Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S Abb. 44 Geldmengenabgrenzungen der Europäischen Zentralbank
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- Klaus Kruse
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1 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 121 II.4 Geldpolitik II.4.1 Geldentstehung In der ökonomischen Literatur wird Geld über seine Funktionen definiert. Geld ist, kurz gesagt, alles womit man bezahlen kann. Bezahlen kann man aber nicht nur mit Noten oder Münzen, sondern auch mit Schecks und Kreditkarten. Und manche Guthaben, z.b. Anlagen am Tagesgeldmarkt, kann man sehr schnell zu Geld machen, also in Formen überführen, mit denen man bezahlen (auf die man Schecks ausstellen oder Kreditkarten belasten) kann. Je nach dem, wie schnell und unproblematisch diese Umwandlung erfolgen kann, werden einzelne Geldmengen definitorisch voneinander abgegrenzt. Für die Geldmengenabgrenzungen der Europäischen Zentralbank 1 gebe ich nachstehend ein Schaubild aus Heering (2002, S. ) wieder. Abb. 44 Geldmengenabgrenzungen der Europäischen Zentralbank Die Geldmengenabgrenzungen unterscheiden sich international ein wenig und sie sind auch nicht notwendig bei M3 zu Ende zum einen kann man auf liquiden Märkten (z.b. dem Markt für staatliche Wertpapiere) auch langfristigere Anlagen schnell und zu geringen Transaktionskosten zu Geld machen und zum anderen kann man schließlich auch mit einem Überziehungskredit bezahlen aber diese Geldmengenaggregate sind die gebräuchlichsten. 1 Die Begriffe Zentralbank und Notenbank benutze ich im folgenden synonym. 121
2 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 122 Damit werden im Geldbegriff der Lehrbücher aber zwei Formen von Zahlungsmitteln zusammen gefaßt, die eigentlich sehr unterschiedlich sind. Es ist dies zum einen die von der Zentralbank emittierte Zentralbankgeldmenge: Banknoten und Einlagen bei der Zentralbank (sowie die vom Staat geprägten Münzen) und zum anderen sind dies Schuldtitel (vor allem) von Banken, wie Guthaben auf Girokonten. (Ihr Bankguthaben ist ja nichts anderes als eine Schuld, die eine Bank bei Ihnen hat bzw. spiegelbildlich: eine Forderung, die Sie gegen Ihre Bank haben.) Im Folgenden werde ich daher unterscheiden zwischen der Zentralbankgeldmenge (Z) und der Geldmenge M (auf die weiteren Unterteilungen in M 1 bis M 4711 werde ich nicht eingehen). Wie unterschiedlich diese beiden Kategorien sind, zeigte sich vor allem in der Zeit Zweiten Weltkrieg in den sogenannten bank runs: Wenn die Bank, bei der Sie Ihr Konto haben, pleite geht, ist Ihr Geld weg. Daher kam es gelegentlich zu Wellen von Abhebungen, wenn befürchtet wurde, daß Banken in finanziellen Schwierigkeiten sein könnten und diese Abhebungen führten zu Bankzusammenbrüchen. Heute merken Sie davon nichts mehr, weil es einen Einlagensicherungsfonds gibt, eine Garantiefonds der gewährleistet, daß die Einlagen bei pleite gegangenen Banken bedient werden. Gesamtwirtschaftlich ist das Problem aber immer noch präsent und kann Steuergelder kosten: So überstiegen in den USA die Lasten aus den Bankenzusammenbrüchen der 80er die Eigenmittel der FIDIC (Federal Deposit Insurance) und die Differenz mußte aus dem Haushalt gedeckt werden. 