Bedeutung der AOC-Klasse aus der Sicht der Farbengenetik

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1 In unserer Fachzeitschrift, der Tierwelt, habe ich in einem Beitrag über Vererbung im Jahr 2000 geschrieben Die neue Klasse der nicht anerkannten Farbenschläge, sicherlich zum Teil mit genetisch wertvollen Tieren, ist meines Erachtens nicht nur von grossem Nutzen für die Randzuchten. Ich hoffe und freue mich, dass das Neue positiv aufgenommen wird. Liebe Gäste, geschätzte Taubenliebhaberinnen und Taubenliebhaber, neun Jahre nach diesem Zitat wird mir heute die Gelegenheit geboten, über die AOC- Klasse, zu referieren. Gliederung des Referats: 1. Einleitung 2. Definition AOC sowie Beschlussfassung der AAB 3. Geschichte und Einführung der AOC in Deutschland 4. AOC im Vergleich zur Sichtung und dem Vorstellungsverfahren 5. Die AOC-Klasse an der Nationalen und der Jungtaubenausstellung 6. Kritik an der AOC-Klasse und deren Richtigstellung 7. Nutzen der AOC 8. Fazit 9. Quellennachweis 1. Einleitung Beginnen möchte ich mit einem Zitat von Friedrich dem Grossen: Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden. Uns begeistert vor allem die Rassetaubenzucht. Wir haben das Ziel, Farben, Formen und Strukturen möglichst nach dem Standard zu perfektionieren. Andere wollen, dass ihre Tauben auf schnellstem Wege über Kurz-, Mittel- oder Langstrecken nach Hause fliegen. Dann gibt es die Idealisten, welche die Leute mit einer Showeinlage des Kunstfliegens faszinieren und fesseln. Andere Tauben sollen so lange wie möglich am Himmel verweilen und dabei klatschen, purzeln oder sonstige Darbietungen leisten. Dann gibt es Liebhaber, deren Begeisterung bei Farben, Zeichnungen und Faktoren grenzenlos ist. Auch im Umgang mit den zuletzt genannten Visionären sollen wir die Toleranz aufbringen, die schon Friedrich der Grosse propagiert hat. -1-

2 2. Definition AOC-Klasse sowie Beschlussfassung der AAB AOC ist eine Abkürzung aus dem Englischen. Sie steht für All other colors was auf Deutsch alle anderen Farben bedeutet. In der AOC-Klasse dürfen Tiere, die bei dieser Rasse nicht zu bereits standardisierten Farbenschlägen gehören, ausgestellt werden, sofern sie bei anderen Rassen zugelassen sind. Wichtig dabei ist, dass besonders Wert auf die rassetypischen Merkmale gelegt wird. Ausgeschlossen ist das Ausstellen von Tieren, die vom Rassestandard abweichende Zeichnungen, Zeichnungs- oder Scheckenmuster aufweisen. Diese gelten als Fehlfarben und sind mit n.a. zu bewerten. Bei der Meldung von Tauben für die AOC-Klasse ist die Rasse mit der Bezeichnung AOC und dem in Anspruch genommenen Farbenschlag zu versehen. 3. Geschichte und Einführung der AOC-Klasse in Deutschland Vor Jahren waren die Genetiker in der europäischen Taubenszene noch rare Persönlichkeiten und kaum jemand interessierte, respektive beschäftigte sich mit dieser Materie. Die Tradition der gegebenen Farben genügte scheinbar den Taubenzüchtern. Vor allem in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, experimentierten schon immer so genannte Verrückte an neuen Farben und Faktoren herum. Die Lockerheit und Unkompliziertheit der Amis lies es zu, dass bei diesen Versuchen neue Farbenschläge entdeckt werden konnten. In Deutschland hat es Professor Axel Sell als Initiant mit seiner fachlichen Kompetenz fertig gebracht, die AOC versuchsweise für drei Jahre einzuführen. Der Autor einiger Fachbücher im genetischen Bereich, wurde mit dem Beschluss der Aufnahme im Jahre 2003 an der Bundesversammlung auf Rügen belohnt. In Zukunft darf bei Gross- und Hauptsonderschauen hinter den jeweiligen Rassen die AOC-Klasse angeschlossen werden. Folglich konnte an der VDT in Köln die Eröffnung des Wettbewerbes der AOC-Klasse das erste Mal stattfinden. Die neuen Farben faszinierten viele Züchter und selbst die Kritiker. 4. AOC-Klasse im Vergleich zur Sichtung und dem Vorstellungsverfahren Die AOC-Klasse kann als Auffangbecken gegenüber der Sichtung und dem Vorstellungsverfahren betrachtet werden. Sie dient in herausragender Form dem Bundeszuchtausschuss und produziert nicht sinnlos riesige Belastungen im administrativen Bereich. Denn die Selbstdarstellung einzelner Züchter, die unter farblichem Denkmalwahn leiden, ist ein in der heutigen Zeit häufig auftretendes Phänomen. Diese Plattform für Eintagsfliegen, genetisch wichtige Farbergän- -2-

