80 Jahre Herbertinger Erdbeben

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1 80 Jahre Herbertinger Erdbeben Wolfgang Kron GeoRisikoForschung, Munich Re I bi grad im Bach gstande und hau gfischet, ond auf oimol bin im Wasser gläaga und hau it gwisst wieso. Es war vor 80 Jahren, exakt um 18:19 Uhr am 27. Juni 1935, als dies einem inzwischen verstorbenen Herbertinger widerfuhr. Was den Buben in den Bach warf, waren die Schockwellen eines der stärksten Erdbeben in Oberschwaben seit Menschengedenken. Ein Radfahrer auf der Bahnhofstrasse sah sie wie Wasserwellen auf sich zukommen und hatte Mühe, sich im Sattel zu halten. Wie praktisch alle Erdbeben kam es für die Bevölkerung völlig unerwartet. Aber auch Seismologen waren überrascht. Sie wussten zwar, dass die Schwäbische Alb ein erdbebenreiches Gebiet war zuletzt hatte es dort 1911 richtig gerüttelt aber Oberschwaben!? Der Bereich Bad Saulgau war schnell als Epizentrum ausgemacht. Die spätere detaillierte Ortsbestimmung ergab einen Punkt im Dreieck Herbertingen Moosheim Marbach (ca. 4 km nordwestlich von Saulgau) als Epizentrum. Aus den Aufzeichnungen verschiedener Seismographenstationen konnte berechnet werden, dass es sich um ein Beben mit einer Magnitude von etwa M=5,6 (auf der Richterskala) gehandelt haben musste, dessen Herd in gut 8 km Tiefe lag. Das Beben war noch in Wien, Dresden, Koblenz und Genf zu spüren und wurde in Moskau und Beirut registriert war Charles Richter gerade dabei, seine Skala zu erfinden, nach der heutzutage die Magnitude, die durch ein Erdbeben freigesetzte Energie also quasi seine Stärke beschrieben wird. Die Skala ist logarithmisch. Das heißt, ein Punkt mehr auf ihr bedeutet eine 31,6-fach höhere freigesetzte Energie, zwei Punkte mehr eine fache. Zwei Zehntelpunkte mehr bedeuten eine Verdopplung. Eine ganz andere nach Mercalli und Sieberg benannte zwölfteilige Intensitäts-Skala wird dazu benutzt, um die Wirkung eines Erdbebens zu beschreiben. Der Wert 6 der Intensität entspricht einem starken, der Wert 7 einem sehr starken und der Wert 8 einem zerstörerischen Erdbeben. Am 27. Juni 1935 traten in Oberschwaben Spitzenwerte der Intensität im Bereich 7 bis 8 auf. Das Beben richtete in vielen Orten im Gebiet des früheren Kreises Saulgau enorme Schäden an Gebäude wurden beschädigt, der Gesamtschaden wurde auf Reichsmark geschätzt. Besonders betroffen waren Herbertingen, Hundersingen, Ölkofen, Beuren und das Gebiet um Uttenweiler. In diesen Orten blieb fast kein Haus ohne Schaden. In Herbertingen, wo 340 der 350 Gebäude Schäden erlitten und ein Sachschaden von Reichsmark entstand, trat einer der dramatischsten Schadensfälle auf. Die Kirche wurde regelrecht auseinander gerissen und dadurch strukturell so stark beschädigt, dass nur der Abriss übrig blieb. Lediglich der Turm aus dem 6. Jahrhundert trotzte wenn auch schwer beschädigt dem Beben. Der wohl spektakulärste Schaden war im Bad Buchauer Stadtteil Kappel zu sehen, und auch hier traf es die Kirche. Dort überstand die Gesamtkonstruktion des Gotteshauses das Beben so gut wie unbeschadet, da aber der Giebel des Turms herausplatzte, auf das Dach des

