Vom Blauen Reiter zum Abstrakten Expressionismus Ein Museumsbesuch in Wiesbaden KulturGenuss

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1 Vom Blauen Reiter zum Abstrakten Expressionismus Ein Museumsbesuch in Wiesbaden KulturGenuss Frau Schmahl vom Marienborner KulturGenuss hat zum 8. Januar 2011 wieder eingeladen und so treffen sich 30 Interessierte aus unserem Stadtteil, um mit ihr die Wiesbadener Ausstellung Vom Blauen Reiter zum Abstrakten Expressionismus zu besuchen. Vorab sei schon verraten, dass sie zwei Expertinnen für uns engagierte, die uns in kleineren Gruppen mit dem Thema vertraut machen werden. Unsere Gruppe führt ganz hervorrragend Frau Eva Reifert In welcher Zeit werden wir uns bewegen? Die Anfänge beginnen im Umkreis von München zwischen 1905 und 1907, die betrachtete Epoche endet in den USA nach Hierzu noch einige wichtige Lebensdaten von Künstlern bzw. die Daten entstandener Künstlervereinigungen: Wassily Kandinsky , * Moskau (Russland) Marianne von Werefkin , * Tula (Russland) Alexej von Jawlensky , *Torschok (Russland) Gabriele Münter , *Berlin Franz Marc , *München Paul Klee ,* Schweiz August Macke , * Meschede Lyonel Feininger , * New York Neue Künstlervereinigung München Künstlervereinigung Der Blaue Reiter (Ausbruch des Krieges) Emilie Galka Scheyer , * Braunschweig Künstlerkreis Die Blaue Vier (Tod von Galka Scheyer) Mark Rothko , * Dünaburg (Lettland) Der Expressionismus wird derzeit in verschiedenen Museen des Rhein- Main-Gebietes unter verschiedenen Namen behandelt, u. a. in Darmstadt mit der Ausstellung Gesamtwerk Expressionismus. München wurde um die vorige Jahrhundertwende einer der wichtigsten Kristallisationspunkte der damals modernen Malerei. Es gab hauptsächlich zwei Galerien, in denen die aufstrebenden Künstler ihre teilweise sehr krass vom bisherigen Malstil abweichenden Auffassungen der Öffentlichkeit präsentieren konnten, das waren die des Akademie-Professors Stuck ( ) und die des Kunsthändlers Thannhäuser (ab 1904). Bei ersterem ließ sich Kandinsky einige Jahre ausbilden. Nun muss zum allgemeinen Verständnis hier eine kurze Zusammenfassung der Situation in der Münchener Künstlerszene eingeschoben werden gründete Werefkin bereits einen künstlerischen Zirkel, nach einem Frankreich-Aufenthalt entstanden 1907 ihre ersten expressionistischen Bilder. Jawlensky malte bis 1907 noch im Stil des Pointilismus und kam durch Malerfreunde erst 1908 zu einer flächenförmigen Malweise in der Art Gaugins. Kandinsky und seine Lebensgefährtin Gabriele Münter waren kurz in Paris und wurden 1908 von Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky nach Murnau in ihre Villa zum gemeinsamen Malen eingeladen. Werefkin und Jawlensky hatten sich schon weiter in Richtung Expressionismus entwickelt als Kandinsky und Münter, hier in Murnau gelang in diesem Jahr der Durchbruch zum Expressionismus, und in kurzer Zeit entwickelte sich Münter zu einer der bedeutendsten deutschen expressionistischen Malerinnen. Die Farbe löste sich vom Gegenstand, rückte in den Mittelpunkt und wurde im Bild zum eigentlichen Gegenstand. Anregung fanden die Künstler durch ihre Pariser Freunde, vor allem den Fauves, der Gruppe Nabis und besonders Robert Delaunay. Doch davon später. Als Erstes betrachten wir ein kleines Bild von Münter, das sie 1908 als Bauernhaus im Regen bezeichnete. Es ist das Murnauer Haus, das sogenannte russische Haus, in dem die 4 Personen lebten, drei waren gebürtige Russen. Trotz der etwas gebrochenen Farben strahlt die obere Hälfte des Hauses in Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 1 Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 2