2 Die Notenbank hingegen kann nicht pleite gehen. Zwar können Ihre Guthaben durch Inflation (1921 ff) oder durch eine Währungsreform (1948) entwertet werden. Aber in diesem Falle werden zugleich Ihre Schulden entwertet. Notenbankgeld ermöglich Ihnen also in jedem Falle Schulden in der gleichen Währung zu tilgen. Ein Guthaben bei Bank A hingegen erlauben eben nur dann, eine Kontoüberziehung bei Bank B auszugleichen, wenn Bank A in Zentralbankgeld an Bank B zahlen kann. Um die Geldentstehung zu verfolgen, sei mit einer Ausgangsituation begonnen, in der noch kein Geld in der Ökonomie ist, 3 und in der ein Unternehmen einen Kredit bei einer Bank aufnehmen will, um Kapitalgüter, sage ein Grundstück, von einem Haushalt zu erwerben. Die Bank räumt dem Unternehmen einen Kredit von, sage, 100 ein und gibt ihm dafür eine Gutschrift auf seinem Konto, die es an den Haushalt übertragen kann. Damit hat jetzt die Bank Forderungen von 100 gegen das Unternehmen (F U ) und das Unternehmen hat Depositen in Höhe von 100 bei der Bank (D B ) (Depositen des Unternehmens = D U aus Sicht der Bank) und Verbindlichkeiten von 100 gegenüber der Bank (V B ). Der Haushalt hat noch immer sein Grundstück (SV Sachvermögen) im Wert von 100. Die Gegenbuchung zu diesem Sachvermögen ist, da es dem Haushalt gehört und er seinerseits keine 2 3 Ferner verlaufen in vielen Entwicklungsländern Krisen noch immer nach diesem Muster (die letzten größeren Beispiele bilden die Asienkrise (1996ff) und die argentinische Währungskrise): Da hier ein Teil der Bankeinlagen in fremder Währung (Dollar) denominiert ist, kann im Zweifelsfall national keine Sicherheit der Einlagen garantiert werden. Wenn Sie diese Unterstellung zu heroisch finden, dann nehmen sie einfach an, daß es um die Entstehung zusätzlichen Geldes geht und nur diese neuen Posten verbucht werden. 122
3 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 123 Verbindlichkeiten hat, Reinvermögen (RV). Bei der Zentralbank steht noch gar nichts in der Bilanz. Zentralbank Bank Unternehmen Haushalte 0 0 F U D U 100 D B 100 V B SV RV Im nächsten Schritt überträgt nun das Unternehmen seine Depositen an den Haushalt und erhält dafür das Grundstück. Zentralbank Bank Unternehmen Haushalte 0 0 F U D H SV V B 100 D B 100 RV Die Zentralbank kommt jetzt aus zwei Gründen ins Spiel. Erstens mag der Haushalt einen Teil seines Vermögens in Bargeld halten wollen (weil man die Schecks so schlecht in die Kaffeemaschine kriegt) und deshalb einen Teil, sage 50, seiner Einlagen abheben. Und zweitens will (oder muß: Mindestreserve MR) die Bank Reserven auf ihre Depositen halten. Nehmen wir an, die Bank müsse oder wolle 10% Reserven halten, dann braucht sie insgesamt 55 Einheiten Zentralbankgeld: Erstens die 50 die sie dem Haushalt auszahlen muß und zweitens 5, um Reserven auf die verbleibenden 50 Einlagen zu halten. Diese 55 leiht sie sich nun von der Zentralbank, die diese ihrerseits einfach druckt. Zentralbank Bank Unternehmen Haushalte F B Z F U D H SV V B 50 D B 100 RV 5 MR B MR 5 55 V ZB 50 Z Damit hat nun die Zentralbank Forderungen gegenüber der Bank in Höhe von 55 und die Bank hat Verbindlichkeiten gegenüber der Notenbank in gleicher Höhe. Die Reserven wird die Bank zum größten Teil nicht bar in ihrem Tresor herumliegen lassen, sondern sie in Form eines Guthabens bei der Zentralbank halten (MR). Die Zentralbankgeldmenge ist daher die Summe aus umlaufendem Bargeld und den Einlagen der Banken bei der Notenbank. Geld (im Sinne von M) entsteht also durch Kreditvergabe. Und Zentralbankgeld entsteht durch eine Kreditvergabe der Zentralbank an die Banken. 123
