Die Vögel. Liebe Liese

Transkript

1 Die Vögel Liebe Liese Wunderbar, dachte ich nach deinem Telefon. Ich dachte an meine Zeit in Aarau zurück, wo ich allabendlich einem erhabenen Schauspiel gewahr wurde: Ein grosser Schwarm schwarzer Vögel kreiste scheinbar ungeordnet in vollendeter Harmonie in der Dämmerung. Ich dachte an den letzten Sommer, wo ein ständiges und für uns neues Krächzen von drei rabenschwarzen Vögeln den Luftraum in unserer Umgebung erfüllte. Ich dachte an die zwei Mäusebussarde, die oft über unserem Garten kreisen und manchmal von schwarzen Vögeln angegriffen werden, die sich von grosser Höhe auf die Bussarde niederstürzen, fallen lassen, bis die würdevollen Greifvögel davon gleiten; an den schwarzen Gesellen, der regelmässig unseren Komposthaufen durchwühlt was dem Kompost nur gut tut und sich gestern mit einem ganzen verschrumpelten Apfel, den er mit dem Schnabel aufgespiesst hatte, in westlicher Richtung davonflog und an die satte, schwarze Farbe seines Gefieders. Wunderbar, dachte ich nach deinem Telefon, nun werde ich endlich erfahren, welche schwarzen Vögel ich da seit Jahrzehnten beobachte. Die schwarzen Vögel von Konrad Lorenz Zuerst einmal ging ich in die Irre. Ich war nämlich felsenfest überzeugt, Konrad Lorenz habe in seinem Büchlein Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen über diese Vögel geschrieben. Hat er aber nicht. Jedoch über ganz nahe Verwandte: Die Dohlen. Genauer, über die Dohle Tschock. Lorenz grosse Liebe zu den Vögeln begann mit dieser einen Dohle. Vieles, was von Konrad Lorenz über die Dohlen erstmals beobachtet und systematisch festgehalten wurde, gilt auch für unsere Schwarzen. Die Dohlen leben monogam und bleiben sich ein Leben lang treu. Und sie geben erlerntes Wissen weiter, kennen gewissermassen eine Tradition! Nun, ich möchte dich nicht länger auf die Folter spannen: Wir beide haben Rabenkrähen beobachtet. Du, wie sie sich letzten Herbst und Winter jeweils abends zu hunderten, wenn nicht gar über tausend auf einzelnen hohen Bäumen niederliessen. Singen die Raben? Rabenkrähen bilden zusammen mit den Dohlen, Saatkrähen, Nebelkrähen und den Kolkraben eine so genannte Gattungsgruppe innerhalb der Familie der Rabenvögel. Alle zusammen gehören zu den Singvögeln, wobei der Kolkrabe mit einer Grösse

2 bis zu 65 cm und einem Gewicht bis zu anderthalb Kilo der grösste Singvogel der Welt ist. Die Rabenkrähe ist wie der Kolkrabe vollkommen schwarz. Auf dem Foto sieht man den typischen rechteckigen Rabenkrähenschwanz. Der nächste Verwandte ist die Nebelkrähe; mit hellgrauen Abschnitten im Gefieder kommt diese eher im Süden unseres Landes vor. Die Saatkrähe mit einem hellen Schnabelansatz und gefiederten Schenkeln dagegen vor allem im Westen. Saatkrähen bilden ebenfalls Schwärme, welche aber Gebüschgruppen in freier Landschaft bevorzugen. Der Kolkrabe wiederum ist, wie gesagt, wesentlich grösser, grösser gar als der Bussard. Die Dohlen hingegen sind kleinere Vögel, sie sind bedroht und stehen bei uns auf der roten Liste. Rabenkrähen bilden eine Zweiklassengesellschaft Es gibt Rabenkrähenpaare, die machen Karriere, erkämpfen sich ein Territorium um dort zu brüten. Ein solches Revier ist ca. zwanzig Hektaren gross. Allen übrigen Rabenkrähen ist die Fortpflanzung vorerst versagt. Sie halten sich in der Allmende auf, einem Gebiet, das allen Rabenkrähen, auch den gerade brütenden, offen steht. Als ich ein brütendes Weibchen zum Fotografieren entdeckt hatte, fiel mir tatsächlich auf, dass in einem Umkreis von mehreren hundert Metern keine weiteren Rabenkrähen anzutreffen waren! Falls einem brütenden Paar etwas zustösst, wird das Territorium von den ranghöchsten Nachfolgern sofort erkämpft. Ein Nest steht selten allein Bereits im Februar beginnt ein Rabenkrähenpaar mit dem Nestbau. Selten wird ein altes Nest nochmals gebraucht. Weil aber die Territorien festgelegt sind, haben sie keine grossen Ausweichmöglichkeiten. So konnte ich beobachten, dass in der Baumgruppe meines Rabenkrähenpaars noch zwei weitere, leere, also alte Nester vorhanden sind. Die etwa 40 cm breiten und 20 cm hohen Nester bestehen aussen aus Ästen. Zur Polsterung im Innern werden

