Taiji und Stille. Facharbeit im Rahmen der Taiji-Kursleiter-Ausbildung. von Dr. Johannes Sauter Ausbilder/Prüfer: Heinz Günter Saemann

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Holger Otto
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1 Taiji und Stille Facharbeit im Rahmen der Taiji-Kursleiter-Ausbildung von Dr. Johannes Sauter Ausbilder/Prüfer: Heinz Günter Saemann Taijiquan-Schule-Ortenau

2 Fang nie an aufzuhören Hör nie auf anzufangen. Dieses Zitat stammt nicht von einem Chinesen, sondern von einem alten Römer, nämlich von Marcus Tillius Cicero und doch passt dieser Satz ganz ausgezeichnet zu dem Thema Taiji und Stille, um das es in dieser Arbeit gehen wird. Wie dies zusammenhängt wird sich am Ende dieser Arbeit zeigen. Doch zu Beginn möchte ich zunächst einladen, kurz innezuhalten und sich bewusst auf den nun folgenden Freiraum zu konzentrieren. Was passiert in diesem Freiraum? Nun, man könnte meinen, da steht doch nichts also ist da auch nichts. De facto stimmt der erste Teil der Aussage: da steht nichts, dies bedeutet aber noch lange nicht, dass dort nichts ist. Dort ist sehr viel mehr als man zunächst glaubt. Wir begegnen dort nämlich einem Phänomen, mit dem ich mich heute im Rahmen dieser Arbeit beschäftigen möchte, wir begegnen der Stille, die sich häufig ganz anders zeigt, als der Begriff eigentlich zunächst impliziert. Ein Begriff, der oft negativ besetzt ist und dabei doch so viel Positives enthält. 1

3 Der Begriff Stille stammt aus dem Althochdeutschen Stilli = ohne Bewegung, ohne Geräusch und bezeichnet in der deutschen Sprache die empfundene Lautlosigkeit, die Abwesenheit jeglichen Geräusches, aber auch die Bewegungslosigkeit, ein Zustand, der von vielen in unserer hektischen, von Leistung geprägten Welt nur schwer auszuhalten ist. Gegenbegriffe sind das Geräusch, der Lärm und letztlich auch die Bewegung, Dinge, die für uns viel alltäglicher geworden sind. Gleichzeitig finden sich in der Stille selbst aber auch direkt die Gegenbegriffe wieder. Die Gegensätze, die zusammen wieder ein Ganzes ergeben. Dort, wo etwas endet, kann auch wieder etwas Neues entstehen. Aus Starre kann Bewegung werden, aus Ruhe Lärm und umgekehrt. Und damit findet sich in der Stille bei genauerem Hinsehen genau das Prinzip von Yin und Yang wieder, das uns später auch im Taiji wieder begegnen wird. Stille ist also viel mehr als nur der starre Begriff. Stille wird häufig in Verbindung gebracht mit etwas Unangenehmen nur schwer Aushaltbarem, auch mit Ende, Kälte oder Tod und doch ist es eigentlich ein Begriff, der so viel Weiches und Lebendiges beinhaltet, in dem so viel passieren kann, aus dem so viel entstehen kann. Stille ist Leere und Fülle zugleich. Stille kann Ende bedeuten, ist aber vor allem auch Anfang. Dort entsteht Raum für Zeit, für Gedanken, für Assoziationen, für Gefühle, für einen selbst, für das Ich, für das Sein. Dinge für die in unserer heutigen schnelllebigen und vor allem leistungsorientieren Zeit nur wenig Raum bleibt und die doch so wichtig für unsere Psychohygiene und unser Sein selbst sind. Umso wichtiger ist es, sich auf solche Momente zu konzentrieren und für sich die Stille als etwas Positives zu entdecken. Es eröffnet die Möglichkeit, zu sich zu kommen, zur Ruhe zu kommen, achtsam mit sich zu sein, die Dinge zu hören, die sonst nicht hörbar zu sein scheinen und letztlich einen Zustand der inneren Zufriedenheit zu erreichen. Es gibt viele Wege, diese kraftvolle Stille für sich zu finden, sich zumindest auf den Weg dorthin zu begeben. Ich möchte mich auch aus der eigenen Erfahrung heraus auf den Weg des Taiji konzentrieren und versuchen, die enge Verbindung zwischen der Stille und dem Taiji herauszuarbeiten. Taiji wird häufig übersetzt als das höchste Prinzip, als die Lehre von Yin und Yang oder auch als innere Bewegungskunst, im Volksmund lautet die Übersetzung häufig einfach Schattenboxen. All diese Beschreibungen, so unterschiedlich sie zu sein scheinen, haben ihre Berechtigung und liegen bei genauerem Hinsehen sehr eng beieinander. Zunächst ist aber noch eine Begriffseinordnung notwendig. Üblicherweise werden heute die Begriffe Taijiquan und Taiji synonym benutzt. Eigentlich sind die beiden Begriffe Taiji und Taijiquan aber differenziert zu betrachten. Taiji steht ursprünglich für ein philosophisches Prinzip aus dem Yijing, dem Buch der Wandlungen und bezeichnet die Interaktion von Yin und Yang. Taijiquan stellt die eigentliche Bewegungsform dar, die die Prinzipien des Taiji in Bewegung umsetzen. Taiji beschreibt also das ausgewogene Wechselspiel zwischen Yin und Yang, das harmonische Ineinanderfließen von Ruhe und Aktivität, den Prinzipien von Ziran (Natürlichkeit, Spontaneität) und Wu Wei (Nicht-Tun, Absichtslosigkeit) folgend hin zu einer inneren Haltung der Achtsamkeit, die im Daoismus als das Eintreten in die Stille bezeichnet wird. Taiji ist also ein Weg zur Stille, zur inneren Ruhe und 2

