Lösungsskizze zu Fall 2
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- Heidi Kalb
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1 Lösungsskizze zu Fall 2 A. Zulässigkeit des Antrags I. Zuständigkeit StGH: unproblematisch gemäß Art. 68 I 1 Nr. 4 i. V. m. Art. 76 LV, 8 I Nr. 8 StGHG. II. Ordnungsgemäßer Antrag: nach Sachverhalt gegeben (vgl. 15 I StGHG). III. Beteiligungsfähigkeit: Gemeinden und Gemeindeverbände (Art. 76 LV, 8 I Nr. 8 LSGHG); hier Stadt S als Gemeinde ( Stadt ist nur eine Bezeichnung, 5 II GemO), Landkreis ist ein Gemeindeverband i. S. d. Art. 28 I 2, II 2 GG, Art. 71 I 1, II 2, 72 I LV (vgl. auch 1 I 1 LKrO kreisangehörige Gemeinden ). IV. Prozessfähigkeit: Für S handelt der Bürgermeister, 42 I 2 GemO (Bezeichnung OB, 42 IV GemO), für K der Landrat 37 I 2 LKrO. V. Beschwerdegegenstand: d. h. Statthaftigkeit des Antrags 1. Gesetz als Angriffsgegenstand (Art. 76 LV, 8 I Nr. 8 StGHG); nach h. M. nur förmliches LandesG erfasst, hier: 2 I AG-SGB VIII. 2. Statthaftigkeit des Antrags bei Unterlassen als Problem: a) S und K wenden sich formal zwar gegen 2 I AG-SGB VIII, materiell wird aber die fehlende Kosten(deckungs-)regelung gerügt. aa) Zum Teil wird eine kommunale Verfassungsbeschwerde (LVB) bzw. ein Antrag auf kommunalrechtliche Normenkontrolle (knk) bei legislativem Unterlassen als statthaft erachtet, wenn eine entsprechende Regelungspflicht des Gesetzgebers besteht bzw. in Betracht kommt; das ist hier gemäß Art. 71 III 2 LV der Fall. bb) Nach h. M. ist eine kvb/knk bei gesetzgeberischem Unterlassen grds. unzulässig; eine Nichtigerklärung ( 54 S. 1 i. V. m. 50 StGHG) sei nur bei einem existenten Legislativakt des Gesetzgebers möglich. Legislatives Unterlassen liegt allerdings bei gänzlichem Untätigbleiben des Gesetzgebers vor. Abgrenzung: unvollständige Regelung eines Sachverhalts, d. h. der Gesetzgeber hat gehandelt (also: ein Gesetz erlassen), aber eine nach VerfR zudem gebotene gesetzliche Normierung 8
2 nicht vorgenommen; eine solche unvollständige gesetzliche Regelung ist statthafter Gegenstand einer kvb/knk. Hier: 2 I AG-SGB VIII ggf. Aufgabenübertragung i. S. d. Art. 71 III 1 LV, aber wegen Art. 71 III 2 LV evtl. unvollständige Regelung, daher mit Antrag auf knk beim StGH angreifbar. 3. Rechtsschutzbegehren: nicht Anfechtungsantrag gegen Gesetz oder Leistungsbegehren auf Kostendeckungsregelung [beides im StGHG nicht vorgesehen], vielmehr (Argumentation aus 54 S. 1 i. V. m. 50 StGHG) Feststellungsantrag, gerichtet auf Feststellung der Nichtigkeit des angegriffenen Gesetzes. [bei Erfolg: 23 I 1 lit. a StGHG!]. VI. Beschwerdebefugnis: Behauptung einer Verletzung in den Rechten gemäß Art. 71 bis 75 LV. 1. Behauptungslast: Vortrag von S und K, durch das angegriffene Gesetz in Rechten aus Art. 71 bis 75 LV verletzt zu sein; es genügt die Möglichkeit einer Verletzung im kommunalen Selbstverwaltungsrecht (ksvr). Hier ist nicht ausgeschlossen, dass das LandesG wegen der Aufgabenzuweisung durch 2 I AG-SGB VIII mit der Bestimmung der Aufgabenträger gleichzeitig auch Kostenregelungen i. S. d. Art. 71 III 2 u. 3 LV schaffen musste; die Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung könnte folglich S und K in ihrem ksvr verletzen. 2. Betroffenheit von S und K muss allerdings selbst, gegenwärtig und unmittelbar sein: Selbstbetroffenheit liegt vor, S und K sind Aufgabenträger ( 2 I AG-SGB VIII) und daher pflichtig. [Folge: Kostentragungspflicht, 85 I SGB VIII] Gegenwärtige Betroffenheit (nicht: Vergangenheit oder Zukunft) mit Inkrafttreten des 2 I AG-SGB VIII gegeben. Unmittelbare Betroffenheit ebenfalls unproblematisch, da kein behördlicher Vollzugsakt notwendig ist. Zwischenergebnis: Antrag auf knk von S und K ist zulässig. 9