3 zungen oder lang anhaltende Farbkombinationen bietet die Möglichkeiten zu Neuem und ist keinem langwierigen Anerkennungsverfahren unterworfen. Sofern einzelne Farbvarianten eine grössere Verbreitung erfahren und eine gewisse Zahl an Züchtern begeistert, kann der bürokratische Aufwand Sinn machen und das Anerkennungsverfahren in Angriff genommen werden. Die AAB halten fest, dass die Neuzüchtung zur Sichtung das dem Vorstellungsverfahren vorausgehende Verfahren ist. Idealerweise ist vor der betreffenden Schau mit dem BZA Verbindung aufzunehmen und abzuklären, ob für die Neuzüchtung Aussicht auf Anerkennung besteht. An der Ausstellung erfolgt keine Bewertung. Eine Erklärung des Zuchtziels, in der die Farbe genau definiert wird sowie unerwünschte grobe Fehler deklariert sind, muss in der Grösse einer Bewertungskarte am Käfig vorgestellt werden. Die Neuzüchtung im Vorstellungsverfahren gibt der BZA, nachdem sie mindestens einmal in der Abteilung Neuzüchtung zur Sichtung vorgestellt worden ist, bis Mitte Januar in den Fachorganen bekannt. Für diese neuen Farbzüchtungen kann ein Antrag auf Vorstellungsverfahren eingereicht werden. Dieser Antrag ist in dreifacher Ausfertigung an den BZA einzureichen. Er wird dann an die EE-Standardkommission weitergeleitet. Die ausführliche Dokumentation über Abstammung, den Zuchtverlauf, genetische Zusammensetzung, genaue Farberläuterung und noch weitere Faktoren regeln dann den weiteren Verlauf zur Anerkennung. Auf die zusätzlichen Kriterien wie der Qualität, Rassemerkmale, Bewertung etc.wollen wir gar nicht erst eingehen. 5. Die AOC-Klasse an der Nationalen und der Jungtaubenausstellung Der offizielle Standard in den Reglementen der Preisrichtervereinigung sowie der Fachtechnischen Kommission ist der Deutsche Rassetaubenstandard. Momentan wird der Rassetaubenstandard in Zusammenarbeit mit der Europäischen Standardkommission aktualisiert und ergänzt. Die enge Zusammenarbeit mit Deutschland und der EE ist für uns von riesigem Nutzen. Zusammen mit den AAB, die in fachtechnischer Hinsicht bei uns ebenfalls ihre Anwendung findet, ist selbstverständlich die AOC-Klasse seit deren Einführung auch in der Schweiz zugelassen. Provokativ deute ich die grosse Hemmschwelle so, dass bei uns vorwiegend mangelnde genetische Kenntnisse oder geringes Interesse an der AOC die Ursache ist. Aufgrund der momentanen Situation, dass unser Computerfachmann die Ausstellungssoftware so programmieren kann, dass alle erdenklichen Farbtupfer in Zukunft bei den Ausstellungen möglich sind, hoffe ich, dass wir regelrecht mit Anmeldungen überschwemmt werden. Zur Informa- -3-

