Gnade sei mit uns. Liebe Gemeinde,

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1 1 Predigt des Evangelischen Militärbischofs Dr. Martin Dutzmann über Psalm 85 in der Petrus-Kirche in Kiel-Wik anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Militärseelsorge bei der Marine, Gnade sei mit uns Liebe Gemeinde, in der Zeit meines Theologiestudiums erschien ein Buch des praktischen Theologen Manfred Josuttis. Dieses Buch untersuchte den Beruf des Pfarrers bzw. der Pfarrerin und trug den einprägsamen Titel: Der Pfarrer ist anders. Der eine oder andere Kollege wird sich daran erinnern und das Buch vielleicht sogar gelesen haben. Kurz nach meinem Amtsantritt als Militärbischof bekam ich aus Richtung Küste das unmissverständliche Signal, dass nicht nur der Pfarrer anders sei, sondern ganz besonders auch jener Pfarrer, der seinen Dienst bei der Marine tut. Die Marineseelsorge ist anders, hieß es lapidar. Die Marineseelsorge ist anders. Ich gestehe: Ich tat das zunächst als elitäres Bewusstsein ab und konnte mich nicht entschließen, der Marineseelsorge gegenüber der Militärseelsorge in Heer, Luftwaffe und Streitkräftebasis eine besondere Eigenart zuzuerkennen. Bis zu meinem ersten Besuch beim Marinekonvent in Wilhelmshaven. Da habe ich verstanden, dass die Betreuung der Marinesoldaten unsere Seelsorgerinnen und Seelsorger tatsächlich vor besondere Herausforderungen stellt. Zwei davon will ich nennen. Wer als Pfarrer Marinesoldaten begleitet, ist besonders oft und besonders lange unterwegs. Jede Marineseelsorgerin und jeder Marineseelsorger ist durchschnittlich 140 Tage im Jahr auf See. So lange und so oft von Familie und Freundeskreis getrennt zu sein, das mutet die Kirche sonst keinem ihrer Pfarrer zu. Auch nicht jenen, die die Auslandseinsätze in Afghanistan oder im Kosovo begleiten. Und das andere: Wohl kein anderer Pfarrer und keine andere Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Deutschland hat so oft so wenig Platz zur Seelsorge, zur Predigtvorbereitung und

2 2 für den persönlichen Bedarf zur Verfügung. Einer erzählte mir, er habe während eines Einsatzes seine Predigten auf einer engen Treppe sitzend mit dem Laptop auf den Knien vorbereiten müssen. Wenn das sein Homiletiklehrer wüsste! Die Marineseelsorge ist anders. Sie ist anders, weil die Marine anders ist als die anderen Teilstreitkräfte der Bundeswehr. Vier Jahre hat es gedauert, bis nach dem Abschluss des Militärseelsorge-Vertrages und dem Neubeginn der Militärseelsorge nach dem Zweiten Weltkrieg im April 1961 ein katholisches und ein evangelisches Dekanat beim Flottenkommando eingerichtet wurden. Sie sollten für die besondere Seelsorge bei den schwimmenden Einheiten, den Marinefliegern, den Kommandostäben und den Ausbildungseinrichtungen der Deutschen Marine verantwortlich sein. Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag! Die Marineseelsorge ist anders. Einerseits. Andererseits ist sie ganz und gar nicht anders. Sie ist nämlich Teil der Kirche Jesu Christi und hat deshalb die Aufgabe, die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk. So beschreibt die Barmer Theologische Erklärung von 1934 den Auftrag der Kirche. Wie die Kirche insgesamt, so dient die Marineseelsorge wenn auch unter besonderen Bedingungen den ihr anvertrauten Menschen mit Wort und Sakrament, mit Trost und Mahnung, mit Seelsorge und Unterricht. Die Marineseelsorge ist auch nicht anders als die übrige Militärseelsorge. Die Militärseelsorge hat den besonderen Auftrag, den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr das Gewissen zu schärfen und sie für den Frieden zu bilden, unabhängig davon, ob letztere ihren Dienst vorwiegend laufend, fahrend, fliegend oder schwimmend verrichten. Das Gewissen schärfen und für den Frieden bilden. Das tun Militärseelsorgerinnen und Militärseelsorger auf der Grundlage der Heiligen Schrift und ihres Friedenszeugnisses. Gerade an einem runden Geburtstag mag es sinnvoll sein, sich dieser Grundlage einmal mehr zu vergewissern. Ich lese aus einem der eindrücklichsten Friedenstexte der Bibel, dem 85. Psalm. Wir hören die Verse 9 bis 14. (Text) Es beginnt mit einem Seufzer: Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk Nicht wahr, dieser Seufzer könnte in diesen

