Kapitel 1. Grundlagen. 1.1 Statik und Dynamik des Bewegungsapparats 20 S. Gravius. 1.2 Wachstum und Entwicklung 22 S. Gravius
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- Erica Kappel
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2 Kapitel 1 Grundlagen 1.1 Statik und Dynamik des Bewegungsapparats Wachstum und Entwicklung Funktionelle Anpassung und Geweberegeneration Wund- und Frakturheilung 31 B.F. El-Zayat 1.5 Alterung und Degeneration Perioperatives Management Schmerztherapie 49 C. Kill, H. Wulf 1.8 Rehabilitation am Bewegungsapparat 52 A. Seuser 1.9 Intensivmedizin 73 C. Waydhas
3 1.1 Statik und Dynamik des Bewegungsapparats 1 Grundlagen 1.1 Statik und Dynamik des Bewegungsapparats Die Haltungs- und Bewegungsorgane des Menschen gliedern sich in ein passives und aktives Bewegungsorgan: passives Bewegungsorgan: Knochengerüst und Knochenverbindungen, im Einzelnen Binde-, Knorpel- und Knochengewebe aktives Bewegungsorgan: Skelettmuskulatur (quergestreiftes Muskelgewebe) Bindegewebe Bindegewebe kommt in verschiedenen Erscheinungsformen vor und macht etwa 15 % des Körpergewichts aus. Entstehung aus undifferenzierten mesenchymalen Zellen Aufbau aus ortsständigen (Fibroblasten/-zyten, Chondroblasten/-zyten, Osteoblasten/-zyten) und freien Zellen (Leuko-/Lymphozyten, Makrophagen, Osteoklasten [Zellen der Immunabwehr]) retikuläres Bindegewebe: Grundlage verschiedener Gewebe, v. a. Grundlage lymphatischer Organe lockeres Bindegewebe: verformbares Füllgewebe in funktionell freien Räumen; bildet Grenzschichten zu Muskeln und Organen (Faszien) straffes Bindegewebe: Aufbau aus dicht gepackten kollagenen Fasern, bestehend aus Tropokollagenmolekülen (Kollagen Typ I) Bestandteil von Muskelsehnen, Gelenkbändern u. a Knorpelgewebe Knorpelgewebe besteht aus Chondroblasten und der von Chondroblasten gebildeten extrazellulären Matrix. Erlischt die Synthesefunktion der Chondroblasten, so werden diese als Chondrozyten bezeichnet. Die extrazelluläre Matrix besteht aus: geformten Komponenten (kollagene und elastische Fasern) ungeformten Komponenten (Wasser, Proteoglykane und Hyaluronsäure) Proteoglykane sind polyanionisch und ziehen Natriumkationen an, welche wiederum Wasser binden. Durch wasserbindende Moleküle und deren Einbindung in ein straffes dreidimensionales Geflecht aus kollagenen Fasern resultiert die hohe Druckfestigkeit bei dynamischer Belastung. Dem Quellungsdruck der ungeformten Matrix steht die Zugfestigkeit der geformten Matrix gegenüber dadurch entsteht ein pralles, festes Gewebe, das einen hydrostatischen Kraftfluss erlaubt. Merke Ausdifferenzierter Knorpel ist gefäß- und nervenfrei; der Stoffwechsel erfolgt über Diffusion vom gefäßhaltigen Perichondrium (= Knorpelhaut) oder beim Gelenkknorpel von der Gelenkflüssigkeit (= Synovia). Hyaliner Knorpel. hohe Druckfestigkeit, Vorkommen in Arealen mit hohen Druckbelastungen (u. a. Gelenkflächen, Epiphysenfugen und im knorpelig präformierten Skelett) Gefäßarmut begünstigt zusammen mit hohen mechanischen Belastungen degenerative Prozesse Aufgrund des fehlenden Perichondriums und damit der mesenchymalen Zellen, die sich zu Chondroblasten differenzieren können, besitzt der hyaline Knorpel kaum Regenerationspotenzial ( Abb. 1.1) Faserknorpel. Synonym: Bindegewebeknorpel enthält wenige Zellen und besteht überwiegend aus Kollagenfibrillen (v. a. Kollagen Typ I), besitzt kein Perichondrium Vorkommen überwiegend in Arealen hoher Scherbelastungen (u. a. Anulus fibrosus, Symphyse, Labrum acetabulare/glenoidale, Menisken) 20
