Neobiota. Marco Lanfranchi, Amt für Natur und Umwelt

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1 Neobiota Marco Lanfranchi, Amt für Natur und Umwelt Das gemeinsame an so unterschiedlichen Lebewesen wie Goldfisch, Bisamratte, Tintenfischpilz, Ambrosiapflanze oder asiatischem Marienkäfer ist, dass sie natürlicherweise in Graubünden nicht vorkommen würden, aber mit Hilfe des Menschen den Weg hierher gefunden haben und heute freilebend angetroffen werden können. Organismen, die nach der Entdeckung Amerikas (um 1500) beabsichtigt oder unbeabsichtigt neu in Gebiete eingeführt wurden, in denen sie nicht heimisch sind und sich wildlebend etabliert haben, nennt man Neobiota ( Neulebewesen ). Das können Pflanzen, Tiere, Pilze oder Mikroorganismen sein. Bei Pflanzen spricht man von Neophyten, bei Tieren von Neozoen. Die meisten dieser neu eingeführten oder eingeschleppten Organismen verschwinden wieder oder fügen sich problemlos in die Natur ein. Ein kleiner Teil jedoch, mit starken Vermehrungseigenschaften, breitet sich aufgrund fehlender Konkurrenten oder weil andere Regulationsmechanismen, wie z.b. Frassfeinde oder spezifische Krankheiten, im neuen Gebiet fehlen, massiv aus. Sie verhalten sich invasiv (= wuchernd, eindringend), was bedeutet, dass sie sich unkontrolliert verbreiten. Sie können dabei heimische Arten verdrängen und Schäden an Lebensräumen, Bauwerken, Ernteerträgen oder an der Gesundheit verursachen. Schon länger bekannt sind die Probleme und Schäden, die z.b. in Australien oder Neuseeland an der dortigen Tier- und Pflanzenwelt durch Fremdarten entstanden sind. Prominente Wissenschaftler halten die Verbreitung nichtheimischer Tier- und Pflanzenarten durch den Menschen für die zweitgrösste Gefahr, die der biologischen Vielfalt droht gleich neben der Lebensraumzerstörung. Im Übereinkommen von Rio (Biodiversitäts-Konvention) von 1992 und in der Berner Konvention 2003 wurden denn auch Massnahmen und Strategien gegen die Probleme mit Fremdarten beschlossen. Solche problemstiftenden Arten gaben auch in der Schweiz Anlass für gesetzliche Bestimmungen im Hinblick auf die Vermeidung und Bekämpfung von Problemarten mit Einfuhr- und Umgangsverboten, Sorgfaltspflichten und Bekämpfungsforderungen. Solche Bestimmungen gibt es in der Jagd- und Fischereigesetzgebung, in der forst- und landwirtschaftlichen Gesetzgebung, dort im speziellen auf Schadorganismen an Pflanzen und Kulturen, sowie in der Natur- und Umweltschutzgesetzgebung. Die jüngste Bestimmung ist die sogenannte Freisetzungsverordnung*. Sie definiert Arten, die in Europa normalerweise nicht vorkommen, als gebietsfremde Organismen. Invasive gebietsfremde Organismen sind solche, von denen bekannt ist oder angenommen werden muss, dass sie sich in der Schweiz ausbreiten und eine so hohe Bestandesdichte erreichen können, dass dadurch die biologische Vielfalt und deren nachhaltige Nutzung beeinträchtigt oder Mensch, Tier oder Umwelt gefährdet werden können. In diesem Sinne ist die von der Iberischen Halbinsel stammende Gemeine Wegschnecke zwar keine gebietsfremde Art, gehört aber dennoch zu den Neozoen. Sie hat sich bei uns unbemerkt ausgebreitet und die ähnliche einheimische Art aus weiten Teilen verdrängt. *Verordnung über den Umgang mit Organismen in der Umwelt vom 10. September 2008 (Freisetzungsverordnung, FrSV; SR )

