primärwirkungen bei vergiftenden Dosierungen auf, aber nicht als Spätwirkungen oder bei Hochpotenzprüfungen, dann sind es mit großer Wahrscheinlichkeit reine Giftwirkungen oder Ausscheidungen des Organismus, wie Hahnemann festgestellt hatte, weil sich der Organismus durch erfolgende Ausleerungen (durch Nasenbluten, und andere Blutungen, durch Schnupfen, Harnfluss, Durchfall, Erbrechen oder Schweiß) gleichsam entlädt, und so ihre Kraft schnell aushaucht. Sie sind nach Hahnemann als Prüfungssymptome zur Arzneiwahl nicht geeignet: Daher kommt`s, dass man, in der gewöhnlichen Praxis z.b. weder die eigenthümlichen Wirkungen, noch die Wirkungsdauer des Tartarus emeticus, noch der Jalappe erfährt, weil man alle diese Dinge bloß in großen Gaben reichte, deren Übergröße den Organismus zur schnellen wieder von sich Stoßung reizt; nur dann, wenn der Körper dies zuweilen nicht tut, d.h., wenn diese zur heftigen Ausleerung gereichten Mittel nicht ausleerten, sondern, wie der geringe Mann sagt, stehen bleiben, erfolgen die reinen, oft sehr bedeutenden und langandauernden Zufälle 13, (die eigenthümlichen Arzneiwirkungen), welche man in der Beobachtung und Aufzeichnung höchst selten gewürdigt hat. 14 Aber woher wissen wir bei Arzneiprüfungen mit starken Gaben, ob die Arznei stehen geblieben ist und nicht durch Ausleerung ausgehaucht wurde? 15 Wenn die Anfangssymptome mit den Endsymptomen übereinstimmen! Und nur dann sind diese Symptome nach Hering besonders wertvoll. Dann bestimmen folglich die Spätwirkungen beziehungsweise Prüfungen mit Hochpotenzen, was zur Arzneiwahl geeignet ist. Dann allerdings erübrigen sich Prüfungen mit vergiftenden Dosierungen! Und damit kommt Hering letztlich zu demselben Ergebnis wie Hahnemann. Wirklich sicher verwertbare Prüfungssymptome werden durch Hochpotenzprüfungen erzielt. Wenn aber nach Hering bei einer Arzneiwahl nach Symptomen von potenzierten Arzneien auch das Arzneimittel potenziert gegeben werden muss und nur potenzierten Arzneien wertvolle Prüfungssymptome zur Arzneiwahl liefern, dann bleiben für die Therapie letztlich nur potenzierte Arzneien und nicht Arzneien in starken Gaben, also genau so, wie es Hahnemann fordert. Hering ist durch eigene Überlegungen, Forschungen und Praxiserfahrungen zu denselben Erkenntnissen gekommen, wie der Begründer der Homöopathie. Es gibt hier keinen Unterschied zwischen Herings Ansichten und Hahnemanns Lehre. 10 Prüfungen mit großen Gaben (Erstwirkungen) und Prüfungen mit potenzierten Gaben ( Nachwirkungen ), die sogleich Symptome zeigen, die bei großen Gaben erst spät erscheinen ( Nach- oder Spätwirkungen ) 11 Gemeint sind hier mit Erstwirkungen die Giftwirkungen großer Gaben 12 Gemeint sind Spätwirkungen großer Gaben entsprechend Erstwirkungen von Hochpotenzen 13 Spätwirkungen nach den anfänglichen Vergiftungssymptomen 14 Vorrede, Hahnemanns Arzneimittellehre Bd. 1 S. 22 (Narayana) 15 Das Erbrechen, was 2,3 Gran Brechweinstein, oder 20 Gran Ipekakuanhe; das Purgieren, was 30 Gran Jalappe, und der Schweiß, den eine Hand voll Holunderblumen, als Tee getrunken, erregen, sind weniger eigentümliche Wirkungen dieser Substanzen, als vielmehr ein vom Organismus ausgehendes Bestreben, die eigentümlichen Arzneiwirkungen dieser Stoffe möglichst schnell zu vernichten. Dafür haben die ganz kleinen Gaben, die die homöopathische Heillehre vorschreibt, eben jene ungemeine Wirkung, weil sie nicht die Größe haben, dass sich der Organismus genötigt sieht, sie auf eine so revolutionäre Weise von sich zu spucken. (Hahnemann Reine Arznei-mitellehre Bd. 1 Vorrede).
