Wir sind eine Insel, durch Wasser getrennt vom Rest Europas

Transkript

1 1 Wir sind eine Insel, durch Wasser getrennt vom Rest Europas Ein Interview mit dem deutschen Botschafter in London, Wolfgang Ischinger. Alina, Anastasia und David vom Grand méchant loup haben den deutschen Botschafter in seiner Residenz in London getroffen. Sie sprachen über die Briten und ihr Verhältnis zu Europa und Amerika, über das Essen in England und die Angst, die man als Botschafter durchsteht, wenn man eine kleine Tochter in so einem großen Haus hat. In der Botchaftsresidenz am Belgrave Square Warum wollten Sie Botschafter werden? Weil ich schon als Schüler und dann später als Student die Chance hatte, Zeiten im Ausland zu verbringen. Als Schüler hat mich schon die Frage fasziniert: kann man eigentlich einen Beitrag dazu leisten, dass die Menschen in den verschiedenen Ländern sich nicht missverstehen oder sogar Kriege gegeneinander führen. Dann hat irgendein kluger Mensch mir gesagt, wenn du das wirklich ernsthaft nach deinem Studium machen möchtest, dann ist der Beruf des Diplomaten genau das Richtige. Ich bin sehr froh, das macht sehr, sehr viel Spaß. Wo waren Sie, bevor Sie in London waren? Unmittelbar bevor ich vor einem Jahr nach London kam, war ich fast fünf Jahre lang Botschafter in den USA, also in Washington. Wie viele Sprachen können Sie sprechen? Schwäbisch, Hochdeutsch ein bisschen, Englisch ganz gut, Französisch auch ganz gut und ein bisschen Italienisch. Lebt man genauso in London wie in Berlin oder in Großbritannien wie in Deutschland? Eine Londoner Telefonzelle Ich persönlich lebe hier in London sehr gerne. London ist, und das ist der Unterschied, eine noch sehr viel größere Stadt als Berlin, mit noch sehr viel größeren Verkehrs-problemen als Berlin. Die Zeiten, die viele Menschen in London verbringen, um von ihrem Zuhause in ihre Büros zu kommen, sind noch viel länger. Sie haben auch in den USA gelebt. Ist Großbritannien näher an Europa oder näher an den USA, allein durch die Sprache? Durch die Sprache ganz sicherlich sehr nahe an den USA, durch die Geographie zunächst mal viel näher an Europa. Aber man stellt fest, dass viele Engländer selber das Gefühl haben, dass sie ungefähr Big Ben in London auf halbem Weg im Atlantik leben, irgendwo genau in der Mitte zwischen Europa und Amerika. Wir denken, die Engländer, die Briten gehören

2 2 eigentlich zu uns und sollten sich ganz zu Europa bekennen. Aber sie denken selber von sich, dass sie so eine Art Brücke sind zwischen uns in Europa und den Amerikanern. Die englische Lebensweise ist sehr eng mit der amerikanischen verwandt Kommt das durch die Lebensweise? Naja, also beim Essen ist es so, dass man sich eigentlich nur wünschen kann, dass nicht allzu viele Länder sich Großbritannien als Vorbild nehmen, weil die englische Küche traditionell nicht gerade die tollste in der Welt ist. Ihr seid ja am Französischen Gymnasium, da kann ich sagen, ist die Welt bestimmt besser gesegnet durch die Übernahme von französischen Rezepten als von englischen Kochrezepten, wenn man es mal ganz allgemein formuliert. Die englische Lebensweise ist natürlich auch sehr, sehr eng verwandt mit der amerikanischen Lebensweise, weil Amerika in mancher Hinsicht ja so eine Art von Tochter oder Enkel von England ist. Amerika war ja zunächst mal eine englische Kolonie. Dann haben sie gesagt, nee, wir sind doch selber wer. Sie haben eine Revolution angefangen und haben sich unabhängig erklärt. Aber über Hunderte von Jahren gehörten England und Amerika zusammen. Deswegen ist die Lebensweise der Menschen nicht nur wegen der Sprache sondern auch wegen dieser über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte gemeinsamen Geschichte schon sehr eng miteinander verbunden. In der Europäischen Union, braucht man da wirklich noch Botschaften? Das ist eine sehr gute Frage. Wenn du die Frage mir stellst als einem Menschen, der sein Geld als Botschafter verdient, dann lautet die Antwort natürlich ja. Aber es ist genauso richtig, dass der Beruf eines Botschafters innerhalb der Europäischen Union heute ein ganz anderer ist als der Beruf eines Botschafters in einem Land außerhalb der Europäischen Union. Die Länder innerhalb der Europäischen Union arbeiten schon so eng zusammen, dass manche der klassischen Aufgaben eines Botschafters oder einer Botschaft heute gar nicht mehr notwendig sind. Wie wichtig ist Europa für dir Briten? Sie haben z. B. keine Euros und fahren links. Ihr seid ja am Französischen Gymnasium... Das ist richtig. Du könntest natürlich auch noch hinzufügen, wir sind eine Insel, durch Wasser getrennt vom Rest Europas. Deswegen hat England ein etwas anderes Selbstbewusstsein. Braucht es deswegen Europa weniger als wir? Ich glaube nicht, denn auch Großbritannien, auch England profitieren enorm davon, dass alle die Länder, die zu Europa gehören, einen gemeinsamen Markt haben. Jeder, der etwas in England zu verkaufen hat, kann das genauso gut in Deutschland, in Polen, in Italien verkaufen und umgekehrt. Damit wird sehr, sehr viel Geld verdient, viele Menschen verdienen damit ihren