4 1.1.4 Quergestreifte Muskulatur Chondrozyt Hyaluronsäure Chondroitinsulfat kollagene Faser Abb. 1.1 Aufbau der Matrix des hyalinen Knorpelgewebes (aus: Wirth CJ, Mutschler W. Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie. Stuttgart: Thieme; 2008). Elastischer Knorpel. zellreichstes Knorpelgewebe (hoher Anteil elastischer Fasern in der extrazellulären Matrix) hohe Druck- und Biegeelastizität Vorkommen u. a. in den Bronchien Knochengewebe Die Masse des Knochengewebes macht etwa 10 % des Körpergewichts aus. Funktion. tragende Funktion als Bestandteil des Skeletts wichtigster Kalzium- und Phosphatspeicher des Körpers Aufbau. Knochenzellen (Osteoblasten/Osteozyten) extrazelluläre Matrix (ECM): 35 % organische Grundsubstanz (Osteoid), bestehend aus Proteoglykanen, Glykosaminoglykanen und kollagenen Fasern (Typ I); 65 % anorganische Grundsubstanz, bestehend zu 95 % aus Hydroxylapatit Knochenzellen (Osteoblasten) bilden die extrazelluläre Matrix (ECM) zunächst als mineralfreie Grundsubstanz (Osteoid). Nach der Kalzifikation (sekundäre Einlagerung von Mineralkristallen (Hydroxylapatit = anorganische Grundsubstanz)) erlischt die Syntheseaktivität der Osteoblasten sie werden nun als Osteozyten bezeichnet. Arten von Knochengewebe. Geflechtknochen (= Faserknorpel) bildet die erste Form der Verknöcherung. Er entsteht durch chondrale und desmale Ossifikation. Lamellenknochen besteht aus lamellenartig angeordneten Knochenlamellen (Breite 3 7 μm), die aufgrund der Dichtigkeit in die Substantia compacta (= Kompakta) und die Substantia spongiosa (= Spongiosa) unterteilt wird. Baueinheit des Lamellenknochens ist das Osteon (sog. Havers-System); bis zu 20 Knochenlamellen sind um einen zentralen Blutgefäße und Nerven führenden Kanal (Havers-Kanal) gruppiert ( Abb. 1.2). Die charakteristische Festigkeit des Knochengewebes beruht auf der Kombination von druckfesten Elementen (Hydroxylapatit) und zugfesten Fasern (Kollagen Typ I) Quergestreifte Muskulatur Das Skelettmuskelgewebe ist das am häufigsten vorkommende Gewebe im menschlichen Körper ( Abb. 1.3). Seine Masse beansprucht % des gesamten Körpergewichts. funktioneller Aufbau aus Muskelbündeln, die aus einer Vielzahl von Muskelfasern (= Muskelzellen) bestehen wesentlicher Bestandteil der Muskelfaser sind die Myofibrillen mit den kontraktilen Eiweißen Aktin und Myosin das Sarkomer ist kleinste Einheit der Myofibrille Nach dem Gehalt an Glykogen werden weiße und rote Muskelfasern unterschieden: weiße Muskelfasern (Typ II): schnell, anaerob aktivierbar; zahlreiches Vorkommen in Muskeln, die für schnelle Bewegungen benötigt werden (Sprinter-Muskulatur) rote Muskelfasern (Typ I): aerob aktivierbar; Vorkommen in Muskeln mit statischen Aufgaben (posturale Muskeln) 1 21
5 1.1 Statik und Dynamik des Bewegungsapparats subperiostale generelle Lamellen interstitielle Lamellen Kapillare in den Haversschen Kanälen Kapillare in den Volkmannschen Kanälen Vene Arterie Knochenmark mit kollagenen Fasern (Typ III), Fibroblasten, Fettzellen und hämatopoetische Stammzellen (oder Knochenmarkszellen) Arterie Kapillare im Volkmannschen Kanal Osteon mit Haversschem System Speziallamellen oder Haverssche Lamellen Abb. 1.2 Aufbau eines Osteons (aus: van der Berg F, Cabri J. Angewandte Physiologie 1: Das Bindegewebe des Bewegungsapparates verstehen und beeinflussen. Stuttgart: Thieme; 2003). I-Band A-Band I-Band Titin Aktin Myosin Z-Disk M-Line Sarkomere Z-Disk H-Band I-Band A-Band I-Band Abb. 1.3 Strukturprinzip der quergestreiften Skelettmuskulatur (aus: Wirth CJ, Mutschler W. Praxis der Orthopädie und Unfallchirurgie. Stuttgart: Thieme; 2008). 22
