10. Vorlesung. 12. Dezember 2006 Guido Schäfer
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1 LETZTE ÄNDERUNG: 5. JANUAR 2007 Vorlesung: Einführung in die Spieltheorie WS 2006/ Vorlesung 12. Dezember 2006 Guido Schäfer 3 Spiele in extensiver Form Bisher haben wir uns ausschliesslich mit Spielen in Normalform (oder in strategischer Form, Strategiespiele) beschäftigt, in denen alle Entscheidungen einmalig und zu Beginn des Spiels getroffen werden. Diese Form eignet sich nur bedingt dafür, Spiele mit einer sequentiellen Struktur zu modellieren. Spiele in extensiver Form modellieren diese sequentielle Struktur explizit. Spieler können ihre Entscheidung auf der Grundlage des bisherigen Verlaufs treffen. Wir betrachten hier (wieder) Spiele mit vollständiger Information, d.h. jeder Spieler kennt alle vorherigen Aktionen und die Payoff-Funktionen seiner Mitspieler. Beispiel 3.1 (Eindringlingsspiel). Ein Verteidiger muss sich ggf. einem Eindringling stellen (Beispiele Monopolist vs. Firma, Politker kämpfen um Parteiführung, etc.). Der Eindringling hat zwei Möglichkeiten: er kann den Verteidiger fordern oder nicht fordern. Wenn der Eindringling fordert, kann der Verteidiger kämpfen oder aufgeben. Für beide Spieler gilt, dass kämpfen der schlimmstmögliche Ausgang ist. Ein mögliche Darstellungsform des Spiels ist durch den folgenden Spielbaum gegeben: aufgeben fordern V E (2,1) (0,0) (1,2) kämpfen nicht fordern Abbildung 13: Spielbaum des Eindringlingsspiels. Die Knotenbeschriftung bezeichnet, wer am Zuge ist (E für Eindringling, V für Verteidiger); das Spiel beginnt am Wurzelknoten. Die Kanten entsprechen den jeweiligen Aktionen. Die Blätter des Baumes bezeichnen wir als Terminale. Jedes Terminal spezifiziert ein Payoff-Paar (u 1,u 2 ), wobei u 1 der Payoff von Spieler 1 (E) und u 2 der Payoff von Spieler 2 (V) ist. Eine weitere Darstellungsform des Spiels listet alle möglicher Spielabläufe (sog. Terminalsequenzen) auf: (fordern, aufgeben), (fordern, kämpfen), (nicht fordern). Ferner 47
2 benötigen wir eine Spielerzuweisungsfunktion P, die jeder Teilsequenz eines Spielablaufs einen Spieler zuordnet. Wir haben P(/0) = E und P( f ordern) = V, wobei die leere Teilsequenz den Spielbeginn repräsentiert. Ein Spiel (N,H,P,(u i )) in extensiver Form mit vollständiger Informati- Definition 3.1. on besteht aus: einer endlichen Menge N von Spielern; einer Menge H von Terminalsequenzen; keine Terminalsequenz ist eine echte Teilsequenz einer anderen Terminalsequenz; einer Spielerzuweisungsfunktion P, die jeder echten Teilsequenz einer Terminalsequenz h H einen Spieler zuordnet; für jeden Spieler i N eine Payoff-Funktion u i : H R, die jeder Terminalsequenz einen Wert zuweist. Haben alle Terminalsequenzen endliche Länge, sprechen wir von einem endlichen Horizont. Ist zusätzlich die Anzahl der Terminalsequenzen endlich, ist das Spiel endlich. Bemerke, dass die Aktionsmenge eines Spielers nun implizit definiert ist: Für eine Teilsequenz h einer Terminalsequenz mit P(h) = i ist die Aktionsmenge von Spieler i bzgl. h definiert als: A i (h) := {a : (h,a) ist eine Teilsequenz einer Terminalsequenz in H}. Schauen wir uns Beispiel 3.1 erneut an: Welchen Strategien sollten die Spieler folgen? Spieler 1 (E) argumentiert wie folgt: entscheidet er sich für fordern, wird Spieler 2 (V) aufgeben wählen (der Payoff von Spieler 2 ist in diesem Fall größer als wenn er kämpfen wählt); der Payoff von Spieler 1 ist somit 2. Wählt er hingegen nicht fordern, ist sein Payoff 1. Es scheint also natürlich, dass das Strategieprofil (fordern,aufgeben) einer stabilen Lösung entspricht, von der keiner der beiden Spieler abweichen möchte. Hinter dieser Argumentationsweise versteckt sich bereits die Idee der sog. Rückwärtsinduktion, einer Technik, die wir noch genauer kennenlernen werden. 