3 B. Begründetheit der Antrags Der Antrag ist begründet, wenn S und K durch das angegriffene Gesetz ( 2 I AG-SGB VIII) in ihrem ksvr (Art. 71 bis 75 LV) verletzt sind. I. Eingriff in das ksvr Hier kommt ein Eingriff in die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 71 LV in Betracht. 1. Schutzgehalt des Art. 71 LV Normiert sind eine Aufgabengarantie (Art. 71 II 1 LV: grds. gemeindliche Allzuständigkeit; Art. 72 II 2 LV: gesetzlicher Aufgabenbereich beim LK) und die Autonomie, d. h. Selbstverwaltung der Aufgabenwahrnehmung (Art. 71 I LV). Danach entscheiden die Kommunen selbst (eigenverantwortlich), ob, wann, wie (etc.) sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen; das betrifft auch die Kinder- und Jugendhilfe. S und K können sich auf Art. 71 I, II LV berufen. 2. Eingriff Hier geht es um eine Aufgabenzuweisung. Beim Aufgabenentzug wäre der Eingriff unproblematisch (Schwächung des ksvr). Eine Aufgabenvermehrung ist an sich eine Stärkung der ksv, daher Eingriff fraglich. Die gesetzliche Zuweisung von Aufgaben greift aber mittelbar in das ksvr ein, indem sie ohne entsprechenden Ausgleich kommunale (Finanz-)Mittel bindet und damit die Ressourcen für die Wahrnehmung freiwilliger Aufgaben ( 2 I GemO) schmälert. Hier bestimmt 2 I AG-SGB VIII Stadtkreise und Landkreise zu Aufgabenträgern, also auch S und K. Dadurch wird eine Aufgabenwahrnehmungs- und Finanzierungszuständigkeit begründet, die S und K belastet. Die vorherige, bundesgesetzlich begründete Zuständigkeit ändert nichts daran, dass nunmehr das LandesG einen Eingriff in das ksvr vornimmt. II. Rechtfertigung des Eingriffs Der Eingriff in das ksvr (Art. 71 I u. II LV) ist gerechtfertigt, wenn er verfassungsmäßig ist. 1. Schranken des ksvr Allgemein: Gesetzesvorbehalt, Art. 71 II und I 2 LV; hier speziell bei Aufgabenzuweisung: Art. 71 III 1 LV. 10
4 2. Verfassungsmäßige Anwendung der Schrankenregelung a) Aufgabenübertragung, Art. 71 III 1 LV aa) Übertragungsakt: Gesetz, d. h. LandesG/ParlG [nicht auch BundesG, da durch Art. 84 I 7, 85 I 2 GG ausgeschlossen]; LV bindet Landesgesetzgeber, nicht Bundesgesetzgeber. Hier: 2 I AG-SGB VIII ist ein LandesG. [Hinweis: zulässig ist Aufgabenzuweisung auch durch VO im Rahmen gesetzl. Ermächtigung; nicht zulässig: VwV] bb) Gegenstand: Aufgabe, d. h. Zuweisung eines konkreten Aufgabengebiets i. S. bestimmter zu erledigender Verwaltungsaufgaben; nicht: bloße finanzielle Belastung von Kommunen z. B. durch Kommunalisierung, Landesbediensteter im Landratsamt oder Finanzierungspflichten via Umlage bei ÖPNV, SPNV, Abfallentsorgung etc.). Hier: Kinder- und Jugendhilfe (vgl. 2 II Nr. 3 SGB VIII) ist eine Aufgabe i. S. einer Verwaltungsangelegenheit im Zuständigkeitsbereich örtlicher Träger der öffentl. Kinder- und Jugendhilfe ( 69 I SGB VIII i. V. m. 1 u. 2 I AG-SGB VIII, 85 I SGB VIII). z. B. Bereitstellen von Angeboten, Tagesseinrichtungen, Tagespflege etc. ( 22 ff. SGB VIII). cc) Art der Aufgabe: irrelevant für Art. 71 III 1 LV, ob weisungsfreie Pflichtaufgabe ( 2 II GemO) oder Weisungsaufgabe ( 2 III GemO, 1 IV LKrG). Für Differenzierung fehlt Anhaltspunkt im Verfassungstext; nach Sinn und Zweck des Schutzes KSV hängt die Belastung der Kommunen zudem nicht vom Aufgabentyp ab. dd) Aufgabenwechsel: Art. 71 III 1 LV verlangt nicht, dass diese Aufgabe zuvor von einem anderen Verwaltungsträger wahrgenommen worden ist. Wortlaut: Übertragung bestehender Aufgaben, d. h. Pflichtigmachung bislang freiwilliger Aufgaben i. S. d. 2 I GemO, 2 II LKrO; Übertragung neuer Aufgaben, d. h. bislang durch LandesG den Gemeinden/Gemeindeverbänden (G/GV) nicht zugewiesene Aufgaben. Sinn und Zweck: originäre, eigene Entscheidung des Landesgesetzgebers, G/GV Aufgaben zuzuweisen; er könnte auch z. B. Landesbehörden heranziehen, ohne Regelung wäre (auch bei Bundesgesetzen) ohnehin das Land für die Gesetzesausführung zuständig (Art. 83, 84 I 1 GG); Konsequenz dann: Kostentragung durch das Land (Art. 104a I u. V GG). 11