4 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 124 Die Forderungen der Zentralbank werden verzinst. (Wie auch die Devisen die sie hält, denn diese sind kurzfristige Titel an fremden Geldmärkten.) Und aus diesen Zinseinnahmen entsteht der Notenbankgewinn, der an den Staat abgeführt wird. Die Überweisung der Zentralbankgewinne läßt somit nicht zusätzliches Geld entstehen vielmehr stellt die Zentralbank das Geld bereit, das zur Zahlung der Zinsen aus der Ökonomie an sie zurück geflossen war. (Wobei die Höhe der Gewinne, die sie ausweist, nochmals von geldpolitischen Überlegungen bestimmt ist.) Zwei Anmerkungen Aber müssen denn die Banken nicht zuerst mal Einlagen bekommen haben, bevor sie einen Kredit vergeben können? Nein, eben nicht. Sie schöpfen Kredit, indem sie einfach eine Gutschrift einräumen. Bei größeren Beträgen ist das offensichtlich wenn Sie im Auftrag Ihrer Firma mit der Bank die Finanzierung eines Investitionsprojekts in Höhe von 50 Mio. aushandeln wollen, dann werden sie kaum erfolgreich sein, wenn Sie mit einem großen leeren Koffer ankommen. (Nicht nur hat die Bank so viel gar nicht im Tresor. Es könnte auch der Verdacht aufkommen, daß Sie planen, nach der Auszahlung eine kleine Reise anzutreten.) Aber auch bei Menschen unseres Kalibers läuft das ähnlich. Wenn wir mit unserer EC-Karte mal wieder unser Konto überziehen, entsteht eine Forderung unserer Bank gegen uns und ein Guthaben des Plattenladens bei seiner Bank. Bargeld kommt hier erst später ins Spiel: Dann, wenn (falls) der Inhaber des Plattenladens Geld abhebt. Auch Reserven auf ihre Depositen kann die Bank sich nachträglich beschaffen. Zwar besteht eine Mindestreservepflicht in Höhe von 2% auf kurzfristig fällige Einlagen. Aber diese Reserve muß die Bank nur für den Durchschnitt eines Monats nachweisen. Das ist der Grund, warum kurz vor dem Stichtag für den Reservenachweis die Zinsen am Geldmarkt kurzzeitig anziehen. Zentralbankgeld kann doch auch auf andere Weise entstehen, z.b. durch Umtausch von Devisen? Ja, die Bilanz einer Notenbank enthält mehrere Formen von Aktiva, die der Zentralbankgeldmenge gegenüberstehen. Idealtypisch sieht die Bilanz wie folgt aus: Gold Devisen Forderungen dar.: gegen Banken gegen den Staat Sachvermögen (Bankgebäude etc.) Zentralbank Eigenkapital Zentralbankgeldmenge dar.: Notenumlauf Einlagen von Banken Geld kann also in Umlauf kommen, in dem die Zentralbank entweder Gold, Devisen, staatliche Wertpapiere oder Sachvermögen (PC s, Grundstücke etc.) ankauft; oder eben, wenn sie Kredite an Banken vergibt. Von diesen Kategorien sind Devisen zwar relevant, aber sie erklären nichts: Devisen sind kurzfristige Anlagen auf fremden Geldmärkten (Noten in fremder Währung heißen 124
5 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 125 Sorten) oder kurzfristige Treasury Bonds. Damit die Notenbank sie aufkaufen kann, müssen sie erst mal (im Ausland) entstanden sein. Die Geldentstehung über den Ankauf von Devisen zu erklären, wäre zirkulär: Es müßte jetzt als nächstes erklärt werden, wie die Devisen denn im Ausland entstanden sind. Von den übrigen Größen macht Gold zwar noch einen relativ großen Anteil in einzelnen Zentralbankbilanzen aus, aber es ist ein bloßes historisches Relikt. Schon lange emittieren Notenbanken nicht mehr Geld gegen Gold. 4 Aber dadurch, daß in Folge der Golddeckung im 19. und frühen 20. Jahrhundert der größte Teil der Goldreserven der Welt bei den Notenbanken liegt, können sie es auch nicht einfach verkaufen, ohne befürchten zu müssen, daß der Goldmarkt zusammenbricht. Es gibt daher ein Abkommen zwischen den Notenbanken, das festlegt, in welchem Umfang maximal Goldbestände verkauft werden dürfen. 5 II.4.2 Zinspolitik II Zinszusammenhang Im Kern setzt die Notenbank den Zinssatz fest, zu dem sie bereit ist, an die Banken beliebig viel Zentralbankgeld auszuleihen. 