Textiloma und Gossypiboma: Vergessene Fremdkörper in der Chirurgie OP-Symposium, St. Gallen
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- Tobias Simen
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1 OP-Symposium, St. Gallen Textiloma und Gossypiboma: Vergessene Fremdkörper in der Chirurgie Prof. Dr. David Schwappach, MPH Wissenschaftlicher Leiter, Stiftung für Patientensicherheit 1
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3 Unbeabsichtigt belassene Fremdkörper (RSI) Retained surgical items (RSI): Any unintentionally retained surgical item identified within a patient (including subcutaneous locations) after final skin (if applicable) or fascial (if skin left open) closure of the wound. Chirurgischer "never event" In UK und USA mandatorisch zu melden Daten aus Retrospektiven Beobachtungs- oder Fall-Kontroll-Studien Routinedaten ( OECD) Mandatorischen Berichtssystemen (aber meist kein "Nenner") Wahrscheinlich erhebliches underreporting 3
4 Inzidenz von RSI Inzidenz RSI 1 : 8'800 Eingriffe [11 : 100'000] Gawande et al : 5'600 Eingriffe [18 : 100'000] Cima et al : 7'000 Eingriffe [14 : 100'000] Egorova et al : 4'700 Eingriffe (Kinder & Jugendliche) [21 : 100'000] Camp et al : 6'975 Eingriffe [14 : 100'000] Stawicki et al Gawande et al. N Engl J Med (2003), Cima et al. J Am Coll Surg (2008), Egorova et al. Ann Surg (2008), Camp et al. Arch Surg (2010), Stawicki et al. J Am Coll Surg (2013),
5 Entspricht etwa 1 : 8'600 Entlassungen ICD-9-CM 998.4: Foreign body accidentally left during a procedure ICD-10-CM T81.525D: Obstruction due to foreign body accidentally left in body following heart catheterization, subsequent encounter ICD-10-CM T81.532A: Perforation due to foreign body accidentally left in body following kidney dialysis, initial encounter 5
6 Charakteristika und Verlauf von RSI 6
7 Charakteristika von RSI RSI Objekte 68% Kompressen, Tupfer, Tücher 9% Nadeln 3% Instrumente 20% Anderes 69% Kompressen, Tupfer, Tücher 7% Klammer 41% Anderes 53% Kompressen, Tupfer, Tücher 43% Instrumente 3% Anderes 59% Textil 20% Metallisch 19% Plastik, Zement, etc. 2% Instrumente Cima et al Gawande et al Lincourt et al Stawicki et al
8 Verlauf von RSI Retrospektive Analyse von RSI Fällen (n=71) Stawicki et al. American Journal of Surgery (2014),
9 Verlauf von RSI Retrospektive Analyse von RSI Fällen (n=71) 42/71 (59%) entfernt während Index-Hospitalisierung 29/71 (41%) entfernt bei Rehospitalisierung Median 2 Tage zw. Index-Operation und Entfernung Range: <1 Tag - 10 Jahre 80% entfernt binnen 3 Monate Stawicki et al. American Journal of Surgery (2014),
10 Risikofaktoren für RSI 10 Foto: Sascha Rheker
11 Risikofaktoren für RSI Operation an Hohlorganen (insb. Abdomen, Thorax) [ Hoher BMI ] [ Notfalleingriff ] OP-Dauer Mehrere Subprozeduren / Komplexität Hoher Blutverlust Unerwartete Änderung im OP-Ablauf Ablösung / Wechsel des OP-Teams Nicht-Einhaltung von Zähl- und Kontroll-Standards Erhöhen Komplexität und damit Risiko für Desorganisation, Zusammenbruch der Kommunikation 11
12 Risikofaktoren für RSI Meta-Analyse von 3 Fall-Kontroll-Studien (n=143 RSI Fälle) VARIABLE ODDS RATIO Estimated Operative Blood Loss > 500 ml 1.6 Duration of Operation 1.7 More Than 1 Sub-Procedure 2.1 Surgical Count Not Performed 2.5 More than 1 Surgical Team 3.0 Unexpected Intraoperative Factors 3.4 Incorrect Surgical Count 6.1 [Evidenz uneindeutig: BMI, Notfalleingriff] Moffatt-Bruce et al. Journal of Surgical Research (2014),
13 Zählkontrolle und RSI Ausgelassene oder diskrepante Zählkontrollen sind erheblicher Risikofaktor für RSI (Zunächst) diskrepante Zählergebnisse sind häufig ~ 10% Abklärung Zeit- und Ressourcenaufwendig 13
14 Diskrepanzen bei Zählkontrollen Beobachtung der Zählkontrolle, elektive Eingriffe (n=148) Zähl-Episoden / Eingriff 16.6 Gesamtzeit für Zählkontrollen 8.6 Minuten Eingriffe mit mind. 1 Diskrepanz 13% (1 von 8) Relatives Risiko bei Personalwechsel 3 Zeitbedarf für Klärung einer Diskrepanz 13 Minuten Diskrepanzen: Dokumentations-/Zählfehler 38% Tatsächlich verlorenes Objekt 59% Greenberg et al. Annals of Surgery (2008),
