Beitrag: Schule für alle Hürden bei der Umsetzung der Inklusion
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- Eleonora Ritter
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1 Manuskript Beitrag: Schule für alle Hürden bei der Umsetzung der Inklusion Sendung vom 7. Oktober 2014 von Martina Morawietz und Astrid Randerath Anmoderation: Da gibt es eine UN-Konvention, die festschreibt, was selbstverständlich scheint: Behinderte und nichtbehinderte Menschen haben die gleichen Rechte. Deutschland hat selbstverständlich unterschrieben. Und sich damit verpflichtet, auch in der Bildung keinen Unterschied zu machen. Kinder mit und ohne Behinderung sollen in denselben Schulen gemeinsam lernen können. Doch gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Denn vielerorts ist das Menschenrecht auf Zugehörigkeit alles andere als selbstverständlich. Da wird ausgegrenzt statt integriert, und Inklusion bleibt Illusion. Martina Morawietz und Astrid Randerath über unsere ganz und gar nicht barrierefreie Bildungsrepublik. Text: Integration wird behindert, rufen sie. Unsere Wut kocht über. Unser Topf passt nicht zum Deckel. Berlin, Demonstration für mehr Schulhelfer. Die stehen behinderten Kindern im Unterricht zur Seite, unterstützen den Lehrer. Nur mit ausreichend Schulhelfern, können behinderte und nichtbehinderte Kinder zusammen lernen. Deshalb stürmen Eltern das Kreuzberger Rathaus. O-Ton Elternvertreter: Wir sind heute zu Ihnen gekommen, weil wir gegen die Deckelung des Schulhelfer-Etats protestieren. Der Schulhelfer-Etat ist zu klein, denn immer mehr Schulhelfer werden gebraucht, weil immer mehr behinderte Kinder in die Regelschule gehen. Wie in der Charlotte-Salomon-Schule in Berlin. Neo hat das sogenannte Down-Syndrom. Ohne seinen vertrauten Schulhelfer
2 würde er den normalen Unterricht nicht meistern können. Auch an der Charlotte-Salomon-Schule wird das Geld für Schulhelfer knapp. O-Ton Insa Jürgens, Charlotte-Salomon-Grundschule Berlin: Solange eben da nicht nachgesteuert wird und dem auch nachgegangen wird, dass der Bedarf eben de facto schon größer ist, als er eben jetzt in diesem Schuljahr war und immer größer wird, solange bedeutet das, dass eben die Qualität an der einzelnen Schulen darunter leidet, weil man eben nicht so die Kinder versorgen und fördern kann, wie man es gerne tun würde. Eigentlich sollte aber genau das passieren - als die Bundesrepublik der Behindertenkonvention beitrat. O-Ton Ilka Hoffmann, GEW, Leiterin Organisationsbereich Schule: Was mich ärgert ist, dass von Politikerseite zwar Sonntagsreden da geschwungen werden: Wir sind alle inklusiv. Aber dass eigentlich gar kein Geld in die Hand genommen wird, um das wirklich zu unterstützen. In Deutschlands Schulen mangelt es nicht nur an Schulhelfern. Oft fehlen behindertengerechte Zugänge und Klassenräume - und vor allem Lehrer. Ein Lehrer pro Klasse ist viel zu wenig, kritisiert Bildungsexperte Klaus Klemm. O-Ton Prof. em. Klaus Klemm, Bildungsforscher: Wenn man da einen vernünftigen Mittelweg geht, also etwa die Hälfte der Unterrichtsstunden doppelt besetzt, mit zwei Lehrpersonen, dann kommen wir bundesweit auf Mehrkosten von 600 bis 700 Millionen Euro jährlich. Und ich denke, diese 600 bis 700 Millionen Euro müssen ins System zusätzlich fließen, damit Inklusion gelingen kann. Nur rund 30 Prozent der behinderten Kinder werden bislang inklusiv unterrichtet - viel weniger als in anderen Ländern. Professor Theresia Degener von den Vereinten Nationen stellt Deutschland ein schlechtes Zeugnis bei der Inklusion aus. O-Ton Prof. Theresia Degener, UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen: Im Vergleich zu anderen europäischen und nichteuropäischen Ländern stellt sich Deutschland bildungsmäßig als Entwicklungsland dar. Die Unterschiede in den einzelnen Bundesländern sind erheblich, aber in keinem Bundesland gibt es einen umfassenden Rechtanspruch auf inklusive Bildung für behinderte Kinder. Das ist mit der Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar.