4 Ausgeglichenheit. Damit sind eigentlich die ersten drei Übersetzungen oder Beschreibungen schon erklärt, die zusammen wieder ein Ganzes ergeben. Durch innere Bewegungskunst nach der Lehre von Yin und Yang hin zum höchsten Prinzip der Stille. Bleibt also nur noch der Begriff des Schattenboxens. So banal wie dies zunächst klingt, so steckt doch auch in dieser Beschreibung das Außergewöhnliche des Taiji. Mit seinem eigenen Schatten zu boxen bedeutet eigentlich ganz bei sich zu sein, mit sich selbst zu trainieren, sich selbst und die eigene Energie wahrzunehmen, die eigenen Möglichkeiten und Grenzen zu erfahren und letztlich mit sich selbst im Einklang zu stehen. Bewegung und Gegenbewegung erfolgen immer im perfekten Einklang nach dem Prinzip von Yin und Yang. Und hier bildet sich die Stille ganz besonders deutlich ab. Der Schatten schweigt, ruht in sich. Er verbindet in Vollendung, die Bewegung, die Ruhe und die Energie. Selbst bei kraftvollen, lauten Bewegungen bleibt er in der Stille. Der Schatten ist also ein Abbild der bewegten Stille. Damit wird deutlich, wie eng Taiji und Stille miteinander verbunden sind. So wie Taiji die Qualitäten Yin und Yang in sich vereint, so findet sich dies auch in der Stille wieder und beide ergeben wieder eine Einheit. Ganz dem Prinzip von Yin und Yang folgend führte das Eine zum Anderen, benötigt das Eine das Andere, erleichtert das Eine das Andere, stärkt das Eine das Andere, bildet das Eine den Gegenpol zum Anderen, scheitert das Eine ohne das Andere, bedeutet die Vollendung des Einen die Vollendung des Anderen und gleichzeitig dessen Ende und Neubeginn. Taiji kann kraftvoll, energiegeladen, explosiv sein und gleichzeitig sehr leise und gefühlvoll. Ebenso kann die Stille entspannend, beruhigend und zufrieden sein und gleichzeitig doch auch sehr laut und in ihrer Geräuschlosigkeit sehr bedrohlich. Wenn sich Taiji und Stille nun begegnen und verbinden entsteht daraus folgende Synergie, 3

5 bei der es nach dem Prinzip von Yin und Yang keinen Anfang und kein Ende gibt, sondern sich alles in einem ständigen Fluss der Bewegung und Achtsamkeit befindet. Ebenso eindrücklich hat dies Wang Xiang Zhai, ein Meister des Xingyiquan, der Urform der weichen Kampfkünste, in zwei unterschiedlichen Aussagen beschrieben, wobei bei ersterer die Leere als Stille verstanden werden kann: Nach vierzigjähriger Erfahrung bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass alle echte Stärke aus ursprünglicher, selbstloser Leere hervorgeht und dass diese Leere dadurch erzielt werden kann, dass man seine Aufmerksamkeit auf die kleinen, subtilen Bewegungen des Körpers richtet. und Tun entsteht aus Untätigkeit, und Ruhe ist die Mutter der Bewegung. Dies zu üben, zu lernen, zu erfahren und letztlich zu verstehen ist ein lebenslanger fließender Prozess, ganz im Sinne des anfänglich zitierten Marcus Tillius Cicero: Fang nie an aufzuhören, hör nie auf anzufangen. Ein Prozess bei dem immer wieder etwas Neues entsteht, eine neue Bewegung, eine neue Erfahrung, ein neues Sein und der erst endet, wenn die Form endgültig zur Ruhe kommt und endgültige Stille eintritt. Quellen: Werner Lind - Das Lexikon der Kampfkünste Linda myoki Lehrhaupt Stille in der Bewegung, Tai chi und Qi Gong Wu Runjin/Zhu Lichan/Thomas Jonasson - Die Vielfalt des Tai Chi Chuan

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