BFH: Sollbesteuerung und Steuerberichtigung
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- Katja Kästner
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1 BFH: Sollbesteuerung und Steuerberichtigung BFH, Urteil vom V R 31/12 Volltext des Urteils: // BB-ONLINE unter BBL2014-&-1 AMTLICHER LEITSATZ Soweit ein der Sollbesteuerung unterliegender Unternehmer seinen Entgeltanspruch aufgrund eines vertraglichen Einbehalts zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren nicht verwirklichen kann, ist er bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung zur Steuerberichtigung berechtigt. UStG 17 Abs. 2 Nr. 1 SACHVERHALT I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, ist im Bereich der Oberflächentechnik (Malerarbeiten, Strahltechnik und Verzinkerei) tätig. In ihrer für das Streitjahr 2007 abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung vom , die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gemäß 168 Satz 1 AO gleichstand, berücksichtigte die Klägerin sog. Sicherheitseinbehalte für mögliche Baumängel nicht als bereits bei der Leistungserbringung zu versteuerndes Entgelt. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) demgegenüber davon aus, dass die Klägerin ihre Leistungen auch im Umfang der Sicherheitseinbehalte bereits mit Leistungserbringung zu versteuern habe. Das FA erließ am einen entsprechenden ¾nderungsbescheid für das Streitjahr. Einspruch und Klage zum FG hatten keinen Erfolg. Nach dem in EFG 2012, 2167 veröffentlichten Urteil des FG ist die Klägerin nach 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BFH zur Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (Sollbesteuerung) auch im Umfang der Sicherungseinbehalte verpflichtet. Die Voraussetzungen für eine Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung) gemäß 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG i.v.m. 20 UStG hätten nicht vorgelegen. Daher habe die Klägerin ihre Leistungen bei Erbringung unabhängig von einer Entgeltvereinnahmung zu versteuern. Eine Berichtigung wegen Uneinbringlichkeit nach 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG liege nicht vor. Eine derartige Uneinbringlichkeit sei nur aufgrund konkreter Mängelrügen anzunehmen, die im Streitfall nicht vorlägen. Nach den von der Klägerin geschlossenen Verträgen sei sie zumindest gegen Übernahme von Gewährleistungsbürgschaften zur vollen Entgeltvereinnahmung berechtigt gewesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, die sie auf Verletzung materiellen Rechts stützt. Ihre Auftraggeber hätten zwischen 5% bis 10% der Auftragssumme als Sicherheit für Gewährleistungszeiträume von zwei oder fünf Jahren einbehalten. Im Umfang dieser Sicherungseinbehalte habe sie nicht über liquide Mittel verfügt. Bereits mangelnder Zahlungswille reiche für eine Berichtigung nach 17 UStG aus. Es bestehe kein Erfordernis einer Entgeltsminderung oder einer Mängelrüge. Dies entspreche auch der Rechtsprechung zum Insolvenzrecht, nach der dem Zahlungseingang erhebliche Bedeutung zukomme. Sie sei als bloßer Steuereinnehmer nicht zur Vorfinanzierung von Steuern verpflichtet. Zudem habe sie im Streitjahr von Banken keine Bürgschaften erhalten können. BB 2013 Dateiname: St Date: Name: Fahne 1
2 Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und den Umsatzsteueränderungsbescheid 2007 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben. Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die Klägerin habe ihre Entgelte im Hinblick auf Gewährleistungsverpflichtungen unstreitig teilweise erst nach zwei bis fünf Jahren vereinnahmt. 