9. AUFFÄLLIGES VERHALTEN
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- Hanna Günther
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1 9. AUFFÄLLIGES VERHALTEN I. Problem Auffälliges Verhalten wird dann als Problemverhalten bezeichnet, wenn es für die Bewohnerin, Mitbewohnerinnen, Angehörigen oder das Betreuungspersonal problematisch ist. Ob ein Verhalten von einer dieser Gruppen als problematisch eingestuft wird, hängt davon ab - wie die Situation subjektiv wahrgenommen wird, - welche Regeln oder Normen (ausgesprochene und unausgesprochene) das Umfeld für Verhalten vorgibt. Verhaltensstörungen sind oft mit anderen Problemen verbunden: Viele Bewohnerinnen haben auch kognitive Einschränkungen und Probleme mit der Stimmungslage. II. Auslösepunkte Die Verhaltensursachen sollten abgeklärt werden, wenn eines oder mehrere der folgenden Zeichen vorhanden ist: Umherirren...E4aA=1,2,3 Verbale Aggressivität...E4bA=1,2,3 Körperliche Aggressivität... E4cA=1,2,3 Sozial unangemessenes Verhalten...E4dA=1,2,3 Widersetzt sich der Behandlung/ Pflege...E4eA=1,2,3 Verschlechterung der Verhaltensauffälligkeit in den letzten 90 Tagen:... E5=2 alltagsrelevante Wahnvorstellungen... J1e= alltagsrelevante Halluzinationen... J1i= III. Richtlinien Ursachen von Verhaltensproblemen - innere Faktoren akute Erkrankungen Verschlechterung einer chronischen Erkrankung neurologische Erkrankungen wie z.b. Parkinson, Multiple Sklerose akute Verwirrtheit, Delir Demenz Wahnvorstellung, Halluzinationen, Depression, Psychosen sensorische Verluste wie Seh- und Höreinschränkungen Dehydratation - äussere Faktoren Heimeintritt, Verluste Psychopharmaka Änderung einer Medikation Umgebungsfaktoren (Geräusche, Abläufe, Beziehungen usw.) freiheitsbeschränkende Massnahmen Die Ursachen zu erkennen ist unerlässlich, denn sie können möglicherweise angegangen werden. Ausserdem ist es sehr wichtig, zwischen Ursachen und Folgen zu unterscheiden. Bei Bewohnerinnen mit fortschreitenden Formen von Demenzerkrankungen dauern die Verhaltensprobleme trotz guter Betreuung und Behandlung oft an. Das ist oft für die Bewohnerin und ihre Umgebung sehr belastend. Es geht dann darum, die Situation für alle Beteiligten erträglich zu gestalten. Sekretariat: St. Leonhard_Str St. Gallen Telefon Fax info@qsys.ch Internet:
2 Erleben / Bedeutung und Folge-Phänomene für Bewohnerin, Mitbewohnerinnen, Angehörige und Betreuungspersonal Verhalten ist immer eine soziale Aktivität und darf deshalb nicht isoliert aus dem Blickwinkel der Bewohnerin, sondern muss im Zusammenspiel aller Beteiligten angesehen werden. Herauszufinden, wie und wie unterschiedlich die beteiligten Gruppen die Situation erleben und was sie für sie bedeutet, ist Grundvoraussetzung, um die Situation zu verstehen und um Lösungsansätze zu erarbeiten. Dazu dienen die beiden folgenden Checklisten. Sie sollen zwar einzeln erfasst werden, aber für das Verstehen der Situation dürfen sie nur kombiniert verwendet werden. Über Beobachtung und Befragung werden das Erleben und die Phänomene der vier Gruppen festgestellt. Sind sie auf der Checkliste bei der jeweiligen Gruppe vorhanden, so werden sie mit Marker gekennzeichnet, fehlen sie, so werden sie in den Leerfeldern eingetragen. Checkliste Erleben und Bedeutung 1 Bewohnerin Mitbewohnerinnen Angehörige Betreuungspersonal Angst Angst Angst Angst Unsicherheit Unsicherheit Unsicherheit Unsicherheit Hilflosigkeit Hilflosigkeit Hilflosigkeit Hilflosigkeit Wut Wut Wut Trauer, Leid, Kummememer Trauer, Leid, Kum- Trauer, Leid, Kum- Trauer, Kummer Bedrohung Bedrohung Bedrohung Bedrohung Nicht respektiert wer- Nicht respektiert wer- Nicht respektiert wer- den Verlust (Gewohnheiten, Selbstbestimmung, Gesundheit, Sexualität) den Verlust (Freiheit, Sicherheit) Verlust den Verlust der Kontrolle Macht Macht Macht Macht Befriedigung Befriedigung Befriedigung Ohnmacht Ohnmacht Ohnmacht Ohnmacht Rache Rache Rache Schlechtes Gewissen Schlechtes Gewissen Schlechtes Gewissen Schlechtes Gewissen Resignation Resignation Resignation Resignation Scham Scham Scham Überforderung Überforderung Überforderung Insuffizienzgefühle Insuffizienzgefühle Bestrafung 1 Diese Checkliste ist als Arbeitsunterlage auf der Website der Q-Sys im Passwort-geschützten Bereich der Kantone abrufbar.
