Predigtreihe Gewissen. Christuskirche und Schlosskapelle,15. Febr Predigt: Predigt über Martin Luthers Gewisssensbegriff

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1 Predigtreihe Gewissen Christuskirche und Schlosskapelle,15. Febr Predigt: Predigt über Martin Luthers Gewisssensbegriff Über der Predigt stehen jene Worte, die Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521 vor dem Kaiser und vor hohen Vertretern der katholischen Kirche gesagt hat, und die für den modernen Gewissensbegriff so grundlegend geworden sind: Wenn ich nicht durch Zeugnisse aus der Hl. Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde denn weder dem Papst noch dem Konzil allein kann ich glauben, die offenkundig geirrt und sich widersprochen haben -, so bin ich überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. Ich kann und will daher nichts widerrufen, weil gegen das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir. Der Schluss ist in der Überlieferung noch etwas erweitert worden zu dem Satz, den die meisten von Ihnen kennen: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen. Liebe Gemeinde! Haben Sie es schon entdeckt? Heute Morgen hängt hier in der Christuskirche das Bild von Martin Luther, was sonst an diesem Ort immer am Reformationstag und den Tagen danach zu sehen ist. Überspitzt gesagt, könnte ich diesen Mann den Vater des Gewissens nennen. Naja, das ist schon ein wenig überspitzt. Aber Martin Luther war durch und durch ein Gewissensmensch. Vor ihm hat sich niemand so zentral mit der Rolle des Gewissens beschäftigt. Es gibt sehr viele Äußerungen Luthers zum Thema. Nach und nach bildete sich sein Gewissensbegriff heraus, der für uns moderne Menschen so grundlegend wurde. In vielen bekannten Luthertexten schwingt sie mit, die Stimme des Gewissens, so auch in Luthers Morgensegen, den wir eben gemeinsam gebetet haben. Auch das Lied Nun freut euch lieben Christeng mein - 1/6 -

2 ist doch ein ganz großes Gewissenslied, gleichsam Luthers Lebensbeichte, und wer ein trauriges, schlechtes, vielleicht gar verzweifeltes Gewissen hat und so heute Morgen hierher gekommen ist, der kann sich trösten: den Reformator peinigte auch oft ein schlechtes Gewissen. Hoffentlich vermag Sie dann auch dieser wunderbare, fröhliche Wechsel entlasten und froh stimmen, von dem im 2. teil des Liedes die Rede ist: Er sprach zu mir: Halt dich an mich, es soll dir jetzt gelingen, ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen. (Str. 7) Ringen, das ist eigentlich ein gutes Stichwort, wenn es um das Thema Gewissen geht. Ich ringe mit meinem Gewissen! Martin Luther rang oft mit seinem Gewissen. Dabei ging es ihm um Wahrheit und Wahrhaftigkeit und um Freiheit. - Und er rang um einen gnädigen Gott! Dass die Freiheit des Gewissens heute so ein hoher Wert ist, ein Menschenrecht, das geht letztlich auch auf Luther zurück. Sein wichtigster und berühmtester Gewissenstext sind seine Worte, die er vor dem jungen Kaiser und vor hohen Vertretern der Kirche auf dem Reichstag zu Worms gesagt hat: Bei der Vorbereitung zur heutigen Predigt habe ich gelesen: Eigentlich sollte sie jeder Protestant, wenigstens sinngemäß, vom Inhalt her kennen. Ich möchte sie Ihnen noch einmal lesen: Wenn ich nicht durch Zeugnisse aus der Hl. Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde denn weder dem Papst noch dem Konzil allein kann ich glauben, die offenkundig geirrt und sich widersprochen haben -, so bin ich überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. Ich kann und will daher nichts widerrufen, weil gegen das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir. In diesen Worten auf dem Reichstag ist Luthers Gewissensbegriff beschrieben. Zugleich vollzieht Luther in ihnen eine tiefgreifende Entscheidung und Tat. Das ist sehr selten, das Wort und Tat in eins fallen - 2/6 -