2 hellem Gelb, der Sockel im ebenfalls hellen Lila. Eingerahmt wird es von realistischen, schwach durchgezeichneten Bäumen, zwei blaue Berge nehmen es in die Mitte. Das Bild gehört noch zur impressionistischen Phase der Münter. Aber das änderte sich bald: ein Jahr später schuf sie die links abgebildete Landschaft. Das Bild ist eine musikalische Komposition: Die schwere Musik der großen düsteren Berge wird vom musikalischen Paukenschlag der vier Bäume im Vordergrund unterbrochen, die im Mittelgrund aufgereihten zehn Bäume bedeuten ein Trillern und der türkisfarbene Streifen davor einen Schlussakkord. Das ist das neue Gefühl. Ebenfalls von 1908 stammt Kandinskys Ölbild vom Murnauer Untermarkt. Noch der russischen Ikonen-Malerei verbunden, entstand der große, sich nach hinten erstreckende Platz aus langen und breiten kräftigen Pinselstrichen in Pastellfarben, die Häuser sind unrealistisch in kräftigen Farben dargestellt, die Gegenstände beherrschen das Gemälde. In dieser Zeit, 1908, lernt Kandinsky den Esotheriker und Philosophen Rudolf Steiner, den Begründer der Theosophie und der Anthrosophie, kennen. In seinen späteren Werken wurde er durch dessen Anschauungen inspiriert und beeinflusst malt Münter das Bild mit dem stehenden Kandinsky im Boot. Genau wie in der Gruppe hat er auch hier dominierend das Steuer des Bootes übernommen, in seinen Brillengläsern spiegelt sich der hellblaue Himmel und verleiht ihm somit einen sehr strengen Blick. Vor ihm sitzt sein Sohn und Werefkin, die rudernde Dame ist wahrscheinlich Münter selbst. Um 1910 wurde von Werefkin und Jawlensky das Motiv Die Schindelfabrik in Oberau ganz unterschiedlich behandelt. Sie malten sie vom gleichen Standpunkt. Das Bild von Werefkin hier nebenstehend zeigt in allen Einzelheiten den hohen Schornstein, die Dachschindeln und das Mauerwerk, die Scheite im Holzstoß und letztlich die schneebedeckten Bergspitzen. Ganz anders das Ölbild von Jawlensky aus dem gleichen Jahr. Bei diesem Bild verschwinden die Formen und die Farben werden eigenständiger, es kommt nicht mehr auf die Details, sondern auf die Gegenüberstellung der Farben an, ein expressionistisches Werk! Im 1912 entstandenen Selbstbildnis von Jawlensky fällt neben den schwarzen stechenden und skeptischen Augen das farbintensive Gesicht auf, die großen Farbkontraste spiegeln seine innere Stimmung wider. Die linke Gesichtshälfte erscheint in wärmeren Farbrechtecken als seine rechte. Der hohe, steife Kragen ist eine Reminiszenz an seine Offizierszeit in Russland und bringt die dort erworbenen Einstellungen unterschwellig mit ins Bild. Seine unmittelbare Präsenz entsteht auch durch das bildfüllende Gesicht, das kaum noch einen Zwischenraum zum Bildrand aufweist. Er schuf noch weitere ähnliche Selbstportraits. Während des Zusammenseins in Murnau könnten Spannungen zwischen den Paaren aufgetreten sein, denn zum Jahresende 1908 entstand bei Werefkin, Jawlensky und zwei anderen Künstlern die Idee zur Gründung der Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 3 Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 4

