Gehirn und Freiheit. Ansgar Beckermann. Abteilung Philosophie. Universität Bielefeld Bielefeld. Nürnberg, Abteilung Philosophie
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- Erna Waltz
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1 Gehirn und Freiheit Ansgar Beckermann Universität Bielefeld Bielefeld Nürnberg,
2 Neurobiologen: Wir sind nicht frei Gerhard Roth Der freie Wille ist eine Illusion. Wolf Singer Unsere ganze Konzeption von Schuld und Strafe ist revisionsbedürftig.
3 Instruktionen Die Libet-Experimente 1. Bewege innerhalb der nächsten fünf Minuten zu irgendeinem Zeitpunkt deine Hand. Entscheide dich frei, wann du die Hand bewegst. 2. Merke dir den Zeitpunkt, an dem du dir der Entscheidung, die Hand zu bewegen, bewusst wirst. Merke dir die Position des Zeigerpunktes der Uhr zu dem Zeitpunkt, an dem du die Absicht, die Hand zu bewegen, zum ersten Mal spürst.
4 Instruktionen Die Libet-Experimente 1. Bewege innerhalb der nächsten fünf Minuten zu irgendeinem Zeitpunkt deine Hand. Entscheide dich frei, wann du die Hand bewegst. 2. Merke dir den Zeitpunkt, an dem du dir der Entscheidung, die Hand zu bewegen, bewusst wirst. Während der ganzen Zeit des Experiments wird über dem Scheitel der VPN ein EEG abgeleitet.
5 Die Libet-Experimente Ergebnis bewusster Wunsch Bewegung ms
6 Die Libet-Experimente Ergebnis Beginn des Bereitschaftspotenzials bewusster Wunsch Bewegung ms ca. 350 ms
7 Konsequenzen Gerhard Roth Der bewusst wahrgenommene Willensakt tritt in der Tat auf, nachdem das Gehirn bereits entschieden hat, welche Bewegung es ausführen wird. (Roth Fühlen, Denken, Handeln 2001, 442 meine Hervorh.) Das heißt Die Libet-Experimente zeigen nach Roth, dass die Handlungen von Menschen nicht durch ihren Willen bestimmt werden und noch weniger durch sie selbst, sondern durch ihr Gehirn. Denn sie zeigen, dass der Willensakt immer zu spät kommt.
8 Konsequenzen Roths Konzeption von Willensfreiheit Eine Handlung kann nur frei sein, wenn sie durch mich, d.h. durch einen immateriellen Willensakt von mir verursacht wird. Die Libet-Experimente zeigen, dass Handlungen immer durch Hirnprozesse und nicht durch immaterielle Willensakte verursacht werden. Also ist keine unserer Handlungen frei.
9 Konsequenzen Konkurrenz zwischen Gehirn und Wille Wille
10 Konsequenzen Konkurrenz zwischen Gehirn und Ich Ich
11 Konsequenzen Konkurrenz zwischen Gehirn und Ich Es gibt eine strikte Trennung von Gehirn und Person bzw. zwischen Gehirn und Ich. Wenn ich etwas entscheide, wird es nicht von meinem Gehirn entschieden. Und wenn mein Gehirn etwas entscheidet, dann wird es nicht von mir entschieden.
12 Konsequenzen Diese Position kann ihre Herkunft aus dem Cartesischen Dualismus nicht verleugnen.
13 Descartes Interaktionistischer Dualismus Hauptthese Jeder Mensch besteht aus einem materiellen Körper und einer immateriellen Seele, die über die Zirbeldrüse kausal aufeinander einwirken können. Zirbeldrüse
14 Descartes Interaktionistischer Dualismus Intentionales Handeln 1. Unser Körper nimmt über die Sinnesorgane Informationen aus der Umwelt auf, die im Gehirn (auf der Zirbeldrüse) zu einem (materiellen) Bild der Umwelt zusammengefügt werden; dieses Bild wirkt auf die Seele ein und lässt sie die Umwelt wahrnehmen. 2. Aufgrund dieser Wahrnehmungen bewertet die Seele die Situation und entscheidet in einem (immateriellen) Willensakt, was zu tun ist. 3. Dieser Willensakt führt im Körper zu einer Bewegung der Zirbeldrüse, durch die die (materiellen) spiritus animales in bestimmte Nerven gelenkt werden; und dies führt letztendlich dazu, dass sich die Glieder so bewegen, wie die Seele will. (Leidenschaften der Seele, Teil 1, Art )
15 Roth Der letzte Punkt dieses Bildes ist falsch. Es mag Willensakte geben; aber sie verursachen niemals die Bewegungen unserer Glieder. Das tut allein das Gehirn. Und genau deshalb gibt es keine Freiheit.
