Denkverzerrte Welt. Schizophrenie die andere Realität
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- Frieder Amsel
- vor 7 Jahren
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Transkript
1 Denkverzerrte Welt Schizophrenie die andere Realität
2 Inhalt Vorwort... 4 Schizophrenie die andere Realität Was Schizophrenie nicht ist... 6 Schizophrenie eine Krankheit wie jede andere auch?... 7 Die Symptome der Schizophrenie Positivsymptome... 8 Negativsymptome Die Erkrankung Diagnose Verlauf Häufigkeit Die Ursachen und Auslöser der Schizophrenie Erbliche Faktoren Biochemische Faktoren Psychosoziale Faktoren Faktor Rauschmittel Frühkindliche Ereignisse Die Behandlung der Schizophrenie Bewährte Therapiemöglichkeiten Medikamentöse Behandlung Nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten Ambulante und stationäre Angebote Frühwarnzeichen Diese Broschüre wurde in Zusammenarbeit mit Schweizer Expertinnen und Experten der Psychiatrie und Psychologie entwickelt. Umgang mit Schizophrenie Schizophrenie und Familie Schizophrenie und Sexualität Hilfe für Angehörige Informationen und Literatur
3 Liebe Leserin, lieber Leser! An Schizophrenie erkrankte Menschen sehen sich, um es mit den Worten des Schweizer Psychiaters Eugen Bleuler auszudrücken, mit einer «Zerrissenheit im Denken und Fühlen» konfrontiert. Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung, an der weltweit über 40 Millionen Menschen leiden. Sie kann jeden treffen, ungeachtet des Geschlechts, des Bildungsgrades oder der sozialen Herkunft. Aufgrund ihrer Krankheit leben Betroffene oft in verschiedenen Welten, in «anderen» Realitäten: Sie sehen Dinge, die andere Menschen nicht sehen, hören Stimmen, die andere Menschen nicht hören, oder werden von Menschen oder Dingen verfolgt, die in der realen Welt nicht existieren. Durch ihre veränderte Wahrnehmung können sie schlecht zwischen Wirklichem und Unwirklichem unterscheiden. Dies führt oft zu Vertrauensverlust gegenüber Verwandten und Freunden und damit zu Isolation und Einsamkeit. Diese Informationsbroschüre möchte Aufklärungsarbeit leisten, Vorurteile abbauen und soweit es geht ein Stück Lebenshilfe und Optimismus vermitteln. 4 5
4 Der Bezug zur Wirklichkeit ist meist erheblich gestört. Schizophrenie die andere Realität Schizophrenie eine Krankheit wie jede andere auch? Was Schizophrenie nicht ist Kaum eine Krankheit ist mit derart vielen Vor urteilen und Fehlinterpretationen behaftet wie die Schizophrenie. Die vom Psychiater Bleuler gewählte Bezeichnung «Schizophrenie» aus dem Altgriechischen mit «gespaltener Geist» übersetzt hat zu zahlreichen Missverständnissen geführt. Menschen, die an einer schizophrenen Psychose leiden, haben keine «gespaltene Persönlichkeit». Die Beschreibung einer gespaltenen Persönlichkeit entspricht vielmehr dem Krankheitsbild der dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Für Diag nose und Behandlung der Schizophrenie spielt diese direkte Übersetzung heute keine Rolle mehr. Betroffene sind nicht weniger intelligent als psychisch gesunde Menschen. Die Begriffe «Schizophrenie» oder auch «schizophrene Psychose» bezeichnen eine Krankheit, bei der schwere Beeinträchtigungen der psychischen Funktionen vorliegen. Der Bezug zur Wirklichkeit ist meist erheblich gestört, und das Ausmass ist so gross, dass eine Bewältigung aus eigener Kraft kaum noch möglich ist. Eine Psychose entsteht vermutlich nicht durch eine einzige Ursache wie Vererbung, Umwelteinflüsse oder Lebensverhältnisse allein, sondern ist an mehrere Faktoren geknüpft. An Schizophrenie erkrankte Menschen sind von ihrer Persönlichkeit her nicht in einem höheren Masse träge oder gefühlloser als Nichtbetroffene. Die Symptome der Schizophrenie führen jedoch zu einem veränderten Verhalten, so dass es Aussenstehenden oft schwer fällt, die eigentliche Persönlichkeit hinter der Krankheit zu erkennen. 6 Schizophrenie die andere Realität 7
