Der Vorwurf sexuellen Missbrauchs im Gerichtsverfahren und die Folgen für die Arbeit des Verfahrensbeistands

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1 ZKJ Artikel - / Spalte von Der Vorwurf sexuellen Missbrauchs im Gerichtsverfahren und die Folgen für die Arbeit des Verfahrensbeistands EINE ERSTE ANNÄHERUNG AN DAS THEMA Auf der Mitgliederversammlung der BAG Verfahrensbeistandschaft am.0. in Berlin stellte Frau Dr. Manuela Stötzel in ihrem Vortrag die Grundlagen für die Arbeit eines Verfahrensbeistandes in diesem sensiblen Themengebiet dar. Wir stellen hier eine Zusammenfassung vor: Sexueller Missbrauch ist ebenso wie die Kindesvernachlässigung und die physische oder psychische Misshandlung eine Form der Kindeswohlgefährdung. Bei der Definition sexueller Kindesmissbrauch muss zwischen der engen Definition - die nur Handlungen ( ), die mit einem direkten Körperkontakt zwischen Täter_in und Opfer verbunden sind - vom unmittelbaren Hautkontakt mit der Brust oder dem Genital eines Kindes bis zur vaginalen, analen oder oralen Vergewaltigung - umfassen. und der weiten Definitionen, - die versuchen, sämtliche als potenziell schädlich angesehenen Handlungen zu erfassen. So werden bei weiten Definitionen in der Regel auch sexuelle Handlungen ohne Körperkontakt wie Exhibitionismus zum sexuellem Missbrauch gezählt: Sexueller Missbrauch ist jede Handlung, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder der das Kind aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich Wipplinger & Amann, 0

2 ZKJ Artikel - / Spalte von zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Macht- und Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Kindes zu befriedigen. Eine Einschätzung, wie viele Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs es in Deutschland gibt, ist sehr schwierig. Einen Anhaltspunkt dazu kann das sog. Hellfeld geben. Dieses stützt sich auf die Polizeiliche Kriminalstatistik. Danach wurden Delikte nach StGB (sexueller Kindesmissbrauch) an Kindern unter Jahren in Fälle erfasst Dabei ist eine Zunahme von bis heute um ungefähr % zu verzeichnen. Die Gründe für diesen Anstieg sind unterschiedlich; haben aber vermutlich auch mit der höheren Sensibilität für dieses Thema zu tun. In der Kriminalstatistik sind aber nur die Fälle erfasst, die zur Anzeige gebracht wurden. Schätzungen aus sog. Dunkelfeldstudien zeigen die Spannbreite, und damit Unsicherheit bei einer Konkretisierungsmöglichkeit auf: - Bange & Deegener : Jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder zwölfte Junge in Deutschland sind von sexueller Gewalt betroffen. - Engfer 0: -% der Frauen, -% der Männer sind betroffen. Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen - Wetzels :,% der Frauen und,% der Männer sind von sexueller Gewalt in der Kindheit betroffen. Mit Körperkontakt vor dem. Lebensjahr:,% der Frauen,,% der Männer - Bieneck & Stadler :,% der Frauen und,% der Männer von sexueller Gewalt sind vor dem. Lebensjahr betroffen, mit Körperkontakt vor dem. Lebensjahr:,% der Frauen,,% der Männer Bange & Deegener,

3 ZKJ Artikel - / Spalte von Häuser et al. (0) Weite Definition, ohne Altersvorgabe:,% der Befragten betroffen Internationale Meta-Studien: - im Durchschnitt, bis mal höhere Raten für Frauen als für Männer (Finkelhor ) - -% der Frauen, -% der Männer (Finkelhor 0) -,% der Frauen,,% der Männer vor. Lebensjahr (Pereda et al. 0) Neben dem StGB () Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. () Ebenso wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. () In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen. () Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt,. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach Absatz oder Absatz mit Strafe bedroht ist,. auf ein Kind durch Schriften ( Abs. ) einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen, die es an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll, oder. auf ein Kind durch Vorzeigen pornografischer Abbildungen oder Darstellungen, durch Abspielen von Tonträgern pornografischen Inhalts oder durch entsprechende Reden einwirkt. () Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach den Absätzen bis anbietet oder nachzuweisen verspricht oder