3 3 Lebensunterhalt, ernähren ihre Familien und verdienen sich hoffentlich dabei auch ihr Vermögen. Also, ich glaube, England profitiert von der Europäischen Union nicht weniger als die meisten anderen Mitgliedsstaaten der EU. Warum hat Großbritannien nicht den Euro? Die Briten sind sehr praktische Menschen Weil man in Großbritannien bis zur Stunde davon überzeugt ist, dass das britische Pfund als Währung für Großbritannien mindestens genauso gut ist. Fänden Sie es besser, wenn es In Großbritannien auch den Euro gäbe? Klar, dann müsste ich nicht zwei Portemonnaies haben. Für mich und für viele andere Menschen, die viel hin- und herreisen müssen, wäre es natürlich eine Riesenerleichterung, wenn man nicht jedes Mal dran denken müsste und wieder das andere Portemonnaie mitnehmen müsste. Wie ist das Verhältnis zwischen Großbritannien und Frankreich? Ordentlich. Also, es ist zwischen Großbritannien und Frankreich so ähnlich wie zwischen Frankreich und Deutschland. Wir haben in den vergangenen Jahrhunderten immer mal wieder Kriege gegeneinander geführt, und das Gedächtnis von Nationen ist manchmal viel länger als das Gedächtnis von einzelnen Menschen. In England hat man nicht vergessen, dass man durch Frankreich schlecht behandelt worden ist, und in Frankreich hat man nicht vergessen, dass sich die Engländer mal schlecht benommen haben aus französischer Sicht. Es ist aber viel, viel besser heute, als es noch vor 30 oder 50 Jahren war. Wir können heute feststellen, dass das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ein Verhältnis zwischen Freunden ist. Ich glaube, das Verhältnis zwischen England und Frankreich ist noch nicht ganz so wie das unsere mit Frankreich, aber immerhin ist es auch schon ganz entspannt geworden. Warum sind die Briten eher skeptisch der EU gegenüber? Weil die Briten sehr praktische Menschen sind. Die können vergleichsweise weniger als die Deutschen mit so großartigen abstrakten Begriffen anfangen wie europäische Integration oder europäische Verfassung. Hier sagt man, wir wollen es gerne konkret und praktisch haben. Was genau tut die EU, was mein Leben erleichtert und verbessert? Wenn man diese Frage positiv beantworten kann, dann bin ich für die EU. Wenn es hier nur um Gedanken und Philosophie geht, dann ist es sehr schwer, dafür Begeisterung in Großbritannien zu wecken. Wie finden Sie das, dass Deutschland jetzt die Ratspräsidentschaft in der EU hat? Tja. Unabhängig von der Arbeitsbelastung, die das verursacht, ist das natürlich eine tolle Sache. Weil es auch eine große Chance für Deutschland ist, diese große Ein europäischer Adler