15 Zählkontrolle und RSI Ausgelassene oder diskrepante Zählkontrollen sind erheblicher Risikofaktor für RSI (Zunächst) diskrepante Zählergebnisse sind häufig ~ 10% Abklärung Zeit- und Ressourcenaufwendig Diskrepante Zählergebnisse nehmen mit OP-Dauer und Teams zu Diskrepante Zählergebnisse betreffen meist andere Objekte als RSI 15
16 Diskrepante Zählkontrollen und "echte" RSI near miss events true RSI 12% 12% 21% 9% 3% 76% 67% Eigene Darstellung. Daten aus Cima et al. J Am Coll Surg (2008),
17 Zählkontrolle und RSI Ausgelassene oder diskrepante Zählkontrollen sind erheblicher Risikofaktor für RSI (Zunächst) diskrepante Zählergebnisse sind häufig ~ 10% Diskrepante Zählergebnisse nehmen mit OP-Dauer und Teams zu Diskrepante Zählergebnisse betreffen meist andere Objekte als RSI Menschliche Zählkontrolle ist per sé fehleranfällig RSI, die vorher korrekte Zählkontrolle hatten 22% Egorova et al % Cima et al % Stawicki et al
18 Zählkontrolle: Essentiell, aber 18
19 Verbreitung und Standardisierung von Zählkontrollen Befragung operativ-tätiger, leitender Ärzte, Deutschland 2009 (n=540) CAVE: FB-Rücklauf 35%... Abteilungen mit regelhaft prä-, intra- und postoperativ durchgeführten Zählkontrollen: 53% Abteilungen ohne Festlegungen zum Zählen aller (nicht nur vorgezählter) Materialien: 11% Abteilungen mit schriftlicher Festlegung zur Zählkontrolle bei Wechsel des Instrumentier- oder Springerdienstes: 63% Abteilungen mit schriftlicher Festlegung zum Umgang mit diskrepanten Zählergebnissen: 66% Es wird viel gezählt, aber oft nicht standardisiert. Lessing et al. Dt Ärzteblatt (2012), A
20 Schriftliche Festlegung von Standards für Verantwortlichkeiten und Aufgaben der beteiligten Personen Zählmethode Art und Beschaffenheit der zu zählenden Materialien (z.b. röntgenpositiv) Umfang, Häufigkeit und Zeitpunkte der Zählkontrollen Vorgehensweise bei einem Teamwechsel Vorgehensweise bei Diskrepanzen bei den Zählergebnissen Vorgehensweise bei beabsichtigt belassenen Materialien Vorgehensweise bei vital bedrohlichen Notfällen (Aussetzen) Umgang mit Materialien, welche während OP zur Entsorgung anfallen Dokumentation Aktionsbündnis Patientensicherheit. Jeder Tupfer Zählt. Handlungsempfehlungen zur Vermeidung unbeabsichtigt belassener Fremdkörper im OP-Gebiet
21 Reduktion von RSI durch verbesserte Zählkontrollen Retrospektive Kohortenstudie, 4 Jahre, 22 Spitäler (n=683'193) Programm zur Standardisierung sicherheitsrelevanter Prozesse im OPs 8 Massnahmen zur Vermeidung von Verwechslungen (z.b. Time-out durch Chirurgen initiiert) 22 Regeln für robuste Zählkontrollen (z.b. Chirurg verbalisiert Platzierung und Entfernung von Tupfern in Hohlorganen; Vorgehen bei Unterbrechungen) Outcome: Chirurgische never events, inkl. RSI Loftus et al. J Am Coll Surg (2015),
22 Reduktion von RSI durch verbesserte Zählkontrollen Retrospektive Kohortenstudie, 4 Jahre, 22 Spitäler (n=683'193) Vorher Nachher Seitenverwechslungen, n 7 1 Seitenverwechslungen, Rate 1 : 66'308 1 : 219'035 Fremdkörper (Alle), n 28 7 Fremdkörper (Alle), Rate 1 : 16'577 1 : 31'291 Fremdkörper (Tupfer), n 15 3 Fremdkörper (Tupfer), Rate 1 : 30'944 1 : 73'012 Alle never events, Rate/1' p=0.029 Loftus et al. J Am Coll Surg (2015),
23 Vergessene Fremdkörper: Fazit RSI sind ein chirurgisches "never event", aber keine Rarität. Zählkontrollen sind die wichtigste Präventionsmassnahme. Die menschliche Zählkontrolle ist selber fehleranfällig. Verantwortung für gute Zählkontrollen ist die Aufgabe des gesamten OP- Teams, nicht nur einzelner Mitarbeiter oder Gruppen. Robuste Standards für Kontrollen und Vorgehen bei Diskrepanzen sind effektiv für Verbesserungen. CAVE: RSI kommen trotz korrekter Zählkontrolle vor. Analyse von RSI Vorfällen ist zentral, um daraus zu lernen. Hilfreiche AUDIT-Tools verfügbar, z.b.: 23
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