4 tion: An der Nationalen in Münchwilen präsentierten sich in der AOC-Klasse eine Voliere Danziger Hochflieger in hellgrau dunkelgesäumt. 6. Kritik an der AOC-Klasse und deren Richtigstellung Das Thema des aktuellen Referats wurde durch den King-Club Schweiz bezüglich der Andalusierfarbe der ausgestellten Tiere an der Nationalen in Münchwilen beeinflusst. Die Meinung war, dass die so genannten Schmutzigweissen nur in der AOC-Klasse bewertet werden dürfen und man dabei der Auffassung war, dass die AOC in der Schweiz nicht anerkannt ist! Die Feststellung, dass die Schmutzigweissen fälschlicherweise bewertet und sogar mit einem EP ausgezeichnet wurden, ist vollkommen richtig. Es handelt sich dabei um reinerbige Andalusier, bei denen nur der Kopf in der Regel dunkler gezeichnet ist. Das andere Gefieder erscheint hellgrau, in leicht bläulicher oder rötlicher Säumung je nach den Faktoren, die das Erscheinungsbild beeinflussen. Falsch dagegen ist, dass der reinerbige Andalusier in der AOC-Klasse ausgestellt werden darf, denn seine Farbe wird im Standard fälschlicherweise nur in spalterbiger Form toleriert, d.h. das Erscheinungsbild eines Andalusiers wird wie folgt beschrieben: bei sehr dunkelblauer (fast schwarzer) Grundfarbe erscheint jede Feder auf dem helleren Flügelschild durch eine Änderung der Federstruktur im Randbereich schwarzgesäumt. Übrigens ist der Andalusier ein genetisch spalterbiger Indigo, d.h. die aparte Farbe entsteht durch die Verpaarung Indigo mit Binden oder Indigo gehämmerte mit Schwarzen (Ausbreitungsfaktor). Da die reinerbige Form des Andalusiers im Standard aus genetischer Sicht verkannt wird und bei keiner anderen Rasse zugelassen ist, darf er nicht unter AOC ausgestellt werden. Auf der 43.HSS der Kingtauben 2008 in Reichertshofen wurden unter AOC die reinerbigen Andalusier normal bewertet, d.h. sogar mit hv. Dieser Irrtum wurde bei der grossen Schau in Nürnberg korrigiert und die reinerbigen Andalusier wurden mit n.a. 0 bewertet. Zur Zulassung der AOC in der Schweiz, welche sich eigentlich aus den vorhergehenden Punkten bereits geklärt hat, möchte ich noch kurz anfügen: Stellt euch vor, wenn wir uns nicht nach dem Deutschen Standard sowie der AAB orientieren würden, was für einen bürokratischen Aufwand, verbunden mit riesigen Kosten, jede neue Rasse und Farbe produzieren würde, die ausgestellt wird. Ein weiteres Argument der Kritiker: Die Preisrichter sind durch alle diese Farben überfordert. Dass keine Fehler gemacht werden hat uns das vorangehende -4-

5 Beispiel in zweifacher Hinsicht schon gezeigt. Die Taubenrichter bewerten ja schon alle anerkannten Farbenschläge, die bei allen Rassen, sofern standardisiert, identisch sind. Die Fachausdrücke in Haupt- und Nebenfarben bieten dabei reichlich Hilfestellung. Unsicherheit kann auf grossen Ausstellungen immer mit Fachleuten und Spezialisten kompensiert werden. Die Kritiker behaupten: Der Bestand bestehender Farben ist durch die AOC gefährdet! Den Bestand an Farben regeln das Angebot und die Nachfrage von alleine. Die Grundsicherstellung der Rasse ist in dieser Beziehung viel wichtiger, denn Farben und Zeichnungen können mit minimalem Aufwand an genetischen Kenntnissen produziert werden. Nicht beliebig produziert werden können die rasssespezifischen Merkmale einer Rasse. Im Endeffekt profitiert nur die Rasse. Ein weitere Kritikpunkt: Wir haben genug Farbenschläge, wir brauchen keine neuen Rassen! Die Zeichnungen und Färbungen sind bereits zugelassene Farbenschläge, die in der AOC ausstellungsberechtigt sind. Es sind ausdrücklich keine weiteren Farbenschläge, die das aufwendige Anerkennungsverfahren durchlaufen müssen. Ihre Hilfestellung für farbliche Verbesserungen in einzelnen Zuchten steht im Vordergrund. Neue Rassen haben mit der AOC nichts zu tun. Schliesslich kritisiert man, dass Tiere in der AOC-Klasse Preise erhalten: Es ist vollkommen richtig, dass bei Bezahlung des vollen Standgeldes eine prozentuale Verteilung der Preise nach AAB gerechtfertigt ist. Grosse Preise werden in der AOC nicht vergeben. 7. Nutzen der AOC Farbenschläge, welche als Randgruppen ausserordentliche Dienste in züchterischen Belangen leisten, können somit der Öffentlichkeit präsentiert werden. Durch das Wissen um die Existenz solcher Tiere werden neue Impulse bei Mitbewerbern erzeugt. Dies kann einen Fortschritt für den weiteren Zuchtverlauf bringen. Für mich persönlich sind, sofern rassespezifisch mit hervorragenden Merkmalen ausgestattet, solche Tiere von enormer Wichtigkeit. Genetische Interessen ergänzen nachher die Zielvorstellung einzelner Visionäre. Der Förderverein Schweizer Kleintierrassen kämpft um die Erhaltung einheimischer Rassen. Ich wage zu behaupten, dass die AOC-Klasse im züchterischen Bereich einiges an Potential zu bieten hat, so dass diese Rassen wieder neue Anhänger finden. -5-