6 Damit legt die Notenbank den Zinssatz am Eine Ausnahme stellte in jüngerer Zeit noch Taiwan dar. Dies hatte seinen Grund in einem kleinen Trick: Taiwan wies Goldkäufe als Importe und damit in der Handelsbilanz aus. Gold aufzukaufen ließ daher den Leistungsbilanzüberschuß kleiner erscheinen als er tatsächlich war. Im Falle der Goldbestände der Bundesbank kommt ein weiteres Problem hinzu. Gold wird in der Bilanz der Bundesbank noch mit seinem Preis aus der Bretton-Woods-Ära (24 $ / Unze) verbucht. Wird das Gold jetzt verkauft, so entstehen Bilanzgewinne und diese müßten an den Staat abgeführt werden es sei denn, dieser genehmigt eine Kapitalerhöhung der Bundesbank. Letzteres kann man bei der derzeitigen Haushaltslage vergessen. Also hält die Bundesbank ihre Goldbestände, um keine Gewinne ausweisen zu müssen und so ihr Vermögen zu verteidigen. Und damit wird die für alle Seiten beste Lösung Verkauf des Goldes, Erhöhung des Eigenkapitals, Ersetzen von Gold durch Forderungen an Banken und die Überweisung höherer Bundesbankgewinne an den Finanzminister in der Zukunft aus der Verzinsung dieser Forderungen blockiert. Praktisch funktioniert die Zinspolitik ein klein wenig komplizierter. Die Zentralbank legt erstens den Leitzinssatz fest, den sie für den Zinssatz am Geldmarkt ansteuert. An diesem Zins orientieren sich die einmal wöchentlich stattfindenden Refinanzierungsgeschäfte (er ist der Mindestbietungssatz für die Geldinstitute). Daneben gibt es einen zweiten Zinssatz für sehr kurzfristige Refinanzierungsgeschäfte, den Spitzenrefinanzierungssatz, zu dem Banken innerhalb einer Stunde Geld von der Notenbank bekommen können, der um einen Prozentpunkt über dem Leitzinssatz liegt. Umgekehrt können die Banken, wenn sie überschüssige Liquidität haben, dieses Geld bei der Notenbank zu einem Zinssatz anlegen, der um einen Prozentpunkt unter dem Leitzinssatz liegt (Einlagenfaszilität). Damit bildet der Spitzenrefinanzierungssatz die Obergrenze und der Einlagensatz die Untergrenze des Geldmarktsatzes, da keine Bank sich teurer verschulden wird, als sie dies bei der Notenbank könnte und keine ihr Geld für weniger Zinsen weggeben wird, als sie von der Notenbank bekommen könnte. Praktisch gestaltet die EZB aber ihr Hauptrefinanzierungsgeschäft so aus, daß der Zinssatz am Geldmarkt auch innerhalb dieser Grenzen kaum schwankt und nahezu identisch mit dem Leitzins 125
6 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 126 Interbankenmarkt fest, denn niemand wird mehr für Geld zahlen, als sie bei der Notenbank zahlen muß und niemand wird sein Geld für 2% verleihen, wenn er bei der Notenbank Verbindlichkeiten hat, die er mit 3% verzinsen muß es ist dann sinnvoller, überschüssige Liquidität zu nutzen, um die Verschuldung bei der Zentralbank abzubauen. Damit legt die Zentralbank die (kurzfristigen) Refinanzierungskosten der Banken fest. Und diese wiederum bestimmen die übrigen kurzfristigen Zinssätze (die natürlich durch Risikoaufschläge oder auf Grund von Transaktionskosten vom Geldmarktsatz abweichen können.): Eine Kreditvergabe der Banken zu 2% macht keinen Sinn, wenn die Refinanzierung sie 3 % kostet der Kreditzinssatz für kurzfristige Kredite wird also stets über dem Leitzinssatz liegen. Umgekehrt ist die Refinanzierung bei Einlegern für die Banken eine Alternative zur Refinanzierung bei der Notenbank. Also müssen auch die kurzfristigen Einlagenzinssätze mit dem Leitzinssatz variieren (bestes Beispiel: Tagesgeld). Aber auch die langfristigen Zinssätze werden von den kurzfristigen Zinssätzen bestimmt, nur sind hier die erwarteten zukünftigen kurzfristigen Zinssätze ausschlaggebend. Für den Vermögenseigentümer