3 Checkliste Phänomene 2 Bewohnerin Mitbewohnerinnen Angehörige Betreuungspersonal Umherirren generell oder in bestimmten Situationen Verbale Aggression generell oder in bestimmten Situationen Körperliche Aggression Sozial unangemessenes Verhalten Widersetzt sich der Behandlung / Pflege Kann sich nicht verständlich machen Kann andere nicht Ziehen sich zurück Rückzug Zieht sich zurück Verbale Aggression Verbale Aggression Verbale Aggression, Verbale Herabsetzung, Diskriminierung Körperliche Aggressiosiosion Körperliche Aggres- Körperliche Aggres- Reklamationen Reklamationen Distanzierung / Verweigerung Physische Erschöpfunheiwohnerin Vermehrte Anwesen- Ablehnung der Be- Depressionssymptome Entschuldigungen Vermehrte Absenzen Schlaflosigkeit Beschuldigungen Burn-out-Syndrom verstehen Seheinschränkung Angstreaktionen Drohen mit Kündigung Höreinschränkung Verlegungswunsch Verlegungswunsch Toleriert grössere Gruppen nicht Akzeptiert Tagesablauf nicht Akzeptiert aktuelle Rolle nicht Spielt mit den Beteiligten Abklärungswunsch Abklärungswunsch Prozess zur Abklärung der Situation Wie bei allen Interventionen muss der erste Schritt eine sorgfältige Analyse der Situation sein. Erst in einem zweiten Schritt kann mit den so gewonnenen Informationen festgestellt werden, für wen das Verhalten eigentlich ein Problem darstellt, um dann in einem dritten Schritt festzulegen, ob Interventionen zur Stabilisierung, zur Veränderung oder zum Aushalten der Situation erarbeitet werden sollen. Definieren Sie das zur Diskussion stehende Verhalten. (Auswertung Checklisten). Beobachten Sie vor allem die Intensität, die Dauer, die Frequenz des Verhaltens in den letzten 7 und 14 Tagen. Hat sich das Verhalten in dieser Zeit verändert? Ergibt die Beobachtung ein Verhaltensmuster (Tageszeit, Umgebung, Beschäftigung der Bewohnerin oder Tätigkeiten anderer Personen)? Wie hat sich das Verhalten über die Zeit entwickelt? Zeigte sich das Problemverhalten schon früher während des Aufenthaltes im Heim oder in anderen Lebenssituationen? Haben äussere oder innere Faktoren die Situation ausgelöst? Anzeichen für Stimmungsprobleme Hat die Bewohnerin, ein ungelöstes Stimmungsproblem. 2 Diese Checkliste ist als Arbeitsunterlage auf der Website der Q-Sys im Passwort-geschützten Bereich der Kantone abrufbar.
4 Durchlebt die Bewohnerin eine Periode der Frustration, weil sie sich zum Beispiel von ihrer Familie ausgestossen fühlt? Könnte dies die Ursache der Beschimpfungen des Pflegepersonals sein? Anzeichen für Beziehungsprobleme Wird das Problemverhalten durch die Gegenwart oder Abwesenheit von bestimmten Personen ausgelöst? Ist das Problemverhalten dadurch ausgelöst worden, dass die Bewohnerin die Absicht oder die Motive einer Handlung anderer Personen verkannt hat? Ist der Verlust einer Bezugsperson, ein personeller Wechsel, die Verlegung der Bewohnerin innerhalb des Heims oder eine neue Zimmernachbarin, mit der sie sich nicht versteht, die Ursache des Problemverhaltens? Umgebungsfaktoren Sind die Betreuungspersonen wirklich offen genug und auch ansprechbar? Erkennen sie die verursachenden Faktoren und Warnzeichen, die dem Problemverhalten der Bewohnerinnen vorausgehen? Ermöglichen die Betreuungspersonen der Bewohnerin ihre vertrauten und im Rahmen des Heims möglichen Alltagsaktivitäten, Abläufe und Gewohnheiten? Beeinflussen Geräusche, die Lichtverhältnisse oder Menschenansammlungen das Verhalten der Bewohnerin? Ist die Bewohnerin physischer oder psychischer Aggression anderer Bewohnerinnen ausgesetzt? andere Faktoren Stehen körperliche Ursachen mit dem Auftreten der Verhaltensstörung in einem zeitlichen Zusammenhang (z.b. Schmerz oder Unwohlsein infolge Arthrose, Obstipation, Kopfschmerzen)? Steht das Verhalten mit einer akuten Erkrankung in Zusammenhang, z.b. Infektionen, Fieber, Halluzinationen/Wahnvorstellungen, Schlafentzug, Stürze, Mangelernährung, Gewichtsverlust, Dehydratation, Elektrolytstörungen, Hypotonie? Könnte das Verhalten mit der Verschlechterung einer chronischen Erkrankung in Zusammenhang stehen, z.b. Herzinsuffizienz, Diabetes mellitus, Psychosen, dementielle Erkrankungen? Können Seh- und Hörstörungen sowie andere sensorische Beeinträchtigungen (z.b. Juckreiz) die Ursache des Verhaltens sein? Bewohnerinnen, die unfähig sind ihre Bedürfnisse zu äussern oder andere zu verstehen, zeigen oft Verhaltensprobleme. Auswirkungen der Verhaltensprobleme Im Hinblick auf eventuell notwendige Interventionen ist es wichtig zu verstehen, welche Verhaltensprobleme die Bewohnerin selbst oder andere gefährden können. Diese Kenntnis ist auch eine Garantie dafür, dass einschränkende Massnahmen und Psychopharmaka nicht einfach zum Zweck eingesetzt werden, die Bewohnerinnen zur 'Normalität' zu bringen. Ist das Verhalten für die Bewohnerin gefährlich (Selbstgefährdung)? Ist das Verhalten für andere gefährlich (Fremdgefährdung)? Wenn ja, in welcher Art ist es für sie oder für andere gefährdend? Ist ein Zusammenhang zwischen dem Verhaltensproblem und den Tagesschwankungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens erkennbar? Wenn ja, welcher? Führt das Verhaltensproblem zu Pflege- oder Behandlungsverweigerung? Führt das Verhaltensproblem zu Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Bewohnerinnen?