3 feinere Materialien, wie Stroh, Erde, aber auch Plastik und Lumpen und zuinnerst Wolle, Federchen und feine Gräser gebraucht. Im März bis April legt das Weibchen 4 bis 6 Eier, die sie warm hält bzw. hudert. [Fotos: Das Weibchen sitzt kurz am Rand des Nestes, danach sieht man nur noch den Schwanz herausragen] Das Männchen füttert sie und verteidigt das Revier gegen Eindringlinge wie Habicht, Marder, Katzen und Eindringlinge der eigenen Art! Nach rund 18 Tagen schlüpfen die Jungen. Jetzt teilen sich die Elternvögel die strapaziöse Fütterungs- und Verteidigungsarbeit. Dabei fressen Rabenkrähen praktisch alles: Früchte, Sämereien, Insekten, Eier, Jungvögel, Aas. Aus diesem Grunde heissen Rabenkrähen auch Aaskrähen. Wenn ein Weibchen während dieser Zeit getötet wird, versucht das Männchen alleine, die Jungen durchzubringen. Nach rund 4 bis 5 Wochen sind die Jungen flügge. Meist überlebt nur ein einziges Junges bis zu diesem Zeitpunkt. Und wiederum nur ein Viertel der flügge gewordenen Rabenkrähen überleben das erste Lebensjahr. Mit einem Jahr sind die Jungen bereits geschlechtsreif, Brutpaare bilden sich aber erst zwischen dem dritten und fünften Jahr, wobei sich dann das Problem mit dem fehlenden oder zu erkämpfenden Revier stellt... Schwärme und Schlafbäume Ein Acker wird aufgepflügt, sofort sitzen schwarze Krähen darin und suchen nach Essbarem. Woher kommen sie und wohin fliegen sie? Ja, das habe ich mich mehrmals gefragt, als ich mit dem Fotoapparat bewaffnet auf Krähensuche ging. Mit ihren scharfen Augen hatten sie mich schon von weitem erblickt und flogen auf und davon. Wenn ich aber mit dem Auto an einem eben frisch gepflügten Acker vorbei fahre, dann bleiben sie unbeeindruckt hocken. Ebenfalls hocken blieben zwei freche Gesellen im Wald, als ich von einem vergeblichen Fotoshooting nach Hause fuhr. Sie sassen auf der Strasse und flogen nicht davon, nein, zwei, drei Hopser, zu mehr bequemten sie sich nicht!

