Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt

Transkript

1 Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt 1

2 Interventionsstelle gegen häusliche h Gewalt Rostock Kati Voß Katrin Saat Annett Linke-Gottwald 2

3 Interventionsstellennetz (Polizeidirektionen M-V) M 3

4 Häusliche Gewalt Ist jede Art versuchter oder vollendeter körperlicher, seelischer und sexueller Misshandlung innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft. Opfer sind vornehmlich Frauen und Kinder, in Einzelfällen auch männliche Personen. Als Tatorte kommen neben Räumlichkeiten der häuslichen Gemeinschaft auch andere Orte in Betracht. Eine häusliche Gemeinschaft besteht, wenn: sie ehelicher oder nichtehelicher Art ist, wenn sie sich in Trennung / Auflösung befindet Erlass des Innenministeriums M-V vom

5 Interventionskette Interventionsstelle Zivilrechtlicher Schutz Wegweisung Betretungsverbot Aufenthaltsverbot Krisenintervention für Opfer HG Psychosoziale Beratung, Aufklärung über rechtliche Schutzmöglichkeiten, Weitervermittlung Polizeirechtliche Schutzmöglichkeiten Kinderund Jugendberatung Gewaltschutzgesetz Kinderrechteverbesserungsgesetz 5

6 Zahlen und Fakten Zwischen 10% und 30 % aller Kinder und Jugendlichen werden im Verlauf ihrer Kindheit Zeugen von häuslicher Gewalt. Zwischen 30% und 60 % dieser Kinder erleben auch selber Misshandlungen. Die negative Auswirkung des Miterlebens von Partnergewalt für Kinder ist in etwa vergleichbar mit dem Aufwachsen mit einem oder zwei alkoholkranken Elternteilen. Einem Drittel bis einem Dreiviertel der betroffenen Kinder musste eine kinderpsychologische Behandlung empfohlen 6 werden.

7 Gefährdung der Kinder Körperliche Gewalterfahrungen indirekt/direkt Zeugung durch Vergewaltigung Misshandlung während w der Schwangerschaft Aufwachsen in Atmosphäre von Gewalt Vernachlässigung Psychische Gewalt Bedrohung und Demütigung Instrumentalisierung 7

8 Was nehmen Kinder wahr? Auch wenn Kinder die Gewalttätigkeiten tigkeiten selbst nicht sehen, erfassen sie genau, was abläuft. Fast alle Kinder können k im Detail beschreiben, was vorgefallen ist. Oft glauben Kinder Schuld am Streit der Eltern zu sein. Merkt ein Kind, dass es nichts zu ändern vermag, steht es jeder Wiederholung ohnmächtig gegenüber. 8

9 Wie reagieren Kinder? Sie versuchen den Vater von den Gewalttätigkeiten tigkeiten abzuhalten und die Mutter zu schützen. Sie verhalten sich angepasst und unauffällig um keinen Anlass für f r Auseinandersetzungen zu bieten. Sie helfen die Mutter nach den Misshandlungen wieder aufzurichten. Erhöhtes htes Zuwendungsbedürfnis 9

10 Was lernen Kinder? Für r Kinder, die häusliche h Gewalt miterleben, besteht ein erhöhtes htes Risiko später selbst zu Tätern T oder Opfern häuslicher h Gewalt zu werden. Sie lernen nicht, Kompromisse auszuhandeln, sondern, dass der Stärkere sich mit Gewalt durchsetzt. Ihnen wird die Möglichkeit M genommen alternative Problemlösungs sungs- und Durchsetzungsstrategien zu erlernen Höhere Bereitschaft Gewalt zu erdulden oder einzusetzen 10

11 SIE SPÜREN Den Zorn des Vaters, die Heftigkeit seiner Zerstörungswut rungswut Die Angst der Mutter, ihre Ohnmacht und Unterwerfung Die Angst der Geschwister, vor allem der Kleinen Die bedrohliche, unsichere Atmosphäre vor den Gewalttaten Die Eskalation in Situationen von Streit und Konflikt Die eigene Angst und Ohnmacht (Kavemann) 11

12 SIE HÖRENH Der Vater schreit und brüllt Er bedroht die Mutter, er bedroht sie mit dem Tod Er beleidigt und beschimpft die Mutter, beschimpft sie auch sexuell Er setzt sie herab, entwertet sie als Person, als Frau und Mutter Die Mutter schreit und weint, wimmert Sie brüllt zurück, beschimpft ihn, setzt sich zur Wehr Sie gibt keinen Laut mehr von sich (Kavemann) 12

