Beitrag: Lügen wie gedruckt? Promis gegen Klatschblätter

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Lügen wie gedruckt? Promis gegen Klatschblätter Sendung vom 29. Juli 2014 von Jörg Göbel und Julian Prahl Anmoderation: Abgedroschen, aber immer noch gültig: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Gerade uns ZDF-Journalisten geht diese sprichwörtliche Mahnung derzeit bedrückend häufig durch den Kopf. Aus gegebenem Anlass. Sie wissen das! Aber uns beschäftigt auch, wie die Kollegen von der Klatschpresse scheinbar unverdrossen ihre Glaubwürdigkeit verspielen. Die erfinden, verdrehen und lügen wie gedruckt. Und die Verlage, die dahinter stecken und die sich ansonsten gerne seriös geben, stört das nicht. Denn ausgerechnet die verlogenste Sparte des Journalismus ist ein besonders lohnendes Geschäft. Zeigen Jörg Göbel und Julian Prahl. Text: Sie sind schrill und bunt und heißen Freizeit Revue, Neue Post Das Neue Blatt, die aktuelle oder Die Neue Frau - und kosten meistens zwischen 50 Cent und 1,60 Euro. Ein beliebtes Titel-Motiv ist die Volkmusikerin Stefanie Hertel. Seit 20 Jahren ist sie im Showgeschäft und längst daran gewöhnt, dass die Klatschblätter oft lügen wie gedruckt. Aber manchmal gehen sie einfach zu weit. Eine Geschichte, die war ganz besonders krass. Das war nämlich die Geschichte, als der Eindruck erweckt wurde, dass meine Tochter an Krebs erkrankt sei. Also, das geht echt zu weit. Ja, das ist wirklich, das ist so was von verletzend und schlimm, so etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen. Es ist eigentlich grauenhaft. Das vermeintliche Krebs-Drama war in Wahrheit eine Unterschriftenaktion, an der sich Stefanie Hertel beteiligt hatte. Es ging dabei um einen Funkmasten in ihrem Dorf.

2 Weitere Kinder wurden ihr schon angedichtet, oder ein harmloser Fan zum gefährlichen Stalker hochgeschrieben. Aufgeblasene Geschichten, Wahrheitsfaktor null. Die werden tatsächlich oft einfach frei erfunden, man wird nicht gefragt. Man glaubt ja immer, bei jeder Geschichte wird der Künstler erst mal gefragt oder es wird ein Interview geführt, dem ist nicht so. Allein von den Wochentiteln der Klatschblätter werden 5,6 Millionen Exemplare verkauft jede Woche. Zum Vergleich: Spiegel, Focus und Stern haben gerade mal eine Auflage von etwa zwei Millionen. Die Klatschblätter sind also ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Verlage. Im Jahr erzielen sie insgesamt Verkaufserlöse von etwa 440 Millionen Euro. Millionen Leser, Millionen Profite. Für Prof. Andreas Vogel vom Institut für Presseforschung in Köln gute Gründe, die bunten Blätter ernst zu nehmen. Seit Jahren beobachtet er einen immer schärfer werdenden Konkurrenzkampf der Regenbogenpresse. Der funktioniert vor allem über die reißerischen Titelblätter. O-Ton Prof. Andreas Vogel, Wissenschaftliches Institut für Presseforschung Köln: Die Masche ist, eine Frage aufzuwerfen, eine Behauptung in den Raum zu stellen, neugierig zu machen, Sensation zu versprechen, Skandal zu versprechen, und es dann im Heft gar nicht einzulösen. Und das darf nicht sein, das ist ne Form des Betrugs am Leser. Den Betrug am Leser dokumentieren die beiden freien Journalisten Mats Schönauer und Moritz Tschermak in ihrem Internet-Blog Topf voll Gold. Sie wollen damit die schmutzigen Geschäfte der Regenbogenpresse entlarven. O-Ton Moritz Tschermak, Freier Journalist: Also, das was mich am meisten so schockiert an der Regenbogenpresse, ist diese massive Flut an Mistgeschichten. Das ist nicht so, dass einmal in der Woche oder einmal im Monat da irgendwas Kritikwürdiges zu finden ist, sondern wirklich jede Woche und das gleich mehrfach. Beispiel: Michael Schumacher. Seit seinem Unfall überbieten sich die Klatschblätter mit reißerischen Titelgeschichten: Endlich aufgewacht!, Das Wunder!, Sie holt ihn heim!. Dabei ist die Faktenlage dünn oder gar nicht erst vorhanden. O-Ton Mats Schönauer, Freier Journalist: Banalitäten werden aufgeblasen zu großen Schock-

