H U M B O L D T - U N I V E R S I T Ä T Z U B E R L I N
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- Sabine Frei
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1 H U M B O L D T - U N I V E R S I T Ä T Z U B E R L I N JURISTISCHE FAKULTÄT Übersichten erstellt von:, studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches, Europäisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht Prof. Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL.M. Verwendete Literatur: - Grundmann, European Company Law, Antwerpen - Oxford Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage München Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Heidelberg Hinweis: Die nachfolgende Übersicht zur Vorlesung Europäisches Gesellschaftsrecht von Prof. Dr. Dr. Stefan Grundmann LL.M. wurde von einem studentischen Mitarbeiter des Lehrstuhls erstellt und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und ausnahmslose Richtigkeit. Diese Übersicht versteht sich lediglich als Leitfaden; sie soll Gang und Inhalt der jeweiligen Veranstaltung nachzeichnen und insofern als Hilfestellung dienen. Haben Sie einen Fehler entdeckt? Hinweise auf Fehler und Verbesserungsvorschläge erbitte ich an folgende Adresse: sebastian.uhlig@rewi.hu-berlin.de Vielen Dank! 1
2 Niederlassungsfreiheit 1 (Antworten zu Frage 2 der VL) (1) Kraus-Entscheidung 2 : der Vier Kriterien-Test 3 - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Niederlassungsfreiheit entwickelt - Nationale Vorschriften dürfen nicht die Niederlassungsfreiheit aus Artt. 43, 48 EG verletzen - Es sei denn, sie lassen sich rechtfertigen und sind nicht diskriminierend Verhältnismäßigkeitsformel: Zur Rechtfertigung nationaler Schutzvorschriften I. Diskriminierungsfreie Beschränkung der Niederlassungsfreiheit (Artt. 43, 48 EG) durch nationale Vorschriften, II. III. IV. wenn dies aus zwingenden Gründe des Allgemeinwohls geboten ist, zwingende Gründe des Allgemeinwohls = Schutz der Interessen von: o Gläubigern o Minderheitsgesellschaftern o Arbeitnehmern (in punkto Mitbestimmung) o des Fiskus (Steuereinzug) die nationalen Vorschriften geeignet sind das verfolgte Ziel zu erreichen und nicht über das erforderliche Maß hinausreichen. (2) Gebhardt-Entscheidung 4 - Bestätigung der o.g. Verhältnismäßigkeitsformel ( Vier-Kriterien-Test ) - Bedenken hinsichtlich nationaler Regelungen nationales Gesellschaftsrecht stünde unter enormen Druck, denn gerade die Schutzvorschriften haben per definitionem beschränkenden Charakter für Gesellschaften und Gesellschafter damit stünden nationale gesellschaftsrechtliche Schutzvorschriften nach der o.g. Formel unter besonderem Rechtfertigungszwang (jedenfalls soweit sie noch unharmonisierte Bereiche betreffen und über das hinausgehen, was von RL geregelt wird 5 ) - Frage, die sich nun stellt: Unterliegen inländisch agierende Gesellschaften (ausländischen Rechts), die ihren Sitz unter Identitätswahrung von einem in einen anderen Mitgliedsstaat verlegt haben oder eine inländische Zweigniederlassung gegründet haben, ebenso, wie inländisch agierende und inländisch gegründete Heimatgesellschaften, den Schutzvorschriften des jeweiligen nationalen Gesellschaftsrechts? Ausführliche Darstellung des Prozesses, vgl. insbesondere Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage München 2006, 3 Rn. 4. EuGH, Rs. C-19/92, Slg. 1993, I-1663, Terminologie aus Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage München 2006, 3 Rn. 4. EuGH, Rs. C-55/94, Slg. 1995, I-4165, Habersack, a.a.o. 2