sind langfristige Vermögenstitel eine Alternative zu kurzfristigen. Erwarte ich für die Zukunft niedrigere kurzfristige Zinssätze. Damit seigt die Nachfrage nach längerfristigen Wertpapieren, deren Kurs steigt und dementsprechend fällt deren Verzinsung. Umgekehrt führt eine Erwartung in der Zukunft steigender kurzfristiger Zinssätze dazu, daß ich mein Geld erstmal kurzfristig parke. Dementsprechend geht das Angebot an langfristigeren Krediten zurück der Zins steigt. Umgekehrt hat der Schuldner die Wahl sich entweder langfristig oder sich (revolvierend) kurzfristig zu verschulden. Erwarte ich für die Zukunft steigende kurzfristige Zinssätze, so werde ich versuchen, mich langfristig zu verschulden die Nachfrage nach langfristigen Krediten steigt, der Kreditzinssatz steigt. Über ihre Zinspolitik am Geldmarkt bestimmt die Notenbank also das kurz- wie langfristige Zinsniveau in der Ökonomie. Das heißt aber nicht, daß die Zentralbank ungestraft ein beliebiges Zinsniveau durchsetzen könnte. Denn die Vermögensmärkte müssen den Zinssatz der Zentralbank zwar hinnehmen, aber sie müssen ihr Geld nicht akzeptieren. Sie können dieses vielmehr durch Inflation aus dem Markt werfen. II Zinssatz und Währungsstabilität Grundsätzlich wirkt das Zinsniveau zum einen auf die Nachfrage und die Beschäftigung und zum anderen auf den Wert der Währung. Die Wirkung auf die Nachfrage ergibt sich darüber, daß erstens ein Teil der Nachfrage zinselastisch ist (Investitionsnachfrage, Ratenkredite) und daß zweitens ein hohes Zinsniveau einen höheren Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen am BIP impliziert ist. 126
7 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 127 mithin eine ungleichere Einkommensverteilung. Und da die (marginale) Konsumquote aus einem hohen Einkommen niedriger ist, als die aus einem niedrigen, ist in Folge der ungleicheren Verteilung die Nachfrage geringer. Damit bedeutet unter sonst gleichen Umständen ein niedrigeres Zinsniveau eine höhere Nachfrage. Die Wirkung des Zinssatzes auf den Wert der Währung wird gleich ausführlicher darzustellen sein. Es sei aber hier schon mal vorweggenommen, daß ein höherer Zinssatz die Währung attraktiver macht. Mithin läuft ein Versuch, die Beschäftigung über ein niedriges Zinsniveau zu erhöhen, Gefahr, die Stabilität der Währung zu gefährden. Wie schon Thornton (1804) und dann wieder Wicksell (1898) herausgearbeitet haben, setzt die Notenbank die Zinsen grundsätzlich mit Blick auf den Wert ihrer Währung. 7 Damit bleibt die Beeinflussung der Nachfrage, so man diese denn für vernünftig hält, Aufgabe der Fiskalpolitik Für den Zusammenhag zwischen Zinssatz und Wert der Währung gibt es zwei Argumentationslinien. Geldzins und Güterpreise Ein niedriges Zinsniveau bedingt cet. par. ein höheres Kreditvolumen. Kredite werden aufgenommen, um Güter oder Dienstleistungen zu kaufen, mithin bedeutet ein höheres Kreditvolumen eine höhere Nachfrage. Und eine höhere Nachfrage erfordert ein höheres Angebot, mithin eine höhere Beschäftigung. Damit kann man jedem Zinssatz der Notenbank ein bestimmtes Einkommen und eine bestimmte Beschäftigung zuordnen. Offensichtlich ist die Grenze der Zinspolitik dann erreicht, wenn der Zinssatz gefunden ist, bei dem Vollbeschäftigung herrscht und dies ist denn auch im Kern die Zinstheorie die Sie bei Roemer oder Laidler finden: Die Zentralbank setzt den Zinssatz, bei dem Vollbeschäftigung herrscht. Natürlich kennt die Notenbank praktisch nicht den Zins, bei dem Vollbeschäftigung herrschen würde, sie muß also versuchen, das richtige Zinsniveau über Versuch und Irrtum zu