Die Entwicklung der Eltern-Kind-Bindung bei Hörschädigung des Kindes
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- Caroline Reuter
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1 Die Entwicklung der Eltern-Kind-Bindung bei Hörschädigung des Kindes Frühe Hilfen Wirksame Hilfen Institut für Lehrerfortbildung Bensberg, Priv.-Doz. Dr. Rüdiger Kißgen Humanwissenschaftliche Fakultät Universität zu Köln
2 Übersicht 1. Bindungsprozesse im normalen kindlichen Entwicklungsverlauf 2. Hörschädigung aus der bindungstheoretischen Perspektive
3 1. Bindungsprozesse im normalen kindlichen Entwicklungsverlauf
4 Bindungsverhaltensweisen Signalverhalten Schreien, Weinen sowie Lächeln, Vokalisieren, Anblicken, Anklammern,... Die Bindungspersonen werden animiert, sich dem Kind zuzuwenden und sich in seiner Nähe aufzuhalten. Annäherungsverhalten Nähe herstellen, Nachfolgen, Suchen Motorisch aktives Verhalten des Kindes in Richtung Bindungsperson zur Herstellung von Nähe.
5 Verhaltenssysteme Bindungsverhaltenssystem Explorationsverhaltenssystem Pflegeverhaltenssystem
6 Feinfühligkeit Feinfühligkeit ist die Fähigkeit des Erwachsenen, die Signale des Kindes wahrzunehmen, sie richtig zu interpretieren, angemessen und prompt auf sie zu reagieren.
7 Feinfühligkeit versus Unempfindlichkeit gegenüber den Signalen des Babys. (9) Sehr feinfühlig: Mutter ist gut auf die Signale des Kindes eingestellt, reagiert prompt und angemessen. Auch subtile, wenig offensichtliche Kommunikationshinweise werden wahrgenommen und nicht durch eigene Bedürfnisse oder Abwehrmechanismen verzerrt. Gewährt nicht alle Bedürfnisse des Kindes, bietet aber akzeptable Alternativen an. Die Interaktionen werden abgeschlossen und stellen Kind und Mutter zufrieden.
8 Feinfühligkeit versus Unempfindlichkeit gegenüber den Signalen des Babys. (1) Fehlende Feinfühligkeit: Mutter folgt fast ausschließlich ihren eigenen Bedürfnissen, Stimmungen und Aktivitäten. Entsprechen die Reaktionen der Mutter den Signalen des Kindes, so ist dies eher zufällig (Ausnahme: starke und/oder anhaltende Signale des Kindes). Die Interaktionen sind unangemessen, aufgesplittet oder unvollständig.
9 Feinfühligkeit versus Unempfindlichkeit gegenüber den Signalen des Babys. (5) Unbeständig feinfühlig: Mutter ist manchmal gut auf die Signale des Kindes eingestellt (aufmerksam), manchmal ist sie das nicht (unzugänglich). Kindliche Signale werden manchmal prompt beantwortet, aber manchmal erfolgt eine unangemessene oder zu langsame Reaktion. Im Großen und Ganzen häufiger feinfühliges als weniger feinfühliges Verhalten. Problem: Vorhersagbarkeit des Verhaltens Ainsworth, M. D. S. (1977). Feinfühligkeit versus Unempfindlichkeit gegenüber den Signalen des Babys. In K. E. Grossmann (Hrsg.), Entwicklung der Lernfähigkeit in der sozialen Umwelt. München: Kindler,
10 Internale Arbeitsmodelle - Funktion - Die wichtigste Funktion der internalen Arbeitsmodelle ist es, die Ereignisse der realen Welt zu simulieren bzw. vorwegzunehmen, um so das Individuum in die Lage zu versetzen, sein Verhalten mit Einsicht vorausschauend zu planen. Je besser und genauer die Simulation der Wirklichkeit entspricht, desto besser ist das darauf basierende Verhalten angepasst. Selbstverständlich erfordern verschiedene Bindungspersonen, individuelle internale Arbeitsmodelle. (vgl. Bowlby, 1969)
11 Internale Arbeitsmodelle - Stabilität - Internale Arbeitsmodelle von Bindung sind keine passiven Introjekte von Objekten aus der Vergangenheit, sondern aktive Konstruktionen, die jederzeit neu strukturiert werden können. Da allerdings organisierte Modelle dazu tendieren, auch unbewusst zu wirken und dramatischen Veränderungen zu widerstehen, sind Neustrukturierungen eher schwierig. (vgl. Bowlby, 1969)
12 Welche Faktoren beeinflussen die Feinfühligkeit der Bindungspersonen? Bindungsrepräsentation familiäre Traditionen Krankheit Stress sozioökonomische Situation gesellschaftliche Werte und Normen Universität zu Köln
13 Entwicklung der Bindungsqualität bis zum ersten Lebensjahr Abhängigkeit von der Qualität des Umgangs der BPs mit den kindlichen Signalen Qualität des Umgangs mit kindlichen Signalen variiert von BP zu BP Kind passt sich personenspezifisch an die unterschiedlichen Qualitäten des Umgangs mit seinen Signalen an es resultieren bis zum 12. Monat individuelle Bindungsqualitäten des Kindes an seine BPs Universität zu Köln - PD Dr. Rüdiger Kißgen