4 4 Europäische Union stellt euch mal vor, das sind eine halbe Milliarde Menschen, deren Schicksal in der Zukunft wir in gewisser Weise mit beeinflussen durch Entscheidungen, die wir treffen oder auch nicht treffen während dieser Präsidentschaft. D.h. also auch sehr viel Verantwortung. Also für mich ist diese Präsidentschaft auch eine großartige Die Londoner U-Bahn Chance, hier in England zu zeigen, dass wir das, was wir machen, auch richtig machen und gut machen, nicht nur für die deutschen Interessen sondern für ganz Europa. Ich glaube, es ist schon so, dass man in England positive Erwartungen hat an die deutsche Präsidentschaft und das die Stimmung hier eigentlich uns gegenüber heutzutage sehr freundlich ist. Was ist wichtiger für Großbritannien: Europa oder das Commonwealth? 1 Für manche Briten ist das Commonwealth nach wie vor eine ganz wichtige Heimat ist. Das ist der Rest des früheren britischen Weltreichs. So auch dass manche dieser Briten mit der Europäischen Union sich noch gar nicht so eng verbunden fühlen. Ich persönlich glaube, dass für Großbritannien die Europäische Union für die Zukunft immer wichtiger wird als der Commonwealth bisher war. Aber da würden wahrscheinlich nicht alle Briten mit mir übereinstimmen. Nehmen Sie hier ein englisches Frühstück und in Amerika ein amerikanisches Frühstück? Bei mir ist es so, wenn ich alle Mahlzeiten essen würde, die ich in meinem Beruf so angeboten kriege, dann würde ich inzwischen mindestens 100 Kilo wiegen. Also heute früh z. B. hatte ich Gäste zum Frühstück. Das war ein englisches Frühstück. Da gibt es erst Joghurt und Früchte und Müsli und dann gibt es Rühreier, dann gibt es noch Wurst und Käse, also ein Riesenfrühstück. Aber morgen früh z. B. habe ich kein Frühstück, dann trinke ich nur drei Tassen Kaffee und ein Glas Orangensaft und sonst gar nichts, um das wieder ein bisschen auszugleichen. Sonst müsste ich mir jedes Jahr neue und weitere Anzüge kaufen. Was war das Komischste, was Ihnen bei der Arbeit passiert ist? Das Komischste? Als ich mal, es ist schon ein paar Jahre her, mit einem ganz wichtigen deutschen Politiker auf Reisen in Italien war. Dann fuhren wir zurück zum Flughafen, und ich saß in einem Auto, das in dieser Autokolonne ziemlich weit hinten war, und aus irgendeinem Grund ein bisschen langsamer als die anderen fuhr. Als wir schließlich am Flughafen waren, konnte ich gerade noch sehen, wie das Flugzeug mit meinem Minister und der ganzen Delegation gerade auf die Startbahn fuhr und abhob. Ich stand da und winkte 1 Das Commonwealth ist ein Bund von Staaten, der aus dem Vereinigten Königreich und seinen ehemaligen Kolonien besteht.

5 5 und habe mich zunächst mal ganz furchtbar geärgert. Dann dachte ich, das ist aber eigentlich ganz toll, jetzt habe ich mindestens zwei freie Tage in Italien. Die habe ich dann auch genossen. Wovor haben Sie am meisten Angst? Da kann ich zwei Dinge nennen. Ich habe als Diplomat große Angst davor, dass der Hass in der Welt zwischen islamischen Fundamentalisten und der europäischen westlichen Welt noch weiter zunimmt. Davor habe ich wirklich Angst, weil das unseren Beruf, nämlich Konflikte zu vermeiden, zu beseitigen, noch viel schwerer machen würde. Aber ich habe auch Angst vor ganz kleinen Dingen. Ich habe z. B. ständig wahnsinnige Angst davor, dass meine 2 ½ jährige Tochter in diesem riesigen Treppenhaus irgendwann einmal durch die Stäbe schlüpft und da herunterfällt. Meine Vorgänger hatten ältere Kinder. Ich bin der erste Botschafter hier, der ein ganz kleines Kind hat. Mögen Sie Wölfe? Nein. Ich mag Wölfe überhaupt nicht. Ich habe mal in Kanada zuschauen können, wie sie in einem Wolfsgehege von wirklich wild lebenden Wölfen über ein totes Reh herfielen, das ihnen da zum Fraß vorgeworfen wurde. Da dachte ich oh je, gut, dass das ein totes Reh ist und nicht irgendein armer Mensch. Das war ziemlich schlimm zu sehen, wie Wölfe, wenn sie dann mal wirklich ein Opfer haben, sich unerbittlich über ihr Opfer hermachen. Also ich habe eher Angst vor Wölfen.