3 Für diesen Rechtsanspruch kämpft auch Antje Kreß im sächsischen Taucha. Ihre Tochter Dorothea hat das Down- Syndrom und kann nur auf die Regelschule gehen, weil die Eltern deshalb gegen das Land Sachsen klagen. Die 13-jährige Dorothea hatte zuvor die ganz normale Grundschule gut gemeistert - fand viele Freunde, lernte schreiben und rechnen. Doch nach vier Grundschuljahren sollte sie doch auf die Förderschule wechseln. Mit Dorotheas Handicap kann man in Sachsen nicht ohne Weiteres auf die weiterführende Regelschule. So sieht es eine Verordnung im Freistaat vor. Auf die beruft sich die zuständige Behörde in ihrer Ablehnung. Dies bedeutet, dass Ihre Tochter im Rahmen ihrer Fähigkeiten nicht in der Lage ist, die gleiche schulische Entwicklung zu nehmen, wie Schüler der gleichen Klassenstufe in einer Mittelschule. O-Ton Antje Kreß, Mutter von Dorothea: Ich finde das sehr traurig, dass die sächsische Landesregierung offensichtlich sich für Menschen mit Behinderung wenig interessiert. Also, das ist eigentlich auch teilweise sehr verletzend, wie sie mit den Menschen umgehen. Dass sie denen das Leben noch schwerer machen, obwohl sie es ja im Leben schon schwer haben. Dorothea darf nur vorläufig auf die Mittelschule - hat sich gut eingelebt und neue Freunde gefunden. Wie lange sie an der Schule bleiben kann, hängt davon ab, ob die Klage ihrer Eltern erfolgreich ist. Dabei gäbe es eine viel einfachere Lösung. O-Ton Prof. Theresia Degener, UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen: Mir ist nicht verständlich, warum man eine einfache Rechtsverordnung, die bei Weitem nicht so schwer zu erstellen oder zu ändern ist wie ein Gesetz, nicht einfach von heute auf morgen ändern kann. Dazu ist das Land Sachsen, dazu sind die Behörden in Sachsen nach unserem Grundgesetz verpflichtet. Doch als wir bei der sächsischen Kultusministerin nachfragen, antwortet sie schriftlich, so ad hoc lasse sich die Verordnung nicht ändern. Deshalb ist vor einer Änderung der Schulintegrationsverordnung eine Änderung des Schulgesetzes erforderlich. Bildung in Deutschland ist Ländersache. Wann also Sachsen das
4 Gesetz für Dorothea und andere behinderte Kinder ändert, entscheidet das Land selbst. So herrscht bei der Inklusion ein regelrechtes Bildungschaos. Da kann auch die länderübergreifende Kultusministerkonferenz wenig ausrichten, wie sie uns schriftlich mitteilt. Den Prozess gestaltet jedes Land auf der Basis seiner spezifischen Strukturen und Traditionen mit unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen und Umsetzungsstrategien aus. O-Ton Ilka Hoffmann, GEW, Leiterin Organisationsbereich Schule: Da gibt es sehr viel Eigenwillen der Länder. Aber sie könnte sich sprachlich mal auf einen Inklusionsbegriff einigen, auch mal definieren, was für sie Standards zur Umsetzung der UN- Konvention sind, und Schritte benennen. Das würde auch den Bundesländern sehr helfen. In Italien gibt es Inklusion schon seit über 30 Jahren. Bruneck in Südtirol. Eine Schule für alle ist hier ganz normal. Auch Katharina hat ein Down-Syndrom und besucht die Regelschule. Acht Jahre lang gehen die Kinder zusammen in den Unterricht, dann steuern sie unterschiedliche Abschlüsse an. Schulhelfer sind hier selbstverständlich. Kleine Klassen mit maximal 23 Schülern werden von zwei Lehrern unterrichtet. O-Ton Markus Falkensteiner, Direktor Mittelschule Dr. Josef-Röd Bruneck, Italien: Integration ist ein ständiger Prozess und ist ein Lernprozess, der sich auch nicht nur so von oben aufsetzen lässt. Der muss wachsen, die Haltungen müssen passen und die Schüler mit Beeinträchtigungen in diesem sozialen Kontext bringen ganz, ganz eine wichtige soziale Stärkung in die Gesellschaft, in die schulischen Klassen. Dass Inklusion auch in Deutschland selbstverständlich wird, dafür gehen Berliner Eltern und Kinder weiter auf die Straße. Mit Erfolg. Die Berliner Bildungsverwaltung hat das Budget für die Schulhelfer erhöht. Zunächst für ein Jahr. Damit bleibt die Ungewissheit - auch für Dorothea. Obwohl es die Behindertenrechtskonvention klare Vorgaben macht, müssen die Eltern nach wie vor für jedes einzelne Kind kämpfen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der
5 engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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