Mosaik / Passagen Sendedatum: Straub/Stauber: Der Wiener Kongress
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- Ingelore Kopp
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1 Rezensent: Peter Meisenberg Redaktion: Adrian Winkler Eberhard Straub: Der Wiener Kongress. Das große Fest und die Neuordnung Europas Klett Cotta, Stuttgart Seiten, 21,95 Euro Reinhard Stauber: Der Wiener Kongress Böhlau UTB, Wien, Köln, Weimar Seiten, 19,99 Euro Internettext Der Wiener Kongress markiert einen Wendepunkt in der Geschichte Europas: Zum ersten Mal versuchten die Europäischen Mächte, ein dauerhaftes Friedenssystem zu installieren. Zum zweihundertjährigen Jubiläum versuchen sich mehrere Neuerscheinungen an der historischen Einordnung. Anmoderation Die Anhänger des Europagedankens werden nicht müde zu betonen, wie neu und einzigartig die Idee einer überstaatlichen europäischen Organisation, der EU nämlich, ist. Und wie wichtig für das friedliche Zusammenleben der Europäer nach der Erfahrung zweier Weltkriege, in denen sie sich gegenseitig zerfleischten. In Vergessenheit gerät über solche Euphorie allerdings leicht, dass die Europäische Union nicht der erste Versuch der Europäer ist, ihr friedliches Zusammenleben zu organisieren. In diesen Tagen vor zweihundert Jahren tagte der Wiener Kongress vom 18.September 1814 bis zum 9.Juni Dessen Teilnehmer fanden eine ganz ähnliche Situation vor wie die Europäer nach dem 2. Weltkrieg: Fast zwei Jahrzehnte lang hatte Napoleon ganz Europa mit seinen Kriegen überzogen und weite Teile des Kontinents unter seine Herrschaft gebracht. Die alte, auf dem Frieden von Rastatt von 1
2 1714 gründende europäische Ordnung war aufgelöst, die Völker und Staaten im Unfrieden. Nach Napoleons Abdankung im April 1814 entschieden sich die vier großen Siegermächte England, Preußen, Österreich und Russland dazu, Europa politisch neu zu ordnen und gleichzeitig ein diplomatisches System zu installieren, das auf Dauer für Frieden in Europa sorgen sollte. Zum zweihundertjährigen Jubiläum dieses politischen Großereignisses bringen gleich mehrere Verlage Neuerscheinungen zu dessen historischen Deutung. Die Bücher des Berliner Publizisten Eberhard Straub und des Klagenfurter Historikers Reinhard Stauber - beide unter dem Obertitel Der Wiener Kongress erschienen - könnten unterschiedlich nicht sein Peter Meisenberg stellt sie vor. Beitrag Dass Politiker aus Erfahrung lernen, kommt selten vor. Dazu bedarf es schon großer Katastrophen. Der Zweite Weltkrieg war eine solche Katastrophe und, 150 Jahre zuvor, die Verheerung Europas durch die napoleonischen Kriege. Aus beiden Katastrophen zogen die Siegermächte ähnliche Konsequenzen. Sie verzichteten auf die moralische Bestrafung der Besiegten und machten sich daran, eine übernationale Ordnung zu errichten, die zukünftige Kriege verhindern sollte. Aus den wechselnden europäischen Katastrophen seit 1792 zogen Diplomaten und Monarchen nach dem Sieg über Napoleon die Lehre, die Staatsräson auf Prinzipien zu verpflichten, damit die europäische Staatengemeinschaft sich zu einer wahren Union vollende. Zu diesem Urteil gelangt der Autor Eberhard Straub in seinem Buch über den Wiener Kongress. Ein Urteil, das die faktischen Ergebnisse des Kongresses allerdings beschönigend überzeichnet. Von einer Union waren und blieben die europäischen Mächte meilenweit, nämlich noch anderthalb Jahrhunderte, entfernt. Allenfalls reichte es im Anschluss an den Kongress zu einer Heiligen Allianz reaktionärer Monarchen, mit der liberale und demokratische Bestrebungen abgewehrt werden sollte. - Tatsache allerdings ist, dass es dem Kongress gelang, das europäische Staatensystem vom konfliktreichen System der Balance of Power des 18. Jahrhunderts zu einem 2
