Werkstofftechnik 1 Teil 1: Grundlagen
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- Charlotte Michel
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1 Wolfgang Bergmann Werkstofftechnik 1 Teil 1: Grundlagen ISBN-10: ISBN-13: Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter sowie im Buchhandel.
2 32 A 1 Atomare Struktur Die sich zwischen unpolaren Molekülen einstellenden Bindungen resultieren aus der Bewegung der Elektronenwolke um den jeweiligen Atomkern. Fasst man die Ladungswolke der Elektronen in erster Näherung als eine lokalisierte Punktladung auf, so entsteht als Folge ihrer Rotationsbewegung um den Atomkern je nach ihrem augenblicklichen Aufenthaltsort in dem Molekül eine momentane Unsymmetrie der Ladungsverteilung. Die hiermit verbundene Dipolwirkung induziert in den Nachbarmolekülen solche Elektronenbewegungen, dass dort entgegengerichtete Dipole ausgebildet werden. Zwischen derart momentan polarisierten Molekülen treten schwache, ungerichtete Anziehungskräfte auf, die als Dispersionsbindungen bezeichnet werden (Abbildung A.1-14). δ Abb. A.1-14 Zwischenmolekulare Dispersionsbindung bei unpolaren Molekülen (momentaner Dipol) Grenzflächen- und Oberflächenbindungen In der Grenzfläche eines atomaren oder ionischen Verbandes befinden sich die Atome bzw. Ionen im Vergleich zu den im Innern angeordneten Atomen in einem unvollständigen und damit weniger stabilen Bindungszustand. Während die inneren Bausteine nach allen Seiten hin gleichmäßig von Bindungsnachbarn umgeben sind und mit diesen durch Bindungswechselwirkungen ihren elektronischen Energiezustand günstig gestalten können, fehlen den in der Grenzfläche liegenden Atomen die äußeren Bindungspartner. Sie verfügen nach außen hin über noch bindungsfähige Elektronenorbitale und üben entsprechende Bindungswirkungen aus (Abbildung A.1-15). Dieser ungünstige Bindungszustand von Grenzflächenatomen und ihr daraus folgendes Bindungsbestreben verursachen eine Reihe bemerkenswerter Oberflächenbzw. Grenzflächeneffekte. Derartige Bindungsprozesse an einer Grenzfläche fest/fest werden Adhäsion, an einer Grenzfläche fest/flüssig Benetzung und an einer Grenzfläche fest/gasförmig Adsorption genannt. Entsteht beispielsweise durch einen Bruch eine frische Metalloberfläche, so trachten die aufgrund ihrer unvollkommenen
3 A 1.2 Interatomare Bindungen 33 Abbindung sehr reaktionsfreudigen Oberflächenatome danach, aus der Umgebung Gas- oder Wassermoleküle zu adsorbieren. Die erste Adsorptionsschicht wird durch relativ hohe Energien quasi primär gebunden, sodass man diesen Adsorptionsvorgang als Chemisorption bezeichnet. Darüber hinaus adsorbierte Moleküle werden mit geringerer Intensität angelagert, ihr Bindungsvorgang wird Physiosorption genannt. Die an einer Grenzfläche flüssig/gasförmig in Erscheinung tretende Oberflächenspannung oder die in engen Spalten an einer Grenzfläche fest/flüssig zu beobachtende Kapillarwirkung spiegeln ebenfalls die Bindungsaktivität von Grenzflächenatomen wider. Abb. A.1-15 Bindungsaktivität einer freien Oberfläche Zwischen einer Flüssigkeit und einem Festkörper auftretende Grenzflächenkräfte äußern sich im Benetzungsverhalten der Flüssigkeit. Bestehen zwischen beiden Substanzen intensive Grenzflächenbindungen, so bilden beide eine möglichst große gemeinsame Grenzfläche guter Benetzung aus. Liegen jedoch zwischen beiden Substanzen keine günstigen elektronischen Bindungsverträglichkeiten vor, so hat dies eine kleine gemeinsame Grenzfläche, also geringe Benetzung, zur Folge. Der Benetzungswinkel Θ dient dabei als quantitatives Maß (Abbildung A.1-16), kleine Werte für Θ bedeuten gute Benetzbarkeit, große Winkel Θ eine entsprechend schlechte. Da in dem dargestellten System neben der Grenzfläche flüssig/fest noch eine zweite Grenzfläche flüssig/gasförmig vorhanden ist, hängt das Benetzungsverhalten auch von der umgebenden Atmosphäre ab. Die Flüssigkeit nimmt unter den gegebenen Umständen (innere Bindung, Schwerkraft u. a. m.) die Gestalt an, mit der ein Minimum an Oberflächen- und Grenzflächenenergie erreicht werden kann. Häufig wie das Beispiel hoher Benetzung jedoch zeigt, keineswegs immer wird eine minimale Grenzflächenenergie mit der bei gegebenem Volumen kleinstmöglichen Grenzfläche erreicht. In diesem Fall strebt das atomare System eine kugelförmige Gestalt an. Im flüssigen Zustand kann die Kugelform wegen der hohen Beweglichkeit der Bausteine leicht realisiert werden, im festen Zustand erfordert die Einformung beispielsweise lamellenförmiger Kristalle ausreichend hohe Temperaturen und genügend