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG sei zwar bei mangelndem Zahlungswillen oder bei Zahlungsunfähigkeit anzuwenden. Die Auftraggeber der Klägerin hätten aber weder die Zahlungen noch das Bestehen oder die Höhe der vereinbarten Entgelte bestritten. Eine lediglich temporäre Zahlungsunwilligkeit reiche nicht aus. Die Klägerin habe weder konkrete Vereinbarungen vorgelegt noch Mängelrügen oder Rechnungskürzungen nachgewiesen. Die Pflicht zur Vorfinanzierung im Rahmen der Sollbesteuerung sei nicht rechtswidrig. AUS DEN GRÜNDEN Sicherungseinbehalte können zu einer Minderung wegen Uneinbringlichkeit nach 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG berechtigen 9 II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen ( 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Entgegen dem Urteil des FG kann die Klägerin im Umfang der Sicherungseinbehalte zu einer Minderung wegen Uneinbringlichkeit nach 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG berechtigt sein. Zum Umfang und den Voraussetzungen dieser Sicherungseinbehalte sind aber noch weitere Feststellungen zu treffen. Bei der Sollbesteuerung ist die Steuer mit Leistungserbringung unabhängig vom Umfang der Leistungsentgelte nach 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG entstanden Die Steuer für die von der Klägerin erbrachten Leistungen ist nach 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Leistungserbringung und damit im Streitjahr entstanden. 11 a) Nach 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten und damit bei der sog. Sollbesteuerung mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. 12 Die Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 63 der Richtlinie 2006/112/ EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Eine einschränkende Auslegung dieser Bestimmung dergestalt, dass Steuertatbestand und Steueranspruch nur im Umfang der Leistungsentgelte eintreten, die bei Leistungsbewirkung fällig und rechtlich durchsetzbar sind, ist im Hinblick auf ihren eindeutigen Wortlaut nicht möglich. Die Sollbesteuerung ist soweit sie im Einzelfall unverhältnismßig ist durch die Auslegung des Berichtigungstatbestandes der Uneinbringlichkeit zu korrigieren 13 Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom V R 4/09 (BFHE 231, 260, BStBl. II 2013, 590, unter II.4.b dd) ausdrücklich entschieden hat, verstößt die auf dem Unionsrecht beruhende Sollbesteuerung nicht gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit und ist aus diesem Grund auch verfassungsgemäß (vgl. auch den Beschluss des BVerfG vom BvR 3063/10, HFR 2013, 535, WM BB 2013 Dateiname: St Date: Name: Fahne 2
3 2013, 818, mit dem eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Senatsurteil nicht zur Entscheidung angenommen wurde). Soweit sich die Sollbesteuerung im Einzelfall als unverhältnismäßig erweisen sollte, ist dem durch die Auslegung des Berichtigungstatbestandes der Uneinbringlichkeit ( 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, vgl. auch Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL) Rechnung zu tragen (BFH-Urteil in BFHE 231, 260, BStBl. II 2013, 590, unter II.4.b dd (1), und Wäger, Umsatzsteuer-Rundschau 2013, 673 ff., 674). 14 b) Im Streitfall entstand die Steuer für die Leistungen der Klägerin, die der Sollbesteuerung nach 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG unterlag, mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Leistungserbringung und damit im Streitjahr, da ihr keine Genehmigung zur sog. Istbesteuerung nach 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG i.v.m. 20 UStG erteilt worden war Das Urteil des FG ist aufzuheben, da die Klägerin dem Grunde nach zu einer Berichtigung des Steueranspruchs für die von ihr erbrachten Leistungen gemäß 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG berechtigt ist. Die Regelung der Uneinbringlichkeit 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG beruht auf Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL, der eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für den Fall 16 a) ¾ndert sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz i.s. des 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, gemäß 17 Abs. 1 S. 1 UStG den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Nach 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gilt dies sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. 