6 1.2.2 Wachstum Die Aktivierung der Muskelzellen erfolgt über α-motoneurone aus dem Vorderhorn des Rückenmarks. Nerv und Muskelfaser werden als motorische Endplatte zusammengefasst. Die motorische Einheit umfasst alle vom Motoneuron innervierten Muskelfasern und das Motoneuron selbst (z. B. Handmuskeln , größere Muskeln Muskelfasern). parallelfaserige Muskulatur: Möglichkeit der starken Verkürzung durch Hintereinanderschaltung vieler Sarkomere (z. B. M. biceps brachii, M. sartorius) gefiederte Muskulatur: größere Anzahl aktivierbarer Fasern mit größerer Kraftentwicklung mit minimierter Verkürzungsmöglichkeit (M. deltoideus, M. subscapularis) 1.2 Wachstum und Entwicklung Definitionen Entwicklungsprozess des Menschen: Wandel der qualitativen Veränderung (Wachstum) und die Differenzierung der Organsysteme und ihre Vernetzung (sensomotorische Entwicklung und Reifung) Wachstum: Prozess, der zu einer Größenzunahme durch Hyperplasie (Zellvermehrung) und Hypertrophie (Zellvergrößerung) führt Sensomotorische Entwicklung und Reifung: Zusammenfassung der funktionellen Differenzierung, die durch die motorische und psychische Entwicklung eine Anpassung des Kindes an die Umwelt ermöglicht Wachstum Die Entwicklung des menschlichen Organismus ist ein komplexer Vorgang, unter dem man sowohl den qualitativen Aspekt der strukturellen und funktionellen Differenzierung von Zellen, Geweben und Organen als auch den quantitativen Aspekt des Wachstums zusammenfasst. Das Wachstum der Haltungs- und Bewegungsorgane umfasst die Zeitspanne von der knorpeligen Anlage in der Embryonalzeit bis zum Verschluss der Wachstumsfugen in der Pubertät und beinhaltet die Zellvermehrung, Proliferation und Vergrößerung der einzelnen Zellen. Regeln des Wachstums: Wachstum ist genetisch vorgegeben. Wachstum verläuft in Phasen. Wachstum findet ganztätig statt. Wachstum wird von einwirkenden Kräften beeinflusst. Wachstum ist eine Stoffwechselleistung. Wachstum ist genetisch vorgegeben und spiegelt sich in Wachstumsdiagrammen bzw. Somatogrammen wieder, die über die alters- und geschlechtsabhängigen Körpermaße informieren. Im Körperlängendiagramm wird die individuelle Körpergröße mit dem chronologischen Alter verglichen. Abweichungen lassen sich anhand von Perzentilenkurven festlegen, die die Streuung des Normalkollektivs wiedergeben. Die Perzentilenzahl gibt an, wie viel Prozent der Jungen bzw. Mädchen kleiner sind als der abgelesene Wert. Aus der Zuordnung der aktuellen Körperlänge zur 50. Perzentile ergibt sich das Längenalter. Kleinwuchs: Körperlänge unter der 10. Perzentile Minderwuchs: Körperlänge unter der 3. Perzentile Großwuchs: Körperlänge bis oberhalb der 90. Perzentile Hochwuchs: Körperlänge bis oberhalb der 97. Perzentile Die Bestimmung des Skelettalters und damit der Wachstumsreserve ist wesentlich für die Prognose und die Therapieplanung kinderorthopädischer Erkrankungen und Deformitäten. Aus der gesetzmäßigen Auftretenswahrscheinlichkeit von Knochenkernen kann der Wachstumszustand und damit auch die Endlängenprognose ermittelt werden, wenn die effektive Skelettreifung ( das Skelettalter ) als Berechnungsgrundlage herangezogen wird. Das Skelett- oder Knochenalter ist vor allem Ausdruck des biologischen Reifungszustands des Organismus und weniger des Lebensalters. Am deutlichsten ist dies an den Handwurzelknochen abzulesen, die mittels Röntgenaufnahmen der linken Hand (ab dem 4. Lebensmonat) durch den Vergleich mit Skelettatlanten eine Bestimmung des individuellen Skelettalters zulassen. Für den Vergleich stehen die Skelettatlanten von Greulich u. Pyle (nordamerikanische Kinder), 1 23
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