16 These Es gibt keine Cartesische Seele. Und es gibt auch kein Ich so wie dieser Ausdruck von vielen Philosophen gebraucht wird.
17
18 These Ein alternatives Freiheitsbild Freiheit hat nichts mit einem Ich oder immateriellen Willensakten zu tun, die unsere Handlungen steuern. Frei und verantwortlich sind wir, wenn wir über eine Reihe spezifischer Fähigkeiten verfügen.
19 Ein alternatives Freiheitsbild John Locke
20 Ein alternatives Freiheitsbild Willensfreiheit bei Locke Da in uns sehr zahlreiche Unbehaglichkeiten vorhanden sind, [ ] so ist es, wie gesagt, natürlich, daß die stärkste und dringendste von ihnen den Willen zur nächsten Handlung bestimmt. Das geschieht denn auch meist, allerdings nicht immer. Da der Geist, wie die Erfahrung zeigt, in den meisten Fällen die Kraft hat, bei der Verwirklichung und Befriedigung irgendeines Wunsches innezuhalten [ ], so hat er auch die Freiheit, [dessen Objekt] zu betrachten, [es] von allen Seiten zu prüfen und gegen andere abzuwägen. Hierin besteht die Freiheit, die der Mensch besitzt [ ]
21 Ein alternatives Freiheitsbild Willensfreiheit bei Locke [W]ir [haben] die Kraft, die Verfolgung dieses oder jenes Wunsches zu unterbrechen, wie jeder täglich bei sich selbst erproben kann. [ ] [H]ierin scheint das zu bestehen, was man [ ] den freien Willen nennt. Denn während einer solchen Hemmung des Begehrens [ ] haben wir Gelegenheit, das Gute oder Üble an der Handlung, die wir vorhaben, zu prüfen, ins Auge zu fassen und zu beurteilen. [ ] [U]nd es ist kein Mangel, sondern ein Vorzug unserer Natur, wenn wir, entsprechend dem Endergebnis einer ehrlichen Prüfung, begehren, wollen und handeln. (Essay, Buch II, Kapitel 21, 47)
22 Ein alternatives Freiheitsbild Willensfreiheit bei Locke Für Willensfreiheit sind zwei Fähigkeiten zentral die Fähigkeit, vor dem Handeln innezuhalten und zu überlegen die Fähigkeit, dem Ergebnis dieser Überlegung gemäß zu handeln
23 Ein alternatives Freiheitsbild Was spricht für diese Freiheitskonzeption? Klare Fälle von Unfreiheit Unfrei sind zunächst einmal alle, die gefesselt, eingesperrt oder gelähmt sind. Diese Personen sind durch äußere Umstände daran gehindert, zu tun, was sie tun wollen.
24 Ein alternatives Freiheitsbild Was spricht für diese Freiheitskonzeption? Klare Fälle von Unfreiheit Unfrei sind aber auch Suchtkranke, Phobiker und Menschen, die an Zwangsneurosen leiden. Dabei können etwa Drogensüchtige durchaus tun, was sie wollen; sie können Drogen nehmen, wenn sie das wollen (jedenfalls soll das hier vorausgesetzt werden), und sie können auch keine Drogen nehmen, wenn sie das nicht wollen.
25 Ein alternatives Freiheitsbild Was spricht für diese Freiheitskonzeption? Klare Fälle von Unfreiheit Unfrei sind aber auch Suchtkranke, Phobiker und Menschen, die an Zwangsneurosen leiden. Aber sie sind in ihrem Willen, in ihren Entscheidungen unfrei. Ihr Wille führt gewissermaßen ein Eigenleben. Auch wenn sie sich anders entscheiden möchten, wird sich ihr Wunsch, Drogen zu nehmen, durchsetzen. Der Drogensüchtige ist nicht Herr seiner Wünsche, nicht Herr seines Willens.
26 Ein alternatives Freiheitsbild Was spricht für diese Freiheitskonzeption? Für Lockes Freiheitskonzeption spricht, dass sie besonders das Problem der Suchtkranken, Phobiker und Zwangsneurotiker erklärt.
27 Ein alternatives Freiheitsbild Was spricht für diese Freiheitskonzeption? Was dem Drogensüchtigen fehlt Aber Möglicherweise kann der Drogensüchtige überlegen, ob die Einnahme von Drogen wirklich das ist, was er tun sollte. Selbst wenn er bei dieser Überlegung zu dem Schluss kommen sollte, dass sein Drogenkonsum ihn ruinieren wird und dass er deshalb besser keine Drogen nehmen sollte, ihm fehlt die Fähigkeit, dem Ergebnis seiner Überlegung gemäß zu handeln.