4 ZKJ Artikel - / Spalte von wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet. () Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz Nr. und und Absatz. spielt auch der Sexueller Missbrauch an Schutzbefohlenen ebenfalls eine große Rolle. () Wer sexuelle Handlungen. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder. an seinem noch nicht achtzehn Jahre alten leiblichen oder angenommenen Kind vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. () Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes Nr. bis. sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder. den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Neben den Strafverfahren, in denen keine Verfahrensbeistandsbestellung vorgesehen ist, sind natürlich die Familiengerichtsverfahren von Bedeutung. Für die Verfahrensbeistände sind dabei in der Praxis zwei Fallkonstellationen relevant.. Der Verfahrensbeistand wird z. B. in einem Umgangsverfahren eingesetzt, in dem der Vorwurf

5 ZKJ Artikel - / Spalte von sexuellen Missbrauchs gegen ein Elternteil erhoben wird.. Der Verfahrensbeistand erhält während seiner Arbeit mit dem Kind von diesem Hinweise oder auch direkte Aussagen, die auf einen sexuellen Missbrauch hinweisen. Während im Fall für den Verfahrensbeistand die Fragen: Kindeswille? Umgang Ja oder Nein? Umgang in welcher Form? im Sinne des Kindeswohls im Vordergrund stehen, muss der Verfahrensbeistand in der Fallkonstellation sich zusätzlich mit den Fragen der Schweigepflicht und des Kindesschutzes auseinandersetzen. Zwar sind im mit dem Bundeskinderschutzgesetz zum. Januar neu geschaffenen KKG Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz einige Berufsgruppen aufgeführt, der Verfahrensbeistand taucht als Berufsgruppe aber nicht auf. Zumindest die Verfahrensbeistände, die in ihrem Grundberuf Psychologinnen oder Sozialarbeiterinnen sind, sind hier wohl angesprochen. Grundsätzlich heißt es in Abs. des KKG Beratung und Übermittlung durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung: Werden (dann sind die Berufsgruppen konkret benannt) in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so sollen sie mit dem Kind oder Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hier wird das Dilemma des Verfahrensbeistands sehr deutlich. Art. BKiSchG

6 ZKJ Artikel - / Spalte von Vertraut sich ein Kind ihm an und macht eine Aussage, dann muss er genau abwägen, wie er mit dieser Aussage umgehen soll. Welche dem Kindeswohl angemessen Möglichkeiten hat er?. Mit dem Kind sprechen. Da stellt sich die Frage, wie und welchem Umfang sollte er mit dem Kind überhaupt weiter sprechen s. u.?. Mit den Personenberechtigten sprechen. Da stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Weitergabe dieser Aussagen an die Eltern und damit an mögliche Täter haben kann? Zur Klärung dieser Fragen hat der Gesetzgeber im Absatz des KKG eine Unterstützung vorgesehen: Die Personen nach Absatz haben zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Sie sind zu diesem Zweck befugt, dieser Person die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln; vor einer Übermittlung der Daten sind diese zu pseudonymisieren. Erst wenn die ersten beiden Schritte aus Abs. und nicht ausreichen sollten, besteht eine Befugnis (keine Verpflichtung!) zur Information des Jugendamtes.. In Abs. KKG heißt es dazu: Scheidet eine Abwendung der Gefährdung nach Absatz aus oder ist ein Vorgehen nach Absatz erfolglos und halten die in Absatz genannten Personen ein Tätigwerden des Jugendamtes für erforderlich, um eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen abzuwenden, so sind sie befugt, das Jugendamt zu informieren; hierauf sind die Betroffenen vorab hinzuweisen, es sei denn, dass damit der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen in Frage gestellt wird. Zu diesem Zweck sind die Personen nach Satz befugt, dem