3 3 Tagen auch aus unserem Herzen kommen. Wieder wurde ein Krieg begonnen, und wir wissen nicht, wie lange er dauern wird. Wie viele Tote und Verwundete wird der Krieg in Libyen fordern? Wie viele Menschen werden in Angst und Not ihr Land verlassen und auf dem Mittelmeer ihr Leben riskieren? Wird es gelingen, den Diktator Gaddafi und seine Söldnertruppen an weiteren Gräueltaten zu hindern? Werden die Rebellen am Ende für Frieden und Freiheit in diesem Land sorgen können? Bedrängende Fragen sind das, und es tröstet nur wenig, dass Deutschland nicht in diesen Krieg verwickelt ist. Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk Dieser Seufzer stellt sich auch ein, wenn wir an Afghanistan denken. Eine neue Strategie hat die internationale Gemeinschaft ersonnen. Mit ihrer Hilfe sollen die Aufständischen vertrieben und ziviler Aufbau in diesem geschundenen Land möglich gemacht werden. Die Strategie ist offensiver als das bisherige Vorgehen. Es ist also mit mehr Toten und Verwundeten zu rechnen, doch scheint es keinen anderen Weg zu geben. Möglicherweise werden sich in den kommenden Wochen wieder Menschen zu Trauerfeiern an mit schwarz-rot-goldenem Tuch bedeckten Särgen zusammenfinden. Möglicherweise kommen im Frühjahr und im Sommer wieder Soldatinnen und Soldaten verändert aus dem Einsatz zurück. Verletzt an Leib und Seele, unfähig in den Alltag zurückzufinden. Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk Diesen Seufzer wird auch mancher Marinesoldat tun, wenn er zum wiederholten Male die Seewege vor dem Horn von Afrika sichert. Wie lange wird es noch nötig sein, Schiffe vor Angriffen durch Piraten zu schützen? Wann endlich wird den Kriminellen das Handwerk gelegt sein und wann endlich werden die Verhältnisse in Afrika so sein, dass niemand mehr zur Gewalt greifen muss? Dem Seufzen folgt im Psalm ein Bekenntnis tiefen Gottvertrauens: Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten Wie kommt der Beter zu solchem Vertrauen? Woher weiß er, dass von Gott Friede kommt? Vielleicht hat er es im Gottesdienst erfahren, so wie wir es in jedem Gottesdienst hören. In jedem Gottesdienst wird uns Gottes Frieden zugesprochen. In Predigten wird uns der Friede Gottes verkündigt, der Bund des Friedens, den er mit seinem Volk Israel und in Jesus Christus auch mit uns schloss. Am Ende einer jeden Predigt heißt es: Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Sinnlich erfahrbar, zu sehen und zu schmecken, ist der Friede Gottes am Tisch des Herrn, beim Abendmahl unter Brot und Wein. Und schließlich: Jeder Gottesdienst

