Sozionik: Programmatik und Anwendungsperspektiven. Dr. Ingo Schulz-Schaeffer TU Hamburg-Harburg
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- Herbert Kalb
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1 Sozionik: Programmatik und Anwendungsperspektiven eines neuen Forschungsfeldes Dr. Ingo Schulz-Schaeffer TU Hamburg-Harburg
2 Sozionik: Zielsetzung: Erforschung und Modellierung künstlicher Sozialität Leitidee: Nutzung von Vorbildern aus der sozialen Welt menschlicher Handlungsabstimmung, um Prozesse koordinierten Verhaltens in Multiagentensystemen zu implementieren Erwartungen: - Entwicklung leistungsfähiger Techniken mit sozialer Problemlösungsintelligenz - Überprüfung soziologischer Konzepte mittels Multiagenten-Simulation
3 "To make substantial theoretical progress, we must begin to lay firm social foundations for DAI research" (L. Gasser 1991: Social Conceptions of Knowledge and Action: DAI Foundations and Open Systems Semantics, in: Artificial Intelligence 47, S. 111) "DAI is... full of terms borrowed from sociology: negotiation, interaction, contracts, agreement, organization, cohesion, social order, and collaboration." (J. Hendler / D. Bobrow / L. Gasser / C. Hewitt / M. Minsky 1991: Multiple Approaches to Multiple Agent Problem Solving, in: IJCAI-91, S. 553)
4 Beispiele für die Verwendung von Modellen sozialer Verhaltensabstimmung in der VKI: - Scientific Community Metaphor - Contract Net Protocol - Knowledge Query and Manipulation Language (KQML) - Projektteams in Unternehmen - Fußballspielen
5 Das sozialtheoretische Defizit der Verteilten Künstlichen Intelligenz: Die für die Verhaltensabstimmung künstlicher Agenten verwendeten Modelle der Handlungskoordination beruhen vielfach auf: - Ad-hoc-Theorien, die aus der unmittelbaren Anschauung der jeweiligen Anwendungsdomaine resultieren (Bsp.: RoboCup) - einem Alltagsverständnis menschlichen Handelns ("folk psychology") - der individual-rationalistischen Verengung menschlicher Entscheidungsprozesse ("rational choice") - dem Sozialverhalten von Tiergesellschaften
6 Optionen der Bewältigung des sozialtheoretischen Defizits der VKI: 1. Option: Beschränkung auf die handgestrickten Sozialvorstellungen der VKI und den kursorischen Rekurs auf sozialwissenschaftliches Wissen 2. Option: Beschränkung auf solche Modelle aus den Sozialwissenschaften, aus denen sich klare Berechenbarkeitskriterien ableiten lassen 3. Option: Nutzung der empirischen Methoden der sozialwissenschaftlichen Beobachtung, um den zu modellierenden Wirklichkeitsausschnitt zu erfassen 4. Option: Verwendung des gesamten Reservoirs soziologischen Wissens als Inspirati-
7 Das Defizit der empirischen Überprüfung von Theorien und Konzepten in der Soziologie: Sozialwissenschaftler haben vielfach nicht die Möglichkeit, ihre Annahmen im Experiment empirisch zu überprüfen. Simulation als quasi-experimentelle Alternative ist nur mäßig interessant, solange sie beschränkt bleibt auf: Makrosimulation (Simulation auf der Grundlage aggregierter Parameter, Bsp.: World3- Modell) Mikrosimulation (Simulation auf der Grundlage des modellierten Verhaltens von Individuen)
8 Multiagenten-Simulation als vielversprechendes Tool für sozialwissenschaftliche Quasi-Experimente: - Multiagentensysteme "seem more able to mirror societies and groups of people than their alternatives" (Doran / Gilbert 1994) - Multiagentensysteme erlauben es "to cross the micro-macro bridge" (Drogoul / Ferber 1994), und zwar in beide Richtungen: Soziale Ordnung kann als emergentes Ergebnis des Verhaltens der einzelnen Agenten modelliert werden und zugleich kann dem Einfluss bestehender sozialer Strukturen auf das individuelle Verhalten Rechnung getragen werden.
9 Zentrale Themenkreise des DFG- Schwerpunktprogramms Sozionik: - Emergenz und Dynamik (künstlicher) Sozialsysteme a) das Mikro-Makro-Problem b) das Problem sozialen Wandels - Hybridgemeinschaften menschlicher Akteure und künstlicher Agenten a) Bedingungen der sozialen Akzeptanz künstlicher Agenten b) Erforschung eines neuen Typs soziotechnischer Integration
10 Anwendungsperspektiven I (Mikro- Makro-Problem) Modellierung (von Aspekten) der Theorie symbolisch generalisierter Interaktionsmedien: - Geld und Preisbildung als Paradigma - weitere Interaktionsmedien: Macht, Einfluß, Reputation, Liebe, Vertrauen, Wertbindung - Mikro-Makro-Relation: Handeln auf der Grundlage verallgemeinerter Erwartungen über das Handeln der anderen - Erwartungsbildung auf der Grundlage des (aggregierten) konkreten Handelns der anderen
11 Anwendungsperspektiven II (Problem sozialen Wandels) Theorievergleich durch Multiagenten- Simulation: autopoietische Emergenz: Entstehung von Ordnung aus dem "Nichts" der Situation doppelter Kontingenz versus praxistheoretische Emergenz: sozialer Wandel durch Anpassung selbstverständlicher Hintergrundüberzeugungen in Situationen des Zusammenbruchs lebensweltlicher Gewissheiten
12 Anwendungsperspektiven III (Bedingungen der sozialen Akzeptanz künstlicher Agenten) Anwendungsfeld für empirische Sozialforschung bei der Modellierung hybrider Mensch-Agent-Zusammenhänge: Erforschung der Spezifika der Situation, in der der Agent situationsspezifisch zu handeln fähig sein soll statt Forderung nach umfassender lebensweltlicher Handlungskompetenz von Agenten
13 Anwendungsperspektiven IV (Erforschung eines neuen Typs soziotechnischer Integration) hybride Organisationen: - Grundthese: die organisierte menschliche Kooperation ist eine besonders günstige Umwelt für die Integration künstlicher Agenten - Analogie zwischen menschlichen und künstlichen Delegierten (Berufsrollen, Tätigkeitsbeschreibungen, Festlegung von Verantwortlichkeiten usw.) - Projektvorhaben: agentenunterstützte Behandlungsplanung bzw. Terminplanung im Krankenhaus
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