13 SIE SEHEN Der Vater schlägt die Mutter, stöß ößt t und boxt sie, reißt t sie an den Haaren Er tritt die am Boden liegende Mutter Er schlägt mit Gegenständen, nden, wirft Gegenstände nde durch den Raum Er bedroht die Mutter mit dem Messer oder einer anderen Waffe Er vergewaltigt die Mutter Die Mutter fälltf Sie wehrt sich und kämpftk Sie blutet (Kavemann) 13

14 SIE DENKEN Er wird sie tötent ten Ich muss ihr helfen Ich muss die Kleinen raushalten Ich muss mich einmischen, habe aber Angst mich einzumischen Er wird mich schlagen Er wird uns alle tötent ten Sie ist selber Schuld, warum widerspricht sie Sie ist so schwach, ich verachte sie Sie tut mir so leid, ich hab sie lieb Ich will nicht, dass er weggeht Sollen sie doch selbst klarkommen, ich habe nichts damit zu tun Ich möchte m unsichtbar werden Ich bin unwichtig, niemand kümmert k sich um mich und meine Angst Sie wird mich nie beschützen könnenk (Kavemann) 14

15 Auftretende Symptome nach Alter und Geschlecht Embryo Alter 0 5 Jahre 6 11 Jahre Mädchen Untergewicht, Frühchen, Totgeburt Jungen Angst vor Verlassenwerden, Angst getötet tet zu werden oder zu töten, t ten, Furcht vor eigener Wut und Wut Anderer, Essstörung, unsicher und misstrauisch Schlafstörung, Bettnässen, ängstlich anklammernd, geistige und körperliche k Entwicklung gehemmt Jahre Jahre 20 - Passiv und zurückgezogen, Anerkennung suchend, mothers little helper Niedrige Frustrationstoleranz und unendliche Geduld, Schulversagen, Depression, Selbstmordwunsch, Kopfschmerzen, Schlafstörung Essstörungen, Alkohol und Drogen Weglaufen, Opfer sexueller Belästigung und Vergewaltigung, Minderwertigkeitsgefühle, frühe Schwangerschaft und Heirat, Anpassung und Lügen L aus Angst 72% der Mädchen M finden sich in einer Beziehung, in der sie das Verhalten der Eltern wiederholen Wutanfälle, tyrannisch, niedrige Frustrationstoleranz, schlagen Gegenstände, nde, quälen Tiere, drohen jeden zu töten, t ten, der ihnen in die Quere kommt, prügeln, treten und würgen w Mitschüler und Geschwister, Schulversagen, Weglaufen Selbstmordwunsch und Selbstmord, Mordpläne, sexuelle Belästigungen und Vergewaltigung, kriminelle Handlungen, Minderwertigkeitsgefühl 95% der Jungen wiederholen das Verhalten der Eltern in der eigenen Beziehung als Erwachsene 15 AVA 2 CD vom BMFSFJ

16 Kinder als Hüter H des Familiengeheimnis In meisten Familien herrscht Schweigegebot Aus Scham und Schuldgefühlen hlen wird geschwiegen Schweigen aus Loyalität Lügen gegenüber Bezugspersonen Entlastung durch Verleugnung Angst selber geschlagen zu werden soziale Isolation, Zweifel an der eigenen Wahrnehmung, Normalisierung der Gewalt 16

17 Auswirkungen auf die Elternkompetenz Körperlichen und psychischen Folgen der Gewalt, binden Ressourcen zu Lasten der Fürsorge F für f r die Kinder Eltern nehmen Bedürfnisse der Kinder nicht adäquat wahr Entwürdigung, Herabsetzung vor den Kindern beeinträchtigt die Durchsetzungsfähigkeit higkeit in Erziehung sucht Schutz und Trost bei den Kindern braucht ältere Kinder bei der Versorgung jüngerer j Geschwister Identifizierung der Kinder mit dem Gewalttäter ter Störung der sicheren Mutter- Kind Beziehung Verringerte Stresstoleranz Gewalttätigkeiten tigkeiten gegenüber den Kindern 17

18 Zitate von MütternM Die Beratung hat bewirkt, dass mein Sohn nun darüber sprechen kann, was passiert ist. Das hat er vorher nicht getan, sondern seine Angst durch Albernheit überspielt Die Beraterin hat mir die Augen dafür r geöffnet, dass meine Kinder unter der Situation leiden. Hätte H ich das vorher so klar gesehen, hätte h ich eher einen Schlussstrich gezogen Wichtig war, zu erfahren, dass vieles von dem, was in der Familie passierte typisch und kein Einzelfall ist; insbesondere, dass das problematische Verhalten meiner Tochter eine verständliche Reaktion auf die Gewalt ist Ich habe meinen Sohn durch die Beratung wieder lieben gelernt Evaluation Modellprojekt Kinder- u. Jugendberatung in Fällen häuslicher Gewalt Dr. Thomas Coelen/ Insa Evers Rostock,