14 Fremde Situation Ainsworth & Wittig (1969) EP PERSONEN HANDLUNG 1 U / M / K U zeigt M und K den Raum, geht dann hinaus. 2 M / K M verhält sich passiv, während K den Raum und Spielangebot exploriert. 3 M / K / F F betritt den Raum: Schweigen, Gespräch mit M, Kontaktangebot an K. 4 F / K M verlässt den Raum. F richtet ihr Verhalten nach dem Bedürfnis des K s. 5 M / K 1. Wiedervereinigung; nach 3 Minuten verlässt M erneut den Raum. 6 K K ist alleine im Raum. 7 F / K F betritt den Raum und richtet ihr Verhalten nach dem Bedürfnis des K s. 8 M / K 2. Wiedervereinigung Die Episoden 2 8 dauern maximal 3 Minuten. Bei Stress des K s wird verkürzt.
15 Beurteilung der Bindungsqualität im ersten Lebensjahr (SST) 1. Vier Verhaltensskalen: Nähe Suchen Kontakt Erhalten Nähe Vermeiden Kontakt Widerstand 2. Balance zwischen Bindungs- und Explorationsverhalten
16 Bindungsqualität im ersten Lebensjahr (SST) (B) Sichere Bindung (A) Unsicher-vermeidende Bindung (C) Unsicher-ambivalente Bindung (D) Desorganisiert/desorientierte Bindung
17 Ausprägung des Bindungs- und Explorationsverhaltens in den verschiedenen Bindungsmustern Bindungsverhalten Explorationsverhalten A1 A2 B1 B2 B3 B4 C1 C2 Desorganisiert / desorientierte Bindung
18 Verteilung der Bindungsmuster in nichtklinischen Stichproben Goldberg (1995) sicher unsicher-vermeidend unsicher-ambivalent desorganisiert 10 0 Prozentuale Verteilung
19 Entwicklung der Bindungsqualität bis zum ersten Lebensjahr Abhängigkeit von der Qualität des Umgangs der BPs mit den kindlichen Signalen Qualität des Umgangs mit kindlichen Signalen variiert von BP zu BP Kind passt sich personenspezifisch an die unterschiedlichen Qualitäten des Umgangs mit seinen Signalen an es resultieren bis zum 12. Monat individuelle Bindungsqualitäten des Kindes an seine BPs Universität zu Köln - PD Dr. Rüdiger Kißgen
20 Intergenerationale Transmission von Bindung - Expanded Model - Van IJzendoorn & Bakermans-Kranenburg (1997) Frühe Bindungserfahrungen der Eltern Spätere Bindungserfahrungen Elterliche Bindungsrepräsentation Sozialer Kontext Elterliches Erziehungsverhalten Charakteristika des Kindes Bindungserfahrungen der Kinder
21 Bedeutung der desorganisierten Bindung für die weitere Entwicklung Risikofaktor für eine psychopathologische Entwicklung bis hin zur kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlungsbedürftigkeit Universität zu Köln
22 Bedeutung der elterlichen Feinfühligkeit für die psychosoziale Entwicklung des Kindes Psychosoziale Entwicklung: - Kindergarten - Schule - usw. Bindungssicherheit Feinfühligkeit Intervention (z.b. Frühförderung)
23 2. Hörschädigung aus der bindungstheoretischen Perspektive
24 Nach allem, was wir über frühe Eltern-Kind- Interaktionen unter der Bedingung Hörschädigung [ ] wissen, wäre eigentlich eine Beeinträchtigung der Bindungsentwicklung durchaus wahrscheinlicher. (Hintermaier, 2005)
25 Befundlage der Bindungsforschung Studie Stichprobe Ergebnis Lederberg & Mobley (1990) UG: gehörlose K, hörende KM (n=41) KG: hörende K, hörende KM (n=41) kein statistisch bedeutsamer Unterschied bzgl. BQ und Interaktionsqualität KM-K; Interaktionsquantität UG<KG Chovaz McKinnon, Moran & Pederson (2004) UG: gehörlose Erwachsene (n=50) KG: hörende Erwachsene (n=50) kein statistisch bedeutsamer Unterschied bzgl. Bindungsrepräsentation
26 Ausgangssituation bei Hörschädigung aus der bindungstheoretischen Perspektive Betroffene Kinder oder betroffene Eltern sind in größerem Ausmaß als hörende Kinder oder Eltern auf den visuellen oder den Körperkontakt angewiesen. Allgemein betrachtet, ergeben sich hieraus spezifische Erfordernisse für das Gelingen interaktiver und kommunikativer Prozesse. Im Speziellen kann das akustische Signalrepertoire bei aktiviertem BVS beeinträchtigt sein, wodurch die Anforderungen an den feinfühligen Umgang mit den kindlichen Signalen größer werden. Besteht die HS lediglich bei der Bezugsperson, bedarf es technischer Hilfsmittel zur Umwandlung der kindlichen Laute in optische Signale.