5 An Schizophrenie erkrankte Menschen können Dinge hören, sehen, schmecken, riechen, erahnen, fühlen, spüren oder tatsächlich erleben, die andere Menschen nicht wahrnehmen. Infolge ihrer veränderten Wahrnehmung haben Betroffene im Alltag grosse Mühe, zwischen Wichtigem und Unwichtigem, Vorder- und Hintergründigem, zwischen dem, was real und was unwirklich ist, zu unterscheiden. Diese veränderte Wahrnehmung kann zur sozialen Isolation führen. In Fachkreisen werden die Symptome der Schizophrenie in zwei Kategorien eingeteilt: Positiv- und Negativ-Symptome. Die Positivsymptome heissen deshalb «positiv», weil etwas zum normalen Erleben hinzukommt. Die Symptome der Schizophrenie Positivsymptome Die Positivsymptome heissen deshalb «positiv», weil etwas zum normalen Erleben hinzukommt. Charakteristisch sind inhaltliche Denkstörungen, bei denen gewöhnliche Sachverhalte und Wahrnehmungen übersteigert und stark fehlinterpretiert werden, bis hin zu Sinnestäuschungen. Typisch für solche Denkstörungen ist die Wahnbildung. 8 Die Symptome der Schizophrenie 9
6 Wahnvorstellungen und Halluzinationen Schizophrene Menschen gelangen oft zu der Überzeugung, dass ihre Gedanken gelesen oder sogar gesteuert werden. Sie glauben in bestimmten Situationen, dass zufällige Ereignisse für sie von besonderer Bedeutung sind. Oft haben sie die Vorstellung, über ganz besondere Fähigkeiten zu verfügen oder eine eminent wichtige Person zu sein. Wahn kann man nicht mit Fakten widerlegen. Denn der Betroffene lebt in der unerschütterlichen Gewissheit, dass seine wahnhaften Vorstellungen tatsächlich geschehen. Der Betroffene lebt in der unerschütterlichen Gewissheit, dass seine wahnhaften Vorstellungen tatsächlich geschehen. Sehr häufig treten akustische Halluzinationen auf. Die Aussage «Stimmen zu hören» deutet darauf hin, dass die an einer schizophrenen Psychose Erkrankten den Ursprung der wahrgenommenen Gedanken ausser halb ihres Gehirns verorten. Sie haben häufig den Eindruck, durch fremde Stimmen beleidigt zu werden. Sie fühlen sich missverstanden, von anderen benachteiligt oder diskriminiert. Positivsymptome Beispiele Wahnideen Denkstörungen Sinnestäuschungen von Nase, Augen und Ohren Unruhe Grössenideen Misstrauen und Verfolgungsideen Feindseligkeit «Der Nachbar möchte meine Gedanken kontrollieren.» «Manchmal sind meine Gedanken wie abgeschnitten. Ich kann nicht mehr weiterdenken.» «Es krabbeln Spinnen über meine Haut.» «Die Stimme hat mir gesagt, dass Du böse bist.» «Auf einmal war ich wieder nervös und unruhig und konnte mich nicht mehr so gut konzentrieren.» «Ich bin der Auserwählte.» «Ich werde immer misstrauischer und manchmal habe ich den Eindruck, dass andere über mich reden oder lachen.» «Ich bin kritisch eingestellt gegenüber meiner Familie. Es herrscht eine Kälte zwischen uns.» 10 Die Symptome der Schizophrenie 11
7 Negativsymptome Die Negativsymptome werden «negativ» genannt, weil etwas wegfällt, das ohne die Symptome vorhanden wäre. Störungen des Fühlens Negativsymptome bezeichnen häufig auftretende De fizite wie beispielsweise Antriebsarmut, Affektverflachung oder Spracharmut. Daher spricht man oft auch von Minussymptomen. Diese sind gekennzeichnet durch ungünstige Einschränkungen des normalen Erlebens. Die Stimmung der an Schizophrenie Erkrankten kann zwischen tiefer Depression und übertriebener Fröhlichkeit schwanken. Sie können ohne ersichtlichen Grund in schwere Erregungszustände und Ekstase geraten. Auffällig ist, dass ihnen der Bezug zu den verschiedenen affektiven Zuständen wie Freude, Trauer oder Wut verloren geht. Sie reagieren auf Ereignisse unverhältnismässig, z. B. wenn sie angesichts eines traurigen Ereignisses hysterisch lachen oder sich davon gänzlich unberührt zeigen. Negativsymptome Emotionaler Rückzug Mangelnde Beziehungsfähigkeit Soziale Passivität Desinteresse Schwierigkeiten bei abstraktem Denken Apathie Verarmung der Sprache (Alogie) Beispiele «Ich kann nicht mehr weinen, auch nicht mehr lachen.» «Es macht mir Angst, mit anderen Menschen zusammen zu sein.» «Mir wurde alles zu viel. Ich habe mich von Freunden zurückgezogen und wollte oft alleine sein.» «Ich bin nicht mehr interessiert an meinen früheren Hobbys.» «Alles fällt mir momentan schwer.» «Ich kann mir gewisse Sachen nicht mehr vorstellen.» «Der Schwung und die Energie fehlen mir, um etwas zu unternehmen.» Betroffene sind nicht mehr fähig, ein «ordentliches» Gespräch zu führen und antworten nur sehr zögerlich und