3 Neuen Künstlervereinigung München (NKVM). Kandinsky und Münter erfuhren erst später davon, Kandinsky ärgerte sich darüber noch lange Zeit und nur zögerlich nahm er dann den ihm angebotenen Vorsitz an. Am fand die erste Ausstellung der NKVM mit 16 Künstlern statt, bei der 2. Ausstellung ein halbes Jahr später beteiligten sich schon 29 Künstler stoßen Franz Marc und August Macke hinzu. Der Kontakt mit dem Komponisten und Musiktheoretiker Arnold Schönberg löste eine Debatte über die Verbindung von Malerei und Musik aus, er forderte ein Umdenken in der Malerei. Werefkin hatte das schon 1907 erkannt und umgesetzt. Kandinsky sah sich in der Künstlervereinigung zusehends Anfeindungen von konservativen Kräften wegen seiner abstakten Malerei ausgesetzt, es wurden von ihm verständlichere Bilder erwartet. Er legte 1911 den Vorsitz nieder, entwickelte Pläne für eine eigene Gruppe und fand in Franz Marc einen Mitstreiter. Bei der 3. Ausstellung der NKVM kam es zum Zerwürfnis. Kandinskys reichte provozierend ein zu großes Bild ein, wohl wissend, dass in den von ihm selbst festgelegten Statuten die Bildgröße auf maximal 4 m² begrenzt wurde. Kandinsky, Münter und Marc verlasen den Verein, sie fertigen in aller Stille viele neue Werke an und präsentieren sie parallel zu der NKVM-Ausstellung in der Modernen Galerie Thannhäuser, mit dabei sind Werefkin, Münter, Jawlensky, der Blaue Reiter war entstanden. August Macke war Mitwisser verließen auch Werefkin und Jawlensky die NKVM. Mit Kandinskys Kosaken-Bild von 1910/11 wurde eines dieser beanstandeten abstrakten Bilder gezeigt. Fünf kleine rote Quadrate zeigen die Krieger, auf der rechten Seite sind dazu 2 lange Lanzen zu sehen, die beiden Kosaken am linken oberen Bildrand schwingen ihre hellvioletten Säbel. Und nun wird der musikalische Einfluss Schönbergs sichtbar: nicht nur der Regebogen zeigt die Komposition einer Klangwelt an, sondern auch die vielen kleinen, über das gesamte Bild verstreuten gelben Flächen sind Klanginseln. Die Farben und Formen sollen die Seele des Betrachters zum Schwingen bringen, man kann die parallelen Striche als Akkorde und die oben umherfliegenden kleinen Doppelwinkel als helle Tonfolgen deuten. In Kandinskys musikalischer Farbenlehre stehen die kleinen gelben, über das ganze Bild verstreuten Farbtupfer für Trompetentöne, sie drücken bei ihm aber auch das Geistige aus, die Verbindung zu Steiner kann gedeutet werden. Das Bild ist ein harmonisches Werk, das nicht nach außen drängt. Als der 1. Weltkrieg ausbrach, mussten u. a. die Russen Jawlensky und Werefkin Deutschland verlassen, sie zogen zuerst an den Genfer See. Aus dem Fenster seines kleinen Zimmers konnte er den See erkennen. Er malte diesen Ausblick etwa 800mal in immer wieder neuen Variationen, die realen Elemente die runde Pappel im Vordergrund, links Zypressen, der See als hellblauer Tupfer in der oberen Bildmitte, darüber die Berge und der Himmel, manchmal auf der rechten Seite ein Weg mit einer kleinen Gittertür - reduzierte er auf einfache Farbflecke, letztlich zeigen sie seine Verinnerlichung und auch seinen Gemütszustand die Farben wirken gebrochen. Die einzelnen Werke unterscheiden sich nur noch durch farbliche und formale Nuancen. Die abgebildete Variation entstand um 1917, also schon sehr spät.. Jawlensky hatte keine Möglichkeit mehr, seine Bilder in Deutschland, wo sie Interesse gefunden hätten, zu verkaufen. Da lernte er 1916 die jüngere Emmy (Galka) Scheyer kennen, die finanziell sehr gut gestellt war und ihn nun anstelle von Werefkin zu verwöhnen begann. Sie malte selbst impressionistisch, war dann aber von Jawlensky Stil derart angetan, dass sie beschloss, Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 5 Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 6