19 Zahlen M-V M V Kinder und Jugendliche als Zeugen und Opfer häuslicher h Gewalt Fälle häuslicher h Gewalt (mit)betroffene Kinder Interventionsstellen (5) Kontakt- und Beratungsstellen (7) Frauenhäuser user (9) Gesamt

20 Welche Unterstützung tzung benötigen betroffene Kinder? zeitnahe und altersgerechte Beratung niedrigschwelliges und zugehendes Beratungsangebot Isolation der Kinder beenden eigenständige ndige Interessenvertretung emotionale und psychosoziale Unterstützung tzung mit den Kindern das Thema häusliche h Gewalt zu enttabuisieren klare Zeichen gegen die Gewalt setzen 20

21 Das Beratungsangebotes für f r betroffene Kinder und Jugendliche kann leisten: Offenheit über die Gewaltproblematik herstellen Beitrag zum Durchbrechen des meist langjährig und oft generationsübergreifend erlebten Gewaltkreislauf über staatliche Hilfeangebote aufklären Schwellenängste ngste senken um zu integrieren Kinder sind nicht mehr abhängig davon, dass die Eltern einen Hilfebedarf erkennen und Hilfe organisieren 21

22 Ziele der Unterstützung tzung Verbesserung der Lebenssituation Beitrag zur Stärkung der gesunden Ressourcen der Familie Kindern Hilfestellungen bei der Verarbeitung der oft zusätzlichen Trennungsproblematik geben Recht auf gewaltfreie Erziehung Stärkung der gesellschaftlichen Position 22

23 Zitate der Kinder und Jugendlichen Die Beratung war richtig gut. Sie hat Spaß gemacht und mir geholfen. Die Beraterin war die erste Person, mit der ich über die Gewalt gesprochen habe. Wichtig war, dass mir am Ende gesagt wurde, dass ich jederzeit wiederkommen kann. Am wichtigsten war, zu sehen, wie sich andere Familien bei Gewalt fühlen, f und dass wir keine Ausnahme sind. Ich habe das vorher nicht gewusst, denn man ist ja kein Geist, der einfach in anderen Wohnungen rumfliegen kann. Es ist gut, dass mir Hilfsmöglichkeiten bei Gewalt aufgezeigt wurden. Jetzt weiß ich besser bescheid. Evaluation Modellprojekt Kinder- u. Jugendberatung in Fällen häuslicher Gewalt Dr. Thomas Coelen/ Insa Evers Rostock,

24 Zusammenfassung (Zeitraum 05/05 12/07) Die durchschnittl.. Kinderzahl der 917 KlientInnen mit Kindern in den ISTs Rostock und Schwerin betrug 1,5 Kinder. Die durchschnittl.. Kinderzahl pro Frau lag in Schwerin mit 2,1 höher h her als in Rostock mit 1,3 ländlicher Bereich. Bei 178 Familien (19,4 %) mit 350 Kindern zwischen 0 und 17 Jahren kam eine KJB zustande. Darunter 171 Mädchen M und 172 Jungen Sowohl in Schwerin als auch in Rostock war die durchschnittl.. Kinderanzahl bei denjenigen Frauen, die die Beratung annahmen höher, h her, als bei den GesamtklientInnen der ISTs (Schwerin: 2,1; Rostock 1,9) erhöhter hter Beratungsbedarf in Familien mit mehreren Kindern? Evaluation Modellprojekt Kinder- u. Jugendberatung in Fällen häuslicher Gewalt Dr. Thomas Coelen/ Insa Evers Rostock,

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26 He Großer, ich brauch Hilfe, ist das so schwer zu verstehen, dreh dich um, schau mich an, du kannst nicht so einfach gehen. Was ist das für`ne Welt hier, so viel Große e ohne Mut, endlich etwas Mumm zu zeigen tätt euch Großen wirklich gut! 26

27 Was können k Sie tun? Kooperation mit Unterstützungseinrichtungen tzungseinrichtungen vor Ort Infomaterial auslegen Informieren über die Hilfsangebote vor Ort Hilfestellung bei Kontaktaufnahme anbieten Teilnahme an Fortbildungen/Fachtagen 27

28 Vielen Dank für f r Ihre Aufmerksamkeit! 28

29 Quellenangaben - Prof. Dr. Barbara Kavemann/ Ulrike Kreyssig Handbuch Kinder und häusliche h Gewalt (2006) - Susanne Heynen Häusliche Gewalt direkte und indirekte Auswirkungen auf Kinder (2003) - Materialien zur Gleichstellungspolitik (2002) Sorge- und Umgangsrecht bei häuslicher h Gewalt - AVA - CD 1 und 2 2 des BMFSFJ - Schröttle/ MüllerM Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland (2004) 29