3 und man könnte schon sagen: hier vollzieht sich so etwas wie die Geburt des Gewissensbegriffs der Neuzeit. Vor Luther hatte Thomas von Aquin gesagt: Das Gewissen ist die Stimme Gottes in unserem Inneren, die Vergegenwärtigung des göttlichen Gebots in uns. Bei Luther nun ist das Gewissen selbst nichts Göttliches mehr, sondern etwas Menschliches. Aber nur deswegen weil wir ein Gewissen haben, können wir dem Göttlichen begegnen und an Jesus glauben. Das Gewissen ist der Ort, an dem Gott quasi andockt an unser Leben und uns z.b. Vergebung widerfahren kann. Das Gewissen ist der Ort der Anrede durch Gott. Wo der Mensch von ihr getroffen ist, gilt immer: man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen. Luther sagte in Worms: Ich bin überwunden in meinem Gewissen und gefangen im Wort Gottes. Bei Luther ist das Gewissen weit entfernt von dem, was es im Altertum bedeutete, nämlich einfach nur Bewusstsein. Gewissen ist bei ihm auch nicht mehr bloß conscientia, ein Mitwissen von den Folgen meiner Taten oder deren möglichen Folgen, sofern ich sie noch nicht begangen habe. Gewissen bei Luther ist der Ort im Menschen, wo alles zusammenkommt und letztlich über Heil und Unheil unseres Lebens entschieden wird. Entscheidend ist, wovon sich mein Gewissen leiten lässt. Das gewissen ist etwas Menschliches. Es ist unsere menschliche, innere Stimme. Diese innere Stimme mutet durchaus auch räumlich an. Das gewissen ist ein Ort in uns. Der junge Luther setzte das gewissen mit Herz und auch mit Seele gleich, so steht es übrigens auch im Alten Testament. Da ist nicht vom Gewissen, sondern vom Herz die Rede. Luthers Gewissen ringt intensiv um Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Wenn ich nicht durch Zeugnisse aus der Hl. Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde -.., so bin ich überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. - 3/6 -

4 Gefangen im Wort Gottes, das hört sich negativ an. Aber es ist das Gegenteil von dem Teufel ich gefangen lag. Gefangen im Wort Gottes, d.h.: Ich weiß, dass ich mir mein Seelenheil weder mit guten Werken verdienen noch mit Ablassbriefen erkaufen kann, denn der Gerechte wird aus Glauben leben. Gefangen im Wort Gottes, so spricht Luther in Worms von seiner größten Entdeckung: Das Evangelium ist eine Freiheitsbotschaft und diese Freiheit darf nie verfälscht werden durch kirchliche und politische Autoritäten. Dass der Mensch seine Freiheit nur von Gott und nur durch Gott empfängt, begründet die Gewissensfreiheit und die Überzeugung, dass der Mensch in Glaubensdingen frei ist. Gefangen in Gottes Wort, d.h. aber auch, die Reichsacht zu riskieren und es bedeutet die Exkommunikation aus der katholischen Kirche. Beides ist Luther angedroht, wenn er nicht widerruft, beides ist so eingetreten. Zudem weiß Martin Luther, Kaiser Karl V. hat ihm zwar freies Geleit zugesagt, aber es ist keineswegs gewährleistet, ob er sich auch daran halten wird. Auch Jan Hus wurde 100 Jahre vor Luther freies Geleit für das Konzil in Konstanz zugesagt. Damals hatten sich Kaiser und Papst nicht daran gehalten und Hus, der fast dieselben Überzeugungen wie Luther hatte, wurde in Konstanz als Ketzer verbrannt. Darum weiß Luther als er bekennt: Hier stehe ich und kann nicht anders. Gott helfe mir: Ich kann und will daher nichts widerrufen, weil gegen das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Mich ermutigen diese Worte Luthers, mich in meinem Leben vom Gewissen leiten zu lassen. Ein gewissengeleitetes Leben ist der beständige Versuch, in der Wahrheit, gegen Lügen zu leben, Wahrhaftigkeit einzuüben, sagt der Theologe Friedrich Schorlemmer. Ich finde, besser lässt es sich nicht ausdrücken, welche Rolle das einst von Luther aufgeweckte Gewissen in Ihrem und in meinem Leben spielen sollte: Beständig zu versuchen, in der Wahrheit, gegen Lügen zu Leben, Wahrhaftigkeit einzuüben, wohlwissend, ich kann schuldig werden, und doch will ich es wagen, wo nötig mit Zivilcourage, weil mich das Evangelium dazu befreit. - 4/6 -