3 Schlagzeilen. Und gerade speziell im Fall Schumacher war es so, dass die Regenbogenhefte immer suggeriert haben, auf der Titelseite und in ihren Schlagzeilen, dass sie Neuigkeiten hätten zu Schumacher. Also, sie haben immer suggeriert, Schumacher sei aufgewacht oder gestorben. Aktuelles Klatschblatt-Objekt Nummer eins: Helene Fischer. Über sie berichten die Magazine im Wochentakt auch wenn es komplett erfunden ist. Aus einem einfachen Foto, auf dem sie die Hand vors Gesicht hält, wird die Schlagzeile: Bittere Tränen um ihre große Liebe!. Kurz darauf die Klarstellung : Helene Fischer - Sie weint gar nicht Sie lacht! O-Ton Moritz Tschermak, Freier Journalist: Also, das ist ein ganz typischer Fall für die Regenbogenpresse. Es werden einzelne Bilder herausgegriffen, auf einzelnen Bildern kann jeder mal blöd aussehen, sogar sehr blöd, und dann wird es sich so einfach hingedreht. Wenn ein Windstoß unters T-Shirt kommt, dann ist es ein Babybauch. Wenn mal Boris und Lilly Becker nebeneinander sich nicht freudig anstrahlen, sondern Boris Becker guckt aufs Smartphone und Lilly Becker guckt in die Gegend, dann ist es eine große Ehekrise. Solche erfundenen Geschichten kennt Patricia Cronemeyer. Die Anwältin bearbeitet wöchentlich Fälle, in denen die Zeitschriften Persönlichkeitsrechte missachten. Ihr Eindruck: Die Klatschblätter machen systematisch Kasse mit den Lügen. O-Ton Patricia Cronemeyer, Anwältin für Medienrecht: Das Geschäftsmodell, das dahinter steckt, ist eine kaufmännische Kalkulation. Es werden bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen in die Welt gesetzt, Lügengeschichten erfunden, um damit die Auflage zu steigern und den Profit zu erhöhen. Und auf der anderen Seite wissen die Verlage, durch ihre Prozesserfahrung der letzten Jahre und auch Jahrzehnte, dass sich diese Rechtsverletzungen lohnen, weil die Entschädigungen, die gegenüber stehen, so niedrig sind, dass eben der Gewinn immer noch sehr hoch ist. Der Deutsche Presserat in Berlin er soll sich darum kümmern, dass der Pressekodex gewahrt bleibt: Dazu zählen etwa Wahrhaftigkeit und Sorgfalt bei der Recherche. Da wäre bei der Klatschpresse wahrlich viel zu tun, aber der Presserat sieht keinen Handlungsbedarf. O-Ton Lutz Tillmanns, Geschäftsführer Deutscher Presserat: Wir sind eben auch aufgestellt als Selbstkontrolle für die journalistische Arbeit. Und ich stelle doch fest, dass

4 insbesondere in diesen Blättern, dass da weniger journalistische Inhalte als rein unterhaltende, rein fiktionale Inhalte stattfinden. O-Ton Patricia Cronemeyer, Anwältin für Medienrecht: Gerade um solche Schmutzfinken muss sich doch dann der Presserat erst recht kümmern, also eine FAZ oder eine Süddeutsche, die sich sowieso an den Pressekodex sozusagen hält, da muss ich ja als Presserat nicht mehr viel machen. Sondern ich muss mich doch gerade um diese Medien kümmern, die sich nicht daran halten, die sich nicht an die Grundsätze der Ethik halten, an die Grundsätze der Wahrheit und deswegen kann ich diese Antwort nicht ganz nachvollziehen. Gerade mal fünf öffentliche Rügen hat der Presserat im vergangenen Jahr für Klatschblätter ausgesprochen. Eine davon, als Meine Freizeit titelte: Angela Merkel - Die verheimlichte Scheidungs-Tragödie. Der Deutsche Presserat urteilte: grobe Irreführung. Doch der Alles Gute Verlag zeigte sich wenig beeindruckt: Vor wenigen Wochen kam eine andere Zeitschrift des gleichen Verlags mit dieser Geschichte raus: Angela Merkel Streit, Tränen, Einsamkeit. Das verheimlichte Ehe-Drama. Was sagen die großen Verlage zum Vorwurf der Lügengeschichten? Wir fragen nach. Hubert Burda Media und die Funke Mediengruppe antworten gar nicht. Die Bauer Gruppe teilt lapidar mit, Zitat: Medien müssen damit leben, dass Prominente kritische Berichterstattung gerichtlich überprüfen lassen. Kritische Berichterstattung? Wohl eher häufig frei erfundene Geschichten, bei denen Gegendarstellungen oder Unterlassungen wenig helfen. Das Problem ist nur, dass dann eigentlich das Kind schon im Brunnen liegt, ja, dass die Geschichte dann schon geschrieben ist, und man das ja nicht mehr zurücknehmen kann. Und das Prozedere dauert ja dann sehr lange, bis dann möglicherweise, wenn es überhaupt möglich ist, eine Gegendarstellung kommt oder so. Bis dahin ist das natürlich längst in den Köpfen der Menschen drin. So wird die Klatschpresse auch in Zukunft unbeeindruckt ihr lohnendes Lügen-Geschäft weitertreiben - auch mit Stefanie Hertel, der Hit auf jedem Titelblatt.

5 Da sagte man mir ganz klar: Ja, Frau Hertel, wenn Sie auf dem Titelblatt sind, dann verkaufen wir das Blatt, egal, was da steht. Und dann hab ich gegenargumentiert und gesagt: Na, wenn das egal ist, was da steht, dann schreiben Sie doch was Positives oder schreiben Sie doch etwas, was stimmt. Doch eine reißerische Schlagzeile, auch wenn sie erfunden ist, verkauft sich eben besser. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.