6 Zum Beispiel: Der Luzerner Rieselkopf Ein typisches Sorgenkind, das seit Jahren nur wenige Idealisten auf sich vereint. Die Farbe ist nur in Schwarz zugelassen. Paarungskombinationen sind: Schwarz mit Rieselkopf oder Rieselkopf mit Rieselkopf. Farbliche Ausfälle sind bei beiden Paarungen häufig, weil die Rieselung nur in spalterbiger Form unserer Musterbildanforderung entspricht. Es fallen in der ersten Paarung neben Gerieselten vorwiegend Schwarze und in der zweiten Paarung vorwiegend überzeichnete Gerieselte bis Getigerte und ein kleiner Anteil Schwarze. Getigerte werden leider als Fehlfarbe verkannt und nicht mehr weiterverwendet. Bei rassetypisch hohem Niveau sind sie aber in der AOC-Klasse ausstellungsfähig. Mit dieser Präsentation stiften sie nicht nur im Sinne der Ausstellung Nutzen. Denn reinerbig überzeichnete Gerieselte oder Getigerte an Schwarz gepaart ergeben dann, weil im Zeichnungsfaktor dominant, nur Gerieselte bis Getigerte. Ein nicht zu unterschätzendes Übel ist bei einem so kleinen Züchterkreis die Inzucht. Irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, wo man züchterisch stagniert. Stellt euch dann vor, bei den einfarbigen Luzernertauben stehen in der AOC- Klasse qualitativ im Typ hoch stehende Tiere in Dunkel, Khakifahl, Aschfahl oder Crème. Ich weiss, das sind alles ehemalige Fehlfarben. In der ersten Generation ziehe ich daraus schwarze Weibchen, wenn ich Dunkel mit Aschfahl oder Crème verpaare. In der zweiten Generation Schwarze in beiden Geschlechtern, sofern die daraus fallenden spalterbigen Aschfahlen mit Dunkel gepaart werden. Dabei wurde nie eine schwarze Taube eingesetzt. Erkennt Ihr den Nutzen? Zum Faktor Rieselung: bei den Hessischen Kröpfern sind Rieselköpfe in Schwarz, Blau, Rot und Gelb standardisiert. Die Malteser, deklariert als Muselköpfe, sind in Schwarz, Blau mit schwarzen Binden, Braun, Rot, Gelb, Blaugehämmert, Braunfahlgehämmert und Braunfahl zugelassen. Was bedeutet dies für uns? Ich habe die Möglichkeit sämtliche standardisierte Farben und Zeichnungen für die Rieselköpfe zu verwenden. Z.B. anfallende rote Luzerner Rieselköpfe stelle ich dann in der AOC aus. Züchterisch dienen sie mir zur Blutauffrischung oder Verbesserung einzelner Rassemerkmale. Wir könnten die Spielereien noch beliebig erweitern. Ihr seht, ein riesiges Potential zugunsten der Rassen. Die AOC ermöglicht es, Ziele zu verwirklichen, die wie beim Schachspiel mit Geduld, Weisheit und Ausdauer erreicht werden können. -6-

7 8. Fazit Wir sollten heute in der Lage sein, auf keinen zu verzichten, dessen Motive mit unserer Philosophie übereinstimmen. Nicht wahr? Packen wir es an und starten eine regelrechte Modernisierungs-Offensive, denn es ist an der Zeit, neue Wege zu gehen. 9. Quellennachweis Vererbung bei Tauben, Axel und Jana Sell Züchten mit System, Axel Sell Zucht und Vererbung bei Tauben, Axel Sell Homepage, Axel Sell Deutscher und EE Rassetaubenstandard AAB Bund Deutscher Rassegeflügelzüchter Katalog Nationale Münchwilen Schreiben King-Club Geflügelzeitung 2/2009 Katalog 33. Nürnberger Rassetaubenschau -7-