5 ee) Kernbereichsschutz ist bei jedem Eingriff in das ksvr zu wahren; Verletzung hier nicht ersichtlich. Zwischenfazit: Mit Art. 71 III 1 LV ist 2 I AG-SGB VIII vereinbar. b) Kostendeckungsregelung, Art. 71 III 2 LV Zum Ob einer Kostendeckungsregelung lässt Art. 71 III 2 LV dem Gesetzgeber keinen Spielraum; der Gesetzgeber wird gezwungen, die mit der Aufgabenübertragung auf G/GV entstehenden Sachausgaben und Verwaltungskosten in den Blick zu nehmen und die dazu notwendigen Kostendeckungsregelungen zu treffen. Das Wie (d. h. die Art und Weise) der Kostendeckungsregelung ist durch Art. 71 III 2 LV nicht vorgegeben; die Kostendeckung kann in dem die Aufgabe übertragenden Gesetz oder in einem separaten Gesetz oder im FAG geregelt werden, sie kann z. B. als staatliche Kostenerstattung, oder als Erschließung neuer kommunaler Einnahmequellen oder als Reduzierung bestehender Aufgaben bzw. Standards oder als Kombination mehrerer dieser Varianten ausgestaltet sein. Zum Zeitpunkt der Kostendeckungsregelung schreibt Art. 71 III 2 LV gleichzeitig mit der Aufgabenübertragung vor; ausreichend ist nach der Rspr. ein enger zeitlicher Zusammenhang. Hier hat das Land weder im AG-SGB VIII noch in einem SpezialG noch im FAG eine Kostendeckungsregelung getroffen; darauf könne verzichtet werden, weil lediglich eine bisher durch BundesG dem G/GV zugewiesene Aufgabe fortgeschrieben werde. Dem ist entgegenzuhalten, dass das strikte Konnexitätsprinzip des Art. 71 III 2 LV an den Landesgesetzgeber adressiert ist, G/GV vor finanzieller Überforderung geschützt werden (sollen), eine evtl. verfassungswidrige Aufgabenzuweisung durch den Bund seitens des Landes nicht einfach fortgeschrieben werden kann, da andernfalls die Warnfunktion des Art. 71 III 2 LV unterlaufen und die Schaffung von Transparenz sowie Kostenbewusstsein verfehlt würde (VerfGH NW NVwZ-RR 2011, 41/43 f.). Die erstmalige landesgesetzliche Zuweisung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe an G/GV wirkt nach dem Wegfall der bundesgesetzlichen Aufgabenübertragung durch 65 Abs. 1 SGB VIII a. F. konstitutiv und löst zwingend das Gebot der Kostendeckungsregelung (Art. 71 III 2 LV) aus (vgl. dazu auch Aker VBlBW 2012, 12
6 121/125). Ob dies in der Sache zu einem Mehrbelastungsausgleich (Art. 71 III 3 LV) führen muss, ist eine selbstständig zu beantwortende Frage. Dass die Aufgabenübertragung durch 2 I AG-SGB VIII i. S. d. Art. 71 III 2 LV konnexitätsrelevant ist, zeigt sich auch daran, dass jede bundesgesetzliche Erweiterung von Aufgaben (z. B. im Rahmen des 24 SGB VIII) auf Grund des konstitutiv wirkenden landesgesetzlichen Übertragungsaktes auf die G/GV durchschlägt. Dies bekräftigt die strikte Beachtung der Sicherungsfunktion des Art. 71 III 2 LV. Ergebnis: 2 I AG-SGB VIII ist eine unter Verstoß gegen Art. 71 III 2 LV ergangene unvollständige und damit verfassungswidrige gesetzliche Regelung. Der Antrag von S und K auf knk ist begründet, der StGH entscheidet nach Maßgabe der 54 S. 1, 50 StGHG: Nichtigkeit der angegriffenen gesetzlichen Regelung wird festgestellt. 13
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