3 Mächtegleichgewicht im europäischen Konzert des 19. Jahrhunderts umzuwandeln. Voraussetzung für dieses auf Verträgen und regelmäßigen diplomatischen Konsultationen beruhende System war, dass die vier Großmächte das besiegte Frankreich nicht nur glimpflich behandelten, wie Straub schreibt, sondern gleichberechtigt mit aufnahmen in ihr Konzert und aus der Herrschaft der vier eine der fünf, eine Pentarchie machten. Nur so konnte das Ziel der in Wien tagenden Fürsten erreicht werden: Das Hegemoniestreben einer der fünf europäischen Großmächte auszuschließen und damit einen dauerhaften Frieden herzustellen. Dem Wiener Friedenswerk gelang eine schöpferische Restauration, eine neue Ordnung Europas aus dem Geist der alten, vorrevolutionären Welt. Diese Ordnung löste sich im Ersten Weltkrieg auf. Hundert Jahre lang hatte der Friede gewährt, der in Wien gestiftet worden war. Noch nie in ihrer Geschichte hatten Europäer eine so lange Friedenszeit erlebt. Mit dieser Interpretation der Wirkungsmacht und vor allem der Wirkungsdauer des Wiener Kongresses schließt sich Eberhard Straub der Auffassung an, die der junge Henry Kissinger in seiner Doktorarbeit vertrat. Eine Sicht, die die Mehrheit der Historiker allerdings nicht mehr teilt. In seinem Buch über den Wiener Kongress etwa schreibt der Klagenfurter Historiker Reinhard Stauber, dass die Wiener Friedensordnung nicht hundert, sondern gerade 40 Jahre, bis zum Krimkrieg nämlich hielt, wo sich die europäischen Großmächte schon wieder kriegerisch gegenüber standen. Warum Eberhard Straub trotzdem contrafaktisch an der veralteten Auffassung eines hundertjährigen Friedens festhält? Weil dieser Autor, der an anderer Stelle Wilhelm II. tatsächlich einmal als einen Friedfertigen bezeichnete, davon überzeugt ist, dass seinerzeit nur von Fürsten gelenkte Staaten imstande waren, eine rationale Politik und Diplomatie zu betreiben. Sobald sich diese dynastischen, und mit Ausnahme von Frankreich sämtlich supranational verfassten Staaten auflösen und sich das Nationalstaatsprinzip durchsetzt, ist es vorbei mit der Rationalität. Unter diesem 3
4 Blickwinkel muss Straub den Wiener Beschlüssen eine so überdimensionale Bedeutung beimessen. Viel kleinteiliger und sachlicher dagegen geht Reinhard Stauber in seinem Buch vor. Er beschränkt sich auf die Darstellung der Interessen der einzelnen Mächte, deren Verhandlungsführung in Wien und der Ergebnisse des Kongresses. Während dieser Autor sich mit pauschalen Wertungen und Einordnungen sehr zurückhält, lässt Eberhard Straub kaum eine Gelegenheit aus, gegen die Französische Revolution, gegen die schwammigen Begriffe von Freiheit, Menschlichkeit und Selbstbestimmung, gegen die Republik, gegen Demokratie und vor allem gegen den Nationalstaat zu polemisieren. So, als könne er mit seiner Polemik das Rad der Geschichte noch einmal zurückdrehen. So ist Straubs Buch, obwohl zupackender geschrieben als das des etwas drögen Reinhard Stauber, politisch völlig unkorrekt. Es ist darüber hinaus aber auch historisch unkorrekt. Denn es verharmlost oder unterschlägt gar den bitteren Preis der Wiener Friedensordnung: Das zynische Land-Geschacher der Großmächte, in dessen Folge ein selbständiges Polen für hundert Jahre endgültig von der Landkarte verschwand oder Italien komplett unter die Herrschaft fremder Mächte geriet. Vor allem aber verharmlost Straub die innenpolitischen Folgen der Wiener Friedensordnung: Auf Kosten eines vorübergehenden Friedens blockierte sie dauerhaft die Entwicklung demokratischer Bewegungen in Europa. Dem auf Außenpolitik fixierten Eberhard Straub entgeht diese gesellschaftspolitische Implikation. Reinhard Stauber dagegen erkennt gerade darin die historische Begrenztheit der Wiener Friedensordnung. Es stellte sich heraus, dass die fünf großen Mächte im System des europäischen Konzerts nicht über gemeinsame, verbindliche Vorstellungen verfügten, weder über die Ausgestaltung einer legitimen innenpolitischen Ordnung, noch über die Tragweite des monarchischen Prinzips, die Notwendigkeit von Verfassungen oder die Rolle einer Volksrepräsentation. 4
5 So wuchsen dem Konzert Züge einer neuartigen internationalen Staatengemeinschaft zu, doch blieb der Kern ihrer raison d etre als militärische Allianz immer präsent. Dieser militärische Charakter verstetigte sich unter dem Vorzeichen der Nationalstaatsbildung und des wachsenden Nationalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Deshalb konnte die Wiener Friedensordnung der europäischen Großmächte 1914 so schnell in tödliche Feindschaft umkippen. Wenn sie nicht gar dazu beitrug. 5
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