17 Diese Regelung beruht unionsrechtlich auf Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL. Danach wird im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert. der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung nach der Bewirkung des Umsatzes unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen anordnet 18 b) Bei der Auslegung des Begriffs der Uneinbringlichkeit i. S. von 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist der für die Mitgliedstaaten bestehende Regelungsspielraum zu beachten, der sich daraus ergibt, dass Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung nach der Bewirkung des Umsatzes unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen anordnet. Bei der Ausübung dieser Regelungsbefugnis, die den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum einräumt, sind nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG-Beschluss in HFR 2013, 535, WM 2013, 818, unter III.1.) wie auch nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BFH-Urteil in BFHE 231, 260, BStBl. II 2013, 590, unter II.4.e) die Grundrechte des nationalen Verfassungsrechts zu berücksichtigen. Liegt der Grund dafür, dass der Unternehmer sein Entgelt nicht vereinnahmen kann, bereits bei Leistungserbringung vor, ist erst recht von Uneinbringlichkeit auszugehen 19 c) Uneinbringlich ist ein Entgelt i. S. von 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Ent- BB 2013 Dateiname: St Date: Name: Fahne 3
4 geltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (BFH-Urteil in BFHE 231, 260, BStBl. II 2013, 590, unter II.4.b dd (1)). Kann der Unternehmer das Entgelt für seine bereits erbrachten Leistungen aus Gründen, die bereits bei Leistungserbringung vorliegen, für einen Zeitraum über zwei bis fünf Jahre nicht vereinnahmen, ist erst recht von Uneinbringlichkeit i. S. von 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auszugehen. Eine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer über mehrjährige Zeiträume ist im Verhältnis zur Besteuerung von Unternehmern, die der Istbesteuerung unterliegen, gleichheitswidrig 20 Denn eine Vorfinanzierung der Umsatzsteuer über mehrjährige Zeiträume ist im Verhältnis zur Besteuerung der Unternehmer, die der Istbesteuerung unterliegen, mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar. Mit der Istbesteuerung ( 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG i.v.m. 20 UStG) hat der Gesetzgeber die ihm nach Unionsrecht eingeräumte Ermächtigung ausgeübt, für die Entstehung des Steueranspruchs nach Art. 66 Buchst. b MwStSystRL auf die Vereinnahmung des Preises abzustellen. Die Auslegung des Begriffs Uneinbringlichkeit muss auch dazu dienen, die Besteuerungsgleichheit zwischen den Besteuerungsformen der Soll- und Istbesteuerung zu gewährleisten (BFH-Urteil in BFHE 231, 260, BStBl. II 2013, 590, unter II.4.b dd (1) und oben II.1.a, und Wäger, a.a.o., S. 674). 21 Darüber hinaus wäre die Verpflichtung zu einer mehrjährigen Vorfinanzierung der Umsatzsteuer mit Blick auf die dem Unternehmer zukommende Aufgabe, öffentliche Gelder als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates zu vereinnahmen (Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom C-10/92, Balocchi, Slg. 1993, I-5105, Rdnr. 25, und vom C-271/06, Netto Supermarkt, Slg. 2008, I-771, Rdnr. 21) unverhältnismäßig. Ob dies auch für andere Fallgestaltungen wie z. B. die Lieferung im Rahmen von Leasingverhältnissen zu gelten hat (so Senatsurteil vom V R 49/70, BFHE 100, 272, BStBl. II 1971, 34, unter 3.), ist im Streitfall nicht zu entscheiden. 