3 (3) Keck-Entscheidung 6 - Keck-Rspr. im Bereich der Warenverkehrsfreiheit - Mit Differenzierung nach Marktzugang und Verkaufsmodalitäten 7 Frage: Ist diese Differenzierung entsprechend anwendbar auch auf Grundfreiheiten, insbes. auf die Niederlassungsfreiheit gem. Artt. 43, 48 EG? - Nach überwiegender Meinung wird diese Frage bejaht, obwohl es Verkaufsmodalitäten eher nur in Kapitalmarktrecht geben kann - Folge: Der befürchtete allumfassende Rechtfertigungszwang für beschränkende nationale gesellschaftsrechtliche Schutzvorschriften besteht nur dort, wo es um den Marktzugang (bzw. den diskriminierungsfreien 8 Marktzugang) geht. Soweit nationales Gesellschaftsrecht die Ausübung des Gewerbes durch Gesellschaften betrifft, die sich in einem ausländischen Staat bereits niedergelassen haben, gilt gleiches Recht für alle inländische und ausländische Gesellschaften. 9 Das gilt für zwingende, nicht diskriminierende Vorschriften bspw. des: - Gewerberechts - Arbeitsrechts - Wettbewerbsrecht (die wohl ohnehin nicht in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit fallen 10 ) (4) Daily Mail 11 : Wegzugsbeschränkungen 12 (Englische Holding, die aus steuerlichen Erwägungen eine Sitzverlegung in die Niederlande anstrengte, aber von den englischen Treasury Departments kein grünes Licht bekam.) - Grundsatzentscheidung des EuGH - Danach sind nationale Wegzugsbeschränkungen zulässig - Folge: Erhebliche Beschränkung der in Artt. 43, 48 EG garantierten Niederlassungsfreiheit - EuGH führt aus 13 : o Voraussetzung für Sitzverlegung sei Liquidierung des Gesellschaft mit allen Folgen o Zur Identitätswahrende Sitzverlegung sei ein entsprechend Art. 293 EG geschlossenes Abkommen zwischen den betroffen Staaten erforderlich o Fazit: [...] beim derzeitige Stand des Gemeinschaftsrechts [kann] einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet ist und in diesem ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nicht das Recht gewähr[t] [werden], den Sitz ihrer Geschäftsleitung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen EuGH, Rs. C-268/91, Slg. 1993, I-6097, Terminologie aus Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage München 2006, 3 Rn. 6. Vgl. zu Diskriminierungsmöglichkeiten, Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 6 Rn.185 ff. Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage München 2006, 3 Rn. 7 f. Vgl. Habersack, a.a. O. EuGH Rs. C-81/87, Slg. 1988, 5483 ff. Bis zur erwarteten Entscheidung des EuGH in Sachen Cartesio, ist Daily Mail die bisher maßgebende Rspr. des Gerichtshofes bzgl. Wegzugsbeschränkungen und wurde insofern auch (noch) nicht aufgegeben. Die übrigen Urteile wie Centros, Überseering, Inspire Art, SEVIC, etc. betreffen ausschließlich die Zuzugsbeschränkungen. EuGH Rs. C-81/87, Slg. 1988, 5505, 5511 f. 3
4 - Hinweis: Zwar statuieren Artt. 43, 48 EG das Recht auf Niederlassungsfreiheit innerhalb der Mitgliedstaaten, doch gilt das nach der Daily Mail-Entscheidung nur für Gesellschafter, nicht jedoch auch für Gesellschaften 14! (vgl. aber spätere Rspr., die das erheblich modifiziert) - Insofern liefert diese Entscheidung eine Übereinstimmung mit der Sitztheorie (Kritikern verweisen jedoch darauf, dass dies nicht gänzlich Geltung beanspruchen kann 15, sondern bisweilen lediglich im steuerrechtlichen Bereich platzgreife.) (5) Centros 16 : Zuzugsbeschränkungen 17 (Englische Ltd, die vom dänischen Ehepaar Bryde gegründet und ohne vorherige Geschäftstätigkeit im Gründungsstaat (England) nun eine Zweigniederlassung in Dänemark unter Umgehung der nationalen Vorschriften zum Mindestkapital usw. errichten wollte.) - Grundsatzentscheidung des EuGH - Danach sind nationale Zuzugsbeschränkungen unzulässig - Folge: Hat Centros die Vereinbarkeit der Art. 43, 48 EG mit der Sitztheorie in Frage gestellt? - EuGH führt aus 18 : o Gläubigerschutz dadurch gewährleistet, dass jeder erkennen kann, dass es sich bei Centros um eine engl. Ltd. und nicht um eine dänische Gesellschaft (mit Grundkapital als Garantiesumme) handelt o Gründung einer Zweigniederlassung auch ohne vorherige Geschäftstätigkeit im Gründungsstaat zulässig o