5 Nach Hering und Hahnemann sind selbst bei Arzneimittelmissbrauch über Jahre auftretende Wirkungen keine Gegenwirkungen gegen den ursprünglichen Arzneireiz, sondern Erstwirkungen. Hering sagt über den Missbrauch von Opium, seine übeln Folgen, wenn es nach den Sätzen der alten Schule gemißbraucht wurde, sind keine Nachwirkungen, sondern, wie bei allen andern Arzneien: durch die massigen Gaben bleibend gewordene Wirkungen. 16 Hier schlägt die Gegenreaktion des Organismus nicht in das Gegenteil um, sondern es handelt sich um immer wieder hervorkommende Erstwirkungen. Schmerzmittel haben eine schmerzbetäubende (unterdrückende) Erstwirkung. Gegen diese Arzneiwirkung entwickelt der Organismus eine Gegenreaktion in Form einer Gewöhnung, die dazu führt, dass das Schmerzmittel immer weniger wirkt. Die schmerzbetäubende Wirkung wird neutralisiert. Hatte ein Migränepatient anfangs einen Schmerzanfall in der Woche und nahm ein Schmerzmittel, so steigerte sich die Krankheit durch das allopathische Arzneimittel auf zwei und drei Anfälle in der Woche gegen die wieder Schmerzmittel genommen wurden, bis die Kopfschmerzen wegen der Gewöhnung an das Schmerzmittel schließlich täglich auftraten. Diese Verschlimmerung der Kopfschmerzen ist allein durch das allopathische Medikament bedingt ( schmerzmittelinduzierter Kopfschmerz ). Aber Hahnemann bemerkte bei narkotischen Arzneien wahrnehmbare Nachwirkungen, nämlich eine erhöhte Reizbarkeit und Empfindlichkeit ( 113). Im Sonderfall des Drogenmissbrauchs (Opium, Morphium, Opioide, Heroin, Alkohol usw.) gibt es Arzneiwirkungen, die allein durch den Entzug bedingt sind und nur durch erneute Erstwirkung der Droge beseitigt werden können (Entzugserscheinungen). Dazu schreibt Hahnemann im 112: In jenen älteren Beschreibungen der, oft lebensgefährlichen Wirkungen in so übermäßigen Gaben verschluckter Arzneien, nimmt man auch Zustände wahr, die nicht anfangs, sondern beim Ausgang solcher traurigen Ereignisse sich zeigten und von einer, den anfänglich ganz entgegengesetzten Natur waren. Diese der Erstwirkung ( 63) oder eigentlichen Einwirkung der Arzneien auf die Lebenskraft entgegenstehenden Symptome, sind Gegenwirkungen des Lebensprinzips des Organismus, also die Nachwirkungen desselben ( 62-67), wovon jedoch bei mäßigen Gaben zum Versuche an gesunden Körpern, selten oder fast nie das Mindeste zu spüren ist, bei kleinen Gaben aber gar nicht. Gegen diese macht der lebende Organism beim homöopathischen Heilgeschäft nur so viel Gegenwirkung, als erforderlich ist, das Empfinden wieder auf den natürlichen, gesunden Zustand zu erheben. Bei fortgesetztem Arzneimitteloder Drogenmissbrauch treten Gegenwirkungen auf, die nur durch einen neuen Erstwirkungsreiz (Droge) beseitigt werden können. Diese Gegenwirkungen treten aber nicht bei den kleinen Gaben einer homöopathischen Arzneiprüfung oder Therapie auf. Hier gibt es keine Nach- oder Gegenwirkungen die sichtbar in Erscheinung treten, wie etwa die Schmerzen beim Heroinentzug! Frieren und Hitze, Durchfall und Verstopfung, Durst und Durstlosigkeit, Verschlimmerung im Liegen und Besserung im Liegen sind zwar Gegenteile, aber in Arzneiprüfungen sind beide gegenteiligen Zustände keine Erst- und Gegenwirkung (hier geht es nur um homöopathische Arzneiprüfungen, nicht um Drogenmissbrauch!). Es sind Wechselwirkungen! Sowohl Durchfall als auch Verstopfung sind Erstwirkungen. Verschlimmerung im Liegen und Besserung im Liegen sind Erstwirkungen. Beide können zur Arzneiwahl genommen werden. Bei einer Arznei können