4 34 A 1 Atomare Struktur ) * C = I B H EC Θ B I I EC Θ B I I EC C = I B H EC BA I J BA I J Abb. A.1-16 Benetzungsverhalten einer Flüssigkeit an unterschiedlichen Grenzflächen A) Gute Benetzung bei intensiven Grenzflächenbindungen B) Schlechte Benetzung bei geringen Grenzflächenbindungen lange Umordnungszeiten. Auch die bei hinreichend langer Temperatureinwirkung vielfach zu beobachtende Vergröberung von Kristallen, d. h. das Wachsen einzelner Kristalle auf Kosten anderer, ist letztlich darauf zurückzuführen, dass das atomare System die in seiner Grenzfläche gespeicherte Bindungsenergie durch Reduzierung der Grenzfläche zu minimieren sucht. Besteht der betrachtete atomare Verband aus Moleküleinheiten, so werden die Grenzflächenkräfte von nicht in Anspruch genommenen Dipol- oder Dispersionsbindungen verursacht. Es ist üblich, das Eingehen von Primärbindungen als chemische Reaktionen und die dabei auftretende deutlich messbare Wärmetönung als deren charakteristisches Merkmal zu betrachten. Hingegen wird das Zustandekommen von Sekundärbindungen unter Hinweis auf die fehlende Reaktionswärme als physikalischer Prozess bezeichnet. Da auch der sekundäre Bindungsvorgang auf einer Wechselwirkung der Elektronenzustände der sich sekundär bindenden Partner beruht und demzufolge ebenfalls mit einer meist allerdings sehr geringen Wärmetönung verbunden ist, erscheint eine grundsätzliche Unterscheidung in chemische und in physikalische Bindungsvorgänge nicht gerechtfertigt Bindung und Temperatur Die Teilchen (Bausteine) eines festen Körpers führen Bewegungen aus, die in der Temperatur des Körpers zum Ausdruck kommen. Der thermischen Bewegung der Teilchen stehen deren gemeinsame Bindungen entgegen, sodass die Teilchenbewegung bis zu einer bestimmten Temperaturhöhe durch die Bindungen kontrolliert wird. Übersteigt die thermische Bewegungsenergie jedoch die Bindungsenergie, so wird die Bindung aufgebrochen. Für jede Bindung existiert also eine ihrer Intensität entsprechende Grenztemperatur, oberhalb der die Bindung gelöst wird. Beispiele solcher Grenztemperaturen sind die Glas-, die Schmelz-, die Verdampfungs- und die Dissoziationstemperatur.
5 A 1.3 Aggregatzustände 35 In Verbänden mit Bindungen unterschiedlicher Stärke, beispielsweise in molekularen Verbänden mit kovalenten Primärbindungen im Molekül und Sekundärbindungen zwischen den Molekülen, werden zunächst die schwachen Sekundärbindungen bei einer relativ niedrigen Temperatur und erst dann die stärkeren Primärbindungen bei entsprechend höherer Temperatur durch Moleküldissoziation gelöst. Befindet sich eine molekulare Substanz bereits im gasförmigen Zustand, so erfolgt die Dissoziation der innermolekularen Primärbindungen nicht mehr bei einer einzigen Temperatur, sondern mit steigender Temperatur nimmt die Wahrscheinlichkeit für eine Dissoziation der Bindungen zu, d. h., bei einer bestimmten Temperatur liegt immer nur ein bestimmter Prozentanteil bereits dissoziierter Moleküle vor. Für die weniger fest gebundenen Oberflächenatome eines Festkörpers (vgl. Abbildung A.1-15) erfolgt die Lösung der Bindungen teilweise schon weit unterhalb der Schmelztemperatur. Es bildet sich also auch schon im festen Zustand oberhalb der Oberfläche temperaturabhängig eine Gasatmosphäre aus Atomen/Teilchen des Festkörpers aus, deren Druckwirkung als Dampfdruck der Substanz bezeichnet wird. 1.3 Aggregatzustände Der in einem Teilchensystem herrschende Dualismus zwischen thermisch bedingtem Bewegungszustand und elektronisch bedingtem Bindungszustand führt dazu, dass Materie je nach Bindungsart der Teilchen und herrschender Temperatur bzw. Druck in drei unterschiedlichen Formen auftreten kann, nämlich als Gas, als Flüssigkeit oder als Festkörper. Diese Aggregatzustände stellen Übergänge zwischen zwei extremen Idealzuständen, dem idealen Gas- und dem idealen Festkörperzustand dar. Der ideale Gaszustand ist dadurch gekennzeichnet, dass die Bindungen zwischen den das Gas bildenden Teilchen völlig aufgehoben sind und sich die Teilchen in unbehinderter, regelloser, thermisch verursachter Bewegung befinden. Hierbei füllen sie jedes ihnen zur Verfügung stehende Volumen aus, wodurch sich bei großem Volumen auch entsprechend große Teilchenabstände ergeben. Wegen der großen Teilchenabstände ist das physikalische Verhalten des Gases unabhängig von der Art seiner Teilchen und durch die Zustandsgleichung für ideale Gase beschreibbar. Durch äußere Kräfte (Druck) können die Teilchenabstände bis zur Kondensation des Gases verringert werden. Mit zunehmender Kompression stellen sich Wechselwirkungen zwischen den Teilchen und ein Abweichen vom idealen Gaszustand ein. Im idealen Festkörperzustand sind thermisch bedingte, individuelle Bewegungen der Teilchen durch die vorherrschenden interatomaren Bindungen ausgeschlossen, die Einhaltung eines stabilen Bindungszustandes zwingt die Teilchen auf zueinander genau festgelegte Plätze. Sie bilden einen Verband mit maximaler Ordnung und stabiler äußerer Form. Die realen Aggregatzustände liegen zwischen diesen beiden Extremzuständen mit mehr oder weniger guter Annäherung an den Idealzustand. Insbesondere der flüssige Zustand nimmt eine mittlere Position ein, in ihm heben sich thermisch bedingte, ungeordnete Bewegung und geordneter Bindungszustand in einem dynamischen Wechsel-
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