28 Ein alternatives Freiheitsbild Was spricht für diese Freiheitskonzeption? Strafgesetzbuch 20 Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
29 Ein alternatives Freiheitsbild Was spricht für diese Freiheitskonzeption? Ebenfalls zwei Fähigkeiten Die Fähigkeit, das Unrecht des eigenen Handelns einzusehen, und die Fähigkeit, dieser Einsicht gemäß zu handeln. Impulskontrolle Einsichtsfähigkeit Steuerungsfähigkeit
30 Was hat das mit dem Gehirn zu tun? These Alle auch die für Verantwortlichkeit erforderlichen Fähigkeiten haben eine neuronale Grundlage. Hauptindiz Gehirn und Freiheit Wir verlieren diese Fähigkeiten, wenn die zugrunde liegenden neuronalen Strukturen geschädigt werden.
31 Gehirn und Freiheit Die Folgen von Schlaganfällen Halbseitenlähmung Sprachprobleme halbseitiger Gesichtsfeldausfall verlangsamte Informationsverarbeitung Apraxie (Störung zusammengesetzter Bewegungsabläufe) Verlangsamung oder Zwanghaftigkeit Neglect (Vernachlässigung der gegenüberliegenden Körperseite) Gedächtnisprobleme gestörtes abstraktes Denken schlechtes Urteilsvermögen, Neigung zu Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit räumliche und zeitliche Orientierungsstörung
32 Gehirn und Freiheit Der Fall Phineas Gage (1848) Bei einem Unfall durchbohrte eine Eisenstange das Gehirn von Phineas Gage. Eintrittsstelle: unter der linken Augenhöhle, Verlauf hinter dem linken Auge nach ventro-medial des präfrontalen Kortex.
33 Gehirn und Freiheit Der Fall Phineas Gage (1848) Prof. B. Dahme, Christina Bardong
34 Gehirn und Freiheit Der Fall Phineas Gage (1848) Folgen Persönlichkeitsveränderung Unfähigkeit, zukünftige Ereignisse angemessen zu planen Mangelnde Fähigkeit zur Anpassung an Situationen, die nicht mit Routinehandlungen bewältigt werden können Gestörte Impulskontrolle Nichtbeachtung von (gesellschaftlichen) Regeln Unbeeinträchtigt logisches Denken, Sprache, Motorik Prof. B. Dahme, Christina Bardong
35 Der Fall Phineas Gage (1848) Damasio Gehirn und Freiheit [...] die selektiven Schädigungen in den präfrontalen Rindenabschnitten von Phineas Gages Gehirn [waren] schuld daran [...], dass er weitgehend die Fähigkeit verloren hatte, seine Zukunft zu planen, sich nach den sozialen Regeln zu richten, die er einst gelernt hatte, und die Handlungsabläufe zu wählen, die letztlich für sein Überleben am günstigsten waren. (Descartes Irrtum, 63)
36 Gehirn und Freiheit Der Fall Phineas Gage (1848) Der präfrontale Cortex empfängt die verarbeiteten sensorischen Signale, integriert sie mit Gedächtnisinhalten und aus dem limbischen System stammenden emotionalen Bewertungen und initiiert auf dieser Basis Handlungen. Er wird als oberstes Kontrollzentrum für eine situationsangemessene Handlungssteuerung angesehen und ist gleichzeitig intensiv an der Regulation emotionaler Prozesse beteiligt. Deshalb wird er auch als Supervisory Attentional System (SAS) bezeichnet. (Wikipedia)
37 Gehirn und Freiheit Konsequenz Offenbar beruhen die Fähigkeit zur Impulskontrolle die Fähigkeit vor dem Handeln innezuhalten und zu überlegen und die Steuerungsfähigkeit die Fähigkeit, dem Ergebnis dieser Überlegung gemäß zu handeln auf neuronalen Strukturen, die im präfrontalen Kortex lokalisiert sind.
38 Fazit Cartesische Freiheit Eine Handlung ist frei, wenn sie durch einen seelischen Willensakt verursacht wurde, der selbst nur auf mich und nicht auf andere Ereignisse zurückgeht. Lockesche Freiheit Eine Handlung ist frei, wenn ich über die für Freiheit notwendigen Fähigkeiten verfüge.
39 Fazit Für wohlverstandene Verantwortlichkeit benötigen wir kein Ich, das kausal unsere Körperbewegungen hervorruft. Für Verantwortlichkeit benötigen wir nur die normalen mentalen Fähigkeiten, über die jeder Erwachsene in der Regel verfügt. Das heißt: Für Verantwortlichkeit benötigen wir kein Ich und keine kausal wirksamen immateriellen Willensakte, sondern ein intaktes Gehirn und insbesondere einen intakten präfrontalen Kortex.
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