sich z.b. die Kopfschmerzen im Liegen bessern und die Bauchschmerzen verschlimmern. Dann ist sowohl die Verschlimmerung im Liegen, als auch die Besserung im Liegen Erstwirkung, aber jeweils bezogen auf andere Beschwerden. Verschlimmerung im Liegen und Besserung im Liegen ist eine Wechselwirkung. Eine Darmverstopfung kann mit anderen Beschwerden auftreten als ein Durchfall. Beide gegenteiligen Wirkungen (Verstopfung und Durchfall) sind für sich allein betrachtet Wechselwirkungen. Aber beide 16 Herings med. Schriften S. 476, Gypser (Hrg.) Ulrich Burgdorf 1988
6 Wirkungen sind Erstwirkungen und somit kann diese Arznei sowohl bei Darmverstopfung als auch bei Durchfall eingesetzt werden, je nach den spezifischen Beschwerden bei Verstopfung beziehungsweise Durchfall. Durchfall mit Angst ist nicht das Gegenteil von Verstopfung mit Appetitlosigkeit, auch wenn Durchfall und Verstopfung Gegenteile sind. Verstopfung mit Appetitlosigkeit ist nicht die Nachwirkung gegen Durchfall mit Angst. Deswegen sind Durchfall und Verstopfung keine Erst- und Gegenwirkung! Pulsatilla hat zwei Prüfungssymptome mit Verschlimmerung des Stechens beim Gehen und auch zwei Symptome mit Stechen besser beim Gehen. Das ist nach Hahnemann eine seltene Wechselwirkung. Auszug Symptomenlexikon Stechen beim Gehen Symptomenlexikon Version 3.0 Hier sind nicht beide Zeichenkombinationen Erstwirkungen! Es gibt nicht die Erstwirkung Stechen besser beim Gehen und auch Stechen schlechter beim Gehen! Es handelt sich hier zwar um eine Verschlimmerung und auch eine Besserung beim Gehen (Wechselwirkung), aber nicht um die Wechselwirkung einer Verschlimmerung und Besserung des Stechens beim Gehen! Stechen beim Gehen ist eine Zeichenkombination von Gehen und Stechen und bei spezifischen Zeichenkombinationen gibt es keine Wechselwirkungen, bei der beide exakten Gegenteile relevant sind! Die zwei Pulsatilla-Symptome Stechen verschlimmert beim Gehen und die zwei Symptome Stechen besser beim Gehen zeigen nur, dass das Stechen beim Gehen nichts mit dieser Arznei zu tun hat. Das besagt nicht, dass diese vier Symptome keine Arzneisymptome sind, sondern nur, dass das Stechen mit dem Gehen nichts zu tun hat. Diese Pulsatilla-Symptome können zur Arzneiwahl herangezogen werden, aber nicht für die Zeichenkombination Stechen beim Gehen! Bryonia hat acht Prüfungssymptome mit der Zeichenkombination Stechen beim Gehen. Bei sieben Symptomen verschlimmert sich das Stechen und bei einem Symptom bessert es beim Gehen. Stechen beim Gehen ist Erstwirkung und Stechen besser beim Gehen ist nichts! Hahnemann nennt das Stechen beim Gehen von Bryonia eine Hauptwechselwirkung, weil das Stechen beim Gehen hauptsächlich vorhanden ist, im Gegensatz zum Stechen besser beim Gehen. Die Hauptwechselwirkung, das Charakteristische,
7 die Indikation Bryonias ist Stechen verschlimmert beim Gehen. Die seltene Wechselwirkung Pulsatillas, mit Stechen verschlimmert beim Gehen und Stechen besser beim Gehen im selben Verhältnis, ist keine Charakteristik, keine Indikation für Pulsatilla und kann damit nicht zur Arzneiwahl genommen werden. Ledum hat 6 Prüfungssymptome mit der Zeichenkombination Drücken beim Gehen. Drücken beim Gehen ist nach 153 charakteristisch, heute sagen wir statistisch signifikant (diesen Begriff gab es zu Hahnemanns Zeit noch nicht, geschweige denn statistische Berechnungen). Staph hat ebenfalls 6 Prüfungssymptome mit Drücken und Gehen, 5x Verschlimmerung und 1x Besserung. Drücken beim Gehen ist für Staph ebenfalls statistisch