finden. Und sie hat das Problem der Wirkungsverzögerungen wie fiskal-. so wirken auch geldpolitische Maßnahmen zeitverzögert, so daß man bei der Annäherung an den gleichgewichtigen Zinssatz vorsichtig sein muß, um nicht zu überschießen. Sie erinnern sich noch an das Konzept der NAIRU, der Arbeitslosenquote, ab der eine Lohn-Preis-Spirale losgetreten wird, weil eine Überschußnachfrage am Arbeitsmarkt entsteht? Nun, hier ist die Verbindung zur Theorie der Zinspolitik. Die Differenz von tatsächlicher Arbeitslosigkeit und (geschätzter) NAIRU-Arbeitslosenquote wird als ein 7 Das schließt nicht aus, die Zinspolitik auch antizyklisch eingesetzt wird: Während eines Konjunktureinbruchs bricht sowohl die Nachfrage weg, als die Kreditnachfrage ein. Beide Einflüsse üben einen Druck auf die Preise aus. Daher ist es der Notenbank möglich, im Abschwung über ein niedrigeres Zinsniveau entlastend zu wirken, ohne den Wert ihrer Währung zu gefährden. 127
8 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 128 wichtiger Frühindikator herangezogen, um zu bestimmen, wann die Zinsen wieder erhöht werden müssen. Geldzins und Portfoliowahl In der oben dargestellten Variante bestimmt sich das Zinsniveau am Güter- und Arbeitsmarkt: Geldwertstabilität stellt sich dann ein, wenn die Zinspolitik sicherstellt, daß sich am Güter- und Arbeitsmarkt kein Nachfrageüberschuß aufbaut. Damit ist der gleichgewichtige Zinssatz zugleich der Zins, bei dem Vollbeschäftigung herrscht und etliche neoklassische Theoretiker haben darauf hingewiesen, daß ein Beschäftigungsziel für die Fiskalpolitik schon deswegen entbehrlich sei, weil die Märkte, so die Zentralbank das Zinsniveau sucht, bei dem ihre Währung stabil ist, zugleich Vollbeschäftigung gewährleisten. Gegenüber dieser Idee, daß sich der Zinssatz am Güter- und Arbeitsmarkt bildet, haben Keynes, und in seiner Nachfolge vor allem Tobin, herausgestellt, daß der Zinssatz als ein Preis der (Kredit-) und Vermögensmärkte verstanden werden muß. Um die Idee am Beispiel zu illustrieren. Nehmen Sie an, es gebe zwei Währungen, $ und, und die Vermögenseigentümer (das heißt, alle Menschen, die Geldvermögen halten) entscheiden, wie viel Prozent ihres Vermögens sie in der jeweiligen Währung halten wollen. In der Ausgangssituation sei der Bestand an $-Vermögen (Wertpapiere, Guthaben etc.) 1000 $, der Bestand an -Vermögen sei ebenfalls 1000 und die Vermögenseigentümer wollen jeweils die Hälfte Ihres Vermögens in $ und die andere Hälfte in halten. Die Höhe des Vermögens (V) ist gleich der Summe der Geldvermögen (wobei wir, um die Beträge addieren zu können, entweder die $-Vermögen in umrechnen müssen oder umgekehrt). Es ist also V = 1000 $ * e[$/ ] (1) Ferner wissen wir, daß die Vermögenseigentümer 50% ihres Vermögens in Form von $- Vermögen halten wollen. Damit ein Gleichgewicht am Vermögensmarkt herrscht, muß also gelten: 0,5 * V = 1000 $. (2) Und diese beiden Gleichungen geben uns den Wechselkurs (1) eingesetzt in (2): 0,5 * (1000 $ * e[$/ ]) = 1000 $ ==> 500 * e[$/ ] = 500 $ ==> e = 1 $/ 1. Bei einem höheren Wechselkurs hätten die Vermögenseigentümer zu viel -Vermögen in ihrem Portfolio. Sie würden also versuchen, einen Teil davon zu verkaufen und dies würde einen Druck auf den Kurs des ausüben. Bei einem niedrigeren Wechselkurs hätten sie zu wenig. Sie werden versuchen, zu zukaufen, und in Folge dieser Überschußnachfrage wertet der auf. 128