22 d) Gegen Uneinbringlichkeit bereits im Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung ( 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 S. 1 i.v. m. 18 Abs. 1 UStG) spricht nicht das Senatsurteil vom V R 45/99 (BFHE 192, 129, BStBl. II 2000, 703, unter II.4.). Dort hat der Senat nur entschieden, dass sich Uneinbringlichkeit nach 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG und nachträgliche Vereinnahmung nach Satz 2 dieser Vorschrift im selben Voranmeldungsoder Besteuerungszeitraum gegenseitig aufheben. Diese Auslegung des Begriffs der Uneinbringlichkeit verstößt nicht gegen Art. 90 Abs. 1 MWStSystRL 23 e) Die Annahme einer Uneinbringlichkeit aufgrund von Umständen, die bei Leistungserbringung vorliegen, und die zu einer Berichtigung bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung führen, verstößt auch nicht gegen den durch Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL vorgegebenen Rechtsrahmen. Soweit es danach erforderlich ist, eine Berichtigung nach der Bewirkung des Umsatzes vorzusehen, reicht es aus, wenn es zur Uneinbringlichkeit nach der Leistungserbringung deshalb kommt, weil keine Bürgschaft gestellt werden kann. 24 f) Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des XI. Senats des BFH liegt nicht vor. Soweit dieser in seinem Urteil vom XI R 56/06 (BFHE 221, 475, BStBl. II 2008, 909) davon ausgegangen ist, dass die Lieferung bereits bei ihrer Ausführung voll zu versteuern ist, betraf dies eine Lieferung im Rahmen eines tauschähnlichen Vorgangs, bei dem vom Empfänger der Lieferung keine Zahlungen zu leisten waren, so dass sich die Frage nach BB 2013 Dateiname: St Date: Name: Fahne 4
5 dem Zeitpunkt einer Vereinnahmung von Geldbeträgen nicht stellen konnte. Zu klären bleibt vom FG, in welchem Umfang die Klägerin aufgrund der Sicherungseinbehalte Entgelte nicht vereinnahmen konnte Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt keine Feststellungen zu der Frage getroffen, in welchem Umfang die Klägerin aufgrund der Sicherungseinbehalte Entgelte nicht vereinnahmen konnte. 26 Soweit die Klägerin nach den von ihr abgeschlossenen Verträgen eine vollständige Entgeltzahlung bereits mit Leistungserbringung für den Fall beanspruchen konnte, dass sie die Gewährleistungsansprüche ihrer Leistungsempfänger durch Bankbürgschaft sicherte, kommt es dabei auch darauf an, ob der Klägerin eine derartige Bürgschaftsgestellung möglich war. 27 Zu prüfen ist schließlich auch, ob die Klägerin im Streitjahr eine Steuerminderung für in Vorjahren erbrachte Leistungen geltend gemacht hat, die dann aber nur zu einer Berichtigung im Jahr der Leistungserbringung führen könnte. BB 2013 Dateiname: St Date: Name: Fahne 5
6 Weimann BB-Kommentar zu BB-Kommentar Besteuerung nach vereinbarten Entgelten aber nur noch bei zeitnaher Vereinnahmung! PROBLEM Umsatzsteuerlich ist die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (sog. Soll-Besteuerung) von der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (sog. Ist-Besteuerung) zu unterscheiden. Grundsätzlich erfolgt die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten ( 16 Abs. 1 S. 1 UStG). Die Steuer entsteht in diesem Fall mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem Leistungen ausgeführt worden sind ( 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 1 UStG). Ausnahmsweise erfolgt die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten ( 20 i.v.m. 16 Abs. 1 S. 1 UStG). Die Steuer entsteht in diesem Fall mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in die Entgelte vereinnahmt worden sind ( 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG). Die Soll-Besteuerung führt damit zu einem echten Liquiditätsnachteil des Unternehmers. Der BFH kommt in seinem Urteil im Hinblick auf den europäischen Gleichheitsgrundsatz (in Deutschland: Art. 3, 20 GG) zum Erfordernis einer Angleichung beider Besteuerungsarten: Ein der Sollbesteuerung unterliegender Unternehmer, der seinen Entgeltsanspruch aufgrund eines vertraglichen Einbehalts zur Absicherung von Gewährleistungsansprüchen über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren nicht verwirklichen kann, ist bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung zur Steuerberichtigung berechtigt. ZUSAMMENFASSUNG Gemäß 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG (Art. 63 MwStSystRL), treten Steuertatbestand und Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird (Rn. 11 des Urteils). Eine einschränkende Auslegung dieser Bestimmung dergestalt, dass Steuertatbestand und Steueranspruch nur im Umfang der Leistungsentgelte eintreten, die bei Leistungsbewirkung fällig und rechtlich durchsetzbar sind, sei im Hinblick auf ihren eindeutigen Wortlaut nicht möglich, so der BFH. Nach Auffassung des BFH liegt hierin kein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit (BFH, V R 4/09, BStBl. II 2013, 590, unter II.4.b dd) und ist aus diesem Grund auch verfassungsgemäß (vgl. auch BVerfG, BvR 3063/10, HFR 2013, 535, mit dem eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Senatsurteil nicht zur Entscheidung angenommen wurde). Erweist sich jedoch die Sollbesteuerung im Einzelfall als unverhältnismäßig, ist dem durch die Auslegung des Berichtigungstatbestandes der Uneinbringlichkeit ( 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) Rechnung zu tragen (Rn. 13 des Besprechungsurteils sowie BFH, , unter II.4.b dd (1)). Dabei ist der für die Mitgliedstaaten bestehende Regelungsspielraum zu beachten, der sich daraus ergibt, dass Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL eine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage für den Fall der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung nach der Bewirkung des Umsatzes unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen anordnet (Rn. 18 des Besprechungsurteils). Bei der Ausübung dieser Regelungsbefugnis, die den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum einräumt, sind nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfG, , unter III.1) wie auch nach der Rechtsprechung des BFH (BFH, , Rn. 17) die Grundrechte des nationalen Verfassungsrechts zu berücksichtigen. Die Verpflichtung zu einer mehrjährigen Vorfinanzierung der Umsatzsteuer auch mit Blick auf die dem Unternehmer zukommende Aufgabe, öffentliche Gelder als Steuereinnehmer für Rechnung des Staates BB 2013 Dateiname: St Date: Name: Fahne 6
7 Weimann BB-Kommentar zu zu vereinnahmen, wäre unverhältnismäßig. Das Ziel, eine unverhältnismäßige Verpflichtung des Leistenden zu einer mehrjährigen Vorfinanzierung der Umsatzsteuer zu vermeiden, erreicht der BFH über die Auslegung des Begriffs der Uneinbringlichkeit nach 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG. Die Auslegung muss unter anderem auch dazu dienen, die Besteuerungsgleichheit zwischen der Soll- und Istbesteuerung zu gewährleisten (So bereits BFH, Urteil vom [a.a.o.], unter II.4.b dd (1) und oben II.1.a). Aus diesem Grund legt der BFH den Berichtigungstatbestand ( 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) weit aus. PRAXISFOLGEN Im Ergebnis ist ab sofort zwischen nachträglicher und anfänglicher Uneinbringlichkeit zu unterscheiden (Wäger, Anmerkungen zum Besprechungsurteil, BFH/PR 2014, ¼, Hinweise 2 u. 3): Schon immer unstreitig war, dass die Sollbesteuerung den Unternehmer bei Umständen, die erst nach der Leistungserbringung eintreten, nicht verpflichtet, Umsatzsteuer über mehrjährige Zeiträume vorzufinanzieren (vgl. Abschn Abs. 5 UStAE; dazu ausführlich Lang, in: Weimann/Lang, Umsatzsteuer national und international, 3. Aufl. 2011, 17, Anm. 7.6). Vor dem Besprechungsurteil noch