4 seine Förderin in künstlerischen Angelegenheiten, vor allem im Verkauf seiner Bilder zu werden, wozu er kein Faible zeigte. Sie organisierte Ausstellungen und Verkäufe für ihn in ganz Deutschland, denn dort hatte er noch viele Anhänger. Jawlensky trennte sich 1921 von Werefkin und zog nach Wiesbaden. 1923/24 kam Galka Scheyer auf die Idee, die vier Künstler Jawlensky, Kandinsky, Paul Klee und Lyonel Feininger in der Künstlervereinigung Die Blauen Vier zu vereinen und diese Gruppe in USA durch Vorträge, Ausstellungen und Verkäufe bekannt zu machen (Anmerkung des Verfassers: Sie erhielt 45% des Erlöses der durch sie verkauften Bilder). Ab 1933 wurde sie als Jüdin und Vertreterin der nicht akzeptierten Kunst in Deutschland diffamiert und siedelte in die Staaten über, auch Jawlensky als Vertreter der Entarteten Kunst durfte seine Bilder nicht mehr offiziell veräußern. Ab 1934 behinderte eine Arthritis sein Malen, von Galka wurde er durch den Verkauf seiner Bilder in den USA finanziell unterstützt starb er in Wiesbaden. Von Franz Marc betrachten wir zwei Pferde-Bilder, einmal im Querformat drei Pferde in den Farben violett, blau und rot, zum anderen den aus braunroten Tieren bestehenden Turm der Pferde. Hier zeigt uns Frau Reifert die durch Robert Delaunay angestoßene neue Malrichtung. Franz Marc und August Macke hatten ihn 1912 gerade zum ersten Mal in Paris besucht und wurden von seiner Malauffassung der sog. Fensterbilder inspiriert. Delaunay zerschnitt auf seinen Bildern die Gegenstände und fügte sie neu zusammen, die Farbflächen zersplitterten. Besonders Macke und Marc machten sich diese neue Auffassung zu eigen und setzten sie in ihren Werken gleich um. Marc schuf bisher kuschelig und natürlich gemalte Tierbilder, jetzt werden sie in Teilflächen zerlegt, es entstehen Farb- und Formexperimente, bei den gezeigten Bildern erkennbar am Waldboden und an den Tierkörpern. In Ermangelung einer entsprechenden Kopie ist hier eine blaue Ausführung des Turmes der Pferde gezeigt, die die Maltechnik verdeutlichen soll. Wir wenden uns Paul Klee zu. Seine Stilrichtungen sind breit gefächert, neben dem Expressionismus, dem Kubismus und dem Surrealismus befasste er sich auch intensiv mit dem Primitivismus. Über die ganzen 30er Jahre entstanden immer wieder Zeichnungen mit farbig angelegten Strichmännchen, aus dem nebenstehenden Bild aus der Zeit um 1938 entnommen wurde, es ähnelt dem in der Ausstellung gezeigten Werk Mit Sonnenschirm bei den Tieren aus dem Jahr 1937, dessen Figuren allerdings noch stärker verdichtet waren, die einzelnen Konturen der Strichmännchen stießen immer an andere Figuren. Die eigentlich fröhlichen Farben wirken gedämpft, denn gerade wurde in München die Ausstellung Entartete Kunst eröffnet. Da einige von uns vorauseilend schon am neuen Platz stehen, konnten wir ein benachbartes Bild, auch von Klee, länger betrachten: Die Maske Furcht von 1932 zeigt ebenfalls als Strichzeichnung einen bildfüllenden ovalen Kopf mit einfachem Gesicht, direkt angesetzt vier ganz kurze Beine und einen ebenso kurzen schwarzen Pfeil links oben aus dem Kopf hervortretend. Die zeitgleich