2 Kirchenschiffs fiel, diesen glatt durchschlug und im Innenraum landete, waren die Folgen dennoch immens. Bitter war zudem, dass die Kirche gerade neu hergerichtet und vergrößert worden war und am darauffolgenden Sonntag eingeweiht werden sollte. Überhaupt stellten herausgefallene Giebel den Schadentyp dar, der in seiner Häufigkeit nur von heruntergestürzten Kaminen und Dachziegeln sowie Rissen in Gebäuden übertroffen wurden. Positiv ist zu vermerken, dass keine Toten und nur wenige Verletzte zu beklagen waren. Auszug aus der Herbertinger Chronik: 28. Juni 1935: Erdbeben in Herbertingen: Gestern Abend 6.19 Uhr nach ungewöhnlich heissem Tag schreckte ein 3-4 Sekunden dauerndes Erdbeben die Menschen auf. Zwei heftige Wellen erschütterten in Richtung Nordost bis Südwest die Erde. Zugleich war ein dumpfes donnerähnliches Rollen und Poltern vernehmbar. Die Erschütterung machte sich durch schaukelartiges Schwanken des Bodens und Erzittern der Häuser bemerkbar. Der Leute bemächtigten große Bestürzung; aus den Häusern eilten die Bewohner ins Freie. Es entstand Sachschaden durch Einstürzen von Kaminaufsätzen, Steine und Mauerwerk flog auf die Strasse, Scheiben zersprangen klirrend, manch alter Kamin legte sich um und viele Häuser bekamen Risse. In den Zimmern wurde beobachtet wie Bilder, Uhren, Öfen und Kästen sich bewegten und das Geschirr zu klirren begann. 30. November 1935: Abbruch der Herbertinger Pfarrkirche: Die Erdbebenschäden haben sich umfangreicher herausgestellt als die erste Schätzung. Durch die im Laufe der vergangenen Monate noch erfolgten mehr oder minder schwächeren Nachbeben wurde das noch Unbestimmte der Abbruch der Kirche zur Gewissheit. Denn die Fundamente waren gebrochen, die Pfeiler hielten den Druck nicht mehr aus. Sichtbare Schiebungen und stärkere Risse hätten den sicheren Einsturz zur Folge gehabt. Sämtliche mit dem Abbruch zusammenhängende Arbeiten wurden ehrenamtlich verrichtet. Der Gottesdienst wurde in einer Notkirche in der Gerster schen Fabrik abgehalten. 26. August 1936: Richtfest des Kirchenneubaues Anm.: 8. August 1937: Weihe der neuen Kirche Das Beben von 1935 gehört zu den drei stärksten Erdbeben in Deutschland in den letzten 100 Jahren. Nur das Ereignis im deutsch-belgischen Grenzgebiet bei Roermond-Heinsberg von 1992 (M=5,8) und das Albstadt-Beben von 1978 (M=5,7) übertrafen es. Noch stärker war allerdings das eingangs erwähnte Beben von 1911 auf der Schwäbischen Alb, das M=6,1 erreichte. Nach allem, was man weiß, sind Beben mit Magnituden über M=7,0 in Deutschland (Mitteleuropa) ausgeschlossen. Das stärkste bekannte ereignete sich 1356 in Basel; seine Magnitude wird auf M=6,3 bis M=6,7 geschätzt. Zum Vergleich: Das erste Nepal-Bebel vom 25. April 2015 setzte mit M=7,8 rund 2000 Mal so viel Energie frei wie das Herbertinger Beben (M=5,6), und jenes, das am 11. März 2011 vor Japans Küste den Tsunami auslöste (M=9,0) war etwa Mal so stark.

3 Die Entstehung der oberschwäbischen Beben haben wir gewissermaßen Afrika zu verdanken. Der afrikanische Kontinent drängt nach Norden und faltet dabei die Alpen auf, die an manchen Stellen bis zu 1,5 mm jährlich wachsen. Diese Nordwärtsbewegung beträgt bis zu 1 cm pro Jahr (zum Vergleich: ein Fingernagel wächst etwa 5 cm im Jahr), und irgendwann muss sich die aufgebaute Spannung entladen; so entstehen die meisten Erdbeben. Die Erdbebenzonen in Deutschland sind recht gut erforscht, was sich u. a. in einer Baunorm niedergeschlagen hat, die Bauherren je nach der lokalen Erdbebengefährdung unterschiedlich strenge Auflagen erteilt. Für Sondergebäude wie Krankenhäuser und Schule oder gar Kraftwerke gibt es zusätzliche Bestimmungen. Das westliche Oberschwaben wird in dieser Norm in die Zone 2 eingestuft. Höher gefährdet (Zone 3) sind in Deutschland nur der Bereich des Zollerngrabens, die äußerste Südwestecke bei Basel und ein Gebiet zwischen Aachen und Köln. Ein Problem, das nicht gelöst ist, ist die Vorhersage von Erdbeben. Bis heute gibt es keine auch nur halbwegs zuverlässige Vorhersagemöglichkeit. Zwar konnten im Jahr 1975 die Bewohner der chinesischen Stadt Haicheng erfolgreich vor einem Beben der Magnitude M=7,3 gewarnt werden, aber nur ein Jahr später zerstörte eines der folgenschwersten Erdbeben der letzten hundert Jahre die Stadt Tangshan (China) völlig und forderte mindestens Menschenleben. Die jüngste Katastrophe in Nepal, dessen Hauptstadt Kathmandu übrigens seit Jahren als eine der Städte mit dem höchsten Erdbebenrisiko galt, hat gezeigt, was in Ländern mit niedriger Bauqualität passiert. Gebäude werden zu Steinhaufen, tausende Menschen kommen ums Leben oder werden verletzt. Diese Gefahr besteht in Herbertingen nicht. Aber Häuslebauer in Oberschwaben, die vielleicht noch mit den Zähnen knirschen, wenn sie die Auflagen der Erdbebenbaunorm erfüllen müssen, werden dennoch dankbar für die Vorschriften sein, wenn die Erde sich auch bei uns wieder einmal einen Ruck gibt. Das kann morgen sein oder in zehn Jahren oder in hundert. Jeder sollte sich darüber informieren, wie er sich in einer solchen Situation dann richtig verhält. Zudem: Wer hat nicht schon seinen Urlaub in einem Gebiet verbracht, das ein großes Erdbebenrisiko aufweist? Wissen über richtiges Verhalten im Ereignisfall erhöht immens die Wahrscheinlichkeit, unbeschadet zu bleiben. Daher sollte sich jeder vor einer Urlaubsreise über die Naturgefahren an seinem Zielort ausreichend informieren.

4 Intensitätsverteilung des Erdbebens am 27.Juni 1935 Intensität 6 7 8

5 Historische Erdbeben in Deutschland mit Magnitude M 4,0