4 4 endet mit dem aaronitischen Segen und den Worten: Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Das alles bleibt nicht ohne Folgen. Es kann nicht ohne Folgen bleiben. Denn wer aus Gottes Frieden lebt, wird für gerechten Frieden sorgen. Deshalb trägt die Friedensdenkschrift des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) den Titel: Aus Gottes Frieden leben für gerechten Frieden sorgen. Aber wie geht das? Im Psalm heißt es, dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen. Der Friede kommt also nicht allein und erst recht nicht von allein. Um wahrer Friede zu sein, benötigt er Begleiterinnen. Wie selbstständige Personen kommen die vier daher, die Güte, die Treue, die Gerechtigkeit und der Friede. Schauen wir sie uns nacheinander an. Güte soll unter den Menschen herrschen. Leider ist das Wort Güte aus unserem Sprachschatz nahezu verschwunden. Wahrscheinlich klang es zu altväterlich, patriarchalisch, von oben herab. Dabei ist das, was mit diesem Wort ausgesagt wird, alles andere als überholt. Güte ist das Kennzeichen des Weinbergbesitzers im Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg. Der Weinbergbesitzer lässt seine Arbeiter unterschiedlich lange im Weinberg arbeiten, gibt aber allen einen vollen Tageslohn. Er weiß: Andernfalls würden einige von ihnen mit ihren Familien in Not geraten. Das ist Güte, und solche Güte wird gerade heute dringend benötigt. Wie wäre es, wenn wir den nach Europa drängenden Menschen nicht zuerst mit Misstrauen und Restriktion begegneten, sondern mit Wohlwollen und Güte? Wenn wir denen, die den ägyptischen, tunesischen und libyschen Diktatoren entronnen sind, Zuflucht gewährten? Wenn nicht die Angst um unseren Wohlstand, sondern die Sorge um das Wohlergehen der anderen unser Entscheiden und Handeln leitete? Güte müsste die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union und Deutschlands prägen. Das wäre wahrhaftig ein Beitrag zum Frieden Die zweite Begleiterin des Friedens ist die Treue. Auch sie ist dient dem Leben. Die Treue zur Tradition zum Beispiel. Sie ist geschwächt und bei manchen ganz erloschen. Wir können aber nicht allein von dem leben, was wir selbst denken und schaffen. Wir brauchen zum Leben immer auch die Weisheit der Mütter und Väter. Natürlich ist nicht jede Tradition lebensdienlich. Das gilt besonders für manche Traditionen des Militärs. Deshalb war und ist es wichtig, dass die Bundeswehr immer wieder

5 5 die Traditionen in Erinnerung ruft, an die sich mit Gewinn anknüpfen lässt. Die Tradition des 20. Juli 1944 zum Beispiel, als mutige Soldaten sich gegen den menschenverachtenden Diktator zur Wehr setzten. Als sie, um des Friedens willen, dem Rad in die Speichen fielen und dabei selbst unter die Räder kamen. Auch die Kirche muss prüfen, welche ihrer Traditionen dem Frieden dienen. Dazu gehört sicher die Tradition der Bekennenden Kirche. Dazu gehören aber auch die nach 1945 gewonnenen Einsichten zum Verhältnis von Christen und Juden Die dritte Begleiterin des Friedens heißt Gerechtigkeit. Die Erde ist voll der Güter des Schöpfers, aber sie sind ungerecht verteilt. Es ist ein Skandal, dass eine Milliarde Menschen keinen ungehinderten Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, während andere mit eben diesem Wasser viel Geld verdienen. Es ist ein Unding, dass für unsere Mobilität in anderen Weltgegenden Felder in Anspruch genommen werden, auf denen dann die dort so dringend benötigten Nahrungsmittel nicht wachsen können. Es ist beschämend, dass die Geiz-ist-geil-Mentalität der einen die anderen um ihren gerechten Lohn bringt. Nur wenn weltweit ein Mindestmaß an Gerechtigkeit herrscht, wird der Friede sich einstellen können Und dann im Gefolge von Güte, Treue und Gerechtigkeit kommt er, der Friede. Aber er kommt nur auf friedliche Weise. Auch wenn manchmal Gewalt gewaltsam verhindert oder beendet werden muss, so kann doch Gewalt keinen Frieden schaffen. Das weiß übrigens kaum jemand so gut wie Soldatinnen und Soldaten es wissen. Sie kennen ihre Möglichkeiten, vor allem aber auch ihre Grenzen sehr genau. Wer den Frieden will, muss nicht den Krieg, sondern den Frieden vorbereiten, heißt es in der Denkschrift der EKD. Der 85. Psalm lässt uns also sehen, wie ein Friede aussieht, der dem Willen Gottes entspricht. Zu diesem Frieden hat die Kirche die Menschen zu bilden, seien sie Zivilisten oder Soldaten. Und unter den Soldaten macht es dann keinen Unterschied, an welchem Ort sie ihren wichtigen Dienst tun. Und der Friede Gottes