expressionistisch malenden Künstler der Vereinigung Die Brücke (ab 1905 Ernst Ludwig Kirchner, Ernst Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Fritz Bleyl, später Emil Nolde, Max Pechstein...), die auch Kontakte zum Blauen Reiter hatten, durchlebten auch eine Phase der Primitiv-Kunst. Sie fanden ihre Vorliebe für kantige Figuren und vereinfachte Gegenstände in der afrikanischen Kunst, deren Masken und Holzplastiken sie oft bei Besu- Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 7 Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 8

5 chen im Deutschen Völkerkundemuseum Dresden studierten. Während die Blauen Reiter in ihren Werken musische Elemente verarbeiteten, fehlte den Brücke -Künstlern diese Richtung. Die Brücke löste sich 1913 auf. Von Lyonel Feininger betrachten wir sein Werk Gaberndorf I von Bereits 1913 stellte er Bilder gemeinsam mit dem Blauen Reiter aus und wurde mit Kandinsky, Paul Klee und Jawlensky 1924 Partner in der Blauen Vier. Gaberndorf I zeigt einen aus einer Dachlandschaft herausragenden Kirchturm mit einem spitzen hohen Dach und einem aus keilförmigen Elementen gebildetem Gesicht. Hinter dem Dach verschwindet der Mond. Ein großes Licht-Dreieck beginnt unten links und führt hinauf zur Turmspitze, knickt dann nach rechts unten ab und trifft außerhalb des rechten Bildrandes die dritte Dreiecksseite, die unterhalb der Dachlandschaft langsam ansteigt. Durch diesen nicht mehr sichtbaren rechten Treffpunkt erhält das Bild seine Spannung. Die Spitze eines weiteren kleineren Licht-Dreieckes liegt in der Bildmitte. Wir beenden die Führung mit den Werken des amerikanischen Abstrakten Expressionismus. Während der nationalsozialistischen Zeit mit der Einstufung vieler Werke als Entartete Kunst wurden die USA mit diesen Bildern überschwemmt, teilweise durch Verkauf dieser Bilder durch deutsche Behörden zur Beschaffung der dringend benötigten Devisen, teilweise durch die Flucht der Künstler. Der Einfluss dieser Kunstrichtungen auf die amerikanischen Künstler war naheliegend. Ihre Vorbilder waren Kandinsky, Max Ernst, Marc Chagall und viele weitere europäische Maler des europäischen abstrakten expressionistischen Stils. Bis nach dem 2. Weltkrieg hatten die Amerikaner Komplexe auf dem Bereich der modernen Malerei, denn diese fand in Europa statt. Aus den abstrakt-expressionistischen Werken aus Europa und besonders denen von Kandinsky entwickelte sich 1946 zuerst in New York der amerikanische abstrakte Expressionismus mit mehreren Stilrichtungen. Eine Richtung davon war die Action Painting, die sich ohne feste Konzepte ihre Bilder dynamisch entwickeln ließ. Die dabei verwendeten Hilfsmittel waren neben Pinseln auch Spachtel oder aus Behältern tropfende oder geschüttete Farben. Das daraus Entstandene war das Bild. Die Gefühle wurden bei diesem spontanen Bildaufbau frei artikuliert. Es entstanden sehr große Werke, die ein bestimmtes Geschehen in abstrakter Weise darstellten, nicht mehr gegenständlich, aber in einer Form, die ein emotionales Whow! bei dem Betrachter auslösten. Parallel zu der ungestümen und lauten Pop Art gab es noch etwas Anderes: Das Action Painting lehnten nun einige Künstler ab, sie wollten mit ihren Werken durch innere Werte überzeugen, das Bild sollte neu im Kopf der Betrachter entstehen. Mitte der 50er Jahre entwickelte sich die Richtung des Colourfield Painting, die Farbfeldmalerei. Die sehr homogenen