3.1 Strategien und Spielausgänge Eine Strategie eines Spielers spezifiziert für jede mögliche Teilsequenz, nach der er am Zuge ist, eine Aktion. Definition 3.2. Sei (N,H,P,(u i )) ein Spiel in extensiver Form mit vollständiger Information. Eine Strategie von Spieler i N ist eine Funktion, die jeder Teilsequenz h mit P(h) = i eine Aktion in A i (h) zuweist. 48
3 1 C D 2 2 E F G H (2,1) (3,0) (0,2) (1,3) Abbildung 14: Beispiel 3.2. Betrachte das Spiel in Abbildung 14. Nach Definition 3.2 hat Spieler 1 zwei Strategien: C und D. Spieler 2 hingegen hat vier Strategien: (E,G), (E,H), (F,G) und (F,H), wobie die erste Komponente die Aktion von Spieler 2 für die Teilsequenz C und die zweite Komponente die Aktion für die Teilsequenz D definiert. Man kann sich die Strategie eines Spielers gewissermassen als einen Aktionsplan vorstellen: Sie spezifiziert vollständig das Verhalten eines Spielers für jede mögliche Teilsequenz, nach der er am Zuge ist. Diese Sichtweise ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen, wie das folgende Beispiel zeigt: 1 G (1,2) E 1 C D 2 F (2,0) H (3,1) (0,0) Abbildung 15: Beispiel 3.3. Betrachte das Spiel in Abbildung 15. Wählt Spieler 1 zu Beginn des Spiels die Aktion D, ist das Spiel beendet. Obwohl es kontraintuituv erscheinen mag, ist das Aktionsprofil (D, G) eine Strategie von Spieler 1; auch wenn die Teilsequenz (C, E) nie vorkommen wird, wenn man der Strategie von Spieler 1 folge leistet. Der Punkt ist, dass Definition 3.2 verlangt, dass eine Strategie für jede mögliche Teilsequenz, nach der Spieler 1 am Zuge ist, eine mögliche Aktion spezifiziert. 49
4 Ein Strategieprofil s := (s 1,...,s n ) mit n := N bestimmt eindeutig eine Terminalsequenz, die wir den von s generierten Spielausgang nennen: Zu Beginn des Spiels spielt Spieler P(/0). Er Spielt die Strategie s P(/0) und wählt die entsprechende Aktion a 1 := s P(/0) (/0). Wenn a 1 keine Terminalsequenz ist, ist Spieler P(a 1 ) am Zug. Dieser Spielt die Aktion a 2 := s P(a1 )(a 1 ). Wenn (a 1,a 2 ) keine Terminalsequenz ist, spielt Spieler P(a 1,a 2 ) die Aktion a 3 := s P(a1,a 2 )(a 1,a 2 ) usw. Dieser Prozess setzt sich fort, bis eine Terminalsequenz erreicht wird. Die resultierende Terminalsequenz, die von s auf diese Weise generiert wird, bezeichnen wir mit O(s). Beispiel 3.4. Betrachte erneut das Spiel in Abbildung 15. Es gilt zum Beispiel: O((D,G),C) = (D), O((C,H),F) = (C,F) und O((C,H),E) = (C,E,H). 3.2 Nash-Gleichgewicht Definition 3.3. Ein Strategieprofil s ist ein Nash-Gleichgewicht für ein Spiel (N,H,P,(u i )) in extensiver Form mit vollständiger Information, wenn für jeden Spieler i N und jede Strategie s i von Spieler i gilt: u i (O(s )) u i (O(s i,s i )). Um Nash-Gleichgewichte besser für extensive Spiele berechnen zu können, gibt es eine kanonische Transformation eines Spiels in extensiver Form in ein Strategiespiel: Definition 3.4. Die strategische Form (N,(A i ),(u i )) eines extensiven Spiels Γ := (N,H,P,(u i )) mit vollständiger Information ist definiert durch: die Menge der Spieler N; die Aktionsmenge A i von Spieler i N entspricht der Menge aller Strategien von Spieler i in Γ; die Payoff-Funktion u i von Spieler i ordnet jedem Aktionsprofil den Payoff der Terminalsequenz zu, die durch das entsprechende Strategieprofil in Γ generiert wird. Mit dieser Definition gilt: Die Menge aller Nash-Gleichgewichte eines Spiels in extensiver Form mit vollständiger Information entspricht genau der Menge aller Nash- Gleichgewichte seiner strategischen Form. Das folgende Beispiel zeigt, dass das Lösungskonzept des Nash-Gleichgewichts für extensive Spiele nicht immer Sinn macht. Beispiel 3.5. Betrachten wir erneut das Eindringlingsspiel in Abbildung 16. Die strategische Form des Spiels sieht wie folgt aus: 50