4 Jetzt im April streifen kleinere Verbände von zwanzig bis sechzig Rabenkrähen in den Allmenden umher. Im Spätsommer, wenn die Jungtiere dazu stossen, zigeunern wiederum grössere Schwärme umher. Bei uns gibt es Formationen, welche sich im Raum von Bonstetten/Wettswil über Lieli bis zum Reusstal bewegen. Dabei ist den Tieren der soziale Raum, den sie in der Gruppe einnehmen, wichtiger als der tatsächliche. Eindrücklich ist es, wenn sich im Herbst und Winter sogar mehrere Populationen Rabenkrähen auf Schlafbäumen, mächtigen, alten Baumkronen, niederlassen. So kommen vor allem im Winter mancherorts tausende von Vögeln zusammen. In Wettswil soll ein solcher Schlafraum oberhalb der Wannweid bestehen. Ein Jäger hat mir erzählt, dass er genau sagen könne, wann sich ein Schwarm niederlässt. Wenn die Tiere noch viel Energie hätten, würden sie ein helles kräh ertönen lassen; diejenigen Tiere, die aber müde sind, ein dunkleres krah. Wenn nun die Krahs überwiegen, dann sei der Zeitpunkt erreicht, wo der Schwarm sich zur Ruhe begäbe. Ein gejagtes Volk Ein Maisfeld. Die Schösslinge stehen knapp drei bis vier Zentimeter hoch. Da lässt sich ein Schwarm Rabenkrähen nieder. Sie ziehen Schössling und Schössling empor und fressen den weichen, gekeimten Maissamen. Eine Delikatesse offenbar. Wie der Blitz kann so eine grosse Fläche ratzeputz verspeist sein. Wildschaden wird das genannt, und die Jäger des entsprechenden Jagdreviers haften über den Wildschadenfonds für den durch Krähen angerichteten Schaden. Deshalb werden, ja müssen Rabenkrähen wie auch Elstern, Eichelhäher, Saatkrähen, Nebelkrähe usw. mit gesetzlichem Auftrag geschossen werden. Im Kanton Zürich wurden im Jahr 2004 fünftausend Rabenkrähen geschossen (Statistik des BUWAL). Die intelligenten Krähen lassen sich jedoch nicht so leicht erwischen. Ein Jäger darf sein Gewehr nicht sehen lassen, sonst sind die Krähen weg! Aber auch der Jäger selbst wird bald wieder erkannt, ebenso sein Auto.

5 Was nützt das Abschiessen? Trifft es Brutvögel, so wird ihr Platz durch Vögel aus dem Schwarm schnell ersetzt. Trifft es Vögel aus dem Schwarm, so nimmt der Druck der Eindringlinge ab, und mehr Jungvögel können überleben. Der Bestand reguliert sich so oder so auf die gegebenen räumlichen Verhältnisse, mit oder ohne das Abschiessen. Wobei das Vertreiben der Rabenkrähen in der Landwirtschaft seine Berechtigung hat! Es gibt aber weitaus angenehmere Methoden! So schützt ein Bonstetter Landwirt seine Erdbeerfelder wirksam mit einer Schusslärmmaschine, die in unregelmässigen (!) Abständen Schusslärm erzeugt. Zum Schluss Rabenkrähen gehören zu unserer Landschaft. Die Abwesenheit von Krähenschwärmen in unserem Quartier wiederum ist ein Hinweis auf ein besetztes Revier, daher auch die drei Rabenkrähen im letzten Sommer; ein Brutpaar mit ihrem Jungen. Der eine Vogel, welcher unseren Kompost durchwühlt, gehört zu ebendiesem Revier. Und jene beiden eben das Paar! - welche den Bussard angegriffen haben, wollen ihm allenfalls die Beute abjagen, denn totes Fleisch ist ein natürliches Lieblingsgericht der Schwarzen. Angst vor diesen Vögeln brauchst du nicht zu haben, auch wenn sie in grosser Anzahl auf den hohen Bäumen in deiner Nähe übernachten. Ja selbst, wenn sie in den Gärten nach Essbarem suchen, greifen sie nicht an. Es sind allesamt scheue Tiere, die dich eher meiden werden. So hat Tippi Hedren, Hauptdarstellerin in Hitchcocks Film die Vögel zu der schlimmsten Szene im Estrich, wo sie von den Vögeln scheinbar - angegriffen worden ist, gesagt: Die Vogelbetreuer haben die Tiere auf mich geworfen, ich musste sie wegschieben, verletzt wurde ich dabei nicht, diese scheuen Tiere hätten mich auch nie verletzen wollen. [Foto Tippi Hedren auf der Flucht mit Kindern, aus Die Vögel ] Liebe Liese, bis anhin war mir nicht bewusst, wie sehr die Rabenkrähen zu unserer Umgebung gehören. Heute höre ich das Krächzen der Rabenkrähen durch allen Umgebungslärm hindurch. Ich bin voller Achtung für diese gescheiten und faszinierenden Geschöpfe der Natur. Ich hoffe, es geht dir ebenso! Verena Quellen: Zürcher Tierschutz: Krähenvolk, eine Lanze für Verfemte, Christian Speich; Vogelwarte Sempach: Die Vögel, Alfred Hitchcock, DVD Zusatzdokumentation.