Farbfelder entstanden scheinbar ohne kompositionellen Aufbau und sollten die Wirkung aus sich heraus auslösen. Zu diesen wegweisenden Künstlern gehört auch Mark Rothko, vor dessen Werk wir stehen. Zwei orangefarbene, ausgefranste Flächen auf einem gelblichen Untergrund werden durch ein helleres beiges schmales Farbfeld getrennt. Es ist ein kleines Bild von maximal 80 x 100 (Höhe) cm. In seiner berühmtesten Schaffensphase ordnete er seit etwa 1950 unzählig oft drei horizontale farbige Rechtecke mit verlaufenden Rändern übereinander an. Er stellte wie kein anderer zuvor die Ausdruckskraft der Farben allein in den Mittelpunkt der Malerei und schuf Gemälde von einer hohen emotionalen Intensität, frei von allen erzählerischen oder figürlichen Elementen. Früher malte er sehr ähnliche, deutlich lebhaftere Kompositionen. Jetzt reduziert er seine Farbfelder, die fast an den Bildrand stoßen und mit ihren verschwommenen Umrissen die Illusion einer Bewegung beim Betrachter erzeugen, der sie möglichst aus nächster Nähe ansehen soll. Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 9 Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 10

6 Wir beenden den Streifzug durch die Ausstellung vor einem etwas überraschenden Bild von Barnett Newman aus dem Jahr 1960, dem Anti statement. Eine einheitlich tiefschwarze Fläche, etwa 50 x 50 cm groß, sagt uns im ersten Moment nichts, der Blick wird scheinbar in die Bildmitte hineingesogen. Aber hat das Auge unbewusst die Nuancen entdeckt? Wird das Bild von der Seite betrachtet, ist es plötzlich in drei gleich hohe Streifen unterteilt, die obere und untere Fläche scheint grünschwarz zu schimmern. Und aus einer anderen seitlichen Perspektive ist auch noch eine gleiche vertikale Unterteilung des Bildes erkennbar, man merkt es eigentlich nur durch die Oberflächenstruktur. Das Bild entstand durch sehr häufiges Übermalen der Flächen mit blauvioletten und schwarzgrünen Farben, Schicht um Schicht. Sein Motto für seine Bilder ist: Das Erlebbare ist hier und jetzt! Andere, viel größere Bilder von ihm, transferieren die Urgewalten eines Blitzes oder der Niagarafälle in reine Farben, unterteilt von strich- oder streifenförmigen Elementen in sich stark absetzenden oder auch nur nuancierten Farben und die den Betrachter inne halten und verstummen lassen. Den Nachmittag beschließen wir im Andechser -Keller im Wiesbadener Rathaus, wo sich sicherlich einige Gespräche noch einmal mit dieser Ausstellung befassen. Aber unser Dank gilt Fau Schmahl, die diese interessante Exkursion vorbereitete und uns allen einen Blick in eine der bewegtesten Kunstrichtungen ermöglichte. Sehr zufrieden von dem Erlebten dieses Tages erreichen wir am späten Abend wieder Marienborn. Gedächtnisprotokoll: Jörg Haberfelner Ein letzter Name: Ad Reinhardt. Sehr stark von Marc Rothko beeinflusst, schuf er viele Werke in konstruktiv-geometrischen Formen, bis er 1953 zu dem beschriebenen Bilderstil von Rothko wechselte, es wurden seine Black Paintings. Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit, um uns in der riesigen Ausstellung umzusehen. Bald müssen wir erkennen, dass dieser eine Besuch trotz der allerdings sehr interessanten und umfassenden Interpretation durch Frau Reifert dieser Ausstellung nicht gerecht wird und einen nochmaligen Besuch erfordert. Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 11 Blauer Reiter bis Abstrakter Expressionismus 12