5 E fordern nicht fordern V (1,2) aufgeben kämpfen (2,1) (0,0) Abbildung 16: Eindringlingsspiel. aufgeben kämpfen fordern (2, 1) (0, 0) nicht fordern (1, 2) (1, 2) Die beiden Nash-Gleichgewichte des Spiels sind: (fordern, aufgeben) und (nicht fordern, kämpfen). Betrachten wir das Nash-Gleichgewicht (nicht fordern, kämpfen): Spieler 1 wählt nicht fordern, weil Spieler 2 mit der Handlung kämpfen sozusagen droht falls Spieler 1 fordern wählen sollte. Auf der anderen Seite ist diese Drohung von Spieler 2 nicht glaubhaft: Sollte Spieler 1 tatsächlich fordern wählen, würde Spieler 2 (basierend auf dieser Information) aufgeben anstatt kämpfen wählen. 3.3 Teilspiel-perfektes Gleichgewicht Das Konzept des Nash-Gleichgewichts ignoriert die sequentielle Struktur von extensiven Spielen. Wir definieren daher ein stärkeres Lösungskonzept. Wir benötigen dazu zunächst die Definition eines Teilspiels. Definition 3.5. Sei Γ = (N,H,P,(u i )) ein extensives Spiel mit vollständiger Information. Für jede Nicht-Terminalsequenz h von Γ, definieren wir das Teilspiel Γ(h) := (N,H,P,(u i )) mit Präfix h wie folgt: die Menge der Spieler ist N; h ist genau dann eine Terminalsequenz in H, wenn (h,h ) eine Terminalsequenz in H ist; für jede echte Teilsequenz h von Γ(h) ist der Spieler P (h ), der nach h in Γ(h) am Zuge ist, durch P(h,h ) gegeben; die Payoff-Funktion u i eines Spielers i N in Γ(h) ist induziert durch die Payoff- Funktion u i und die Erweiterung einer jeden Terminalsequenz in H durch den Präfix h. Bemerke, dass nach dieser Definition gilt: Γ(/0) = Γ. 51
6 Sei h eine Teilsequenz und s ein Strategieprofil. Wir verwenden O h (s), um die Terminalsequenz zu bezeichnen, die sich aus dem Präfix h gefolgt von den von s generierten Spielausgang im Teilspiel Γ(h) zusammensetzt. O h (s) ist der von s generierte Spielausgang mit Prafix h. Definition 3.6. Das Strategieprofil s in einem extensiven Spiel (N,H,P,(u i )) mit vollständiger Information ist ein Teilspiel-perfektes Gleichgewicht, wenn für jeden Spieler i N und jede Teilsequenz h mit P(h) = i gilt: für jede Strategie s i von Spieler i. u i (O h (s )) u i (O h (s i,s i )) Intuitiv ist ein Strategieprofil s ein Teilspiel-perfektes Gleichgewicht, wenn für jeden Spieler i und jede Teilsequenz h, nach der er am Zuge ist, s i die bestmögliche Fortsetzung darstellt. Beispiel 3.6. Betrachten wir das Eindringlingsspiel in Abbildung 16. Das Strategieprofil (nicht fordern, kämpfen) ist kein Teilspiel-perfektes Gleichgewicht, denn für h = (fordern) gilt: 0 = u 2 (O h (nicht fordern, kämpfen)) u 2 (O h (nicht fordern, aufgeben)) = 1. (nicht fordern, aufgeben) ist kein Teilspiel-perfektes Gleichgewicht, denn Spieler 1 möchte mit h = /0 zur Aktion fordern wechseln. (fordern, kämpfen) ist kein Teilspiel-perfektes Gleichgewicht, da Spieler 2 für den Präfix h =fordern die Aktion aufgeben bevorzugt. Das Strategieprofil (fordern, aufgeben) hingegen ist ein Teilspiel-perfektes Gleichgewicht. 52
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