5 Ich möchte Ihnen zum Schluss der Predigt von einem Mann erzählen, der heute Ende 50 ist. Die Kinder sind längst erwachsen. Er und seine Frau sind sogar schon Großeltern. Im Alter von 40 Jahren war dieser Mann wieder in die evangelische Kirche eingetreten. Damals besuchten seine Kinder den Konfirmandenunterricht und er war oft mit seiner evangelischen Frau in die Kirche gekommen und in ihm reifte der Wunsch, wieder in die Kirche einzutreten. Wie das dann so ist, es gab ein Gespräch mit der Pfarrerin und ich fragte ihn: Warum sind Sie denn damals als junger Mann aus der Kirche ausgetreten? Seine Antwort verblüffte mich, weshalb ich sie bis heute nicht vergessen habe: Weil ich in der Kirche immer so ein schlechtes Gewissen gemacht bekam und mir unterstellt wurde, ich sei ein sehr schuldiger Mensch. Aber das war ich doch gar nicht. Ich bemühte mich tagtäglich, mein Leben verantwortungsbewusst zu leben und zu gestalten. Er erzählte dann, dass sein Vater verstarb als er noch Schüler war. Plötzlich standen er und seine Mutter alleine da mit einem Betrieb! Noch vor der Beerdigung des Vaters, fasste der Sohn den Entschluss: Ich werde das schaffen und Abitur machen, studieren und meiner Mutter beistehen. All dies gelang ihm und es verletzte ihn tief, in diesen schweren, traurigen Jahren, als er beständig versuchte, wahrhaftig zu leben, in der Kirche bloß seine große Schuld vorgehalten zu bekommen. Als er später wieder eintrat, war ihm ganz wichtig: Das Zentrale ist doch die Freiheit des Evangeliums, ist doch die Liebe Gottes und die Auferstehungshoffnung. Das Evangelium will doch Menschen, die tatsächlich ein schlechtes Gewissen quält, trösten und entlasten, dass sie wieder froh und unbeschwert ihren Weg gehen können, anstatt ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen! Ja, für uns Evangelische steht die Freiheit des Evangeliums ganz oben. Seit Luther und der sich dann später anschließenden Aufklärung ist das freie Gewissen ein hohes Gut. Das Gewissen ist frei und doch gefangen von dem, von dem es sich leiten lässt. Dem Teufel ich gefangen lag auf der einen Seite und weil ich im Wort von der Freiheit des Evangeliums gefangen bin auf der anderen das sind die Gegensätze. - 5/6 -

6 Letztlich will uns die Botschaft des Evangeliums kein schlechtes Gewissen machen, sondern uns befreien! Für heute und die kommende Zeit, wünsche ich Ihnen allen einen solch fröhlichen Wechsel : Was ich getan hab und gelehrt, das sollst du tun und lehren, damit das Reich Gotts wird gemehrt zu Lob und seinen Ehren; und hüt dich vor der Menschen Satz, davon verdirbt der edle Schatz, das lass ich dir zur Letze. (EG 341, 10) Amen! Pfarrerin Astrid Thies-Lomb Baunsbergstr. 7, Kassel - 6/6 -