ausgesprochen karg auf Fragen. Störungen des Denkens Das Denken von Betroffenen wirkt oft unlogisch, unklar oder wirr, weil es einer «eigenen» Logik bzw. einem «eigenen» Realitätsempfinden entspringt. Insgesamt wird das Denken kleinschrittiger. Chronische Schizophrenie geht mit kognitiven Defiziten einher. Es fällt schwerer, komplexere Zusammenhänge zu begreifen. Texte entweder zu schreiben oder beim Lesen richtig zu interpretieren gelingt nicht mehr. Der sprachliche Ausdruck verarmt, bis hin zu einem stereotypen Wiederholen einzelner Worte oder gar Stummheit. Körperliche Veränderungen Zu den körperlich sichtbaren Symptomen gehört eine Verarmung der Motorik: Sowohl die Mimik als auch die Gestik lassen nach. Das wirkt auf ein Gegenüber abweisend, da wir gewohnt sind, über ein erstes Lächeln oder eine Geste Kontakte zu knüpfen. Auch Bewegungsabläufe können verlangsamen. Bei der Unterform der katatonen Schizophrenie tritt sogar eine körperliche Starre ein. Nicht selten sind schizophren erkrankte Menschen davon überzeugt, dass ihnen ihr Körper fremd geworden ist, so dass er nicht mehr als der eigenen Person zugehörig wahrgenommen wird. 12 Die Symptome der Schizophrenie 13
8 Schizophrenie gilt heute als gut therapierbare Erkrankung. Die Erkrankung 14 15
9 Diagnose Verlauf Erste Anzeichen für eine Schizophrenie können allmählich auftreten und zunächst wenig dramatisch erscheinen. Art, Häufigkeit und Intensität der Symptome sind individuell recht unterschiedlich und können sich mit denen anderer psychischer Erkrankungen wie Persönlichkeitsstörungen, Autismus oder Epilepsie überschneiden. Es ist deshalb häufig schwierig, die Diagnose Schizophrenie zu stellen. Gemäss der heutigen diagnostischen Leitlinien spricht man von einer Schizophrenie, wenn bestimmte Symptome mindestens einen Monat ununterbrochen andauern. Zum Arzt kommen Betroffene meistens aufgrund einer akuten Psychose. Die ersten Symptome zeigen sich jedoch im Durchschnitt bereits fünf Jahre, bevor eine akute psychotische Phase eintritt. So können Jahre vergehen, bis die Diagnose gestellt wird. Bei der ersten akuten Phase dauert es durchschnittlich zwei Monate, bis eine Therapie erfolgt, obwohl typische Veränderungen bereits vorher aufgetreten sind. Schizophrenie ist in den meisten Fällen eine chronische Erkrankung, die typischerweise in Schüben verläuft. Heute gilt Schizophrenie als gut therapierbare Krankheit mit relativ hohen Erfolgsaussichten auf eine Stabilisierung. Typisch für den Verlauf einer Schizophrenie sind immer wieder auftretende akute psychotische Phasen, die mehrere Wochen bis Monate andauern können. Zwischen zwei Schüben kann es zu einer vollständigen Zurückbildung der Symptome kommen. Allerdings kann das Leben des Betroffenen weiterhin von Restsymp tomen beeinträchtigt sein. Zudem lassen sich soziale Isolation oder Invalidität, die längere Episoden mit sich bringen können, nicht einfach aufheben. Nach einer akuten Phase müssen Zukunftsperspektiven oft wieder neu erarbeitet und aufgebaut werden. Eine grosse Schwierigkeit der schizophrenen Erkrankung ist, dass jeder Rückfall in eine psychotische Phase mit einer Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten des Betroffenen einhergehen kann, die ohne Behandlung langfristig bestehen bleibt. Die Restsymptome können sich dadurch jeweils verschlimmern. Ein wichtiges Ziel der Behandlung ist darum, Rückfälle langfristig zu verhindern. Obwohl bislang noch keine endgültige Einigkeit über die Ursachen der Schizophrenie besteht, wurden in den letzten Jahrzehnten entscheidende Fortschritte in der Behandlung erzielt. Bei rund 70% der Patienten können trotz des teilweise sehr unterschiedlichen Krankheitsverlaufs mit Medikamenten und sozialpsychiatrischer Behandlung gute bis sehr gute Erfolge erzielt werden. Mehrere Studien belegen, dass etwa 10% der Betroffenen schon nach einigen Monaten genesen. Weitere 15% werden im Laufe weniger Jahre wieder gesund. Rund 30 bis 40% können ein weitgehend normales Leben führen, dass heisst, diese Patienten kommen die meiste Zeit ohne Spitalhilfe aus. Ein Drittel bleibt chronisch krank. 16 Die Erkrankung 17
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