7 ZKJ Artikel - / Spalte von Jugendamt die erforderlichen Daten mitzuteilen. Ein weiterer Anspruch auf Beratung des Verfahrensbeistands lässt sich aus dem b SGB VIII Fachliche Beratung und Begleitung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen herleiten. Dort heißt es in Abs. : Personen, die beruflich in Kontakt mit Kindern oder Jugendlichen stehen, haben bei der Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung im Einzelfall gegenüber dem örtlichen Träger der Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Dieser berufliche Kontakt trifft auf die Arbeit des Verfahrensbeistandes sicherlich zu. Das Kind selbst hat nach Abs. SGB VIII einen Anspruch auf Beratung auch ohne Kenntnis des Personensorgeberechtigten in einer Not- oder Konfliktlage. Wenn nun der Verfahrensbeistand zu der Ansicht kommt, er möchte zum Schutz des Kindes seine Informationen nicht weitergeben, dann muss er wissen, ob er sich damit nicht strafbar macht. Welche Rechte und Pflichten hat er dabei? - Strafbewehrte Schweigepflicht gem. StGB zumindest für SozialpädagogInnen und PsychologInnen (Vesting, PdR, S. - mit weiteren Nachweisen zur in der Rechtsprechung nicht eindeutig geklärten Schweigepflicht nach StGB bei als Verfahrensbeistand tätigen Juristinnen und Juristen) - Zeugnisverweigerungsrecht gem. ZPO (OLG Braunschweig,.., WF /; ZKJ, S. ff., allerdings nicht in Verbindung mit der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht aus a Abs. BRAO) - Mitteilungspflicht an das Gericht im Hinblick auf Informationen Dritter, die Eingang in das Verfahren finden müssen (Vesting, PdR, S. 0)

8 ZKJ Artikel - / Spalte von Befugnis für Gespräche ohne Schweigepflichtentbindung im Fall einer ausdrücklichen Beauftragung durch das Gericht ungeklärt (Salgo/Bauer, S. 0) Kommen wir noch einmal auf das Grunddilemma des Verfahrensbeistandes zurück: Ob und wie er überhaupt weiter mit dem Kind sprechen soll, das sich ihm anvertraut hat? Wenn der Verfahrensbeistand sich entschlossen hat (und dies ist eine individuelle Abwägung, die jeder Verfahrensbeistand persönlich zu leisten hat), die spontane Aussage des Kindes nicht nur aufzunehmen, sondern dem Kind (das sich möglicherweise so nicht noch einmal öffnet) die Möglichkeit zu geben, evtl. differenzierter zu berichten, so muss er einige wichtige Techniken beherrschen und konsequent anwenden. Das ist deshalb so wichtig, weil er durch seine Fragen weder das Kind beeinflussen, noch das Kind zu Antworten provozieren darf. Er muss sich immer bewusst sein, dass jede Befragung eine mögliche Zeugenaussage des Kindes in einem Strafverfahren angreifbar machen kann, wenn es ernsthafte Hinweise gibt, dass durch frühere Befragungen die Aussagen des Kindes beeinflusst wurden. Daher müssen einige wichtige Regeln eingehalten werden:. Der Interviewer hält sich zurück und gibt Zeit. Stichworte hierbei sind: Aktives zuhören/ spiegeln der kindlichen Aussagen.. Aufforderung zum freien Erzählen. Dann erzähl doch mal, was du von alledem weißt; von alledem denkst?. Offene Fragen. Was geschah wann? Wie ging es weiter? Was hast du gesehen?. Bestimmungsfragen. Wo ist das passiert? Wann geschah das?. Geschlossene Fragen. Hat er die Hand gehoben? Auf jeden Fall zu vermeiden sind:

9 ZKJ Artikel - / Spalte von 0 Suggestivfragen/ Implizierte Erwartungen/ Fragewiederholungen (Stimmt das wirklich?)/ Drohungen oder Versprechungen Die Liste ließe sich sicher fortsetzen. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, sich intensiver mit der geeigneten Methodik einer Befragung auseinanderzusetzen. Die BAG wird daher im Rahmen von Fachtagungen entsprechende Fortbildungsangebote machen, die auf der Homepage der BAG rechtzeitig angekündigt werden. Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal für den Vortrag von Frau Dr. Stötzel. Reinhard Prenzlow Vorsitzender der BAG Verfahrensbeistandschaft/ Interessenvertretung für Kinder und Jugendliche e.v.