9 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S. 129 Es sei denn, die Notenbanken treten selbst am Markt als Anbieter auf und verkaufen Devisenbestände, um den Kurs ihrer Währung zu verteidigen. Dies findet allerdings eine Grenze an den beschränkten Devisenbeständen der Notenbanken. Daher kann man so sinnvoll kurzfristige Kursschwankungen, etwa in Folge einer Mißernte und eines entsprechend höheren Importbedarfs, ausgleichen, nicht aber den Wechselkurs dauerhaft gegen den Markt bestimmen. Nehmen Sie nun an, das Zinsniveau in den USA steigt. Dadurch sinke das Kreditvolumen (und damit das Vermögen) in $ auf und zugleich werden $ Anlagen nun im Vergleich zu Anlagen attraktiver und daher steige deren gewünschter Anteil am Vermögen auf 60%. Setzen wir diese Werte in die Wechselkursgleichung ein, so landen wir bei: 0,6 * (900 $ * e[$/ ]) = 900 $ ==> 600 e[$/ ] = 460 $ ==> e = 0,7666 $/ 1 ] Die EZB muß also entweder eine 24%ige Abwertung akzeptieren, oder sie reagiert, in dem sie ebenfalls ihre Zinsen erhöht und so gleichzeitig das Angebot von Vermögenswerten in ihrer Währung reduziert und die Nachfrage nach diesen wieder erhöht. Bei Tobin zeigt nun, daß sowohl das Preisniveau wie der Wechselkurs als Vermögenswerte verstanden werden können. Damit aber würde die Bestimmung des Zinssatzes vom Güter- und Arbeitsmarkt entkoppelt. Zwar setzt die Zentralbank den Zinssatz, bei dem Preisniveaustabilität herrscht. Aber der Vermögensmarkt kann eine Inflation auch bei Arbeitslosigkeit lostreten. Und daher gibt es keinen Grund zu der Annahme, daß dieser Zinssatz auch der ist, bei dem Vollbeschäftigung herrscht. Eine an Geldwertstabilität orientierte Geldpolitik macht mithin Beschäftigungspolitik keineswegs überflüssig nur fällt diese eben in die Kompetenz der Fiskalpolitik. Währungsstabilität und Zinsniveau Oben wurden die Präferenzen für und $ nicht weiter thematisiert (exogen gesetzt). Bedenken Sie nun, daß beim Anlagekalkül im Vergleich von Währungen zwei Größen wichtig sind: Der Ertrag einer Anlage in Fremdwährung hängt ab sowohl von deren Verzinsung als von der Wechselkursentwicklung. Ein hoher Zinssatz nutzt recht wenig, wenn die Währung drastisch abwertet (bevor ich aus der Anlage wieder raus bin). Allgemein ist daher die Wertstabilität einer Währung ein Argument der Portfoliowahl. Vermögenseigentümer sind bereit, die Wertstabilität einer Währung mit einer geringeren Zinsforderung zu honorieren. Eine Währung, in deren Wertstabilität die Märkte vertrauen, kann daher ein niedrigeres (reales) Zinsniveau durchsetzen, als eine Währung, der die Vermögenseigentümer mißtrauen. Dies ist der Hintergrund der expliziten Politik der EZB über einen eindeutigen Vorrang der Geldwertstabilität in ihrer Geldpolitik eine Vertrauensprämie zu etablieren, die ein auf die Dauer niedriges Zinsniveau ermöglicht. 8 Es geht nicht nur die Kreditvergabe zurück. Vor allem, und das ist der wesentlich schneller wirkende Effekt, sinken die Kurse der langfristigen Wertpapiere. 129
10 Betz / Internationale Wirtschaftspolitik WS 2006 / Teil II Prozeßpolitik S Geld entsteht durch Kredit. Erläutern Sie dieses Postulat. 2. Wie beeinflußt die Notenbank das Zinsniveau? II Beispielfragen 3. Wie entsteht der Zentralbankgewinn? Wirkt die Überweisung der Gewinne der Notenbank an den Staat inflationär? 4. Stellen Sie die Bilanz einer Notenbank idealtypisch dar. 5. Wie kann überschüssiges Geld aus der Ökonomie verschwinden? 6. Erläutern Sie den Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Zinssätzen. 7. Kann die Notenbank ungestraft beliebig niedrige Zinssätze am Markt durchsetzen? 8. Wieso sorgt (angebotsorientiert) eine auf Geldwertstabilität gerichtete Zinspolitik zugleich für Vollbeschäftigung? 130
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