5 Ablaufschema zur Interventionsplanung Die konkreten individuellen Interventionen sind sehr unterschiedlich, weil sie sich nicht nur nach der speziellen Situation der Bewohnerin richten, sondern auch nach der speziellen Situation des Heims (Mitbewohnerinnen, Angehörige, Personal, Strukturen). 1. Festlegen, ob ein Interventionskatalog mit dem Ziel, das Verhalten zu verstehen, auszuhalten, zu stabilisieren oder zu verändern, erstellt werden soll. 2. Gemeinsames (interdisziplinäres) Entwickeln und Festlegen der Strategien. Diese müssen auf der Abklärung der Situation und auf den Möglichkeiten der einzelnen Pflegenden und Betreuenden basieren. 3. Schriftliches Festhalten von Ausgangslage, Zielen, Ressourcen und Interventionen (z.b. im Sinne von MDS-Punkt P2d). 4. Orientierung aller Beteiligten über das Vorgehen. 5. Festlegen des Vorgehens, wenn das Verhalten für eine der beteiligten Gruppen nicht mehr auszuhalten ist. 6. Evaluationsdatum festlegen. Zu beachten Voraussetzung für das Gelingen ist die Bereitschaft aller Betreuungspersonen, sich immer wieder mit der belastenden Situation auseinander zu setzen, Hilfe in Anspruch zu nehmen und eine hohe Kommunikationsfähigkeit im interdisziplinären Team. Verhaltensprogramme sind in der Praxis oft schwer umzusetzen und bergen die Gefahr von Teamkonflikten, wenn einzelne Mitarbeiter die Grenzen von sich aus erweitern.
6 IV. Übersicht: Auffälliges Verhalten Auslösepunkte Die Verhaltensursachen sollten abgeklärt werden, wenn eines oder mehrere der folgenden Zeichen vorhanden ist: Umherirren...E4aA=1,2,3 Verbale Aggressivität...E4bA=1,2,3 Körperliche Aggressivität... E4cA=1,2,3 Sozial unangemessenes Verhalten...E4dA=1,2,3 Widersetzt sich der Behandlung/Pflege...E4eA=1,2,3 Verschlechterung der Verhaltensauffälligkeit in den letzten 90 Tagen:... E5=2 alltagsrelevante Wahnvorstellungen... J1e= alltagsrelevante Halluzinationen... J1i= Richtlinien Ursachen von Verhaltensproblemen Innere Faktoren Delirium... B5 Demenz vom Alzheimer-Typ I1q Folgen eines Hirnschlages... C4, C6; I1r, I1v Äussere Faktoren Psychopharmaka... O4a-d Freiheitsbeschränkende Massnahmen P4 Erleben/Bedeutung und Folgephänomene Checkliste Erleben und Bedeutung Checkliste Phänomene Prozess zur Abklärung Stimmungs- und/oder der Beziehungsprobleme Traurige oder ängstliche Stimmungslage... E1 Beziehungen... F2 psychiatrische Erkrankung... I1dd-gg Umgebungsfaktoren Änderung von Alltagsroutinen... F3c Reaktionen von Seiten des Teams, schwierige Umstände, aggressive Bewohnerin Gesundheitsprobleme Verstopfung... H2b Fieber... J1h Schmerzen... J2 Sensorische Beeinträchtigungen Hörprobleme... C1 Sehprobleme... D1,2 Auswirkungen des Verhaltensproblems Selbst-/Fremdgefährdung Tageschwankungen in ADL-Aktivitäten... G8d Interventionsplanung Ablaufschema Spezielle Massnahmen zur Beeinflussung des Verhaltens P2d
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