Insgesamt sei es zulässig eine Gesellschaft im einen Mitgliedstaat zu gründen in der Absicht gar nicht dort, sondern überhaupt nur in einem anderen Mitgliedstaat eine Geschäftstätigkeit zu entfalten (Grenze ist freilich der Missbrauch) o den dänischen Behörden stünden im Übrigen mildere Mittel zur Verfügung (6) Überseering 19 : Vorlagefrage des VII. BGH-Zivilsenats zur Sitztheorie (Berührt war die Frage danach, ob eine ausländische Gesellschaft in Deutschland als rechts- und parteifähig anerkannt werden muss, um die verbürgte Niederlassungsfreiheit aus den Artt. 43, 48 EG zu gewährleisten bzw. ob die Beurteilung nach deutschem Recht oder nach dem Recht des Gründungsstaates zu erfolgen habe.) - Gerichtshof vermied eine explizite Festlegung auf die Sitz- oder die Gründungstheorie (vgl. insbesondere den Schlussantrag von Generalanwalt Colomer 20 ) - EuGH führt aus: o Betont wird jedenfalls, dass die Niederlassungsfreiheit betroffen sei (Zuzugsbeschränkungen) o Eine verweigerte Anerkennung der Rechtsfähigkeit komme der fast totalen Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gleich und ist deswegen unzulässig o diesbzgl. können auch die o.g. zwingenden Gründe für Gemeininteressen nicht als Rechtfertigung dienen o im Ergebnis jedenfalls teils Gründungstheorie Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage München 2006, 3 Rn. 12. Teichmann, ZIP 2006, 355, 357 ff. EuGH Rs. C-212/97, Slg. 1999, I Vgl. Anmerkungen zur unterschiedlichen Rspr. bei Zu- und Wegzugsbeschränkungen oben Fn. 11. EuGH (Fn. 15). EuGH Rs. C-208/00, Slg. 2002, I Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 3. Auflage München 2006, 3 Rn. 16 f. 4
5 (7) Inspire Art 21 : Vorlagefrage des Kantongerecht Amsterdam (Englische Ltd. wollte Zweigniederlassung in den Niederlanden errichten. Die niederländische Handelskammer verwies darauf, dass in diesem Fall die Ltd. die Bezeichnung formal ausländische Gesellschaft führen müsse.) - Gerichtshof bejahte einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit und Zweigniederlassungs-RL - EuGH führt aus: o Verweis auf bereits erfolgte Rspr. o Die Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich auf die durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen (...) Folgen dieser Entwicklung und Ergebnis - Sitztheorie wird überwiegend als obsolet angesehen - Gründungstatuten ausländischer Gesellschaften müssen bei Zuzug anerkannt werden - Dies gilt auch bei ausschließlicher Tätigkeit im Zuzugsstaat (unter Umgehung der möglicherweise schärferen Gründungsbestimmungen 22 ) - Gläubiger sind weiterhin ausreichend geschützt, denn: o Sie können ganz einfach erkennen, dass es sich um eine ausländische Gesellschaft handelt, die möglicherweise anderen Gründungsvorschriften (insbesondere in punkto Mindestkapital und Haftungsbeschränkungen) unterliegt o Entsprechende RL gewährleisten Transparenz so bspw. hinsichtlich der Jahresabschlüsse, Offenlegung der Satzung usw. o Vertragsgläubiger müssen sich eben selbst informieren (vgl. dazu das Konzept des Informationsmodells 23 ) - Am 16. Dezember 2008 entschied der EuGH in Sachen Cartesio: [...] der Gerichtshof (Große Kammer) hat für Recht erkannt: (...) 4. Die Art. 43 EG und 48 EG sind beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts dahin auszulegen, dass sie Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die es einer nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen und dabei ihre Eigenschaft als Gesellschaft des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, nach dessen Recht sie gegründet wurde, zu behalten EuGH Rs. C-167/01, Slg. 2003, I Vgl. Kritik zu diesen Ansätzen bei Kindler in: Münchner Kommentar, Band 11, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn Grundmann, ZIP 2004, 2401, 2406 ff. 5
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