2 Für alle gebietsfremden Organismen gilt die Sorgfaltspflicht (Umgang so, dass keine Gefährdung von Mensch, Tier und Umwelt sowie keine Beeinträchtigung der biologischen Vielfalt und deren nachhaltige Nutzung entsteht). Für die invasiven gebietsfremden Pflanzen und Tiere (nach Anhang 2, der Freisetzungsverordnung) gilt ein grundsätzliches Verbot des direkten Umgangs in der Umwelt. Im Anhang 2 mit den verbotenen invasiven gebietsfremden Organismen (Verbotsliste) sind zurzeit 11 Pflanzen- und 3 Tierarten aufgeführt. Speziell erwähnt ist auch der Bodenaushub, der mit invasiven gebietsfremden Organismen nach Anhang 2 belastet ist, welcher nur am Entnahmeort verwertet werden darf. Das ist wichtig, weil viele Arten unerkannt mit Bodenaushub verschleppt werden können (Vorsicht bei Rekultivierungen, Begrünungen, Kompostierungen usw.). Es beschäftigen sich verschiedene wissenschaftliche Gremien und Kommission mit Neobiota. Bei den Neophyten gibt es beispielsweise eine Schwarze Liste und eine Watch-Liste, welche von der schweizerischen Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen (SKEW, demnächst Infoflora ) herausgegeben wird. Ein entsprechendes System für Tiere ist im Aufbau. Neobiota in Graubünden Die Kenntnisse über Neobiotavorkommen sind unterschiedlich. Einigermassen bekannt sind die Vorkommen von invasiven gebietsfremden Problempflanzen. Sie werden beim Amt für Natur und Umwelt in einem WebGIS erfasst, welches als Grundlage für Bekämpfungsmassnahmen dient.

3 Beispiele für gebietsfremde Problempflanzen Ambrosia (Nordamerika, Verbotsliste): Pollen verursachen bei vielen Menschen heftige Allergien

4 Riesenbärenklau (Kaukasus, Verbotsliste): Hautkontakte können Verätzungen verursachen (Phototoxizität)

5 Asiatische Staudenknöteriche (Ostasien, Verbotsliste): Extrem wuchskräftig, effiziente vegetative Ausbreitung über Wurzelausläufer, zerstören Bauwerke und destabilisieren Ufer, bekämpfungsresistent (Bilder: Erwin Jörg, Laupen)

6 Drüsiges Springkraut (Himalaja, Verbotsliste): Effiziente Ausbreitung über Springsamen, bildet Dominanzbestände (Bild: Erwin Jörg, Laupen) Amerikanische Goldruten (Nordamerika, Verbotsliste): Bildet rasch Dominanzbestände in weniger intensiv genutzten Flächen (z.b. Naturschutzgebiete, Brachen) (Bild: Erwin Jörg, Laupen)

7 Essigbaum (Nordamerika, Verbotsliste): Gartenflüchtling, starke (Wurzel-) Ausbreitung (Bild: Erwin Jörg, Laupen) Sommerflieder (China, Schwarze Liste): Gartenflüchtling, Problemgehölz in Auen, Waldlichtungen, verhindert naturgemässe Verjüngung (Bild: Erwin Jörg, Laupen)

8 Götterbaum (China, Schwarze Liste): Problembaum in Auen, Selven und im Schutzwald (insbesondere im unteren Misox) (Bilder: Erwin Jörg, Laupen; ANU GR)

9 Beispiele für gebietsfremde Tiere Asiatischer Marienkäfer (Asien, Verbotsliste): Konkurrenziert heimische Marienkäferarten, Beeinträchtigung im Weinbau (Bild: Erwin Jörg, Laupen)

10 Goldfisch (China): Illegale Aussetzungen, problematisch in Amphibienbiotopen für Amphibiennachwuchs Rotwangenschmuckschildkröte (Nordamerika, Verbotsliste): Illegale Aussetzungen, problematisch in Amphibienbiotopen (Bild: Erwin Jörg, Laupen)

11 Asiatische Buschmücke (Asien): Tagaktiv, potentielle Krankheitsüberträgerin, ähnlich Tigermücke im Tessin, Vorkommen aber bereits auch in Nordschweiz, in Graubünden zu erwarten (Bild. Uni Zürich) Beispiele für gebietsfremde Pilze und Mikroorganismen (Vielfach noch wenig bekannt oder unentdeckt) Tintenfischpilz Australien, Neuseeland): wächst zuerst als Hexenei und bildet später vier bis sieben rötliche Fangarme (Bild: Roman Clavadetscher, Malans)

12 Feuerbrandbakterium (Nordamerika): Befällt Kernobst (Apfel, Birne, Quitten) sowie einige Wildgehölze (Weissdorn, Felsenbirne) und Ziergehölze (Cotoneasterarten)

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