signifikant, nach Hahnemann ist es eine Hauptwechselwirkung, weil Staph hauptsächlich Drücken beim Gehen hervorgebracht hat. Thuja hat 2x Drücken verschlimmert beim Gehen und ebenfalls 2x Drücken besser beim Gehen. Hier ist nichts signifikant (charakteristisch)! Das ist nach Hahnemann eine seltene Wechselwirkung und zur Arzneiwahl nicht zu gebrauchen, bezogen auf Drücken beim Gehen, nicht auf die anderen Symptomenbestandteile (Zeichen) dieses Prüfungssymptoms! Auszug Symptomenlexikon Drücken beim Gehen Symptomenlexikon Version 3.0 Der Prüfer Franz (Fz) bekam von Thuja ein Drücken beim Gehen (an der Leber), Langhammer bekam es auch (Hoden) und zwei Prüfer von Hahnemann (der die Prüfer grundsätzlich nicht angegeben hat), aber Drücken besser beim Gehen. Wer hat recht? Welche Prüfungssymptome sind richtig und welche falsch? Hartmann (Htn), Herrmann (Hrr) und Franz bekamen von Staph Drücken beim Gehen, ebenso Hahnemanns Prüfer, bis auf einen, der hatte von Staph das Drücken besser beim Gehen. Wer hat recht? Das Drücken besser beim Gehen (des unbekannten Prüfers) ist keine Nach- oder
8 Gegenwirkung! Dieses Symptom ist bezogen auf Drücken beim Gehen nach aller Wahrscheinlichkeit falsch, denn die Statistik belegt, dass Staph das Drücken beim Gehen verschlimmert und nicht bessert. Das besagt aber nicht, dass das gesamte Prüfungssymptom in der Brust ein Drücken und eine Schwere darin, beim Sitzen, welches beim Gehen nachließ falsch ist. Das Drücken in der Brust ist richtig, weil Drücken in der Braust für Staph signifikant ist, aber nur Drücken in der Brust und nicht auch Drücken beim Gehen. Zwei Prüfer bekamen von Thuja Drücken verschlimmert beim Gehen und zwei Prüfer bekamen Drücken besser beim Gehen. Das sind keine Erst- und Nachwirkungen! Drücken besser beim Gehen ist nicht die Gegenwirkung von Drücken verschlimmert beim Gehen und auch nicht umgekehrt. Weder Drücken verschlimmert noch gebessert beim Gehen ist für Thuja signifikant, so dass keine eindeutige Aussage getroffen werden kann. Drücken schlimmer oder besser beim Gehen ist nicht charakteristisch, ist nicht wahlanzeigend, ist keine Indikation für Thuja. Gegenteile ( Polaritäten ) in den Arzneiprüfungen sind keine Erstwirkungen und Gegenwirkungen! Beide Pole sind Erstwirkungen. Gegenteilige Zeichenkombinationen sind aber keine Erst- und Gegenwirkungen. Welcher Pol charakteristisch ist, zeigt die Signifikanz. Gibt es keine eindeutige Signifikanz, dann existiert keine Charakteristik nach 153. Je signifikanter eine Zeichenkombination ist, desto sicherer ist die Arzneiwahl. Je geringer eine Signifikanz ist, desto unsicherer ist die Arzneiwahl. Die Signifikanz ergibt sich bei Gegenteilen aus beiden Polen, die im Verhältnis zueinander betrachtet werden müssen. Bei jeder Arzneiwahl müssen die Gegenteile der Zeichenkombinationen 17 zwingend berücksichtigt werden, sonst wird die Arzneiwahl ein Lotteriespiel. Deswegen sind im Symptomenlexikon immer beide Gegenteile in ein und derselben Rubrik aufgeführt. Sowohl Durst- als auch Durstlosigkeit stehen in derselben Rubrik. In der Rubrik Gehen stehen sowohl alle Verschlimmerungen beim Gehen als auch alle Besserungen, damit für jede Zeichenkombination mit Gehen die Signifikanz (Charakteristik) bestimmt werden kann. 17 Zeichenkombinationen, nicht Einzelzeichen wie Verschlimmerung Gehen, denn nach Einzelzeichen kann keine Arzneiwahl getroffen werden, weil man so etwas Allgemeines fast bei jeder Arznei sieht, wie Hahnemann im 153 sagt.
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