27 Bindungsverhaltensweisen Signalverhalten Schreien, Weinen sowie Lächeln, Vokalisieren, Anblicken, Anklammern,... Die Bindungspersonen werden animiert, sich dem Kind zuzuwenden und sich in seiner Nähe aufzuhalten. Annäherungsverhalten Nähe herstellen, Nachfolgen, Suchen Motorisch aktives Verhalten des Kindes in Richtung Bindungsperson zur Herstellung von Nähe.
28 Kontrollierte Einzelfallstudie zur Verbesserung der Feinfühligkeit einer gehörlosen Mutter Fragestellung Kann durch eine bindungstheoretisch fundierte Intervention die Feinfühligkeit einer gehörlosen Mutter im Umgang mit ihrem 7 Monate alten hörenden Kind erhöht werden? Interventions-Handouts (STEEP TM -Programm) 1. Informationen zum feinfühligen Umgang mit dem Baby 2. Ein Brief vom Baby ein Jahr 3. Wie können Eltern die Entwicklung ihres Kindes unterstützen?
29 Kontrollierte Einzelfallstudie zur Verbesserung der Feinfühligkeit einer gehörlosen Mutter Soziodemografische Daten Alter der Probandin: 36 Jahre Familienstand: Bildungsstand: verheiratet Ehemann ebenfalls gehörlos 2 Kinder, beide hörend Hochschulabschluss
30 Kontrollierte Einzelfallstudie zur Verbesserung der Feinfühligkeit einer gehörlosen Mutter Studiendesign (A-B-E)
31 Kontrollierte Einzelfallstudie zur Verbesserung der Feinfühligkeit einer gehörlosen Mutter Ergebnisse: Grundrate
32 Kontrollierte Einzelfallstudie zur Verbesserung der Feinfühligkeit einer gehörlosen Mutter Ergebnisse: A-B-E nicht standardisiert
33 Kontrollierte Einzelfallstudie zur Verbesserung der Feinfühligkeit einer gehörlosen Mutter Ergebnisse: A-B-E standardisiert
34 Kontrollierte Einzelfallstudie zur Verbesserung der Feinfühligkeit einer gehörlosen Mutter Fazit Die bindungstheoretisch fundierten Interventionen haben zu einer Erhöhung der Werte für mütterliche Feinfühligkeit geführt. Es gibt aus der bindungstheoretischen Perspektive keinen Anlass zur Annahme, dass Gehörlosigkeit a priori zu einer Beeinträchtigung der Eltern-Kind-Interaktion führt. Literatur McGoldrick, N. (2007). Die Auswirkungen bindungstheoretisch fundierter Intervention auf die Feinfühligkeit gehörloser Mütter. Eine kontrollierte Einzelfallstudie. Unveröffentliche Diplomarbeit, Universität Wien.
35 Schlussfolgerung zum Thema Hörschäding und Bindungsentwicklung Trotz begründbarer Annahmen (eingeschränktes Signalrepertoire des Kindes; größere Anforderungen an elterliche Feinfühligkeit) zeigen die bisherigen Ergebnisse der Bindungsforschung zum einen, dass Hörschädigung oder Gehörlosigkeit offensichtlich nicht mit einem erhöhten Risiko für eine beeinträchtigte Eltern-Kind- Interaktion i.s. des Feinfühligkeitskonzepts einhergehen. Des weiteren gibt es altersübergreifend keinen Hinweis darauf, dass sich hörbeeinträchtigte oder gehörlose Menschen von einer Kontrollgruppe hörender Menschen bzgl. der Verteilung der Bindungsqualität bzw. repräsentation statistisch bedeutsam voneinander unterscheiden.
36 PD Dr. Rüdiger Kißgen Link zum Bindungsfilm
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