ungeklärt war der Fall, dass der Unternehmer bereits nach den der Leistungserbringung zugrunde liegenden Verträgen von vornherein nicht berechtigt ist, das Entgelt bei Leistungserbringung vollständig zu vereinnahmen. Hier hält der BFH die Annahme einer Uneinbringlichkeit bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung für gerechtfertigt. Damit wird das Urteil immer dann anzuwenden sein, wenn die Sollbesteuerung deswegen zu einer nicht angemessenen Vorfinanzierung der Umsatzsteuer durch den leistenden Unternehmer führt, weil der Kunde erst später den vollen Preis zahlt. Im Anschluss an das BFH-Urteil dürften somit die folgenden neuen Fallgruppen zu einer Umsatzsteuerberichtigung wegen Uneinbringlichkeit führen: Sicherheitseinbehalte (= Urteilsfall) Lieferungen gleichgestellte Leasinggeschäfte: Die Ausführungen müssten auf den Lieferungen gleichgestellte Leasinggeschäfte übertragbar sein; die Interessenlage ist identisch. Betroffen sind insbesondere Fälle des Spezialleasings, d. h. der Leasinggegenstand ist speziell auf die Verhältnisse des Leasingnehmers zugeschnitten und kann nach Ablauf der Grundmietzeit nur noch bei ihm sinnvolle Verwendung finden (Beispiel: Leasinggeber ist Anlagenbauer und baut eine auf die speziellen Kundenbedürfnisse zugeschnittene Maschine. Zur Finanzierung wird ein zwei-jähiges Leasing vereinbart). Der BFH hat dies im Besprechungsurteil ausdrücklich offengelassen (Rn. 21), in einer früheren Entscheidung aber schon einmal in diese Richtung argumentiert (BFH, V R 49/70, BStBl. II 1971, 34, unter 3). Ratenzahlungsgeschäfte (Beispiel: Ein Möbelhaus kurbelt den in den Sommermonaten 2014 schleppenden Umsatz mit der Verkaufsfördermaßname Ab sofort schön wohnen und erst ab Juli 2015 in 12 gleichen Raten zahlen! an). Zwecks Vermeidung strafrechtlicher Risiken, sollte gegenüber der Finanzverwaltung bei entsprechenden Fallgestaltungen auf die Anwendung der neuen BFH-Rechtsprechung ausdrücklich hingewiesen werden (Weyand, Risiko der Steuerhinterziehung bei abweichender Rechtsauffassung/Anmerkungen zum BGH-Urteil vom StR 221/99, INF 2000, 726). Ist etwa aufgrund eines Sicherungseinbehalts beim leistenden Unternehmer eine Berichtigung des Steueranspruchs zu bejahen, muss ein zum Vorsteuerabzug berechtigter Leistungsempfänger korrespondierend den Vorsteuerabzug berichtigen ( 17 Abs. 2 Nr. 1 i.v. m. Abs. 1 S. 2 UStG; vgl. auch Langer/Hammerl, NWB 2014, 668, unter IV). Nicht anzu- BB 2013 Dateiname: St Date: Name: Fahne 7
8 Weimann BB-Kommentar zu wenden sein dürfte die neue Rechtsprechung dann, wenn nicht der leistende Unternehmer, sondern ein Dritter etwa eine Leasing- oder Kundenkreditbank die Finanzierung übernimmt (Wäger [a. a. O.], Hinweis 5.c). Die Finanzverwaltung hat sich zu dem neuen Urteil noch nicht geäußert. Insbesondere wird sie klären müssen, ab welcher Zahlungsfrist die neue Steuerberichtigung zugelassen wird. Dipl.-Finw. Rüdiger Weimann, Dozent, Lehrbeauftragter und freier Gutachter in Umsatzsteuerfragen, Dortmund; Partner der kmk Steuerberatungsgesellschaft mbh. Für die Mitwirkung danke ich Herrn Dipl.-Ök. Hans-Joachim Kraatz, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Dresden, Partner der kmk Steuerberatungsgesellschaft mbh. Umsatzsteuer Uneinbringlichkeit, Sicherungseinbehalt, Steuerberichtigung für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, Sollbesteuerung Uneinbringlichkeit Sicherungseinbehalt, Steuerberichtigung für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, Sollbesteuerung, USt Sicherungseinbehalt Uneinbringlichkeit, Steuerberichtigung für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, Sollbesteuerung, USt BB 2013 Dateiname: St Date: Name: Fahne 8
UStG 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1, 18 Abs. 1 MwStSystRL Art. 63, Art. 90
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